R. Agstner (Hrsg.): Die Hitze hier ist wieder kolossal

Cover
Titel
Die Hitze hier ist wieder kolossal…. Des Kaisers Diplomaten und Konsuln auf Reisen. Reiseschilderungen 1808–1918


Herausgeber
Agstner, Rudolf
Reihe
Forschungen zur Geschichte des Österreichischen Auswärtigen Dienstes 9
Erschienen
Wien 2014: LIT Verlag
Anzahl Seiten
282 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang G. Schwanitz, Gloria Center, Herzliya, Israel

„Morgen früh, so Gott will, setzen wir die Fahrt fort. – Thiere sterben, Ruder brechen“, enthüllte der Konsul für Zentralafrika Constantin Reitz am 4. Oktober 1852 seine innigen Gefühle auf dem Nilboot von Khartum nach Wadi Halfa (S. 87). Und weiter: „Menschen schreien; ich aber werde ruhig die Felsen betrachten und alle Unannehmlichkeiten sollen von mir abprallen, wie die strömenden Wogen von den Wellen des Schellals [eine kleine oberägyptische Ortschaft am Nil südlich von Aswan]. Es gewährt mir von Jugend auf ein unsägliches Vergnügen, die wilden Elemente zu betrachten und an ihrem Anblicke mein Herz zu laben, das dann voller dem erhabenen Schöpfer des Weltalls entgegenschlägt.“

Voller Einsichten über Land und Leute, oft in Mittelost, zeigt sich der Band dem Leser. Der rastlose Rudolf Agstner brütete über der Manuskriptauswahl mit Reiseberichten der kaiserlichen und königlichen – k.u.k – Diplomaten aus der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in 110 Jahren bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Zwar ergriff ihn die große Wiener Hitze des Sommers 2013, doch vermochte er das gehaltvolle Werk bis zur Kühle vor Weihnachten abzuschließen, indes sein historischer Buchtitel aktuell geronnen war.

Damit fügte Agstner, der selbst seit 1980 zwei Dekaden als ein österreichischer Diplomat von Paris und Brüssel über Tripolis, New York und Kairo bis Bonn und Addis Abeba mit Zwischenstation am Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte wirkte, seinen Werken neue historische Tiefe zu. Er ist der Autor von 24 Büchern und gab 15 Bände heraus. Unter diesen fallen Texte zur Geschichte des Auswärtigen Dienstes auf, darunter im Lit-Verlag über Friedhöfe in Addis Abeba, Österreich in Istanbul, die Türkei 1960, Österreich und die Ukraine 1785–2010, k.u.k Konsulate in Amerika seit 1820, diese in Saigon und Ho Chi Minh Stadt 1869–2009, ein Lesebuch zur Doppelmonarchie im Ersten Weltkrieg und darüber ein etwas anderes Lesebuch mit dem Tagebuch des Beamten Heinrich Wildners. Der Editor und Verlag erweisen sich in diesem kreativen Schub verdienstvoll, pflegen sie doch eine Tradition. Agstner zeigte sich zudem vom Historiker Martin Kröger inspiriert.1

Dieses Buch birgt 42 Berichte von 35 Reisenden vom Beginn des Wiener Kaisertums bis zum Untergang der Doppelmonarchie. Diplomaten und Konsuln sandten sie auf Deutsch heim, wo sie der Herausgeber im Haus-, Hof- und Staatsarchiv entdeckte und für eine breite Leserschaft aufbereitete. Ihr historischer Informationsgehalt ist enorm. Wo immer angezeigt, hat Rudolf Agstner hilfreiche Erläuterungen und Literaturverweise angebracht.

Schön sind die Faksimile von Diplomatenpässen wie überhaupt der Band mit historischen Bildern sehr anschaulich aufgemacht ist. Die vorangestellte „kurze Geschichte des k.k., k.u.k. und österreichischen Diplomatenpasses“ empfiehlt die Buchlektüre allen, denen an Reisen damals und heute gelegen ist. Das Berliner Kolonialamt stellte vordem so ähnliche Kolonialpässe samt Schutzbriefen aus. Insgesamt erscheinen die Texte recht unpolitisch.

Autorenverzeichnis und Quellennachweis beschließen dieses vorzüglich gestaltete Buch. Einen Wehrmutstropfen bildet der fehlende Index, der die bunten Texte mehr inhaltlich verknüpft hätte. Obwohl heute jeder fast überallhin reisen kann, mag sich der Leser dem Charme der Berichte und ihrer leserfreundlichen Aufmachung in diesem Band nicht entziehen. Wer möchte, kann in ausgewählten Fällen zum Spektrum deutschsprachiger Reisender in bestimmten mittelöstlichen Regionen im selben Zeitraum wie bei Agstner überdies noch Uwe Pfullmanns „Entdeckerlexikon arabische Halbinsel“ hinzuziehen2, zumal viele Damen und Herren aus Mitteleuropa im Orient zusammengehalten haben.

Dies mussten sie auch, denn sie waren wie ebenso die vielen Missionare nicht nur in den plötzlichen Kriegszeiten bedroht. Agstner erhellt, dass es den k.u.k. Konsuln in Russland besonders schlecht erging. Sie durften nicht wie andere beim Weltkriegsausbruch Mitte 1914 nach Hause zurück oder in einen neutralen Drittstaat, sondern mussten oft zu Fuß in die Internierungslager des Ostens einkehren. Im November 1918 erlebten sie dann, was es heißt, einen untergegangenen Staat repräsentiert zu haben und von den feindlichen Besatzungstruppen sehr unzeremoniell in die Heimat abgeschoben zu werden. Und im Hinblick auf die Missionare, diese wurden wie zum Beispiel die Herrenhuter in Ägypten regelmäßig verprügelt, um die letzten Groschen aus den „Ungläubigen“ herauszuhauen.

Reisen ist vielleicht nicht mehr so gefährlich wie ehedem – der Autor widmete das Buch 13 namentlich angeführten und auf Reisen verstorbenen Angehörigen seines Auswärtigen Dienstes. Doch Reisen bildet nach wie vor ungemein. Diesen Vergleich von gestern und heute ermöglicht Rudolf Agstner reizvoll. Seine Wiener Hitze freilich scheint jetzt mehr kolossal und global zu wirken. Diesen Klimawandel gab es dereinst offenbar noch nicht oder die weniger starken Medien haben ihn Wandernden noch nicht so einheizen können. Alles in allem ein sehr empfehlenswertes Buch, verfasst durch einen Meister der Materie.

Anmerkungen:
1 Martin Kröger (Hrsg.), Die Karawane des Gesandten und andere Reiseberichte deutscher Diplomaten, Göttingen 2009.
2 Uwe Pfullmann, Durch Wüste und Steppe, Entdeckerlexikon arabische Halbinsel, Biographien und Berichte, 2. Aufl., Berlin 2014.

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