I. Brühwiler: Finanzierung des Bildungswesens

Titel
Finanzierung des Bildungswesens in der Helvetischen Republik. Vielfalt - Entwicklungen - Herausforderungen


Autor(en)
Brühwiler, Ingrid
Reihe
Studien zur Stapfer-Schulenquête von 1799
Erschienen
Bad Heilbrunn 2014: Julius Klinkhardt Verlag
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Thomas Adam, Department of History, The University of Texas Arlington

Das Bildungswesen der westlichen Welt befindet sich fraglos in einer ernsten Finanzierungskrise. Schulen und Universitäten sind eben nicht nur Bildungseinrichtungen, die Wissen vermitteln, sondern auch wirtschaftliche Unternehmen, deren Funktionieren durch ein solides Finanzierungskonzept gesichert werden muss. Dies klingt einfach, wird aber von den meisten Forscher/innen in der Bildungs- und Universitätsforschung so nicht anerkannt. Schul- und Universitätsgeschichte wird immer noch vornehmlich als Geschichte von Intellektuellen und Bildungsinhalten verstanden. Die finanziellen Rahmenbedingungen für Bildung werden dabei zumeist vernachlässigt.1

Die Finanzierung von Bildungseinrichtungen basierte immer auf einer Mischung von staatlichen und privaten Zuschüssen, deren Zusammensetzung über die Jahrzehnte und Jahrhunderte variierte. Ein Übergewicht der Kirche wurde durch eine Dominanz privater Zuschüsse und diese wiederum durch kommunale und staatliche Zuschüsse abgelöst. Diese Reihung sollte jedoch nicht als eine teleologische Abfolge verstanden werden, sondern eher als ein multidimensionaler Zusammenhang, in dem die Finanzierung aus verschiedenen Quellen periodischen Schwankungen unterliegt.

Historiker und Bildungswissenschaftler haben die historisch gewachsenen Mechanismen der Finanzierung von Bildungseinrichtungen bisher weitgehend ignoriert. Handbücher zur Schul- und Universitätsgeschichte wie zum Beispiel das sechsbändige von Christa Berg und anderen herausgegebene Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte2 und die vierbändige von Walter Rüegg herausgegebene Geschichte der Universität in Europa3 verfügen nicht einmal über ein thematisches Kapitel zu diesem Thema. Und die Herausgeber der Geschichten einzelner Universitäten glauben immer noch, dass diese ohne eine Diskussion der Finanzierung der betreffenden Einrichtungen geschrieben werden könnten. Die Finanzierung von Bildung wird von Historiker/innen in Nordamerika und Europa als ein Randthema betrachtet und von Bildungsforscher/innen fast völlig ignoriert. Sowohl in den USA als auch in Europa gibt es bisher keine fundierte und systematische Erforschung der Geschichte der Finanzierung von Schulen und Universitäten.

Die hier zu besprechende Arbeit zählt zu den wenigen jüngeren Arbeiten über die Finanzierung von Bildungseinrichtungen, die im vergangenen Jahrzehnt veröffentlicht wurden. Wie Ingrid Brühwiler in ihrer Einleitung deutlich werden lässt, betritt diese Arbeit in jeder Hinsicht Neuland. Insofern kann sie sich kaum auf bereits vorliegende Studien berufen oder von vorhergehenden Studien Anregungen für ihr methodologisches Herangehen ableiten. Die Forschungssituation ist jedoch nicht so schlecht, wie es in der Einleitung dargestellt wird. Brühwiler verweist hier lediglich auf Arbeiten zur Finanzierung der Schulen in Massachusetts, New York State und England. Neuere Forschungen aus dem deutschsprachigen Raum wie die Arbeiten von Joachim Bahlcke und Thomas Winkelbauer, Jonas Flöter und Christian Ritzi sowie Thomas Adam finden in der Diskussion leider keine Berücksichtigung, obwohl sich hier eine sehr gute Vergleichsebene für den Stand der Forschungen zur Schulfinanzierung im deutschsprachigen Raum ergeben hätte.4 Insgesamt fehlt der Arbeit aber auch ein größerer theoretischer Rahmen, den die Autorin in den Forschungen zum Verhältnis von staatlichen und privaten Aufwendungen für öffentliche Zwecke hätte finden können.5 Worin besteht etwa die Bedeutung der Zusammensetzung der Lehrergehälter? Brühwiler gelingt es leider nicht, ihre ausgezeichnete statistische Analyse in umfangreiche gesellschaftspolitische und historische Fragestellungen einzubetten.

