Titel
Propaganda im Ersten Weltkrieg.


Autor(en)
Bremm, Klaus-Jürgen
Erschienen
Stuttgart 2013: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
188 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Wolfgang Elz, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Wahrheit, so die bekannte Redewendung, sei im Krieg stets das erste Opfer, und die jüngere Vergangenheit liefert ausreichend viele Beispiele, die diese Wendung bestätigen. Auch wenn ihre Herkunft nicht eindeutig geklärt ist, wirkt doch glaubwürdig, dass sie ihren Ursprung im Ersten Weltkrieg haben soll: Wie kein anderer der bis dahin geführten Kriege wurde er von allem Anfang an und über seine gesamte Dauer hinweg äußerst massiv von Propaganda aller beteiligten Seiten begleitet. Nur damit und unter den neuen Bedingungen des Massenkrieges und der Indienstnahme der gesamten Gesellschaften war zunächst die Kriegseröffnung zu bewerkstelligen, zu der die Zustimmung der bis kurz vor Kriegsbeginn den Internationalismus proklamierenden Arbeiterparteien notwendig war. Nach der gängigen Forschungsmeinung war auch die anschließende mehrjährige Kriegsdauer nur durchzuhalten, wenn ein Mindestmaß von gesellschaftlichem Konsens über die Notwendigkeit der Kriegsfortführung aufrechterhalten und propagandistisch stabilisiert wurde – der Zusammenbruch des Zarenreiches, dem letzteres nicht gelang, belegt diesen Zusammenhang als Negativbeispiel. Neben der Inlandspropaganda gab es auch jene, die auf die anfangs Neutralen (vor allem die USA) zielte, um sie vom Kriegseintritt abzuhalten bzw. dazu zu bewegen, und auf Minderheiten in Feindesland, um die gegnerische Kampfstärke zu untergraben.

Bisher wurde diese Weltkriegspropaganda häufig in Einzelstudien und für einzelne kriegführende Staaten untersucht. Ein nützlicher Überblick samt der wichtigsten Literatur über diese früheren Forschungserträge für die einzelnen Länder findet sich etwa in einem konzisen Artikel von Michael Jeismann.1 Klaus-Jürgen Bremm legt nun eine Überblicksdarstellung vor, die auf ca. 170 Textseiten die deutsche Propaganda und diejenige Großbritanniens, Frankreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika sowie deren Wechselwirkungen betrachtet, um zu einer Gesamtbewertung zu gelangen.

Ein knapper und in großen Sprüngen vollzogener historischer Überblick (S. 13–20) führt von der Auseinandersetzung Athen-Sparta über die Kreuzzüge und Napoleon ins 19. Jahrhundert, ehe sich Bremm mit der Situation Ende Juli / Anfang August 1914 befasst, in der alle Regierungen den ausbrechenden Krieg als Verteidigungskrieg proklamierten und damit in ihren Gesellschaften auf offene Ohren stießen. Mit den „Ideen von 1914“ und dem „Aufruf an die Kulturwelt“ sowie der entsprechenden britischen Reaktion von Wissenschaftlern und Schriftstellern wurde sodann der Krieg auf beiden Seiten – wie in den Kreuzzügen – als eine Art Weltmission und Weltrettung definiert und „zu einem endzeitlichen Kampf der Zivilisationen“ (S. 32) stilisiert. Dies liefert einen Grund, warum es nach dem Scheitern der beiderseitigen militärischen Pläne im Herbst 1914 keine Basis für den Weg aus dem Krieg gab: Einen in solch hohem Maße moralisch aufgeladenen Krieg kann man nicht einfach beenden und zum Status quo ante zurückkehren. Zwischenzeitlich hatte zudem die alliierte und vor allem britische antideutsche Gräuelpropaganda, die in der Presse hemmungslos überzogen wurde, großen Erfolg, und die Deutschen waren weiter stigmatisiert – eine Rolle, aus der sie bis zum Kriegsende nicht mehr wirklich herausfanden.

