Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hrsg.): Kaiser und Kalifen

Cover
Titel
Kaiser und Kalifen. Karl der Große und die Mächte am Mittelmeer um 800


Herausgeber
Stiftung Deutsches Historisches Museum
Erschienen
Anzahl Seiten
423 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilfried Hartmann, Historisches Seminar, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Mit dem vorliegenden Band möchte das Deutsche Historische Museum in Berlin einen Beitrag „zur Frage der historischen und kulturgeschichtlichen Bedeutung der Person Karls des Großen und seiner Politik im Rahmen einer […] vergleichenden Betrachtung mit den beiden anderen Großmächten des Mittelmeerraums und des Vorderen Orients“ (S. 9) leisten. Da die ursprünglich über dieses Thema geplante Ausstellung im Karlsjahr 2014 nicht zustande kam, wurden die im Februar 2013 gehaltenen Beiträge des Workshops „Karl der Große und die Mächte um 800“ hier publiziert. Im Zentrum des Bandes steht die Frage nach Karl dem Großen als „Akteur im Mittelmeerraum“ (vgl. den einleitenden Beitrag von Barbara Segelken und Tim Urbach auf S. 10–13).

Die 24 Beiträge sind in vier Großkapitel aufgeteilt: 1. Mächte am Mittelmeer: Karl der Große, Byzanz, Juden, Karl und die Päpste und Aufstieg der Araber; 2. Begegnungen der Kulturen: Kaisertum und Priestertum, Karl, Byzanz und der Islam, Italien, Sachsen, Kriegswesen und Handel; 3. Kulturelle Praktiken: Pfalzen Karls, islamische Stadt, Mobilität, Grenzen, Textilhandwerk, byzantinische Kultur, Austausch in der Architektur, Theoderich in Aachen und Bauten in Asturien und in Aachen; sowie 4. Moderne Perspektiven: Karl als Vorbild, Karl und Europa, Karl in modernen Medien und Aktualität Karls.

Mehrere Beiträge (vor allem von Borgolte, Drews und Scior) beziehen sich auf die vor kurzem erschienene Untersuchung von Michael McCormick1, in der der Autor eine kommentierte Edition eines Zeugnisses vorlegt, das im frühen 9. Jahrhundert entstanden ist und das eine Bestandsaufnahme der Kirchen in Jerusalem und in Palästina enthält.

Zu 1.: Für Michael Borgolte (S. 16–23) erweist sich Karl der Große dadurch als „global player“, „dass er Mönche und Nonnen seines Reiches in Jerusalem unterstützte oder gar selbst ansiedelte“ (S. 23). Wenn dies als „Symbiose lateinischer Christen mit Fremden“ (S. 21) gedeutet wird, so scheint mir das eine Überinterpretation. Auch möchte ich bezweifeln, ob Borgolte (in der Erläuterung zur Abbildung 13, einer Ansicht der Fossa Carolina) recht hat, wenn er Karls Vorhaben, einen Kanal zwischen Main und Donau zu bauen, auf die Absicht zurückführt, „den Handel zwischen West und Ost zu erleichtern“ (S. 23). Im Beitrag von Michael Grünbart über Byzanz (S. 24–37) irritieren widersprüchliche Aussagen über die Macht des Oströmischen Reiches: Während es auf S. 33 heißt, „in den folgenden Jahrhunderten operierte das Oströmische Reich als Weltmacht“, lautet der letzte Satz (auf S. 37): „Das Byzantinische Reich wurde […] auf den Ägaisraum mit angrenzenden Landgebieten auf der Balkanhalbinsel und in Kleinasien konfiniert“. Johannes Heil beklagt in seinem interessanten Beitrag (S. 38–49), dass sich über die Geschichte und die innere Verfassung der Juden in der Zeit seit der Spätantike bis ins 9. Jahrhundert nur wenige Fakten beibringen lassen. Er glaubt nicht an eine generelle Privilegierung der Juden für die Karolingerzeit und hält die Behauptung von einer großen Judengemeinde in Köln für eine unbewiesene Hypothese. Bei Matthias Becher, der über die Päpste und Karl den Großen schreibt (S. 50–61), bleibt unklar, was die Karte (Abbildung 41) auf S. 55 illustrieren soll: Ist hier die wachsende Ausdehnung des Kirchenstaats kartiert oder handelt es sich um eine Umsetzung der (angeblichen) Schenkungen Pippins? Anna Akasoy gibt einen Überblick über die politische und religiöse Geschichte des Islam (S. 62–73) unter Betonung des Gegensatzes zwischen den Gebieten im Westen und im Osten.