Die Autorin befand sich in einer überaus glücklichen und beneidenswerten Situation, da sie einen außergewöhnlichen Quellenschatz zu nutzen in der Lage war. Die Stapfer-Schulenquête aus dem Jahre 1799 umfasst 2400 Fragebögen, die der Erziehungsminister der Helvetischen Republik Philipp Albert Stapfer verschicken ließ, um Informationen zu sammeln, auf deren Grundlage er eine neue Schulpolitik entwickeln wollte. Diese 60 Fragen umfassenden Bögen enthalten auch Fragen bezüglich der Einkommen der Lehrerschaft, die es Brühwiler erlauben, eine systematische Auswertung bezüglich der Finanzierungsstruktur der Schulen in der Schweiz vorzunehmen. Bis zur Gründung der Helvetischen Republik war das Schulwesen wie auch andernorts eng mit der Kirche verwachsen und die Finanzierung der Schule und der Lehrer erfolgte über den der Kirche zustehenden Zehnten sowie über Grundzinsen, die in der Helvetischen Republik abgeschafft wurden und daher eine grundlegende Neukonfiguration der Schulfinanzierung erforderten. Dies ging Hand in Hand mit der Trennung von Schule und Kirche und der Säkularisierung des Bildungswesens in der Helvetischen Republik.

Die verzeichneten Antworten widerspiegeln also die Situation der Lehrer in der Zeit vor den angedachten Schulreformen der Helvetischen Republik. Das Gehalt der Schullehrer setzte sich schon vor der angestrebten Säkularisierung des Schulwesens aus verschiedenen Einkommensformen zusammen, die aus ganz unterschiedlichen Quellen stammten. Die Lehrereinkommen bestanden sowohl aus kirchlichen, kommunalen, stifterischen (Schulfonds) und privaten Zuschüssen (in Form der Schulgebühren). Das Schulgeld erwies sich sogar als eine der wichtigsten Einkommensquellen in den sechs von der Autorin untersuchten Regionen. Es war die Haupteinkommensquelle für 24 Prozent der Lehrer im Kanton Schaffhausen, für 8 Prozent der Lehrer im Distrikt Frauenfeld, für 9 Prozent im Kanton Fribourg, für 12 Prozent im Distrikt Zug, für 70 Prozent im Distrikt Stans und für 14 Prozent im Distrikt Basel. Schulgeld spielte bei den Landschulen eine größere Rolle als in den Stadtschulen. Bei den Landschulen belief sich der Anteil des Schulgeldes am Lehrerlohn auf 32 bis 44 Prozent, während er bei den Lehrern der Stadtschulen bei 3 bis 26 Prozent lag. Insgesamt spielte das Schulgeld eine bedeutende Rolle für die Finanzierung der Lehrereinkommen, da mehr als die Hälfte des Lehrpersonals (58 Prozent) Gehälter bezogen, die anteilig aus dem Schulgeld finanziert wurden. Der Anteil der Gemeinde an diesen Gehältern belief sich auf 37 Prozent und der Anteil der Kirche lediglich auf 31 Prozent.

