B. Mineo (Hrsg.): A Companion to Livy

Cover
Titel
A Companion to Livy.


Herausgeber
Mineo, Bernard
Reihe
Blackwell Companions to the Ancient World
Erschienen
Chichester 2015: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
XXXIX, 462 S.
Preis
£ 122,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Lentzsch, Historisches Institut, Universität zu Köln

Der hier anzuzeigende neue Band aus der Reihe der „Blackwell Companions to the Ancient World“ widmet sich dem römischen Historiographen T. Livius und seinem Werk. In der gleichen Serie sind in den letzten Jahren bereits einige Publikationen zur antiken Historiographie im Allgemeinen und einzelnen Autoren erschienen, zu denen sich nun der von Bernard Mineo herausgegebene Companion gesellt. Die Entscheidung des Verlages, dem Werk des Livius einen eigenen Band zu widmen, ist nachvollziehbar: Seine Geschichte Roms von ihren Anfängen bis in die Zeit des Augustus stellt ein Monument römischer Geschichtsschreibung dar. Von den einst wohl 142 (vielleicht 150) Büchern hat sich zwar nur ein vergleichsweise kleiner Teil erhalten, doch deckt dieser einen großen Teil der Geschichte der römischen Republik ab. Die Forschung beschäftigt sich seit Generationen mit einer großen Bandbreite von Themen, die sich mit Livius’ Werk verbinden, wobei eine Vielzahl von Zugängen zu diesem Text erprobt wurde, so dass gerade Einsteigern in die Thematik eine Orientierung schwer fallen dürfte. Mineos Companion soll gleichwohl nicht nur für Studierende, sondern auch für zu Livius Forschende und Lehrende nützlich sein. Der Band ist in neun Kapitel unterteilt, in denen insgesamt 32 Beiträge dabei helfen sollen, das Werk des Livius zu erschließen.

Im ersten Kapitel („Text and Context“) führt zunächst Marielle de Franchis in die komplexe Tradition der Handschriften ein, deren Erforschung und Edition überhaupt erst die Basis für jede weitere Beschäftigung darstellt (S. 3–23). Anschließend gibt Barbara Levick einen Überblick zum historischen Kontext, in dem Livius arbeitete (24–35). Levick erschließt dabei auch die dürren biographischen Daten, die zu Livius bekannt sind, und geht auf das oft diskutierte Verhältnis des Geschichtsschreibers zu Augustus ein, das sie, ähnlich wie andere Forscher, als ambivalent deutet.1

Das zweite Kapitel versammelt Beiträge zu „Ideological and Historical Aspects“ in Livius’ Text. Zunächst geht Jacques-Emmanuel Bernard auf die Charakterisierung von Römern sowie anderer Völker in Ab Urbe Condita ein und weist in diesem Zusammenhang auf Zuschreibungen kollektiver Gruppeneigenschaften, aber auch auf Fälle hin, in denen Livius anhand einzelner Akteure das Bild heterogener Identität entwirft (S. 39–51). Hieran schließt sich Kathryn Lomas Beitrag zu Narrativen und Charakterisierungen an, die sich bei Livius zu den griechischen Städten der Magna Graecia und Siziliens finden (S. 52–64). Mary Jaeger führt danach in instruktiver Weise in die Repräsentation der Stadt Rom in Ab Urbe Condita ein und zeigt, wie es Livius gelang, seine Leser auch durch die Entwicklung einer vertrauten Topographie in seinem Text durch die umfangreiche Geschichte Roms zu führen (S. 65–77). In dieser spielte ebenfalls die römische Religion eine wichtige Rolle, was John Scheid in einer souveränen Übersicht zu den zahlreichen Aspekten, in denen Religion in Livius’ Text thematisiert wird, verdeutlichen kann (S. 78–89). Ergänzend hierzu erläutert Frances Hickson Hahn in seinem Beitrag, wie die Schilderung wiederkehrender religiöser Rituale und Nachrichten zu Vorzeichen ein Muster der Darstellung bilden.

