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Titel
Arianism. Roman Heresy and Barbarian Creed


Herausgeber
Berndt, Guido M.; Steinacher, Roland
Erschienen
Farnham 2014: Ashgate
Anzahl Seiten
XVIII, 381 S.
Preis
£ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Nur mit einiger Mühe scheint es möglich, sich einen Überblick über den historischen Stellenwert des sogenannten Arianismus zu verschaffen: einer nach wechselvoller Geschichte im Verlauf des 4. Jahrhunderts spätestens mit dem ersten Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 zugunsten der römischen Orthodoxie endgültig offiziell gebrandmarkten Häresie und zugleich einer christlichen Glaubensrichtung, die die wandernden Verbände durch Vermittlung der Goten im 4. Jahrhundert angenommen hatten und der sie noch lange Zeit nach ihrer Niederlassung in verschiedenen Regionen des weströmischen Reiches die Treue bewahrten. Dagegen hatte dieses von seinen Gegnern pauschal als „arianisch“ bezeichnete Christentum seine Bedeutung für die Römer zugunsten der sich durchsetzenden neunizänischen Trinitätsauffassung mehr und mehr verloren. Der Presbyter Salvian von Marseille wusste im 5. Jahrhundert noch genau, dass die „Barbaren“ die „arianische“ Spielart des Christentums zu einer Zeit angenommen hatten, da diese bei den römischen Kaisern hoch im Kurs stand1: Constantius II. (337–361) favorisierte eine Kompromissformel über das Verhältnis von Gott und Gottessohn, um mit dieser als „homöisch“ bezeichneten Lösung die Einheit des christlichen Glaubens im Römischen Reich durchzusetzen, ein Ziel, das auch Valens (364–378) noch vertrat; kurz darauf aber wandte sich Theodosius I. (379–395) entschieden der nizänischen Richtung als erwünschtem Vehikel christlicher Glaubenseinheit zu.

Die beiden bislang vor allem durch Untersuchungen zu den Vandalen hervorgetretenen Historiker Guido Berndt und Roland Steinacher wollen mit dem von ihnen herausgegebenen, aus Tagungen in den Jahren 2009 und 2011 hervorgegangenen Sammelband zu den Eigenarten und Ausformungen des sogenannten Arianismus sowie besonders zur Bedeutung dieser christlichen Glaubensrichtung für die „barbarischen“ Verbände innerhalb und außerhalb des Römischen Reiches sowohl von theologischer als auch von historischer Seite den aktuellen Forschungsstand zu diesem Thema präsentieren. Dabei sind zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen: die Entwicklung der mit dem „Arianismus“ verbundenen Anschauungen vom Streit zwischen dem alexandrinischen Presbyter Arius und seinem Bischof bis zu dessen vorläufiger Beilegung auf dem Konzil von Nizäa (325), sodann deren vielfache Verzweigungen in unterschiedlich ausdifferenzierte Positionen, die aus der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Auffassungen und aus der Suche nach Kompromissen hervorgingen, bis zur Marginalisierung des „Arianismus“ im Römischen Reich, die die homöische Glaubensrichtung bei nichtrömischen gentes im römischen Kulturkreis als Besonderheit erst recht hervortreten ließ. Zudem ist die als polemischer Sammelbegriff gegen unterschiedlichste Ausformungen der Subordinationslehre geprägte Formulierung hochproblematisch; sie hat mehr den Namen als wirkliche Inhalte mit der Gottesauffassung des Arius gemein. Daher gilt es, sowohl systematisch und chronologisch den diversen theologischen Aspekten des „arianischen“ Christentums gerecht zu werden als auch die historische Bedeutung zu würdigen, die die damit verbundenen Auseinandersetzungen im Römischen Reich für die nichtrömischen Verbände hatten. Der Blick der Beiträge dieses Sammelbandes geht also in verschiedene Richtungen, um dem Gesamtanliegen gerecht zu werden. Nicht bei jeder Einzelfrage herrscht Übereinstimmung unter den beteiligten Autoren, wie sich an der einen oder anderen thematischen Überschneidung zeigt, die sich etwa bei der Einordnung grundsätzlicher Probleme ergibt; diese Beobachtung zeigt eine gewisse Fluidität auf einem Forschungsgebiet an, dessen derzeitiger Stand nicht zuletzt deshalb erfasst werden soll, um künftigen Untersuchungsrichtungen Wege zu weisen: Diese werden abschließend von Yitzhak Hen formuliert.

