L. Petersen: Siege Warfare and Military Organization in the Successor St

Titel
Siege Warfare and Military Organization in the Successor States (400–800 AD). Byzantium, the West and Islam


Autor(en)
Petersen, Leif Inge Ree
Reihe
History of Warfare 91
Erschienen
Anzahl Seiten
XXVII, 819 S.
Preis
€ 222,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Scholl, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Mit dem Ende des weströmischen Reiches im Jahr 476 setzte im technisch-kulturellen Bereich ein beispielloser Niedergang ein: Wo sich zuvor römische Städte, Straßen und Villen mit Fußbodenheizung erstreckt hatten, machte sich nun eine Zivilisationswüste breit, auf der das finstere und rückständige Mittelalter gründete. Dieser Verfall machte sich auch in militärischer Hinsicht bemerkbar, denn anstelle der technisch hochgerüsteten und disziplinierten römischen Legionen wurden die Schlachtfelder Europas fortan von primitiven Barbarenhorden beherrscht, die sich, in Felle gehüllt oder gar mit nacktem Oberkörper kämpfend, ohne jede Ordnung und Disziplin auf ihre Gegner stürzten. Über Kenntnisse im Belagerungswesen, das ein hohes Maß an logistischer und vor allem technischer Expertise erforderte, verfügten diese Barbaren natürlich nicht.

Diese Sichtweise vom radikalen Zivilisationsbruch, die nicht nur im populären Verständnis vom ‚Untergang des römischen Reiches‘ nach wie vor vorherrscht, sondern jüngst auch in Teilen der angelsächsischen Forschung wieder eine Renaissance erlebte1, wird von der Studie Leif Petersens, die aus einer Dissertation an der Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet (NTNU) hervorgegangen ist, am Beispiel des frühmittelalterlichen Belagerungswesens völlig widerlegt. Damit schließt Petersen zum einen eine Lücke im Hinblick auf die Erforschung des Belagerungskriegs; denn während für die griechisch-römische Zeit bereits eine Gesamtdarstellung zu diesem Thema vorliegt2, wurde die Übergangsphase von der Spätantike ins Frühmittelalter bisher allenfalls kursorisch behandelt.3 Über den engeren Bereich des Belagerungskriegs hinaus ist die Monographie von Petersen aber auch für all diejenigen von Interesse, die sich mit dem Epochenübergang von der Antike ins Mittelalter im Allgemeinen und der damit zusammenhängenden Frage nach Kontinuitäten und Brüchen befassen. Petersens Studie ist umso wertvoller, als sie sich nicht auf die barbarischen Nachfolgereiche im Westen beschränkt, sondern auch Byzanz und den islamischen Machtbereich im östlichen Mittelmeerraum in den Blick nimmt, sodass das Buch auch für Leserinnen und Leser von Interesse ist, die sich für den transkulturellen Vergleich und Transferprozesse zwischen ‚Ost‘ und ‚West‘ interessieren.

Die voluminöse und quellengesättigte Studie lässt sich in drei Teile gliedern: Kapitel 1 bis 4 befassen sich mit der spätrömischen Militäradministration und deren Adaption durch die Barbarenreiche im Westen sowie das byzantinische Reich im Osten. Dabei betont Petersen überaus stark die Kontinuitäten zwischen dem römischen Reich und seinen Nachfolgestaaten in West und Ost, die seiner Ansicht nach dazu führten, dass sowohl die militärisch-administrativen Einrichtungen der Römer als auch deren belagerungstechnisches Wissen nahezu unverändert in die Barbarenreiche und das byzantinische Reich Einzug hielten. Kapitel 5 bis 8 sind dem Belagerungskrieg im engeren Sinne gewidmet. Hier geht Petersen auf technische Fragen ein (Typen von Belagerungsmaschinen) und auf verschiedene Taktiken und Varianten des Belagerungskriegs (Blockaden, Sturmangriffe, Gegenmaßnahmen der Verteidiger etc.). Über diese ‚klassischen‘ Fragen einer militärgeschichtlichen Arbeit hinaus nimmt Petersen eine sozial- bzw. kulturwissenschaftliche Perspektive ein, indem er sein Augenmerk auf die Rolle der Stadtbevölkerung richtet. Diese war während einer Belagerung einer extremen psychischen Drucksituation ausgesetzt, die sie unter anderem durch verschiedene Rituale (Musik, Gebete, Prozessionen etc.) zu meistern suchte. Die letzten beiden Kapitel behandeln schließlich die Ausbreitung und den Transfer von Belagerungstechniken zwischen verschiedenen Regionen des Mittelmeerraums. Abgerundet wird die Darstellung von einem Katalog (corpus obsidionum), in dem mehr als 500 Belagerungen zwischen dem 5. und frühen 9. Jahrhundert unter Angabe der wichtigsten Quellen und Sekundärwerke zusammengestellt und beschrieben werden.

Zweifelsohne stellt Petersens Darstellung das neue Referenzwerk für den Belagerungskrieg in Spätantike und Frühmittelalter dar. Wenn das Buch auch insgesamt ob seiner Informationsfülle zu loben und als überaus verdienstvoll anzusehen ist, so ergeben sich doch einige Probleme im Detail. So macht es aus Sicht des Rezensenten beispielsweise wenig Sinn, im Hinblick auf die westlichen Barbarenreiche ausgerechnet die Vandalen auszuklammern, da diese schließlich während ihres Zuges durch Nordafrika eine Reihe von Städten, darunter Karthago, mit Waffengewalt eroberten und daher zu den prominentesten Belagerern ihrer Zeit zu rechnen sind. Die Beschränkung auf die Reiche der Ost- und Westgoten, Langobarden und Franken wirkt daher willkürlich.

Diskussionswürdig erscheint ferner die auffällig starke Betonung von Kontinuitäten zwischen dem römischen Reich und seinen Nachfolgestaaten. Zwar besteht kein Zweifel daran, dass es ein hohes Maß an Kontinuität zwischen Spätantike und Frühmittelalter gab und dass die Nachfolger der Römer eine Reihe von deren Institutionen und Wissen übernahmen, die ‚Barbaren‘ also mitnichten primitive ‚Wilde‘ waren, denen die Befähigung zum hochkomplexen Belagerungskrieg fehlte. Petersens Darstellung erweckt allerdings den Eindruck, als habe es nahezu überhaupt keinen Wandel zwischen Antike und Mittelalter gegeben und als habe das gesamte Belagerungswissen der Barbaren auf Vorkenntnissen der Römer beruht, das sich die Barbaren entweder als Söldner in römischem Dienst oder durch römische Gefangene angeeignet hätten. So beschreibt Petersen auch stets nur Transferprozesse von den Römern zu den Barbaren und konstatiert – natürlich völlig zurecht –, dass die Kriegführung der Barbaren von den Römern beeinflusst wurde. Er verschweigt aber, dass dies umgekehrt genauso der Fall war und dass es kaum eine Institution wie die römische Armee gab, die so sehr darin brillierte, auswärtige Techniken und Kampftaktiken zu übernehmen und für den eigenen Gebrauch nutzbar zu machen.

Diese monodirektionale Sichtweise zeigt sich besonders deutlich im letzten Kapitel, in dem es um die Ausbreitung des Traktions-Trebuchets geht. Bisher ging die Forschung davon aus, dass dieser auf dem Hebelarmprinzip beruhende Geschütztyp, der deutlich leistungsstärker als die antiken Torsionsgeschütze war, in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts von den Awaren mit nach Europa gebracht und dort von den Byzantinern übernommen wurde. Diese Sicht basiert zum einen darauf, dass das Hebelgeschütz bereits in vorchristlicher Zeit in China zum Einsatz kam; demnach erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die Awaren mit dieser Technik in Asien in Berührung kamen und sie von dort nach Europa exportierten. Gestützt wird diese Vermutung dadurch, dass es nach Ausweis der Quellen die Awaren waren, die erstmals auf dem europäischen Kontinent Trebuchets einsetzten. Bei der Quelle, der wir diese Information und die erste eindeutige Beschreibung von Trebuchets außerhalb Chinas verdanken, handelt es sich um die im frühen 7. Jahrhundert entstandenen „Miracula Sancti Demetrii“ des Bischofs Johannes von Thessaloniki, der die Belagerung der Stadt durch die Awaren im Jahr 586 schildert.