Die Präsentation und Deutung von positiven wie negativen exempla nehmen eine zentrale Position in Livius’ Konzeption ein. Insbesondere am Beispiel des Camillus erläutert Jane Chaplin pointiert, wie Livius ein exemplum auf flexible Art und Weise in die Darstellung einbringen konnte, und wie verschiedene exempla miteinander kombiniert oder einander gegenüber gestellt werden konnten (S. 102–113). Ein Großteil des livianischen Textes ist den Kriegen Roms gewidmet, es ist daher nachvollziehbar, dass Yann Le Bohec einen Überblick zu „Roman Wars and Armies in Livy“ gibt (S. 114–124). Der Beitrag bietet freilich lediglich eine Übersicht zu den Kriegen, die in Ab Urbe Condita behandelt werden, sowie eine kurze Einführung in das römische Manipularsystem. Die in der Forschung oft diskutierte Form der Schlachtenschilderung, die Livius eigentümlich ist, kommt hier kaum zur Sprache.2 Anschließend widmet sich Bernard Mineo in zwei Beiträgen zuerst politischen und moralischen „Werten“ des Livius im Zusammenhang mit Augustus’ Prinzipat (S. 125–138) und danach der „Historical Philosophy“ des Livius, die er vor allem anhand der Konzeption des Zyklus von Aufstieg und Niedergang, verkörpert in der Vorstellung einer zweiten Gründung der Stadt nach der ‚Gallischen Katastrophe‘ sowie einer dritten unter der Herrschaft des Augustus, erläutert (S. 139–152).

Die Beiträge des dritten Kapitels widmen sich literarischen Aspekten in Livius’ Werk. Dominique Briquel skizziert zunächst die wesentlich von Georges Dumézil vorangetriebenen komparativen Forschungen zu indo-europäischen Mythen und mythischen Strukturen, die sich nach dieser Lesart auch in der bei Livius zu findenden römischen Tradition aufspüren lassen (S. 155–166). Die nächsten Beiträge führen in die oft behandelten und doch in vielen Details ungeklärten Fragen der Quellen ein, auf die Livius für seine Darstellung zurückgriff: Jürgen von Ungern-Sternberg widmet sich hierbei zunächst der ‚annalistischen‘ Tradition römischer Historiker vor Livius (S. 167–177) und zeigt auf, dass dieser den Stoff, den er in seinen Quellen vorfand, meist in großer Eigenständigkeit bearbeitete. Anhand des Verhältnisses von Livius zum Werk des Q. Fabius Pictor diskutiert James Richardson die Fallstricke der Quellenforschung, die für ihn gleichwohl unverzichtbar bleibt (S. 178–189). Hierbei seien freilich sowohl die Einflüsse griechischer Narrative als auch Schemata von „Family Models“ in der römischen Überlieferung zu berücksichtigen. Letztere schlagen sich im Text derart nieder, dass Angehörige einer Familie über Generationen immer wieder in ähnlicher Weise handeln bzw. Taten ihrer Vorfahren zu kopieren scheinen.

Craige Champions Beitrag zu den Einflüssen griechischer Historiker auf Livius’ Text bietet eine Einführung zu den zahlreichen Stellen, in denen der römische Geschichtsschreiber für seine Darstellung aus den Arbeiten von Vorgängern wie Herodot, Thukydides oder Polybios schöpfte (S. 190–204). David Levene widmet eben diesem Aspekt eine kurze Fallstudie zur dritten Dekade, für die er direkte wie indirekte Verweise und Anspielungen insbesondere auf Thukydides und Polybios plausibel machen kann (S. 205–242). Den Abschluss des dritten Teils bilden zwei Beiträge, deren Autoren sich mit der inhaltlichen Komposition in Ab Urbe Condita befassen. Ann Vasaly wählt hierzu die erste Pentade als Beispiel (S. 217–229), während Stephen Oakley eine souveräne Kurzanalyse des fünften Buches vorlegt, in der er dessen Schlüsselposition innerhalb der ersten Dekade (der Umfang des Buches verteilt sich zu fast gleichen Teilen auf die Darstellung der Belagerung Veiis und der ‚Gallischen Katastrophe‘) deutlich macht (S. 230–242).

In den folgenden vier Kapiteln führen die Autorinnen und Autoren von zwölf Beiträgen durch die Abschnitte der römischen Geschichte, die in den erhaltenen Teilen von Ab Urbe Condita geschildert werden, und gehen dabei auch auf Aspekte der Darstellung ein.3 Selbstredend wurden alle Abschnitte von ausgewiesenen Expertinnen und Experten des jeweiligen Gebietes übernommen und bilden durchgehend eine sehr informative Lektüre. Als besonders gelungen hervorzuheben sind Timothy Cornells Ausführungen zu den methodischen Herausforderungen und Gefahren, die sich bei der kombinierten Interpretation von literarischer Überlieferung und archäologischen Zeugnissen zum frühen Rom ergeben (S. 245–258), Ghislaine Stouders und Michel Humms Beiträge zur politisch-militärischen Geschichte ‚von 390 bis Sentinum‘ und „ideologischen Aspekten“, welche diesen Abschnitt des Geschichtswerks kennzeichnen (S. 329–341 u. 342–366), sowie der aufschlussreiche Vergleich der Darstellung des Polybios mit Livius’ Büchern 31–45, den Arthur Eckstein durchführt (S. 407–422). Eckstein zeigt in einer pointierten Analyse sowohl die nicht zu leugnende Abhängigkeit des Livius von Polybios auf, hebt dabei gleichzeitig jedoch die große literarische Eigenständigkeit des römischen Geschichtsschreibers hervor, der seine Vorlage keineswegs gedankenlos kopierte.4 Livius’ Darstellung ist über Buch 45 hinaus nicht mehr erhalten, weshalb man sich für diese Spanne – immerhin rund 100 Bücher – mit den vergleichsweise kargen antiken Inhaltsangaben, den Periochae, begnügen muss. In einem informationsreichen und durchaus voraussetzungsreichen Beitrag führt Luigi Bessone in die Forschungen zu den Periochae ein (S. 425–436).