Zunächst ergreifen die Kirchenhistoriker das Wort zu Fragen, die sich aus historisch-theologischen Problemen ergeben. Die nötigen allgemeinen Hinweise zur Einordnung dieser Themen liefert einleitend Hanns Christof Brennecke mit einem Überblick zu den – an dogmatischer Differenzierung wenig interessierten – Quellen sowie zur Ausgangslage des arianischen Streits und zu den Diversifizierungen der Subordinationslehre in den mehr als fünf Jahrzehnten zwischen den Konzilien von Nizäa und Konstantinopel. Der Beitrag von Knut Schäferdiek gilt primär dem Ausgangspunkt für die – überwiegend homöisch ausgerichtete – Christianisierung der Völkerwanderungsverbände unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Gotenbischofs Ulfila: Für diesen bietet Schäferdiek, soweit die spärlichen Quellennachrichten das zulassen, einen biographisch und historisch-theologisch orientierenden Rahmen, in den die Ausformung der verschiedenen Spielarten der Subordinationslehre eingearbeitet ist; auf dieser Grundlage skizziert er die Weiterentwicklung der gotisch-homöischen Kirche bis zu deren Ende.

Spezieller ausgerichtete Forschungsaspekte werden in zwei weiteren Aufsätzen akzentuiert: Sara Parvis hebt die homöische Qualität des Christentums Ulfilas auf den Prüfstand und sieht bei dem Gotenbischof selbst größere Gemeinsamkeiten mit der frühen, von Arius persönlich geprägten Subordinationslehre als mit der späteren Entwicklung, die in der homöischen Kompromissformel von 360 einmündete. Paul Parvis kommt bei der Untersuchung der Konfessionszugehörigkeit des Goten Sabas, der 372 jenseits der Donau den Märtyrertod fand, entgegen der Mehrheitsmeinung, wie sie beispielsweise Herwig Wolfram im gleichen Band (S. 136–138) vertritt, zu dem Ergebnis, dieser sei kein orthodoxer, sondern ein „arianischer“ Christ gewesen, dessen Tod um des Glaubens willen im Römischen Reich von der nizänischen Seite im Eigeninteresse instrumentalisiert worden sei.

Anschließend wirft Uta Heil einen genauen Blick auf die Präzisierung der von den Homöern vertretenen dogmatischen Anschauung seit den 350er-Jahren in Abgrenzung von anderen „arianischen“ Positionierungsversuchen und stellt ferner weitere Entwicklungen im Lichte der Auseinandersetzung zwischen der orthodoxen und der homöischen Glaubensrichtung über Fragen der Trinität vor. Damit führt sie Themen genauer aus, die – summarisch und in andere Zusammenhänge eingebettet – teilweise auch in den vorausgehenden Beiträgen von Brennecke und Schäferdiek angesprochen werden. Diese Beobachtung betrifft auch Brenneckes folgenden Aufsatz über die von der heutigen Forschung strikt abgelehnte, im 19. Jahrhundert formulierte Einschätzung des homöischen Christentums als einer „germanischen“ Form des „Arianismus“. Mit dessen Herleitung aus einer besonderen historischen Situation im Römischen Reich und der hier – und eben nicht bei den Goten oder anderen Germanen – damit verbundenen Entwicklung sowie mit Argumenten zur Anbindung des homöischen Christentums an eine im Osten wie im Westen genuin römische theologische Tradition führt der Autor dieses in einem nationalistisch geprägten Selbstverständnis wurzelnde Fehlurteil ad absurdum.

In einem zweiten Teil stehen geschichtswissenschaftliche Beiträge zu allgemeinen Themen im Vordergrund. An der Schnittstelle zwischen den Aufsätzen des ersten und zweiten Teils sind Wolframs Ausführungen über die Rolle Ulfilas als geistlicher und politischer Anführer der Kleingoten angesiedelt. Der Autor stellt den insbesondere von Athanarich aufgebauten Verfolgungsdruck gegenüber christlichen Goten gleich welcher Konfession heraus und betont, Fritigern habe sich aus politischen Gründen für das von Kaiser Valens vertretene homöische Christentum entschieden; dies mache eine von vornherein bestehende Allianz zwischen Ulfila und Fritigern unwahrscheinlich.2 In einem längeren Beitrag liefert Ralph W. Mathisen einen Überblick zu kirchlichen Organisationsfragen bei den „barbarischen“ Anhängern des homöischen Glaubens. Das geistliche Führungspersonal habe nicht aus Stadtbischöfen, sondern wohl meist aus je einem Bischof für jedes Volk bestanden, für den unterschiedliche Bezeichnungen verwendet wurden. Klar wird zudem, dass die Alltagsbeziehungen zwischen „arianischen“ Nichtrömern und nizänischen Römern eng waren und keineswegs von den konfessionellen Unterschieden beeinträchtigt wurden, auch wenn der homöische Glaube in einem bestimmten Stadium „as a means of establishing or declaring ethnic identity“ (S. 190) dienen mochte. Brendan Wolfe untersucht Bezüge zwischen germanischen Sprachen und germanischem Homöertum und bewegt sich damit über die Sprachwissenschaft auf einen Bereich zu, von dem Brennecke aus historischer und theologischer Sicht einen deutlichen Abstand postuliert. Aus dem Fehlen archäologischer Nachweise für den „arianischen“ Glauben bei den Vandalen in Nordafrika und den Ostgoten in Italien schließt Ralf Bockmann, dass die konfessionellen Unterschiede zwar aus politischen Gründen, nicht aber im Erscheinungsbild der Kirchen eine Rolle spielten.

Die sechs Aufsätze des letzten Teils behandeln den „Arianismus“ in bestimmten Regionen des Westens: bei den Ostgoten in Italien (die beiden Herausgeber) und bei den Langobarden (Piero Majocchi), bei den Vandalen in Afrika (Robin Whelan), bei den Westgoten in Spanien (Manuel Koch), bei Westgoten und Burgundern in Gallien (Uta Heil) sowie schließlich in Britannien (Meritxell Pérez Martínez). Bezugspunkte für die Darstellung der regionalspezifischen Zustände und Entwicklungen bilden die übergreifenden Ausführungen der vorausgehenden Beiträge. Eine Reihe von Themen kommt in mehreren Aufsätzen zur Sprache: die keineswegs eindeutig zu beantwortende Frage nach der Bedeutung des homöischen Glaubens für die ethnische Identität, die Koexistenz verschiedener Glaubensformen, darunter auch der „Arianismus“ bei Römern, die Frage nach homöischen Kirchenstrukturen und das jeweilige Ende für diese Glaubensrichtung entweder durch freiwilligen Konfessionswechsel aus politischen Gründen oder infolge der Eroberungspolitik Justinians. Festhalten lässt sich, dass die Korrelation zwischen Glaubensrichtung und Identität sehr differenziert und vorsichtig betrachtet werden muss und angesichts freiwilligen Verzichts auf das homöische Bekenntnis der häufig angenommene Bezug zwischen Ethnie und Glaube das politische Kalkül keineswegs außer Kraft gesetzt hat.

Besonders aufschlussreich erscheinen Whelans teilweise auf Yves Modéran gestützte Ausführungen zu der komplexen Lage in Afrika, die man differenzierter zu sehen hat, als vermeintlich zuverlässige Quellen wie Victor von Vita es suggerieren; hilfreich ist hier ebenfalls der Hinweis, dass die Donatisten eine Streitkultur eingeführt haben, die auch nach dem Verschwinden dieser Abspaltung von der christlichen Kirche noch fortbestand und die Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Homöern belebte. Methodisch interessant und inhaltlich weiterführend sind nicht zuletzt auch die Darlegungen zu Homöern in Britannien von Pérez Martínez, die anhand der Schrift De laude sanctorum des Bischofs Victricius von Rouen dessen Reise nach Britannien um 396 durch Versöhnungsversuche zwischen „Arianern“ und Katholiken motiviert sieht, für die insbesondere die Förderung der Märtyrerverehrung zur Veranschaulichung trinitarischer Konsubstantialität zum Einsatz gekommen sein dürfte.

Der Sammelband bietet in einer gelungenen Zusammenstellung historisch-theologischer und geschichtswissenschaftlicher Zugänge zum homöischen Christentum bei „barbarischen“ Völkern gute Einsichten zu Entwicklung und Stellenwert dieser Glaubensrichtung bei Römern und Nichtrömern. Dabei dominieren Überblicksdarstellungen. Insgesamt ergibt sich eine Mischung aus Beiträgen erfahrener Forscher, die für ihre Ausführungen auf ältere eigene Publikationen zurückgreifen können, und Aufsätzen einer Minderheit jüngerer Wissenschaftler, die an den von ihnen hier behandelten Themen ganz aktuell forschen; beides hat seine Berechtigung in einem Sammelband, der den erreichten Forschungsstand dokumentieren und zugleich neue Forschungswege aufzeigen will. Hier und da hätte man die Beiträge allerdings etwas anders anordnen können. Deutlich werden nicht nur die Wege der Übernahme des „arianischen“ Glaubens akzentuiert, sondern auch Probleme, die sich aus der Dominanz pronizänischer Quellen ergeben, ferner die Notwendigkeit, sich von alten, dichotomisch bestimmten Zuschreibungen zu lösen und neuen Erkenntnissen zu öffnen, die der in vielfache Richtungen sich ausdifferenzierenden Lebenswirklichkeit gerecht werden. Schließlich spielt immer wieder die diffizile Frage nach möglichen Bezügen zwischen der homöischen Konfession und dem ethnischen Selbstverständnis sowie nach deren in bestimmten Konstellationen erkennbaren Grenzen eine Rolle. Alles in allem handelt es sich um einen Band, der die relevanten Facetten der behandelten Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und nützliche Orientierungshilfen bietet.

Anmerkungen:
1 Vgl. Salv. gub. 5,14 (MGH AA 1,1 p. 58,5–9).
2 Die Gedankenführung entspricht zu wesentlichen Teilen Herwig Wolfram, Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnogenese, 4. Auflage, München 2001, S. 84–94.

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