Cover
Titel
Envisioning Socialism. Television and the Cold War in the German Democratic Republic


Autor(en)
Gumbert, Heather L.
Reihe
Social History, Popular Culture, and Politics in Germany
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 242 S.
Preis
$ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Dittmar, Department Medien- und Kommunikationswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Mit Heather Gumberts Buch „Envisioning Socialism“ ist nun eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Studie erschienen.1 Sie ist eine der ersten englischsprachigen Monographien zum Fernsehen der DDR und zu seiner Bedeutung für Politik, Kultur und Gesellschaft des „real existierenden Sozialismus“. Damit erschließt die US-Amerikanerin einen reichen Forschungsdiskurs für die internationale (medien-)historische Debatte, die in den letzten 15 Jahren vor allem in deutscher Sprache geführt worden ist.2 Beachtlich ist Gumberts Blick „von außen“, hier also die Verbindung des deutschsprachigen Theoriebezuges mit anglo-amerikanischen Arbeiten. Zudem zeigt sie Parallelen in der US-amerikanischen Entwicklung des Fernsehens mit seinen ost- und westdeutschen Pendants während des Kalten Kriegs auf und nutzt diese für die historische Analyse – mit beachtlichen Ergebnissen.

Gumbert liefert explizit keine vollständige Geschichte und läuft damit nicht Gefahr, zeitlich marginale Entwicklungen aus der Perspektive des „Großen und Ganzen“ fehlzudeuten. Stattdessen konzentriert sie sich auf die frühen Jahre des „Deutschen Fernsehfunks“ und analysiert diese detaillierter. Gumbert zeichnet die 1950er- und 1960er-Jahre, die Zeit zwischen Etablierung und Experiment, als die spannendste Phase der Fernsehentwicklung nach: Das Versuchsprogramm war auch von jungen Mitarbeitern geprägt, die begeistert die großen Chancen ergriffen, Programm zu „erfinden“ und zu gestalten. Dies ermöglichte eine Phase des Experimentierens, in der die Arbeit zwar in ideologischen Grenzen zu verlaufen hatte, aber nicht per se zensiert wurde.3 Erst als die spannendsten Experimente scheiterten, wie etwa die von Gumbert ausführlich diskutierte Fernsehoper „Fetzers Flucht“, begann eine Anpassung an die Wünsche und Sehgewohnheiten der Zuschauer. Zusammen mit der Selbstzensur im Sinne der politischen Lenkung des Fernsehens führte dies am Ende zu einem homogenen Programm, Erich Honeckers Urteil der „Langeweile“ war letztlich selbstverschuldet.4

Theoretisch und methodologisch ist die Studie eingebettet in den Diskurs der „German Cultural Studies“ (S. 6) – der, so Gumbert, den anglo-amerikanischen Cultural Studies entsprechen würde und die Zusammenhänge von Kultur, Macht und Kommunikation untersuche. Gumbert plädiert nachdrücklich dafür, Methoden der eher medienorientierten Cultural Studies auch für die Geschichtswissenschaft aufzuschließen und so eine historische Analyse etwa des Fernsehens zu ermöglichen. Diese Konzeption medienhistorischer Forschung entspricht durchaus Überzeugungen, wie sie die Medien (Kultur) Wissenschaft aus der anderen Richtung in ihren medienhistorischen Modellen vertritt.

Vor dem Hintergrund dieses zeitlichen und theoretisch-methodologischen Rahmens argumentiert Gumbert in sechs großen Schritten: Zunächst widmet sie sich den technischen Entwicklungen des Fernsehmediums – also etwa den Apparaten und der Übertragungstechnik – zwischen den 1940er-Jahren und dem Jahr 1958 kurz nach dem Start des offiziellen Programms. Zu Beginn sei es der herrschenden SED beispielsweise weniger um die Inhalte der Sendungen gegangen als um die Besetzung von Funkfrequenzen, also des Territorium im „Äther“. Gumbert zeigt, welche Auswirkungen scheinbar rein technische Entscheidungen für das Medium Fernsehen in den darauffolgenden Jahrzehnten hatten.

Im zweiten Schritt diskutiert Gumbert die Gründung und Professionalisierung des „Deutschen Fernsehfunks“ in den Jahren 1952 bis 1958. Die ersten Versuchssendungen seien noch stark von den Inhalten und den Gestaltungsmerkmalen des nationalsozialistischen Fernsehens geprägt gewesen. Mit wachsender Erfahrung hätten die Fernsehmacher aber immer mehr experimentiert, eigene ästhetische und inhaltliche Prinzipien gefunden und damit das ostdeutsche Fernsehen „er-funden“.

Das dritte Kapitel handelt von der Beziehung zwischen Fernsehen und Politik, also vor allem von der immensen Bedeutung, die der führenden Staatspartei SED für Inhalt und Ausgestaltung des Fernsehens zwischen 1950 und 1958 zukam. Dabei habe sich vor allem die Verschärfung des Kalten Krieges ausgewirkt: Nach dem Aufstand des 17. Juni 1953 wurde der politisch vertrauenswürdige Heinz Adameck als Intendant eingesetzt, der Ungarn-Aufstand 1956 führte den Herrschenden dann die Macht des Mediums unmissverständlich vor Augen. Danach, so Gumbert, sei das Fernsehen endgültig politisch instrumentalisiert worden.

