A. Czech u.a. (Hrsg.): Museumspädagogik. Ein Handbuch

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Titel
Museumspädagogik. Ein Handbuch. Grundlagen und Hilfen für die Praxis


Herausgeber
Czech, Alfred; Kirmeier, Josef; Sgoff, Brigitte
Erschienen
Schwalbach am Taunus 2014: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
49,80 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Brigitte Vogel, Deutsches Historisches Museum, Berlin

In Zeiten, in denen Begriffe wie Kulturelle Bildung, Partizipation, Willkommenskultur als Wunderwege zu vielen, neuen Besuchergruppen und vor allem zur Unterstützung bei der Entwicklung zu einem „besseren Menschen“ durch die Medien-, Tagungs- und Museumslandschaft geistern, wirkt ein Buch mit dem Titel „Museumspädagogik. Ein Handbuch. Grundlagen und Hilfen für die Praxis“ erst einmal eher konventionell. Drei ausgewiesene Experten, die selbst seit vielen Jahren Kenner/innen der museumspädagogischen Arbeit sind, bürgen für ein gut recherchiertes und umfassendes Werk zum Thema „Bildung und Vermittlung im Museum“.

In vier Großkapiteln zu den Themen „Einführungen“, „Zielgruppen“, „Vermittlungsstrategien, Methoden und Formate“, „Hinweise und Werkzeuge“ gehen überwiegend Mitarbeiter/innen aus dem Museumspädagogischen Zentrum München (MPZ) unterschiedlichen themenorientierten Fragestellungen nach. Viele Beiträge stammen vom Mitherausgeber des Buches Alfred Czech. Bayern steht bei der Analyse und den Methoden exemplarisch im Fokus, was mehrfach erwähnt wird. Da jedoch die bayerische Museumslandschaft und das vielgliedrige museumspädagogische Angebot nahezu alle deutschen Museumsgattungen und Vermittlungsformate umfassen, kann das Werk für das gesamte Bundesgebiet als Überblickswerk gelten. Vom Verlag grafisch farblich unterschieden und mit Überschriften in der Kopfzeile versehen, sind die einzelnen Abschnitte schnell zu finden. Didaktisch vorbildhaft wird in jedes Kapitel eingeführt, bevor es teilweise sehr kleinteilig in der Beschreibung von einzelnen Themen wird.

Die Geschichte des Museums als Bildungsstätte und die Geschichte der Museumspädagogik in Deutschland fasst Peter Kolb als ersten Beitrag ausgezeichnet zusammen. Er spannt den Bogen von der Kunst- und Wunderkammer aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Museum der 1990er-Jahre. Die Professionalisierung der Museumspädagog/innen war bereits in der Zeit der Weimarer Republik weit fortgeschritten. Am Staatlichen Museum für Deutsche Volkskunde in Berlin wurde Ende der 1930er-Jahre sogar eine Abteilung „Schule und Museum“ eingerichtet. Museum als „eine lebendige Anschauungs-, Lern- und Arbeitsstätte für eine Schularbeit, die es zum Wohl der Jugend zu fördern und auszubauen galt“ (S. 19) ist dem gegenwärtigen Konzept der Forderung nach mehr „Kultureller Bildung“ schon sehr nahe. Adolf Reichwein, der Autor der richtungsweisenden Gedanken zur Zusammenarbeit von Schule und Museum (S. 18f.), wurde 1944 als Mitglied des Kreisauer Kreises zum Tode verurteilt. Seine Ansätze beziehungsweise die anderer Vorreiter der Bildungsarbeit im Museum wurden erst Anfang der 1970er-Jahre wieder aufgegriffen. Diese Erkenntnis ist immer wieder ernüchternd.

Alfred Czech beschreibt in seinem Beitrag über „Aktuelle Orientierungspunkte der Museumspädagogik in Deutschland“ die Entwicklung der museumspädagogischen Abteilungen und Zentren bis in die Gegenwart. In seinem sehr guten Überblick wird deutlich, wie sich die Arbeitsbedingungen der Museumspädagog/innen in den vergangenen zwei Jahrzehnten geändert haben. „Marketing, Besucherorientierung und Evaluation“, „Audience Development“ und „Museumspädagogik in den digitalen Medien“ formuliert er als Aufgaben, die neben den Führungen, den Workshops, den Projekten noch zusätzlich übernommen werden sollten. Es bleibt die Frage, ob diese Aufgaben nicht Arbeitsgegenstand des ganzen Museums sein müssten. Auch im folgenden Beitrag werden als einzige Faktoren eines Kommunikationsmodells die Beziehung zwischen Besucher/innen, Exponat und Museumspädagog/innen vorgestellt (S. 61). Die Entwicklung in der Bildungsarbeit in Museen geht aktuell jedoch über diese Faktoren hinaus. Der Präsentation des Objekts sollte stets ein Vermittlungskonzept des Museums vorausgehen, was immer eine enge Zusammenarbeit zwischen Kurator/in-, Gestalter/in-, Grafiker/in- und Vermittler/in bedeuten würde.

Der Beitrag von Carmen Hille „Historisches Lernen im Museum“, führt für Einsteiger in das Thema ein, mit Blick auf dessen Herausforderung für historische und kulturhistorische Ausstellungen. Für Vermittler/innen in anderen Museumsgattungen wie naturwissenschaftliche oder technische Museen fehlt der wissenschaftliche Bezug zur jeweiligen Fachdidaktik.

Der zweite Abschnitt widmet sich den Zielgruppen und dabei überwiegend den Kindergartengruppen und Schulklassen beziehungsweise deren pädagogischem Personal. Auch Familien und Integrationsgruppen werden thematisiert. Die Sortierung nach Zielgruppen wirkt bemüht und die Beschreibung der einzelnen Arbeitsschritte etwas ermüdend. Die Diskussion über den Sinn von lehrplanorientierten Angeboten oder die Thematisierung von der Vor- und Nachteile von frühkindlicher Bildung in Ausstellungen hätte die Leser/innen zum Weiterdenken anregen können. Deutlich wird dies beispielsweise bei den „Museumspädagogischen Herausforderungen mit Übergangsklassen“. Der Beitrag zählt ausschließliche praktische Herausforderungen für die Museumspädagog/innen wie Sprache, unterschiedliches Alter, Lernsozialisation auf. (S. 171). Es fehlen einerseits die Perspektive der Jugendlichen, die eventuell mit anderen kulturellen Sozialisationen und historischen Vorkenntnissen das Museum besuchen, und andererseits die Überlegung, wie dieses Wissen in die Ausstellung und den Rundgang eingebaut werden könnte. Interessant wäre auch ein Beitrag zu Zielgruppen, die das Museum nicht besuchen wie beispielsweise junge, berufstätige Erwachsene mit geringem Einkommen. Bedauerlich ist, dass in einigen Beiträgen Aussagen ohne statistischen Nachweis bzw. Evaluationsergebnisse getroffen werden. Schade auch, dass die einzelnen Arbeitsschritte und Diskussionspunkte vor der Ausarbeitung von Führungskonzepten und Vermittlungsformaten in diesem Abschnitt nicht ausführlicher thematisiert werden. Dagegen sind die Praxistipps für den Aufbau, die Aufzählung der kindgerechten Vermittlungsmethoden und der unterschiedlichen Schlüsselqualifikationen für Einsteiger sehr nützlich und ausgesprochen hilfreich.

Im dritten Abschnitt werden in einem umfassenden Überblick unterschiedliche Vermittlungsmethoden ausgeführt. Die Kunstausstellungen überwiegen in der Betrachtung, aber die Transferleistung auf andere Ausstellungstypen ist einfach zu vollziehen. Die Methodentipps (S. 221) und die Fragen der Museumspädagog/innen (S. 232) zeugen von großer praktischer Erfahrung der Autoren/innen. Es werden allerdings auch in diesem Abschnitt Aussagen ohne wissenschaftlichen Nachweis oder Evaluation festgehalten. Beispielsweise wird behauptet, dass bei der Methode „Besucher führen Besucher“ „durch den Rollentausch ein unterhaltsames, entkrampfendes Element in die Museumspädagogik“ komme (S. 211). Selbstironie ist manchmal angebracht, aber dieser intendierte, alte Vorwurf gegenüber Museumspädagog/innen, dass ihre Führungen langweilig und verkrampft seien, ist kontraproduktiv und widerspricht allen anderen Ausführungen über Lernen im Museum.

Ebenso steht unter dem Beitrag „Jugendliche begegnen Künstlern“, dass ein Besuch bei einem Künstler immer die Konfrontation mit „Geruch von Farbe und von Arbeitsspuren auf Boden und Wänden […]“ bedeute. (S. 288). Gerade bei diesen Themen wäre eine Definition von Künstler/in bzw. Atelier sinnvoll. Nicht jede/r arbeitet in einem Atelier mit Farbe und Fundstücken. Dies ist besonders wichtig herauszustellen, wenn es darum geht, Schüler/innen durch dieses Angebot an zeitgenössische Kunst heranzuführen. Darüber hinaus ist es eine vertane Chance, wenn in einem Werk wie diesem die Neuen Medien nicht behandelt werden. Geocaching, Twitter, Facebook, App und Internet sollten als Vermittlungswege für Jugendliche nicht ignoriert werden.

Der letzte und kürzeste Abschnitt „Hinweise und Werkzeuge“ vereint Beiträge, die thematisch auch zu den anderen Abschnitten gepasst hätten. Der „Kriterienkatalog zur Beurteilung eines Führungsgespräches“ gibt eine gute Richtung vor, allerdings fehlen Definitionen der Bewertungskriterien. Was bedeutet beispielsweise „teilweise“ genau? In diesem Abschnitt hätte thematisiert werden können, wie museumspädagogische Angebote evaluiert und ein Erfolg von Vermittlungsarbeit gemessen werden könnte. Damit bleibt auch dieser letzte Abschnitt auf einer deskriptiven Ebene ohne Bezug zur gegenwärtigen Forschung.

Trotz der Kritik ist das Werk ist ein wirkliches Handbuch – für Einsteiger ideal, für Fortgeschrittene kurzweilig. Es bietet einen ausgezeichneten Überblick über den Ist-Zustand der Vermittlungsarbeit und dank der umfassenden Bibliographie sowie dem Überblick über den neuesten Forschungsstand können fast alle beschriebenen Themen vertieft werden. Für Einsteiger werden nützliche Tipps und Anregungen gegeben. Für die Diskussion in der sich verändernden Bildungslandschaft liefern das Buch allerdings kaum einen weiterführenden Beitrag: Gerade wegen der neuen politischen und gesellschaftlichen Anforderungen an Museen und Kultureinrichtungen müssten in einem Handbuch Fragen nach größerer Integration der Museumspädagogik in den festen Stellenplan, der engeren Zusammenarbeit zwischen allen an Ausstellungen Beteiligten und der adäquaten Bezahlung gestellt werden. Die Autoren/innen der Texte denken sehr museums- bzw. ausstellungsimmanent und ausschließlich von der Museumspädagogik ausgehend. Es gibt keine Diskussion über die Einbindung ins Museum, was eventuell auch mit der Rolle des MPZ in München zu tun haben könnte. Es sollte Konsens werden, dass der Bildungsauftrag eine Gesamtaufgabe der Museen ist, der von Ausstellungen ebenso umgesetzt wird wie von Sammlungen, Katalogen, Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Vermittlung und allen anderen Angeboten.

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