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Titel
Das Beginenwesen in fränkischen und bayerischen Bischofsstädten.


Autor(en)
Hien, Hannah
Reihe
Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe IX: Darstellungen aus der fränkischen Geschichte 59
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Amalie Fößel, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Hannah Hien hat mit ihrer hier anzuzeigenden Würzburger Dissertation ein Forschungsdesiderat aufgegriffen und dabei eine ganz bemerkenswerte Studie vorgelegt, die vergleichend angelegt ist und das Beginenwesen in den fränkischen und bayerischen Bischofsstädten Würzburg, Bamberg und Eichstätt sowie Regensburg, Freising und Passau mit einer diachronen Blickrichtung von den Anfängen im 13. Jahrhundert bis zum ausgehenden Mittelalter untersucht.

Mit der Fokussierung auf die sechs Kathedralorte wendet sich Frau Hien damit Städten zu, deren Beginen, abgesehen von Würzburg und Bamberg, bislang nur wenig beziehungsweise noch nie – wie für Passau und Eichstätt zu konstatieren ist – von der Forschung in den Blick genommen wurden. Diese Auswahl rechtfertigen zudem forschungspragmatische Gründe, weil Städte wie Würzburg und Regensburg mit einer Vielzahl von Beginengemeinschaften und einer breiten Überlieferung mit den Entwicklungen in den kleineren Städten wie Freising, Passau und Eichstätt und deren jeweils geringen Dichte an Beginenhäusern gegenübergestellt und kontrastiert werden können. Mithin auf den Typus der Bischofsstadt und das räumliche „Neben- und Miteinander von geistlicher und weltlicher Stadt“ (S. 20) ausgerichtet, wird betont, dass hierbei die Prägung durch Bischof und Dom „nur eine Art ‚kleinster gemeinsamer Nenner‘“ (S. 20) darstellen kann, unterschieden sich die Städte doch ganz klar in Größe, Stadtherrschaft, Wirtschaftskraft und Bürgertum. Die urbane Heterogenität korrespondiert insofern mit der Varianz der jeweiligen ‚Beginenlandschaft‘.

In drei zentralen Kapiteln werden die Ursprünge und ersten Institutionalisierungsphänomene (S. 37–111), die Ausprägungen und Formen der „Beginen- und Seelhäuser als Stiftungen“ (S. 112–208) sowie die Entwicklungen im ausgehenden 15. Jahrhundert (S. 209–283) herausgearbeitet.

Analyse und Darstellung stehen auf der Höhe der Forschung und setzen sich mit den verschiedenen Forschungsansätzen und Thesenbildungen argumentativ auseinander, indem sie durchweg mit den eigenen Befunden kontrastiert werden. Herausgearbeitet wird, dass Anfänge und Entwicklung des Beginenwesens in den in den Blick genommenen Bischofsstädten sehr unterschiedlich verlaufen sind und die Beginen insbesondere in ihren Ursprüngen nur schwer erfasst werden können. So lassen sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts frühe „informelle Frauengemeinschaften“ (S. 47) eigentlich nur in Würzburg und Regensburg nachweisen, die in einem engen Kontakt zu den Franziskanern und Dominikanern standen und frühzeitig in deren Orden inkorporiert wurden oder aber sich den zu Beginn des 13. Jahrhunderts als erstem reinem Frauenorden entstandenen Magdalenerinnen oder Reuerinnen anschlossen. In die Vielfalt der religiösen Frauenbewegung im 13. Jahrhundert als einer „semireligiösen Bewegung“ (eine von Kaspar Elm in die Diskussion eingeführte Charakterisierung der Beginen, die aufgegriffen und durchweg verwendet wird1) bezieht Hannah Hien zudem die vor allem für Würzburg und Regensburg nachweisbaren weiblichen Inklusen ein, die sie klar von den Beginen abgrenzt und dabei Ergebnisse aus anderen Regionen bestätigt, die diese im traditionellen geistlichen Umfeld der Benediktiner und Regularkanoniker verorten. Schließlich gehören zu den Anfängen auch die sogenannten Einzelbeginen, die insbesondere in Regensburg noch vor den dortigen ersten Zusammenschlüssen von Kleinstgemeinschaften begegnen, allerdings mit einer deutlichen zeitlichen Verzögerung im Vergleich mit der Jahrzehnte früher einsetzenden Entwicklung am Rhein und in den Niederlanden, während die Etablierung von Beginen in den anderen untersuchten Städten nachweislich nochmals deutlich später einsetzte, in Eichstätt und Passau erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in Freising gar erst am Ende des 15. Jahrhunderts.