Anschließend diskutiert Gumbert näher, wie sich das Fernsehen zu einer bedeutenden politischen und kulturellen Größe in der DDR entwickelte. Dazu untersucht sie viertens zunächst die kulturelle Bedeutung des Programms, indem sie die Einflüsse von aktuellen Ereignissen (Zweite Berlinkrise) sowohl auf Nachrichten als auch auf unterhaltende Sendungen analysiert. Sie identifiziert dabei Narrative, die die Errichtung der Mauer 1961 rechtfertigen sollten. Fünftens zeigt Gumbert an der Debatte um „Fetzers Flucht“, wie eng die gestalterischen Spielräume für die Fernsehmacher nach dem Mauerbau waren. Der Film erscheint in dieser Analyse nicht als systemkritisch, sondern vor allem als nicht unterhaltsam für das damalige Publikum – und damit als ideologisch ineffektiv. Gumbert verweist dabei auf den zunehmenden Anspruch der Bevölkerung an das Fernsehen, nach dem harten Arbeitstag vor allem Zerstreuung und Unterhaltung zu bieten.

Dies kulminiert in einem sechsten Argumentationsschritt, in dem Gumbert auf die breitere kulturpolitische Debatte der frühen 1960er-Jahre eingeht. Während das Fernsehen sein Programmangebot ausweitete und Material für dessen Füllung finden musste, seien gleichzeitig seine Möglichkeiten und auch Grenzen hervorgetreten: Indem traditionelle Formate Einzug hielten, die sich eher an bürgerlichen und auch westlichen Formaten orientierten, sei das Fernsehen als wahrhaft eigenständiges, sozialistisches Medium gescheitert.

Heather Gumbert qualifiziert das DDR-Fernsehen nicht per se als unpopuläres Medium ab. Stattdessen untersucht sie es auf spezifische Eigenschaften in der ersten Hälfte seiner Entwicklung hin – Gumbert versucht herauszufinden, in welcher Beziehung das DDR-Fernsehen erfolgreich war und scheiterte (S. 13). Ihre Antwort: Der Anspruch der proletarischen, revolutionären Kunst missglückte nicht aufgrund des Geschmacks einzelner Parteiführer oder der Ideologie. Stattdessen scheiterte er am Wesen des Fernsehens, eine komplexe Industrie mit eigenen Regeln und Zwängen zu sein: Die politische Führung habe politische Botschaften gewollt, das Publikum Unterhaltung – am Ende habe jeder bekommen was er wollte (S. 157). Indem das Fernsehprogramm in den 1970er und 1980er Jahren immer mehr mit westlichen oder westlich-orientierten Sendungen gefüllt wurde, habe das Fernsehen seine eigene identitätsstiftende Rolle unterminiert (S. 163). Dieser Analyse ist nachdrücklich zuzustimmen.

Insgesamt kann ein positives Fazit gezogen werden: Gumbert verarbeitet ihre sehr guten Kenntnisse des deutschen Forschungsdiskurses. Die Ergebnisse fügen sich nahtlos in die bisherigen Forschungen zum DDR-Fernsehen ein und fassen diese mit zeitlichem Abstand zusammen. Das Buch eignet sich daher besonders für Leser, die nicht sehr vertraut mit den spezifisch deutschen beziehungsweise europäischen Verhältnissen sind. Für Kenner der deutschen Forschung bleibt das innovative Potential dagegen überschaubar. Neben viel Bestätigung bekannter Positionen – so ist z.B. die Gesamteinschätzung zum „Erfolg“ des DDR-Fernsehens bei den Zuschauern stark an Michael Meyen orientiert – finden sich aber mitunter auch abweichende Interpretationen. Dies betrifft etwa die Einordnung der politischen Querelen zu „Fetzers Flucht“ aber auch eine eigene Position zur Rolle der Unterhaltung im Programm. Die Lektüre lohnt also durchaus auch für Spezialisten.

Anmerkungen:
1 Das Buch ist die vollständig überarbeitete und aktualisierte Fassung ihrer 2006 verteidigten Dissertation, vgl. Heather Leigh Gumbert, East German Television and the Unmaking of the Socialist Project, 1952–1965, University of Texas 2006, <http://hdl.handle.net/2152/2697> (18.03.2015).
2 Hier ist vor allem die Arbeit der DFG-Forschergruppe „Programmgeschichte des DDR-Fernsehens – komparativ“ anzuführen, in der die Autorin der vorliegenden Rezension von 2001–2009 selbst mitgearbeitet hat. Die Ergebnisse von insgesamt zehn Teilprojekten ist in über 40 Monographien und Sammelbänden sowie unzähligen Artikeln publiziert worden. Vgl. den Abschlussband: Rüdiger Steinmetz / Reinhold Viehoff (Hrsg.), Deutsches Fernsehen Ost. Eine Programmgeschichte des DDR-Fernsehens, Berlin 2008; vgl. die Rezension von Christina Bartz in: H-Soz-Kult, 17.10.2008, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-11196> (18.03.2015)
3 Vgl. dazu auch Claudia Dittmar / Susanne Vollberg (Hrsg.), Zwischen Experiment und Etablierung. Die Programmentwicklung des DDR-Fernsehens 1958 bis 1963, Leipzig 2007.
4 Erich Honecker, Bericht des Zentralkomitees an den VIII. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Neues Deutschland Ausgabe B, 16.06.1971.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension