S. Niedermeier: Rassismus und Bürgerrechte

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Titel
Rassismus und Bürgerrechte. Polizeifolter im Süden der USA 1930–1955


Autor(en)
Niedermeier, Silvan
Reihe
Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts
Erschienen
Anzahl Seiten
287 S., 9 Abb.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Berg, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Als 2004 bekannt wurde, dass US-Sicherheitsbehörden im „Krieg gegen den Terror“ systematisch foltern, und US-Regierungsmitglieder die Folter, euphemistisch als „enhanced interrogation“ bezeichnet, als notwendiges Instrument rechtfertigten, um weitere Terroranschläge zu verhindern, lösten diese Enthüllungen weltweit einen Sturm der Entrüstung aus. Widersprach die Folter nicht fundamentalen amerikanischen Verfassungsprinzipien wie der Garantie eines fairen Prozesses und dem Schutz vor grausamer und ungewöhnlicher Bestrafung, die bereits 1791 in der Bill of Rights kodifiziert worden waren? Tatsächlich hat die Folter in Amerika eine viel längere Geschichte, als dies den meisten Amerikanern bewusst ist. Gegen schwarze Sklaven war sie stets rücksichtlos angewendet worden, um vermeintliche Verschwörungen aufzudecken und Geständnisse zu erpressen. Auch nach dem Ende der Sklaverei hielt sich unter dem System der weißen Vorherrschaft im amerikanischen Süden die Vorstellung, Schwarze stünden außerhalb der regulären Justiz mit ihren rechtstaatlichen Sicherungen. Lynchmobs quälten Tausende Afroamerikaner, die eines Verbrechens gegen Weiße beschuldigt wurden, brutal zu Tode. Die Polizei des Südens stand im Ruf, schwarze Tatverdächtige routinemäßig zu misshandeln und Geständnisse aus ihnen herauszuprügeln.

Um diese Variante der Folter geht es in Silvan Niedermeiers Dissertation, doch stellt der Autor das Phänomen der Polizeibrutalität gegen Afroamerikaner sinnvollerweise in die übergreifenden Kontexte rassistischer Gewalt. Wie Niedermeier überzeugend darlegt, beruhte die Polizeifolter auf denselben kulturellen, mentalen, diskursiven und institutionellen Dispositionen wie die Lynchjustiz.1 Eine seiner Thesen lautet, dass die Polizeifolter schwarzer Tatverdächtiger mit dem Rückgang des Lynchens in direktem Zusammenhang stand. Die durch Drohungen und Misshandlungen erpressten Geständnisse sollten kurze Prozesse und rasche Hinrichtungen ermöglichen, um den Volkszorn zu besänftigen und Lynchmobs vorzubeugen. Solche „legalen Lynchings“ dienten der Stabilisierung der rassistischen Ordnung und erweckten gleichzeitig den Anschein des „zivilisatorischen Fortschritts“. Wie zahlreiche der von Niedermeier eindringlich geschilderten Fälle belegen, kam die Folter jedoch nicht nur bei Schwerverbrechen zur Anwendung. Auch wenn sie Diebe und Einbrecher überführen wollten, malträtierten Polizisten Tatverdächtige mit Lötkolben oder prügelten sie mit Schlagstöcken besinnungslos. Konsequenzen hatten sie in der Regel nicht zu fürchten. Wenn Angeklagte vor Gericht ihre erpressten Geständnisse widerriefen, fanden sie nur selten Gehör. Erst als das FBI seit Anfang der 1940er-Jahre aktiv wurde und in einigen spektakulären Fällen ermittelte, kam es zu Verfahren vor Bundesgerichten, die aber fast alle mit Freisprüchen endeten. Die Täter durften zu Recht darauf vertrauen, dass die große Mehrheit der amerikanischen Gesellschaft ihr Handeln billigte, weil weiße Vorherrschaft und Solidarität vor Recht und Gerechtigkeit gingen.

Der Autor legt seiner Studie eine an die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen von 1984/87 angelehnte Definition zugrunde: Folter wird im Kern als physische und seelische Qual verstanden, die Amtspersonen Dritten zufügen, um Informationen und Geständnisse zu erlangen. Wie Niedermeier hervorhebt, korrespondiert diese „vergleichsweise enge Definition“ mit den meisten von ihm untersuchten Fällen (S. 13ff.). In der Tat erfordern die geschilderten brachialen Praktiken der Südstaatenpolizei keinen subtilen Folterbegriff. Bei der Analyse von Funktion, Inszenierung und diskursiver Konstruktion der Folter bedient sich der Autor allerdings ausgiebig des Instrumentariums der neuen Kulturgeschichte, inklusive der Konzepte der dichten Beschreibung, der Performativität, der Visibilität2 und der Postcolonial Studies. Die Vorstellung des theoretischen Rahmens ist erfrischend kurz und unprätentiös (S. 21–29). In der methodischen Durchführung wendet Niedermeier diesen Rahmen dann auf eine Reihe von Ereignissen aus den Jahren zwischen 1930 und 1955 an. In seinen Fallstudien bietet er auf der Grundlage akribischer Quellenforschung, die amtliche Akten, Gerichtsdokumente, Zeitungsberichte, die Akten der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) sowie zahlreiche Bildquellen umfasst, teilweise sehr luzide Deutungen des Geschehens. Bisweilen wirkt die theoretische Aufladung der dichten Fallbeschreibungen aber auch etwas gezwungen, weil die Absichten der geschilderten Handlungen und die Struktur der sozialen Situationen unmittelbar evident sind. Um nachvollziehbar zu machen, dass Polizisten Tatverdächtige foltern, damit diese genau das gestehen, was ihnen ihre Peiniger in den Mund legen, muss man nicht unbedingt Judith Butler als Gewährsperson zitieren (S. 69f.). Und wenn der Autor einem schwarzen Angeklagten, der sich gegen den Vorwurf der Vergewaltigung einer weißen Frau mit dem Hinweis verteidigte, er habe zur Tatzeit Verkehr mit seiner Ehefrau gehabt, „Angepasstheit an die patriarchalischen Ordnungsmuster und die segregierte Lebenswelt im Süden der USA“ attestiert (S. 96), wirkt das unnötig abstrakt.

Das Grundmuster der südstaatlichen Rassenjustiz, das der Autor in seinen Fallstudien immer wieder herausarbeitet, ist gut bekannt. Die Strafjustiz hatte nicht allein die Aufgabe, mutmaßliche Verbrecher zu verfolgen und zu bestrafen, sondern war ein Grundpfeiler bei der Aufrechterhaltung der weißen Vorherrschaft und Kontrolle der schwarzen Bevölkerung. Als Instrument des rassistischen Terrors diente die Folter daher nicht bloß dazu, Geständnisse zu erpressen. Ähnlich wie die Lynchjustiz war sie vielmehr ein Mittel der Einschüchterung, um den Afroamerikanern ihre Rechtlosigkeit vor Augen zu führen. Niedermeiers Studie behandelt jedoch nicht nur Formen und Funktionen der Polizeibrutalität. Er untersucht darüber hinaus auch den Kampf gegen diese extreme Form der rassistischen Unterdrückung, insbesondere die Kampagnen und Prozesse der NAACP, die Strategien der diskursiven Skandalisierung und Delegitimierung der Folter sowie die Rolle des FBI und des Bundesjustizministeriums bei der Strafverfolgung brutaler Polizisten. Dabei fügt sich das Buch in ein etabliertes Narrativ der Bürgerrechtsgeschichte, in dessen Mittelpunkt die Pionierarbeit der NAACP, die Katalysatorwirkung des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges sowie die entscheidende Rolle der Bundesgewalt stehen. Warum der Autor seine systematische Darstellung 1930 beginnen und 1955 enden lässt, wird nicht plausibel begründet. Den Endpunkt in der Mitte der 1950er-Jahre zu setzen ist nicht ganz einsichtig, denn wie Niedermeier im Resümee selbst betont, brachten erst die Bürgerrechtsreformen der 1960er-Jahre den entscheidenden Durchbruch (S. 264). Die Misshandlungen, die Bürgerrechtler während der aktivistischen Phase der Bewegung in den Gefängnissen des tiefen Südens erlitten, hätten durchaus etwas Aufmerksamkeit verdient gehabt, ebenso wie die Polizeibrutalität außerhalb des Südens. Auch die Kontinuitäten zur Gegenwart hätte der Autor am Schluss pointierter herausstellen können, denn exzessive Polizeigewalt gegen Afroamerikaner ist bekanntlich immer noch an der Tagesordnung. Und schließlich findet Polizeibrutalität gegen Weiße nur ein einziges Mal Erwähnung (S. 217), obwohl zu vermuten steht – ähnlich wie im Falle der Lynchjustiz –, dass Afroamerikaner zwar die hauptsächlichen Opfer der Polizeifolter waren, aber eben nicht die alleinigen.

Trotz einer gewissen Engführung des Untersuchungsgegenstandes ist Silvan Niedermeiers Studie ein wichtiger Beitrag zur Geschichte rassistischer Gewalt im amerikanischen Süden, der auf breiter empirischer Grundlage eine erstaunliche Forschungslücke füllt. Das Buch ist flüssig, präzise und sehr anschaulich geschrieben, seine Hauptthesen sind plausibel begründet und gut aus den Quellen belegt. Es ist dem Autor und der interessierten Öffentlichkeit zu wünschen, dass eine englischsprachige Ausgabe diese Forschungen auch dem amerikanischen Publikum bekannt machen wird.

Anmerkungen:
1 Siehe dazu jetzt Manfred Berg, Lynchjustiz in den USA, Hamburg 2014.
2 Vgl. auch Jürgen Martschukat / Silvan Niedermeier (Hrsg.), Violence and Visibility in Modern History, Basingstoke 2013.