B. Müsegades: Fürstliche Erziehung und Ausbildung im Spätmittelalter

Titel
Fürstliche Erziehung und Ausbildung im spätmittelalterlichen Reich.


Autor(en)
Müsegades, Benjamin
Reihe
Mittelalter-Forschungen 47
Erschienen
Ostfildern 2014: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
V, 362 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Rabeler, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Die Dissertation von Benjamin Müsegades, 2013 in Greifswald angenommen und erfreulich schnell zum Druck gebracht, greift ein seit mindestens anderthalb Jahrzehnten gleichsam auf der Tagesordnung stehendes1, bislang aber immer noch vernachlässigtes Thema auf – so vernachlässigt, dass nun in kurzem Abstand die zweite umfangreiche Arbeit dazu erscheinen konnte, ohne dass auf Seiten der Leser Anzeichen der Ermüdung zu befürchten wären. Im Gegenteil: Auch wenn sich Benjamin Müsegades wiederholt von der einschlägigen Studie Gerrit Deutschländers2 abzugrenzen sucht (vgl. beispielsweise S. 16 und 206f.) – aus der nun einmal auch konkurrierenden Sicht des Autors durchaus verständlich –, ergänzen sich aus Rezipientenperspektive beide Werke hervorragend. Im inhaltlichen Vorgehen sind sie nicht deckungsgleich und setzen durchaus unterschiedliche Akzente, legen den Schwerpunkt aber in je eigener Weise auf Akteure und Praktiken höfischer Erziehung. Um Erziehungs- und Bildungsideale, wie sie etwa in der Fürstenspiegelliteratur präsent sind, ist es beiden Autoren hingegen nur am Rand zu tun. Daher erweisen sich hier wie dort Korrespondenzen als besonders wichtige Zeugnisse, daneben werden vor allem Rechnungen und andere Formen des Verwaltungsschriftgutes herangezogen. Während sich die Darstellung Deutschländers vornehmlich exemplarisch an einzelnen Höfen und Personenkonstellationen orientiert und sich dabei auf die Fürsten von Anhalt sowie die Wettiner und die Hohenzollern konzentriert, geht Müsegades das Thema mit einem weiter gefassten Blick auf die reichsfürstlichen Dynastien an.

Konkret „wird auf breitestmöglicher Quellengrundlage ein sozialer und regionaler Querschnitt durch die verschiedenen [fürstlichen] Häuser vorgenommen“ (S. 18): Im Mittelpunkt stehen die Hohenzollern, die Wittelsbacher, die Wettiner, die Landgrafen von Hessen, die Markgrafen von Baden, die Welfen, die Herzöge von Pommern-Wolgast und die von Kleve, schließlich die Grafen von Henneberg-Schleusingen und die Grafen, später Herzöge von Württemberg. Dass dabei die Hohenzollern, Wittelsbacher und Wettiner sowie die Württemberger und Henneberger besondere Aufmerksamkeit erfahren und gerade der Norden des Reiches vergleichsweise schwach vertreten ist, liegt auch an der Quellenlage. Der Zeithorizont spannt sich von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, vom Einsetzen relevanter Quellen in größerer Zahl bis zur beginnenden Konfessionalisierung. Die Untersuchungsgruppe bilden die später zur selbständigen Regierung gelangten oder dafür zumindest vorgesehenen Fürstensöhne, die zwischen 1400 und 1526 geboren wurden, insgesamt 81 Personen aus den genannten Familien. Deren Kollektivbiographie wird personengeschichtlich verknüpft mit den Präzeptoren und Hofmeistern als ‚Experten‘ höfischer Bildung, womit die wichtigen wissensgeschichtlichen Impulse des Göttinger Graduiertenkollegs zu den ‚Expertenkulturen‘ aufgenommen werden. Neben den „Protagonisten“ werden die Koordinaten „reichsfürstlicher Erziehung und Ausbildung“ durch „Orte“ und „Inhalte“ bestimmt (S. 20).

Auf die Einleitung (S. 1–27) und einen kursorischen Blick auf allgemeine Strukturen innerdynastischer Organisation („Weltliche und geistliche Söhne – Reichsfürstliche Familienordnungen“, S. 29– 47) folgen drei Kapitel zu den wesentlichen „Orten“ fürstlicher Erziehung: Das betrifft die jeweiligen elterlichen Höfe („Erziehung und Ausbildung am heimischen Hof“, S. 49– 69), sodann die Höfe fremder Fürsten und Herrscher, wofür die Quellen zumeist ungleich reichlicher fließen („Aufenthalte an auswärtigen Höfen“, S. 71–118), mit deutlichem Abstand die noch eher selten besuchten Universitäten („Fürsten an Universitäten“, S. 119–131). Neben Lebensstationen und Stufen des Bildungserwerbs werden dabei Positionen und Rollen, Repräsentationsverhalten und Finanzierung betrachtet. Das folgende Kapitel vollzieht einen Perspektivwechsel zu dem für die Ausbildung relevanten Personal, insbesondere zu den adligen Hofmeistern und gelehrten Präzeptoren („Das personelle Umfeld junger Fürsten“, S. 133–208), bevor schließlich der dritte zentrale Aspekt, die „Inhalte“, in den Blick genommen werden, in der Hauptsache gegliedert in religiöses, adliges und gelehrtes Wissen („Inhalte und Methoden reichsfürstlicher Erziehung und Ausbildung“, S. 209–255). Am Ende stehen „Zusammenfassung und Ausblick“ (S. 257–266). Das Register (S. 345–362) bietet neben Personen und Orten erfreulicherweise auch Sacheinträge.

Die detailreichen Ergebnisse, erarbeitet auf breiter Quellenbasis unter Einbeziehung ungedruckten Materials aus zahlreichen Archiven, vermögen die in der bisherigen Forschung gewonnenen Vorstellungen von fürstlicher Erziehung zu bestätigen und zu fundieren, zu differenzieren und zu präzisieren. Strukturelle und individuelle Unterschiede ergaben sich neben der generativen Situation aus der Position in den reichsfürstlichen Hierarchien – von den Kurfürsten, die ihre Söhne an Königshöfe zu schicken pflegten, bis hinab zu den gefürsteten Grafen von Henneberg –, sie ließen aber beispielsweise auch politische Bindungen in kulturelle Prägungen umschlagen – die Zugehörigkeit zur burgundischen Klientel sorgte dafür, dass die Sprösslinge der klevischen Herzöge Französisch lernten (S. 86f. und 249) – und konnten nicht zuletzt von der persönlichen Konstitution abhängig sein: Besonders plastisch tritt in den Ausführungen Müsegades Pfalzgraf Ludwig V. (1478–1544) hervor, dessen Probleme mit der Landessprache während seines Aufenthaltes am französischen Königshof differenziert beschrieben werden (S. 95f.) und der, über das Buch verteilt, auch anderen Stellen ein dankbares Exemplum bietet. Doch bei allen Unterschieden, die Müsegades fein herausarbeitet, entsteht ein doch recht homogen anmutendes Profil fürstlicher Erziehung und Ausbildung, vielleicht das bemerkenswerteste Ergebnis der Arbeit. So gab es zwar unter den jungen Fürsten jene Ausnahmen, die als vergleichsweise gelehrt galten, doch überwog in der Regel die Vermittlung des tradierten aristokratischen Handlungswissens: die Einübung von Praktiken der Herrschaftsausübung, die Vermittlung höfischer Umgangsformen, das körperliche Training. Lateinunterricht erhielten fast alle Fürstensöhne, ihre Lektürefähigkeit aber blieb meistens begrenzt, höhere humanistische Weihen empfingen nur wenige. Auch das personelle Umfeld, jener „Hofstaat im Kleinen“ (S. 133), wie ihn Müsegades im Anschluss an Laetitia Boehm akzentuiert3, war jeweils ganz ähnlich strukturiert, auch wenn „die Zahl und insbesondere der Stand der Begleiter“ die Repräsentation des „eigenen Rang[es]“ ermöglichten (S. 262). In der Summe interpretiert Müsegades den behandelten Zeitraum als „Umbruchsphase“, in der die „Bestandteil[e] des fürstlichen Bildungskanons“ (S. 264) noch keine grundlegende Änderung erfahren hätten, wohl aber durch Elemente der gelehrten – wenn man so will: einer nicht mehr spezifisch adligen – Bildung ergänzt worden seien, eine Zeit mithin der „beginnende[n] Ausdifferenzierung der Erziehungs- und Ausbildungsinhalte an reichsfürstlichen Höfen“, die „sich in die Frühe Neuzeit hinein noch stärker fort[gesetzt]“ habe (S. 265).

In dem weitgespannten Rahmen der Arbeit und gerade mit Blick auf den vergleichsweise homogenen Charakter fürstlicher Erziehung, die zugleich zahlreiche Besonderheiten kennt, hätte sich der Rezensent eine nochmalige, personenbezogene Zusammenführung des bearbeiteten Materials in einem zusätzlichen prosopographischen Katalog der Fürstensöhne wie auch ihrer Hofmeister und Präzeptoren gewünscht. Freilich ist dies allenfalls ein kleiner Wermutstropfen angesichts der instruktiven, materialreichen, im Übrigen auch übersichtlich und klar strukturierten Studie Benjamin Müsegades, die Impulse der Hofforschung und der Wissensgeschichte glücklich miteinander verbindet – und deren Ergebnisse selbst wieder Impulse in dem damit aufgespannten Forschungsfeld setzen werden.

Anmerkungen:
1 Im Jahr 2000 griff ein Symposium der damaligen ‚Residenzen-Kommission‘ das Thema auf: Werner Paravicini / Jörg Wettlaufer (Hrsg.), Erziehung und Bildung bei Hofe. 7. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Celle und dem Deutschen Historischen Institut Paris, Celle 23. bis 26. September 2000, Stuttgart 2002. Mit Blick auf die Reichsfürsten hat bereits 1984 Laetitia Boehm einen gleichsam programmatischen Aufsatz vorgelegt, an den Benjamin Müsegades in mancher Hinsicht anknüpft: Laetitia Boehm, Konservativismus und Modernität in der Regentenerziehung an deutschen Höfen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Wolfgang Reinhard (Hrsg.), Humanismus im Bildungswesen des 15. und 16. Jahrhunderts, Weinheim 1984, S. 61–93.
2 Gerrit Deutschländer, Dienen lernen, um zu herrschen. Höfische Erziehung im ausgehenden Mittelalter (1450–1550), Berlin 2012.
3 Vgl. Boehm, Konservativismus und Modernität (wie Anm. 1), S. 82.