Im Gegensatz zu der weitverbreiteten Auffassung von den in enger Beziehung zu den Bettelorden lebenden Beginen, die sich ihre Existenz durch Erwerbsarbeit im Handwerk und in der Krankenpflege sicherten, kommt Frau Hien – in Übereinstimmung mit den Befunden von Letha Böhringer für das an Beginen reiche Köln2 – zu wichtigen neuen Ergebnissen und stellt fest, dass die Frauen nach eher pragmatischen Gesichtspunkten und „je nach dem religiösen und wirtschaftlichen Angebot vor Ort unterschiedliche Bezugsinstitutionen wählten“ (S. 110), zu denen etwa die Benediktiner in Regensburg und der Pfarrklerus in Bamberg und Passau gehörten, wobei mangels Bettelordensniederlassungen in Passau hier die Wahlmöglichkeiten für die geistliche Betreuung deutlich eingeschränkt waren. Die Beginen, die aus allen sozialen Gruppen kamen und unter denen sich auch Frauen aus dem Patriziat und dem niederen Adel befanden, können insgesamt als „gut in ihr städtisches und geistliches Umfeld integriert“ (S. 110) angesehen werden und finanzierten sich weitgehend durch Zustiftungen von Bürgern und Geistlichen als Gegenleistung für das von ihnen erbrachte Seelgebet für ihre Gönner.

Es wird herausgearbeitet, wie sich die Stiftungstätigkeit im Verlauf des 14. Jahrhunderts verstärkte und insofern neue Dimensionen erlangte, als eine immer stärker werdende Einflussnahme der Stifter auf die Beginengemeinschaften festzustellen ist. Die geistliche Fürbitte der Beginen galt in den untersuchten Orten zweifellos als eine hochgeschätzte religiöse Dienstleistung. Dabei lassen sich Unterschiede zwischen den Städten ausmachen, die als Stiftungslandschaften voneinander abgegrenzt werden können: Während für Würzburg Vereinheitlichungsbestrebungen hinsichtlich Hausordnungen und Aufsichtsgremien als charakteristisch erscheinen, werden die Regensburger Gemeinschaften vom Patriziat dominiert, das die Seelhäuser als familiäre Prestigeobjekte und die dort wohnenden Beginen als „professionelle Fürbitterinnen“ (S. 207) betrachtete. Bamberg zeichnete sich durch eine große Dynamik aus, Eichstätt hingegen lässt sich als „kleine, aber dennoch ausdifferenzierte und vielschichtige Stiftungslandschaft“ (S. 207) benennen, Passau schließlich kannte diesbezüglich keine Stiftungstätigkeit. Die Profiteure der Stiftungen scheinen insgesamt auch nicht nur ärmere Frauen gewesen zu sein, vielmehr lässt sich konstatieren, dass sich die soziale Bandbreite der Beginen durch die ausgeprägte Stiftungstätigkeit nicht wesentlich veränderte. Und auch die unmittelbare und enge Einbindung der Beginen in die geistliche und städtische Umgebung lässt sich allenthalben feststellen. So kann Frau Hien die „Sichtbarkeit der Frauen im Stadtbild“ (S. 208) geradezu als ein Charakteristikum des 14. Jahrhunderts herausstellen, das somit auch in den untersuchten fränkischen und bayerischen Städten mitnichten eine Zeit der Beginenverfolgung anbrechen ließ. Die Wandlungsprozesse des 15. Jahrhunderts lassen sich als Regulierungsprozesse zugunsten der Orden und der Übernahme ihrer Regeln fassen, verliefen aber auch in den Bahnen einer zunehmenden städtischen Reglementierung, die auf Kontrolle zielte.