Zu 2.: Jan-Markus Kötter befasst sich mit der Entstehung der gelasianischen Zweigewaltenlehre und ihrer Nachwirkung bis ins 9. Jahrhundert (S. 76–85). Wolfgang Drews (S. 86–99) hebt hervor, dass es direkte Handelsbeziehungen zwischen Nordafrika und dem Karolingerreich gegeben haben müsse, wie Münzfunde und das durch Michael McCormack edierte Textstück belegen. Drews befasst sich auch mit den Geschenken des Kalifen an Karl den Großen und vermutet, dass der Elefant ein Begleitgeschenk eines Ehrengewandes sein könnte; damit hätte der Kalif symbolisch seinen Überlegenheitsanspruch über den fernen barbarischen Herrscher zum Ausdruck gebracht. Stefano Gasparri (S. 100–115) behandelt die langobardischen beziehungsweise byzantinischen Teile Italiens vor allem im 8. Jahrhundert und geht auf die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ein. Rom wird nur sehr kurz am Ende des Beitrags, das karolingische Italien überhaupt nicht behandelt. Der Beitrag von Matthias Wemhoff über Sachsen (S. 116–129) befasst sich mit der Entwicklung der sächsischen Sakrallandschaft, wobei man sich allerdings fragt, was dieser Beitrag in dem Band zu suchen hat. Hans-Henning Kortüm geht in seinem gehaltvollen Essay über das Kriegswesen (S. 130–143) auf eine ganze Reihe von umstrittenen Themen ein, so auf die Bedeutung der Freien oder der Vasallen für das karolingische Heer, auf die Größe der Heere oder auf die Kampfesweise und die Waffen. Er wendet sich gegen den anachronistischen „Mythos vom karolingischen Panzerreiter“ (S. 137) und scheint der Meinung zu sein, dass Karls militärische Erfolge eher mit kleinen Heeren errungen wurden. Eine Auseinandersetzung mit den Büchern von Bernhard S. Bachrach2 wird leider nicht geboten. Lutz Ilisch schreibt über die Bedeutung von arabischen Münzen und Edelmetallen (Gold, Silber und Kupfer) für den Handel des Karolingerreichs (S. 144–154).