Bremm schildert im Folgenden in etlichen Details, jedoch stets eingebettet in den Gesamtzusammenhang, die Bemühungen der beteiligten Staaten um Organisation und Koordination ihrer Agitation, die anfangs von einer willfährigen Presse, aber auch von Privatleuten getragen worden war. Diesen Bemühungen war in sehr unterschiedlichem Maß Erfolg beschieden. Auch die deutsche Propaganda war, entgegen nachträglichen Behauptungen von Seiten mancher Militärs, keineswegs ganz wirkungslos, wie der Erfolg in den Bemühungen um die Revolutionierung Russlands zeigt. Sie litt jedoch an einem grundlegenden Problem: Anders als die alliierte Propaganda, die auf das Zukunftsziel der Demokratisierung und der damit erhofften Pazifizierung der Welt verwies, konnte sie kein Nachkriegsziel für eine weltweite Ordnung aufzeigen, das auch außerhalb Deutschlands Attraktion ausgeübt hätte.

Auffällig ist, wie weitgehend beflissen unter den Bedingungen von Zensur und Kontrolle die Journalisten ihre Rolle als Propagandisten der jeweiligen Regierung bzw. der Militärs spielten und wie leichthin sie sich mit den ihnen zur Verfügung gestellten selektiven und geschönten Erfolgsmeldungen von den Fronten zufriedengaben. Bremm stellt hier zu Recht fest, dass es ein nationenübergreifendes Selbstverständnis gab, wonach der „Krieg mit der Feder“ von Journalisten und Presseverantwortlichen als nationale Aufgabe verstanden wurde. Einen auf Unabhängigkeit zumindest drängenden Journalismus hat es praktisch in keinem der beteiligten Staaten gegeben, und auch andere kritische Stimmen, die öffentlichkeitswirksam wurden, waren selten. Deutschland mit seiner heranwachsenden linkssozialistischen Opposition in der USPD bildete hier eher die Ausnahme, wie auch die deutsche Friedens- und Kriegszieldiskussion 1917 in den übrigen untersuchten Staaten zumindest in der öffentlichen Diskussion kaum eine Parallele fand. Dazu trugen natürlich auch die Zensurmaßnahmen und die weiterreichende Unterdrückung von gegen die Fortführung des Krieges erhobenen Stimmen bei, die in den einzelnen Staaten zwar in unterschiedlichem Maß, aber eben doch überall praktiziert wurden. Besonders deutlich wird dies in den USA: Der Vorreiter demokratischer Freiheit wurde als Neutraler bis 1917 sowohl von der Entente als auch von den Mittelmächten heftig umworben; bis kurz vor dem Kriegseintritt war das Abseitsstehen vom europäischen Krieg Regierungsprogramm gewesen, und die Öffentlichkeit hatte wenig Neigung zum militärischen Engagement gezeigt. Dies änderte sich 1917 abrupt: Staatlich gelenkte Stellen griffen zu modernsten Propagandamethoden und suchten selbst im privaten Kreis geäußerte Zweifel an der Kriegspolitik mit drakonischen Gesetzen zu unterbinden. Der „Terror“ gegen die eigenen Bürger, den Bremm hier ausmacht (S. 115), richtete sich insbesondere gegen die als unzuverlässig stigmatisierten deutschen Immigranten.

Im Fazit seiner gut lesbaren und die wesentlichen Aspekte der alliierten und deutschen Propaganda im Ersten Weltkrieg aufzeigenden Studie (der man jedoch ein besseres Lektorat und ein nicht so unvollständiges Register gewünscht hätte, in dem viele im Text erwähnte Namen nicht auftauchen) kommt Bremm zu einigen Schlussfolgerungen, die dann doch etwas kritischer zu hinterfragen sind. Es trifft wohl noch zu, dass die Propaganda trotz aller Massivität nirgendwo unmittelbar politische Entscheidungen beeinflusst habe. Aber seine Relativierung der gängigen Vorstellung von Propaganda im Ersten Weltkrieg (hier Manipulierende, dort Manipulierte) zugunsten eines Bildes, wonach die Agitation lediglich die Erwartungshaltung des Publikums bedient habe, die in sich zweifellos zutreffend ist, kann kaum gegen die übliche Forschungsmeinung zur Schlussfolgerung führen, dass somit Propaganda nicht entscheidend für den Durchhaltewillen der Gesellschaften gewesen sei.

Dahinter steht das Problem, dass Bremm nach Meinung des Rezensenten sich zu wenig Rechenschaft ablegt über seinen eigenen Gebrauch des Begriffs Propaganda und darauf verzichtet, ihn auch theoretisch ein wenig näher auszuleuchten. Zeitgenössisch ist dieser Begriff, der eine längere Geschichte hat2, eben weitgehend wertfrei, wie etwa der Blick in die einschlägigen Einträge in den letzten Vorkriegsausgaben von Brockhaus und Meyers belegt; schon die Kürze der beiden Einträge, die sich überwiegend mit der „Congregatio de propaganda fide“ befassen, verdeutlicht aber auch, dass er zu dieser Zeit gar nicht sehr gebräuchlich war.3 Das erklärt schon hinreichend seine eher seltene Verwendung im Weltkrieg, und Bremm irrt wohl, wenn er (S. 168) diese Tatsache auf eine negative Konnotation zurückführt. Auch dass er nach dem Krieg verpönt und ein „Unwort“ gewesen sei, lässt sich kaum aufrecht erhalten: Wäre dem so, wäre Goebbels ein Dilettant seines Faches gewesen, als er den Begriff in die Bezeichnung seines Ministeriums aufnahm. Dagegen hat der Begriff heutzutage eine ganz andere und eindeutig pejorative Bedeutung im Sinne der eingangs erwähnten Redewendung, und in dieser Bedeutung verwendet ihn auch Bremm. Einer entsprechenden Definition spricht er aber den Gebrauchswert ab mit dem (in sich sicher nicht falschen) Einwand, propagierende Stellen wie deren Zielgruppen hätten eine gemeinsame Einstellung geteilt (S. 11). Hier hätte aber eine kommunikationstheoretische Überlegung gutgetan, die eine sehr allgemeine Erkenntnis enthüllt: Propaganda kann nur erfolgreich sein, wenn sie auf einen gewissen Erwartungshorizont trifft, und eine einigermaßen auf rationalen Überlegungen basierende Propaganda wird von vornherein darauf abzielen, diesen Erwartungshorizont zu bedienen und im eigenen Sinne zu verstärken, weil alles andere wenig erfolgversprechend wäre. Dass somit auch im Ersten Weltkrieg Propaganda letztlich an dem Bedürfnis der Menschen ansetzte, einen Sinn in dem uns so sinnlos erscheinenden Geschehen zu finden, ist keine Überraschung. Dies allein – das stille Einverständnis zwischen Propagandisten und deren Adressaten – kann aber kaum zur Schlussfolgerung führen, dass sie deswegen keinen stabilisierenden Faktor für den Durchhaltewillen der Bevölkerung abgegeben hätte.

Anmerkungen:
1 Michael Jeismann, Propaganda, in: Gerhard Hirschfeld u.a., Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Aktualis. u. erw. Studienausgabe, Paderborn 2014 (utb 8396), S. 198–209.
2 Vgl. dazu Wolfgang Schieder / Christof Dipper, Propaganda, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. Otto Brunner u.a., Bd. 5. Pro – Soz., Stuttgart 1984, S. 69–112.
3 Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon. 5. Aufl., Bd. 2, Leipzig 1911, S. 461; Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl., Bd. 16, Leipzig 1908, S. 382.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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