Im Gegensatz zur These vom awarischen Ursprung des Trebuchets argumentiert Petersen, dass das Trebuchet bereits spätestens um das Jahr 500 – und damit mehrere Jahrzehnte vor dem Einfall der Awaren – im östlichen Mittelmeerraum bekannt war und vermutlich von den Römern selbst entwickelt wurde. Er stützt sich dabei auf die Erwähnung von Kriegsmaschinen durch Autoren wie Prokop, Agathias und Josua Stylites. Allerdings lassen deren Ausführungen zu Belagerungsmaschinen keinesfalls direkte Rückschlüsse auf Trebuchets zu. Diese Autoren beschreiben lediglich starke Belagerungsmaschinen, denen sie zum Teil – wie später bei Trebuchets mitunter geschehen – Namen wie „Zerschmetterer“ gaben. Bei Prokop genügt Petersen sogar ein „hölzerner Turm“ als möglicher Hinweis auf ein Trebuchet (S. 420). Konkrete Anhaltspunkte für Trebuchets finden sich jedoch nirgends.

Wenig überzeugend sind schließlich auch Petersens Ausführungen zur Verbreitung des Trebuchets im Mittelmeerraum. Den Transfer der neuen Technik vom östlichen in den westlichen Mittelmeerraum bringt Petersen mit einzelnen oströmischen Generälen wie Narses in Verbindung, die in die westlichen Barbarenreiche entsandt wurden. Quellenbelege, dass diese Generäle Städte eroberten, sind für Petersen dabei Beleg genug für die Ausbreitung des Trebuchets. Nach konkreten Hinweisen auf das Hebelgeschütz sucht man erneut vergeblich. Im Hinblick auf die vermeintliche Verbreitung des neuen Geschütztyps nach Spanien stützt sich Petersen zudem auf die Etymologien des Isidor von Sevilla. Während Petersen jedoch in Kapitel 3 noch zurückhaltend formuliert, Isidors Beschreibung könne auf ein Trebuchet hindeuten (S. 174: „fundibulum, which may be a traction trebuchet“) – was im Übrigen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Fall ist –, sind diese Zweifel in Kapitel 8 beseitigt: „It [= the traction trebuchet] was certainly brought there by the Romans […] and known to Isidor of Seville in his Etymologies around 600, so the Visigoths must have mastered its use before that“ (S. 422).

Abschließend lässt sich somit festhalten, dass keine der Thesen Petersens zum Trebuchet von den Quellen gestützt wird und somit überzeugen kann: Weder vermag er zu belegen, dass das Trebuchet bereits vor Ankunft der Awaren in der (ost-)römischen Welt bekannt war, noch dass es sich im Laufe des 6. Jahrhunderts über den westlichen Mittelmeerraum ausbreitete. Im Hinblick auf Ursprung und Ausbreitung des Trebuchets hat aus Sicht des Rezensenten somit nach wie vor die bisherige Forschungsposition, die von einer Vermittlung der neuen Technik durch die Awaren und dem Auftreten des Trebuchets im Westen nicht vor dem Hochmittelalter (erster bildlicher Beleg in einer Handschrift aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhundert) ausgeht, die höchste Wahrscheinlichkeit. Für andere Behauptungen fehlen schlicht die Quellenbelege.

Diese Detailkritik soll die Vorzüge der Monographie von Petersen jedoch nicht schmälern. Wer sich künftig mit dem Belagerungswesen in Spätantike und Frühmittelalter beschäftigt, wird an dieser Darstellung nicht vorbeikommen.

Anmerkungen:
1 Der prominenteste Verfechter der These vom Zivilisationsbruch ist aktuell wohl Bryan Ward-Perkins, The Fall of Rome and the End of Civilization, Oxford 2005.
2 Nach wie vor unverzichtbar für die Beschäftigung mit dem Belagerungskrieg der Antike ist Eric William Marsden, Greek and Roman Artillery, 2 Bde., Oxford 1969–1971.
3 Neben einigen Spezialstudien ist hier insbesondere das Kapitel 1 („After Rome“) aus Peter Purton, A History of the Early Medieval Siege, c. 450–1220, Woodbridge 2009, S. 1–36, zu nennen.