Zu 3.: Holger Grewe behandelt vor allem die neuen archäologischen Erkenntnisse über die Pfalzen Ingelheim, Aachen und Paderborn (S. 158–180). Peter Feldbauer und Ilja Steffelbauer (S. 182–200) bezeichnen die Abwertung der Bedeutung der Städte im islamischen Bereich als ideologisches Konstrukt. Volker Scior (S. 202–212) behandelt das Mittelmeer als wichtige Kontaktzone und geht auf Pilger (wie den heiligen Willibald) und Gesandte (wie Amalarius von Trier) ein. Obwohl es nicht viele Belege gibt, glaubt er sagen zu können, „dass die Fernkommunikation im Mittelmeerraum zwischen Europa und der islamischen Welt zwischen 750 und 900 zunahm“ (S. 213). Sciors Ausführungen beruhen vor allem auf seiner noch nicht veröffentlichten Habilitationsschrift über „Boten im frühen Mittelalter. Studie zur zeitgenössischen Praxis von Kommunikation und Mobilität“. Stuart Airlie (S. 214–229) geht in seinem Beitrag über äußere und innere Grenzen vom berühmten Silberdenar mit dem Bild Karls des Großen aus und befasst sich mit dem Wandern von Informationen über den Herrscher. Ulrike Koenen (S. 230–241) befasst sich anhand von Objekten, die wahrscheinlich aus dem Ägypten des 7. oder 8. Jahrhunderts stammen, mit der Motivübertragung bei Textilien. Arne Effenberger (S. 242–255) behandelt die byzantinische Kultur der Jahre von 787 bis 815 und geht dabei auf das Wiedererwachen des Interesses an den Wissenschaften, auf die Neuerungen im byzantinischen Kirchenbau, auf Stiftungen von Kirchen und die Ikonenmalerei ein. Sehr schön hat Lorenz Korn (S. 256–277) den künstlerischen Austausch im Mittelmeerraum beschrieben: Sowohl die islamische Welt als auch das frühmittelalterliche Europa haben Formen der spätantik-römischen Architektur tradiert und weiterentwickelt. So kann die Pfalzkapelle Karls des Großen auch als Kopie des im 8. Jahrhundert erbauten Felsendoms in Jerusalem verstanden werden. Horst Bredekamp (S. 278–289) versucht nachzuweisen, dass die aus Ravenna geholte Reiterstatue Theoderichs des Großen in Aachen als Brunnenfigur im Bereich der Thermen aufgestellt wurde. Stefan Trinks (S. 290–307) vergleicht die Aachener Pfalzkapelle mit der Palasthalle und der Palastkirche, die König Ramiro I. zwischen 842 und 850 in Oviedo errichten ließ.

Zu 4.: Nicht so recht zum Thema des Bandes passen die vier abschließenden Beiträge im „Moderne Perspektiven“ überschriebenen Teil. Bernd Schneidmüller (S. 310–321) schreibt über die mittelalterliche Nachwirkung Karls als einen geträumten, gefälschten und erfundenen Karl. Rudolf Schieffer (S. 322–329) geht auf die realen Hintergründe der Vorstellung von Karl als dem „Vater Europas“ ein. Bernhard Jussen (S. 330–349) wendet die Ergebnisse seiner Studien über die „Ikonologie der Geschichtswissenschaft“3 auf Karl den Großen an. Johannes Fried (S. 350–359) bietet eine etwas beliebig anmutende Sammlung von Karlsbildern aus dem 20. und dem 21. Jahrhundert.

Das Werk enthält auch (unterschiedlich ausführlich gestaltete) Anmerkungen zu den einzelnen Beiträgen, ein Verzeichnis der erwähnten Quellen und Literatur sowie ein Register der vorkommenden Namen.

Besonders erwähnenswert sind die zahlreichen vorzüglichen Abbildungen. Zu den ebenfalls reichlich vorhandenen Karten muss allerdings kritisch Stellung genommen werden: Schon auf dem vorderen Vorsatz, dann auf S. 13 (Abbildung 4), auf S. 44 (Abbildung 40) und auf Abbildung 47 (S. 64 f.) ist die Ostgrenze des Reiches Karls des Großen falsch eingezeichnet. Richtig sind dagegen die Karten auf S. 96 (Abbildung 67), S. 204 und S. 216: Wenn den Kartendarstellungen im Anfangsteil des Bandes neue Erkenntnisse der Forschung zugrunde liegen sollten, dann hätte das irgendwo gesagt werden müssen.

Anmerkungen:
1 Michael McCormick, Charlemagne’s Survey of the Holy Land. Wealth, Personnel, and Buildings of a Mediterranean Church between Antiquity and the Middle Ages, Washington 2011.
2 Vgl. etwa Bernard S. Bachrach, Charlemagne's early campaigns (768–777). A diplomatic and military analysis, Leiden 2013.
3 Vgl. dazu Bernhard Jussen, Plädoyer für eine Ikonologie der Geschichtswissenschaft. Beobachtungen zur bildlichen Formierung historischen Denkens, in: Hubert Locher (Hrsg.), Reinhart Koselleck – Politische Ikonologie. Perspektiven interdisziplinärer Bildforschung (Tagungsakten Marburg 2010), München 2013, S. 260–279.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch