J. Büschenfeld u.a. (Hrsg.): Bielefeld und die Welt

Titel
Bielefeld und die Welt. Prägungen und Impulse


Herausgeber
Büschenfeld, Jürgen; Bärbel Sunderbrink
Reihe
Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 17
Erschienen
Anzahl Seiten
655 S., 136 SW- und 91 Farb-Abb.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roman Köster, Historisches Institut, Universität der Bundeswehr München

Die Stadt Bielefeld feierte im letzten Jahr ihr 800-jähriges Stadtjubiläum und üblicherweise bieten solche Jubiläen Anlass für intensive Aktivitäten des Stadtmarketings. Die Besonderheit im Bielefelder Fall besteht allerdings darin, dass neben einer umfangreichen „offiziellen“ Publikation1 auch noch der vorliegende Band erschienen ist, der das Resultat einer Kooperation des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg und der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie der Universität Bielefeld darstellt. Er setzt sich wissenschaftlich mit den Außenbeziehungen der Stadt Bielefeld auseinander, ihrer Verflochtenheit mit Deutschland und der Welt.

Der Band versammelt dabei zahlreiche Aufsätze von teilweise bereits arrivierten, aber auch jüngeren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Diese präsentieren mitunter bereits Bekanntes, oftmals aber auch bemerkenswerte neue Forschungsergebnisse. Bei der Vielzahl an Aufsätzen macht es allerdings wenig Sinn, diese hier einzeln zusammenfassen zu wollen. Vielmehr wird an dieser Stelle versucht, einige Aspekte und Aufsätze, die dem Rezensenten besonders interessant erschienen, herauszustellen. Der Band insgesamt ist in mehrere Themenbereiche unterteilt, die von Bielefeld im Mittelalter bis hin zu aktuellen Entwicklungen reichen.

Den Anfang macht dabei zunächst ein Abschnitt über die Menschen, die aus Bielefeld fortgingen, bis hin zu jenen, die – ob freiwillig oder gezwungenermaßen – in die Stadt kamen. Hier werden sowohl die Geschichte der Auswanderer nach Amerika im 19. Jahrhundert beleuchtet wie auch die Geschichte der Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg sowie der „Gastarbeiter“ nach dem Krieg. Danach folgt ein Abschnitt über die politischen Außenbeziehungen der Stadt, insbesondere unter dem Aspekt, dass das mittelalterliche und frühneuzeitliche Bielefeld lange Zeit gewissermaßen unter der „Fremdherrschaft“ des (mit wechselnden Bezeichnungen) Herzogtums Jülich-Kleve stand. In einem instruktiven Aufsatz arbeitet Jürgen Jablinski heraus, wie sich die Herrschaftsorganisation im Laufe der Frühen Neuzeit veränderte, welche Handlungsspielräume die Stadt besaß und wie sie diese nutzte. Spannend ist auch der Beitrag von Bärbel Sunderbrink, der die Geschichte Bielefelds als Teil des von Napoleons Bruder regierten, allerdings kurzlebigen Königreichs Westfalen untersucht.

Hinsichtlich der Außenbeziehungen einer Stadt sind die wirtschaftlichen Beziehungen von besonderem Interesse. Dabei sticht sicherlich Karl Ditts Aufsatz heraus, der mit einem systematischen und internationalen Vergleich der Entwicklung von Textilstädten über seine bisherigen Arbeiten zur Bielefelder Industrialisierung deutlich hinausgeht und herausarbeitet, inwiefern die Entwicklung der Textilwirtschaft den weiteren Industrialisierungsverlauf prägte. Ebenfalls Neuland erschließt, trotz einiger kleinerer sachlicher Ungenauigkeiten, der Beitrag von Sebastian Knake, der sich mit Bielefeld als „Marke“ beschäftigt und untersucht, wie vor allem Firmen der Wäsche- und Fahrradindustrie diese Herkunftsbezeichnung in ihrer Produktkommunikation offensiv einsetzten. Spannend ist auch der Beitrag von Harald Wixforth, der Bielefelds Transformation von einer Industriestadt zu einem Dienstleistungszentrum nach dem Zweiten Weltkrieg nachzeichnet.

Ein weiterer Abschnitt ist Bielefelder „Weltsichten“ gewidmet, wobei unter anderem – ein Thema, das gerade Konjunktur hat – Spuren rekonstruiert werden, welche die koloniale Vergangenheit in der Stadt hinterlassen hat. Dabei spielte besonders die von Bethel ausgehende evangelische Mission eine wichtige Rolle. Margit Schulte-Beerbühl wiederum beschäftigt sich mit den Bielefelder Kaufleuten und wendet ihre bekanntermaßen exzellenten Kenntnisse der frühneuzeitlichen Handelsgeschichte dankenswerterweise auf den Bielefelder Fall an.

Ein eigener Teil beschäftigt sich mit der Bielefelder Bau- und Architekturgeschichte, wo sich die Autoren anhand verschiedener Aspekte mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern die Stadt an zeitgenössischen Entwicklungen (bürgerliches Bauen, moderner Fabrik- und Städtebau etc.) partizipierte. Der Aufsatz von Andreas Beaugrand über die internationalen Entwicklungslinien des modernen Fabrikbaus erscheint dabei als besonders interessant, aber auch ein wenig spekulativ. Die überraschende Lehre aller Beiträge ist aber letztlich, dass viele Gebäude, denen auf dem ersten Blick wenig Spektakuläres eigen zu sein scheint, überzeugend in national und international wirkmächtige Bautraditionen eingeordnet werden können.

Der letzte Abschnitt schließlich widmet sich der Religions-, Kultur- und Sportgeschichte der Stadt, angefangen von der Bielefelder Reformation im 16. Jahrhundert bis hin zu einem historischen Abriss der Geschichte der 1969 eröffneten „Reformuniversität Bielefeld“. Diese wird, was bei dem Kreis der Autorschaft vielleicht nicht ganz überraschend kommt, in vielen Beispielen als ein wesentlicher Faktor der Nachkriegszeit angesprochen, als Bielefelds Ausweg aus der Provinz gewissermaßen.

Insgesamt kann der vorliegende Band als rundum gelungen bezeichnet werden. Zwar mangelt es ihm vielleicht ein wenig an Homogenität, was aber bei einem solchen Anlass und bei der Vielzahl der beteiligten Personen letztlich unvermeidlich ist. Neben den durchweg qualitätsvollen Beiträgen ist dabei positiv hervorzuheben, dass das Buch sehr ansprechend gestaltet und reich bebildert ist. Insgesamt geht der Band „Bielefeld und die Welt“ somit weit darüber hinaus, was an wissenschaftlichen Anstrengungen zu Stadtjubiläen üblich ist, und kann darum als vorbildhaft gelten.

Anmerkung:
1 Andreas Beaugrand (Hrsg.), Stadtbuch Bielefeld 1214–2014, Bielefeld 2013.