Cover
Titel
Reguliertes Abenteuer. Missionarinnen in Südafrika nach 1945


Autor(en)
Gugglberger, Martina
Reihe
L' Homme-Schriften 22
Erschienen
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Justke, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Ein szenischer Einstieg wirft die LeserInnen mitten ins Geschehen: „Acht deutsche Missionsschwestern verließen am 29. Juli 1956 das Passagierschiff Rhodesian Castle in Durban, Südafrika“ (S. 15). Ihr Ziel: das Kloster Mariannhill in der heutigen südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen werden. Das macht neugierig auf die Geschichte eines „regulierten Abenteuers“, erlebt von „Missionarinnen in Südafrika nach 1945“. Tatsächlich entfaltet sich auf den folgenden 250 Seiten eine Geschichte, welche die Grenzen Südafrikas überschreitet, über das Jahr 1945 bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und damit weit mehr umfasst, als es der Buchtitel andeutet.

Im Zentrum der Dissertation von Martina Gugglberger stehen die Lebensgeschichten von 23 Frauen, die während der 1950er- und 1960er-Jahre in den „Missionsorden der Schwestern vom Kostbaren Blut“ eintraten und nach Südafrika entsandt wurden. Die von Gugglberger interviewten Ordensschwestern gehören der letzten Generation europäischer Frauen an, die sich für ein Leben in der Mission und fern ihrer Heimat entschieden. Gugglberger fragt nach den „Begegnungsräumen“ zwischen Missionarinnen und der lokalen Bevölkerung in Südafrika und möchte die Lebensgeschichten ihrer Interviewpartnerinnen in eine „transnational verwobene Geschichte der christlichen Missionierung“ kontextualisiert wissen (S. 16). Neben den Interviews bilden Missionszeitschriften und Selbstdarstellungen des Missionsordens die Quellengrundlage der Studie.

Gugglberger plädiert für eine „räumliche Lesart“ der Lebensgeschichten von Missionarinnen (S. 26). In Anlehnung an den spatial turn definiert sie drei soziale und geografische Räume, welche das Leben ihrer Interviewpartnerinnen dominierten: „Herkunftsraum, Klosterraum und Missionsraum“ (S.23). Unter „Herkunftsraum“ versteht die Autorin den Lebensabschnitt von der Kindheit bis zum Eintritt ins Kloster. Die interviewten Frauen wuchsen fast ausschließlich in ländlichen Gegenden Westdeutschlands und Österreichs auf und stammten aus kinderreichen Familien. Religiosität nahm in dieser Lebenswelt eine bedeutende Rolle ein. Die Entscheidung für den Klostereintritt führt Gugglberger auch auf unerfüllte (Aus-)Bildungswünsche zurück. Strukturelle und geschlechtsbedingte Benachteiligungen sowie die Bildungszäsur der Kriegsjahre verhinderten Berufskarierren. Von der „Mission“ erfuhren die Interviewpartnerinnen durch Verwandte, Vorträge von Missionspfarrern in ihren Gemeinden und Missionszeitschriften. Afrikaberichte in der Zeitschrift der Mariannhiller Mission „Vergissmeinnicht“ motivierten sie, in diesen spezifischen und keinen ortsansässigen Orden einzutreten.

Vom Ordenseintritt bis zum Aufbruch nach Südafrika befanden sich die Interviewpartnerinnen im „Klosterraum“ in den österreichischen und westdeutschen Ordensniederlassungen. Ausführlich beschreibt Gugglberger den Weg zur vollen Mitgliedschaft und gibt damit einen tiefen Einblick in die Welt der Ordensgemeinschaft.

Die Aussendung nach Südafrika bedeutete für die Interviewpartnerinnen eine Zäsur in ihrem Leben. Der „Klosterraum“ blieb ihnen beim Eintritt in den „Missionsraum“ allerdings erhalten. In Südafrika bewegten sich die Schwestern in zwei Räumen. Zum einen im „Innenraum“, der sich im Kloster abspielte und in dem „europäische Lebensweisen in religiöser und kultureller Hinsicht weitergeführt werden konnten“ (S. 196). Zum anderen im „Missionsraum“ außerhalb des Klosters, der von „fremden politischen, kulturellen und sozialen Bedingungen“ (S. 196) geprägt war. Das Kloster Mariannhill war die erste Station, auf der die Schwestern eingesetzt wurden. Der Orden unterhielt Schulen, Krankenhäuser, karitative Einrichtungen, und handwerkliche Betriebe sowie Missionsstationen auch in den umliegenden „Homelands“ KwaZulu und Transkei. Durch die Arbeit im Kloster kamen viele Ordensschwestern anfänglich kaum in Kontakt mit der unterprivilegierten Mehrheitsbevölkerung Südafrikas. Erst in der Arbeit auf Außenstationen des Ordens erfüllte sich für einige der Interviewpartnerinnen das „klassische Bild der Missionsarbeit“, da sie dort direkten Kontakt mit der lokalen Bevölkerung hatten. Gugglberger konstatiert, dass die Wahrnehmung des Apartheidsystems wesentlich davon geprägt war, welche Tätigkeit die Interviewpartnerinnen ausübten und wo sie lebten. In den Interviews waren eigene Leistungen und Tätigkeiten zentrale Themen, unabhängig vom Einsatzort. Somit lassen sich die Lebensgeschichten der Ordensschwestern vor allem als Professionsgeschichten begreifen. In der Interpretation ihrer Ergebnisse nennt Gugglberger dies „Bildungs- und Entwicklungsgeschichten“ (S. 237). Der „regulierende Kontext“ des Kloster- und Missionsraums, der soziale Sicherheit und Rückhalt in der Fremde bot, machte die Übersiedlung der Interviewpartnerinnen nach Südafrika zu einem „regulierten Abenteuer“ (S. 236).

Gugglberger gibt einen tiefen Einblick in Frauenleben, die von der historischen Forschung bislang kaum beachtet wurden. Hier liegt der Verdienst der Studie: Die Autorin analysiert die Lebensgeschichten ihrer Interviewpartnerinnen, strukturiert und konstruiert diese plausibel anhand der Begriffe des „Herkunfts-“, des „Kloster-“ und des „Missionsraums“ und spannt damit einen weiten Bogen von den 1920er-Jahren bis in die 2000er-Jahre.

Wohl aufgrund dieser großen Zeitspanne bleibt die Geschichte von „Missionarinnen in Südafrika nach 1945“ teilweise schwach ausgeleuchtet. Dies gilt besonders für die „Missionsräume“, in denen die Ordensschwestern der während der Apartheidära unterprivilegierten Mehrheitsbevölkerung begegneten. Freilich interessiert sich Gugglberger vornehmlich für die europäischen Akteurinnen in diesen Räumen, was vielleicht erklärt, warum die lokale Bevölkerung nur schemenhaft dargestellt wird. Aber immerhin war es die Arbeit auf den Missionsstationen, in den „Homelands“ und mit den dort lebenden Menschen, warum die Interviewpartnerinnen nach Südafrika auswanderten. In dieser Arbeit erfüllten sich ihre Vorstellungen von Missionsarbeit. Wo sich das Buch genannten Begegnungsräumen zuwendet, werden vor allem die beruflichen Aufgaben der Ordensschwestern sichtbar, weniger die Gruppe von Menschen, auf die sich diese Tätigkeiten bezogen. Eine Interviewpartnerin berichtet in der Rückschau auf die Apartheidära, sie habe „ja nur mit schwarzen Menschen“ gearbeitet und alles erfahren, „was die Leute mitgemacht haben, was die Leute heute noch mitmachen“ (S. 230). Dies spricht für tiefe Einblicke in die Lebenswelten der vom Apartheidregime unterdrückten Mehrheitsbevölkerung. Leider wird dieser Bereich in dem Buch nicht weiter ausgeführt. . Stattdessen wird die lokale Bevölkerung den LeserInnen in überwiegend anonymisierter Form präsentiert, als „schwarze Mädchen“, „Angestellte“ (S. 202), als „Frauen aus der Umgebung“ (S. 214) oder schlicht als „die Leute“ (S. 215). Diese Anonymisierung und Marginalisierung ist umso verwunderlicher, als die Autorin in Anlehnung an Forschungsergebnisse der postcolonial studies zu Recht auf die Handlungsmacht der lokalen AkteurInnnen in den Missionsräumen hinweist. Hinzu kommt eine bisweilen unkritische Annäherung an Interviewpassagen, welche die Missionsräume thematisieren. So berichtet eine Ordensschwester, die im „Homeland“ Transkei eingesetzt war, sie sei „eben sehr stolz auf die Transkei“ gewesen und habe „diese Apartheid gar nie so erfahren wie im Rest von Südafrika“. Daraus folgert Gugglberger, dass die Interviewpartnerinnen, die in Gegenden mit einer „schwarze[n] Bevölkerungsmehrheit“ eingesetzt waren, „die Auswirkungen der Apartheidpolitik nur wenig zu spüren“ bekamen. Anders habe sich dies in und um Mariannhill verhalten, da dort die Trennung nach „Rassen“ allgegenwärtig gewesen sei (S. 228). Diese Beobachtung mag zutreffen, blickt man ausschließlich auf die Auswirkungen der sogenannten Petty Apartheid. Die Politik der Grand Apartheid hingegen, welche die nach rassistischen Kriterien klassifizierten Bevölkerungsgruppen in Wohnräumen voneinander trennte, zeichnete sich gerade durch eine vom Apartheidregime gewollte Unsichtbarkeit aus. In den Städten erzielte das Regime diese Wirkung mittels natürlicher und künstlicher Barrieren, die zwischen den einzelnen „Group Areas“ lagen.1 Durch die Errichtung von „Homelands“, wie zum Beispiel der Transkei, gelang dies auf dem Land noch leichter, da es dort kaum Berührungspunkte zwischen den einzelnen Gruppen gab. Unsichtbar sollte die Grand Apartheid vorrangig für die privilegierte Minderheitsbevölkerung sein. Die Bewohner der Transkei hingegen bekamen diese Politik mit voller Wucht zu spüren. Ihr Leben war durch extreme Armut, Überbevölkerung und Ausbeutung durch das Wanderarbeitssystem geprägt.2 Zudem wurde der Aufbau der „Homelands“ von massiven Zwangsumsiedlungen begleitet.

Noch mehr als anderen kirchlichen Mitarbeitern aus dem Ausland war es den von Gugglberger interviewten Ordensschwestern möglich, umfassende Einblicke in die Lebenswelt der „Homelands“ zu erhalten, die für den Großteil der „Weißen“ unsichtbar blieb. Gugglberger sind die Bestandteile des „Apartheidprogramms“ bekannt. Daher irritiert es umso mehr, dass sie einige Erzählungen ihrer Interviewpartnerinnen historisch nicht genau kontextualisiert. Zudem wäre zu fragen, warum die Ordensschwestern während der lebensgeschichtlichen Interviews nur wenig über konkrete Kontakte sprachen und die „Homeland“-Politik durchaus positiv bewerteten. Auf Erkenntnissen aus der Oral History aufbauend könnte dann gefragt werden, wie diese „erinnerten Erzählungen“3 konstruiert und welchem „hochaffektiv besetzten Verarbeitungs-, Konstruktions- und Sinnbildungsprozeß“4 sie unterworfen sind. Möglicherweise wäre für die Analyse dieser Erzählungen die Einbeziehung von Archivquellen oder „Rundbriefen“, die regelmäßig von Ordensschwestern an Verwandte und Bekannte geschickt wurden, hilfreich gewesen. Als Lektüre empfiehlt sich Gugglbergers Studie für Leserinnen und Leser, die einen tiefen Einblick in die Geschichte eines Missionsordens im 20. Jahrhundert erhalten möchten. Für diejenigen, die sich für transnationale Begegnungsräume im Lokalen und Reaktionen europäischer christlicher Missionarinnen auf das südafrikanische Apartheidsystem interessieren, gilt diese Empfehlung leider nur bedingt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ulrich Jürgens / Jürgen Bähr, Johannesburg. Stadtgeographische Transformationsprozesse nach dem Ende der Apartheid (=Kieler Arbeitspapiere zur Landeskunde und Raumordnung 38), Kiel 1998, S. 4; Ulrich Jürgens, Gemischtrassige Wohngebiete in südafrikanischen Städten (=Kieler Geographische Schriften, Bd. 82), zugl. Diss., Kiel 1991, S. 61.
2 Vgl. Christoph Marx, Südafrika. Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 2012, S. 250–251.
3 Malte Thießen, Gedächtnisgeschichte. Neue Forschungen zur Entstehung und Tradierung von Erinnerungen, in: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2008), S. 607–634, hier S. 614.
4 Dorothee Wierling, Oral History, in: Michael Maurer (Hrsg.), Aufriß der historischen Wissenschaften, Bd. 7. Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2003, S. 81–151, hier S. 97.

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