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Titel
Kraft der Symbole. Wie wir uns von der Gesellschaft leiten lassen und dabei die Wirklichkeit selbst mitgestalten


Autor(en)
Beetz, Michael
Erschienen
Konstanz 2014: UVK Verlag
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marie-Kristin Döbler, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Michael Beetz’ „Kraft der Symbole“ bietet einen Überblick und eine Analyse von Symbolen verschiedenster Art, wie sie uns alltäglich begegnen. Es geht ihm darum, Zusammenhänge zwischen dem Sozialen und dem Individuum und unterschiedliche Wirkungsweisen von Symbolen aufzuzeigen bzw. darzulegen, dass die soziale Wirklichkeit immer eine symbolisch geschaffene ist. Beetz’ Ziel ist es, „den Sinn für das Symbolische zu wecken“ (S. 18) und das Thema einer breiteren, auch nicht-akademischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies gelingt dem Autor einerseits durch die von ihm zur Illustration seiner Darstellung gewählten Beispiele und Situationen und andererseits durch seinen leicht lesbaren Stil, so dass „Laien, Lehrer und Studenten“ wie auch Wissenschaftler und Soziologen von der Lektüre des Buchs profitieren können. Insbesondere Letztere erleben aber auch Überraschungen.

Während die Einleitung noch, wie zu erwarten, in das Thema einführt, Ziele, Vorgehen und den Buchaufbau darlegt, beginnt mit Kapitel zwei („Von der Wiege an. Grundhaltungen“) der als empirisch zu bezeichnende Teil. Die Theorie bleibt auf ein Minimum, von Beetz so genannte „Theorie-Memos“, am Ende jedes Kapitels, reduziert und wird, auf eine Skizze heruntergebrochen, ans Ende des Bandes verschoben – das jedoch verbunden mit dem Verweis, der Wissenschaftler möge sich diese Kapitel zuerst zu Gemüte führen. Begründet werden diese Kapitelstruktur und dieser minimalistische Umgang mit Theorie bereits im Einleitungskapitel: „Zu den unzähligen Teilaspekten symbolischer Ordnungen findet sich eine Fülle von Literatur“. (S. 21) Zusammen mit dem „Anspruch, […] einen systematischen Überblick über die relevanten Fragen“ zu geben und „dabei doch wissenschaftlich im Sinne einer Expertise für das Allgemeine“ zu bleiben (S. 21), suggeriert dies, dass die bereits existierenden Theorien sich mit Details beschäftigen, sich ge­ge­be­nen­falls in diesen verlieren würden und Beetz einen ‚besseren Vorschlag‘ zu bieten habe.

Dieser Eindruck wird verstärkt, indem auf weitere Einschränkungen bereits existierender Theorien verwiesen wird, die sich mit einer bestimmten und damit eingeschränkten Perspektive der Thematik annehmen würden. Beispielhaft benennt Beetz die Tradition der Kritischen Theorie, die hinter jedem Symbol bzw. den symbolischen Ordnungen lediglich einen „ideologischen Überbau, als Mechanismus der Reproduktion von Machtverhältnissen“ vermute und damit – so wird impliziert – blind für viele andere Facetten des Symbolischen bleibe. Beetz Schlussfolgerung ist daher auch die mehr oder minder explizit geäußerte Forderung nach einer umfassenden, perspektivneutralen Symboltheorie, die aktuell noch ausstehe und von ihm vorbereitet würde. Allerdings ist auch Beetz bei Weitem nicht neutral. Vielmehr wird an vielen Stellen ein konsum- bzw. kulturkritischer Ton angeschlagen, und bestimmte Interpretationen von Symbolen und deren Ursprung erweisen sich als dominant bzw. perspektivisch. Beispiele für Beetz’ kritisch-wertende Perspektive sind etwa die Beschreibung der kleinkindlichen Spielpraxis als in „Events zerfallen“, „die anhand ihres Sensationscharakter[s] bewertet werden“ (S. 37) oder die Darstellung der „Authentizität von Liebe und Erotik“, die Beetz zu Folge „dahinschwand“ bzw. die Aussage, wegen der „kapitalistischen Vereinnahmung der sexuellen Symbolik“ sei „der spontane Zauber des Moments in den schmutzigen Schubladen der Kulturindustrie zu billigen Klischees“ zusammengeschmolzen (S. 109).

Exemplarisch für die einseitige Dominanz einer spezifischen Sichtweise ist das Kapitel „Vorzeigbarkeit, Verruchtheit, Tagträume“ (S. 95 ff.), in dem anekdotisch, ohne wirklichen Erkenntnismehrwert Beispiele rund um das Thema „Sexsymbole“ aneinandergereiht werden. Die Deutung dieser Sexsymbole erfolgt in einem der besagten Theorie-Memos unter dem Banner von „Symbol und Signifikanz“ unter Rückgriff auf die Psychoanalyse. Denn, so Beetz: „Jedes soziale Geschehen lässt sich psychoanalytisch lesen und hat schon deshalb immer auch einen symbolischen Charakter. Sein quasitheoretischer Gehalt bleibt indes latent […]. Auf diese Weise kann das Begehren unbemerkt transformiert und auf symbolische Ersatzobjekte wie Autos, Kunstwerke oder Hobbys umgelenkt werden.“ (S. 108). Bereits in diesem Kontext wird klar, dass Beetz Symbole auf die „Libido“ bzw. die bei der Geburt stattfindende Trennung zwischen Mutter und Kind sowie die damit einsetzende Sehnsucht nach Wiedervereinigung zurückführt. Während diese Argumentation für den Totemismus noch nachvollziehbar scheint, wenn Beetz postuliert, dass sich an diesem die „Transformation der libidinösen Symbolik in soziale Symbolik nachvollziehen“ ließe, weil „das Totem […] gemeinsames Muttersymbol und Gesellschaftssymbol in einem“ sei (S. 123), wird es mit der Verallgemeinerung fraglich. So scheint Beetz alle Symbole als „Ersatz für das verlorene pränatale Paradies“ und als Kompensation für den „Verlust der Mutter“ (S. 120) zu verstehen. Das heißt auch bei Beetz dominieren ein bestimmter Erklärungsversuch (Psychoanalyse) und die Annahme einer bestimmten Kausalstruktur (Geburt = Trennung = Symbolursprung, da Möglichkeit zur Überwindung der Trennung), so dass auch an der Allgemeingültigkeit seiner theoretischen Ableitungen gezweifelt werden kann.

In diesem Kontext sind auch die beiden letzten Kapitel zu lesen, die zusammen mit der Einleitung die empirische Blickrichtung auf das Phänomen „Symbol“ rahmen und von Beetz selbst als „akademische Stellungnahme“ (S. 167) verstanden werden wollen. In diese Kapiteln kann man auch als Soziologe auf seine Kosten kommen, obwohl die angeführten „Theorien, Disziplinen und Diskussionszusammenhänge“ (Philosophie, Ethnologie, Religionswissenschaft, Psychologie, Kunst unter anderem) in einer „kursorischen Betrachtung zusammenfassend“ dargestellt werden (S. 172). Die Schlusskapitel fassen nicht nur zusammen und heben auf eine allgemeinere Ebene, was in den vorherigen Kapiteln an konkreten empirischen Erscheinungen illustriert wurde, vielmehr werfen sie zentrale Fragen für die Beschäftigung mit Symbolen sowie Gesellschaften und anderen sozialen Phänomenen auf. Das heißt diese beiden Kapitel und hier geäußerte Überlegungen können für weitere Beschäftigungen mit Symbolen und soziologischen Fragestellungen fruchtbar gemacht werden. Dafür muss man sich nicht dem radikalen Schluss Beetz anschließen, dass „nur durch die Kraft der Symbole“ erklärt werden könne, „wie wir uns von der gesellschaftlichen Ordnung leiten lassen und dadurch die soziale Wirklichkeit selbst mitgestalten“. Aber sein Postulat, „immer spielen symbolische Muster eine zentrale Rolle“, kann durchaus als wichtiger Hinweis und Anknüpfungspunkt verstanden werden.

Erwartet man von „Kraft der Symbole“ also keine traditionelle wissenschaftliche Behandlung von Symbolen, rechnet man nicht mit eindeutigen Antworten zum Beispiel auf die Frage, was genau ein Symbol ist und dieses ausmacht, und erhofft man sich keine allgemeingültige oder vereinheitlichte Symboltheorie, sondern nähert man sich dem Buch als explorativem Startpunkt, versteht man es als Ausgangspunkt für Überlegungen, so kann Beetz durchaus „den Sinn für das Symbolische wecken“ (S. 11) und öffnet – auch dem Laien – die Augen, für die vielfältige Wirkungen des Sozialen im Alltag, die sich unter anderem in den verschiedenen Facetten des Symbolischen niederschlagen.

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