Die Arbeit basiert auf einer breiten archivalischen Überlieferung der verschiedenen staatlichen, städtischen und kirchlichen Archive mit Sichtung und Auswertung einer überaus beeindruckenden Fülle an Urkunden, Akten, Rechnungsbüchern und sonstigem relevanten Schrifttum wie Testamenten, Matrikeln etc. Die dabei zusammengetragene Materialfülle der Archive wird zusammen mit von im Druck bereits vorliegenden Quellenbeständen gebündelt und in Form von zwei tabellarischen Listen, jeweils nach den Städten geordnet, aufbereitet und als Anhang beigegeben.

Ein prosopographischer Überblick listet die namentlich zu erfassenden Beginen und Inklusinnen mit ihrer zeitlichen, räumlichen und familiären Einordnung sowie der ihnen jeweils zugeschriebenen Bezeichnung soror, magistra, begina, conversa, femina religiosa, mulier devota, virgo, puella, inclusa und in den deutschen Entsprechungen swester, Schwester, Meisterin, geistliche Schwester, ehrsame Frau, willige Arme, Seelfrau, Jungfrau, Klausnerin etc. (S. 293–335). Eine zweite Tabelle benennt die einzelnen Frauengemeinschaften der Städte und weist deren Quellenüberlieferung nach (S. 336–386). Damit wird über den darstellerischen Teil hinaus ein Arbeitsinstrument bereitgestellt, das für die weitere Erforschung des Beginentums wie auch für die fränkische und bayerische Stadtgeschichtsforschung insgesamt überaus nützlich erscheint.

Über die lokalen Einzelergebnisse hinaus zeichnet Hannah Hien ein Bild von den Beginen, die Fürbitte und Seelgebet als Hauptaufgabe ansahen und dabei vom Klerus, dem Stadtbürgertum und der Obrigkeit weitgehend unterstützt wurden. Die im Rahmen einer Dissertation bewältigte Materialfülle nötigt dabei Respekt ab.

Anmerkungen:
1 Kaspar Elm, Die Stellung der Frau in Ordenswesen, Semireligiosentum und Häresie zur Zeit der heiligen Elisabeth, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige. Aufsätze, Dokumentation, Katalog, Sigmaringen 1982, S. 7–28; ders., Vita regularis sine regula. Bedeutung, Rechtsstellung und Selbstverständnis des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Semireligiosentums, in: Frantisek Šmahel (Hrsg.), Häresie und vorzeitige Reformation im Mittelalter, München 1998, S. 239–373. Kritisch zum Begriff des Semireligiosentums vgl. beispielsweise Letha Böhringer, Beginen und Schwestern in ihrer Sorge für Kranke, Sterbende und Verstorbene. Eine Problemskizze, in: Artur Dirmeier (Hrsg.), Organisierte Barmherzigkeit. Armenpflege und Hospitalwesen in Mittelalter und Neuzeit, Regensburg 2010, S. 127–155, hier S. 127 Anm. 1; Vera von der Osten-Sacken, Jakob von Vitrys „Vita Mariae Oigniacensis“. Zur Herkunft und Eigenart der ersten Beginen, Göttingen 2010, S. 100; Jörg Voigt, Beginen im Spätmittelalter. Frauenfrömmigkeit in Thüringen und im Reich, Wien 2012.
2 Letha Böhringer, Kölner Beginen im Spätmittelalter – Leben zwischen Kloster und Welt, in: Geschichte in Köln 53 (2006), S. 7–34.

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