Brühwilers Untersuchung zeigt aber auch, dass die Lehrergehälter aus verschiedenen Komponenten bestanden und dass sie unzureichend waren, um die Lebenshaltungskosten der Lehrer zu decken. Lehrergehälter bestanden im Wesentlichen aus drei Komponenten: (1) Geldlohn, (2) Naturallohn und (3) Hauszins/Schulwohnung. Der durchschnittliche Anteil des Geldlohnes am Gesamtlohn lag bei 57 Prozent, während der Naturallohnanteil immerhin 38 Prozent und der Mietwert 5 Prozent betrug. Darüber hinaus war das Lehrereinkommen in der überwältigenden Zahl der Fälle völlig unzureichend, um den Lebensunterhalt des Lehrers und seiner Familie zu sichern. Im Kanton Schaffhausen gaben 90 Prozent der Lehrer an, dass sie einer Nebentätigkeit nachgingen. Und dieser Kanton war kein Einzelfall. Im Distrikt Frauenfeld und im Kanton Fribourg waren es 83 Prozent, im Distrikt Zug gar 100 Prozent, im Distrikt Stans 94 Prozent und im Distrikt Basel 92 Prozent der Lehrer, die eine Nebentätigkeit angaben. Einige Lehrer hatten dabei nicht nur eine Nebenbeschäftigung, sondern sogar zwei. Die häufigste Nebentätigkeit war eine Arbeit in der Kirche (44 Prozent), gefolgt von Arbeit in der Landwirtschaft (21 Prozent) und dem Erteilen von Privatunterricht (8 Prozent). In der Wahl der Nebenbeschäftigung offenbaren sich stark ausgeprägte religiöse Unterschiede. Kirchliche Tätigkeiten wurden vor allem von katholischen Lehrern ausgeübt, während reformierte Lehrer eher in der Landwirtschaft arbeiteten.

Das hier zu besprechende Buch besticht durch seine gründliche und umfassende statistische Auswertung der Primärquellen, auf deren Grundlage eine Momentaufnahme der Schulfinanzierung in der Schweiz um 1800 gezeichnet wird. Man kann nur hoffen, dass Historiker sich künftig vermehrt der Erforschung der Finanzierung von Bildungseinrichtungen zuwenden werden. Denn nur eine historische Perspektive auf die Finanzierung von Erziehung und Bildung sowie auf die sozio-ökonomischen Auswirkungen der Erhebung von Schulgeld oder Studiengebühren kann Antworten auf die drängenden bildungspolitischen Fragen unserer Zeit geben.

Anmerkungen:
1 Hans-Peter Ullmann, „Ponderare non numerare?“ Überlegungen zu den Finanzen deutscher Universitäten im „langen“ 19. Jahrhundert, in: Armin Kohnle (Hrsg.), Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2001, S. 159–172.
2Christa Berg (Hrsg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte in 6 Bänden, München 1987–2005.
3Walter Rüegg (Hrsg.), Geschichte der Universität in Europa in 4 Bänden, München 1993–2010.
4 Joachim Bahlcke / Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Schulstiftungen und Studienfinanzierung. Bildungsmäzenatentum in den böhmischen, österreichischen und ungarischen Ländern, 1500–1800, Wien 2011; Jonas Flöter (Hrsg.), Bildungsmäzentanentum. Privates Handeln – Bürgersinn – kulturelle Kompetenz seit der frühen Neuzeit, Köln 2007; Jonas Flöter, Eliten-Bildung in Sachsen und Preußen. Die Fürsten- und Landesschulen Grimma, Meißen, Joachimsthal und Pforta (1868–1933), Köln 2009; Thomas Adam, Der unverzichtbare Beitrag von Stiftungen zur Finanzierung des höheren Schulwesens in Preußen im 19. Jahrhundert, in: Paedagogica Historica 48 Nr. 3 (Juni 2012), S. 451–468.
5 Walter W. Powell / Richard Steinberg, The Non-Profit Sector. A Research Handbook Second Edition, New Haven 2006; Thomas Adam / Manuel Frey / Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Stiftungen seit 1800. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Stuttgart 2009.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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