Das letzte Kapitel des Companions („Reception“) besteht aus einem einzelnen Beitrag. In diesem verfolgt Pierre Maréchaux die Überlieferung des livianischen Textes durch das Mittelalter bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts (S. 439–451). Einen wesentlichen Einschnitt in der Tradierung der livianischen Handschriften setzt er unter der Ägide Papst Gregors des Großen an und führt anschließend durch die wechselnde Rezeption von Ab Urbe Condita, das hinsichtlich der Wertschätzung zunehmend hinter die Schriften des Tacitus zurücktreten musste. Ein Index (S. 453–462) und „Cross References“ am Ende jeden Abschnittes helfen bei der Orientierung innerhalb des Bandes. Eine gemeinsame Bibliographie gibt es nicht, stattdessen schließen sich an jeden Beitrag ein kurzes Literaturverzeichnis sowie kommentierte Hinweise zum „Further Reading“ an. Nach Ansicht des Rezensenten wäre eine Gesamtbibliographie vorzuziehen, aber dies bleibt wohl letztlich Geschmackssache. Der Nutzen des Bandes wird hiervon jedenfalls nicht beeinträchtigt.

Insgesamt lässt sich ein erfreuliches Fazit ziehen: Mineos Companion stellt einen komfortablen Zugang zu einer Vielzahl von Themen rund um Livius’ Monumentalwerk bereit und bietet für Studierende, Lehrende und Forschende ein willkommenes Arbeitsinstrument. Zugleich wird bei einer durchgehenden Lektüre einmal mehr deutlich, dass sich Livius’ Text auch nach Generationen intensiver Forschungsarbeit nach wie vor neue Einsichten und interessante Einblicke abgewinnen lassen.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa Jürgen Deininger, Livius und der Prinzipat, in: Klio 67 (1985), S. 265–272; Karl Galinsky, Augustan Culture. An Interpretative Introduction, Princeton 1996, hier S. 280–287.
2 Hierzu finden sich jedoch eine Reihe von wertvollen Hinweisen in anderen Beiträgen des Companions, etwa in denen von Craige Champion, Ghislaine Stouder und Arthur Eckstein.
3 Die folgenden Beiträge sind in diesen Kapiteln enthalten: Timothy Cornell, „Livy’s Narrative of the Regal Period and Historical and Archaeological Facts“ (S. 245–258); Paul-Marius Martin, „Livy’s Narrative of the Regal Period: Structure and Ideology“ (S. 259–273); Marianna Scapini, „Literary Archetypes for the Regal Period“ (S. 274–285); Matthew Fox, „The Representation of the Regal Period in Livy“ (S. 286–297); Attilio Mastrocinque, „Tarquin the Superb and the Proclamation of the Roman Republic“ (S. 301–313); Gary Forsythe, „The Beginnings of the Republic from 509 to 390 BC“ (S. 314–326); Ghislaine Stouder, „From 390 BC to Sentinum: Diplomatic and Military Livian History“ (S. 329–341); Michel Humm, „From 390 BC to Sentinum: Political and Ideological Aspects“ (S. 342–366); Dexter Hoyos, „Rome and Carthage in Livy“ (S. 369–381); Giovanni Brizzi / Giambattista Cairo, „Livy: Overseas Wars“ (S. 382–393); Klaus Bringmann, „The Roman Republic and its Internal Politics between 232 and 167 BC“ (S. 394–406); Arthur Eckstein, „Livy, Polybius, and the Greek East (Books 31–45)“ (S. 407–422).
4 Dass Livius dabei einige Schnitzer – etwa bei der Übersetzung griechischer Passagen – unterlaufen sind, ist gleichwohl nicht zu bestreiten und wird ebenfalls von Eckstein angemerkt. Die Abhängigkeit von Livius’ vierter Dekade von Polybios’ Historien hat bekanntlich bereits Heinrich Nissen (Kritische Untersuchungen über die Quellen der vierten und fünften Dekade des Livius, Berlin 1863) herausgearbeitet.

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