Titel
Black Prophetic Fire. In Dialogue with and Edited by Christa Buschendorf


Autor(en)
West, Cornel
Erschienen
Boston 2014: Beacon Press
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
$ 25.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Orban, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Cornel West gilt in den USA als einer der sicht- und hörbarsten öffentlichen Intellektuellen. Derzeit lehrt der streitbare Philosoph und Aktivist am Union Theological Seminary in New York City. Ungeachtet seiner Ivy League-Wissenschaftskarriere versteht er sich nicht als „Elfenbeintürmler“, sondern als aktiver Teilnehmer des öffentlichen Lebens. West ist ein organischer Intellektueller im Sinne Antonio Gramscis, der sich außeruniversitär einmischt und kritisch Partei ergreift, der für die Ermächtigung und Interessen unterprivilegierter Menschen eintritt und sich an Graswurzelbewegungen beteiligt. Stetig nutzt der engagierte Kulturarbeiter verfügbare Medienkanäle – Radio, Film, Fernsehen, Musik, Bücher und Essays –, um gesellschaftspolitisch zu partizipieren und intervenieren. Herausgestellt seien hier der Bestseller „Race Matters“ (1993), sein Auftritt als Councillor West in „The Matrix Reloaded“ (2003), das Spoken Word-Album „Never Forget: A Journey of Revelations“ (2007) und die gemeinsam mit Tavis Smiley unternommene „Poverty Tour“ durch die USA (2011). Wests charismatische Präsenz, sein multidisziplinär angereichertes Sendungsbewusstsein und eine zugängliche Sprache voller Pathos und Verve decken sich mit der Selbstbeschreibung als „revolutionary Christian“. Nachhaltig verkörpert er „Black Prophetic Fire“ und damit den Titel seines neusten Buches, das wie er selbst für inspirierenden Aktivismus und politische Dringlichkeit steht.

„Black Prophetic Fire“ ist demnach kein typischer Beitrag zur historischen Forschungsliteratur. Weder will es eine Forschungstradition bespielen, noch eine Forschungslücke schließen. Vielmehr richtet es sich als ein politisches Buch, als ein zeitgerechter „cri de coeur“, an ein breites, nicht ausschließlich US-amerikanisches Publikum. Dabei basiert der schmale Band auf einer Serie von sechs Zwiegesprächen, die West zwischen 2009 und 2013 mit der deutschen Amerikanistin Christa Buschendorf (Goethe-Universität in Frankfurt am Main) führte. Vor dem zeitgenössischen Hintergrund der Obama-Ära besprechen sie in ihren transatlantischen Dialogen sechs historische Akteure und Akteurinnen, die für sie die „Black Prophetic Tradition“ exemplarisch repräsentieren: Frederick Douglass, W. E. B. Du Bois, Martin Luther King Jr., Ella Baker, Malcolm X und Ida B. Wells. Allesamt forderten diese afroamerikanischen Persönlichkeiten, verbunden mit sozialen Bewegungen und Organisationen, die Unwucht der Machtverhältnisse und die verstetigten Ungerechtigkeiten der Sozialordnung couragiert heraus. Zweistimmig wird der Komplexität und Wandelbarkeit dieser teils überlebensgroßen Figuren in historischer Perspektive nachgespürt. Hierbei kommen aber nicht nur die Befähigungen, Verdienste, Defizite und Widersprüche der porträtierten „Black Prophetic Leaders“ kenntnisreich zur Sprache. Denn West und Buschendorf befragen selbige vor allem auch hinsichtlich ihrer Gegenwartsrelevanz. Somit denken und diskutieren sie politische Führerschaft, indem sie stets Bezüge zum neoliberalen, postdemokratischen Jetzt herstellen und insofern eine kritische Geschichte der Gegenwart schreiben. Ungeschönt verweisen sie auf die verfestigten Machtverhältnisse und fortdauernde massive soziale Ungleichheit in einer leistungs- und konsumorientierten Ich-Gesellschaft, in der sich zu viele Menschen dem Totalwettbewerb ergeben und entsolidarisieren. Hierzu fokussieren sie die prekäre Lebenswirklichkeit im schwarzen Amerika, das von sozioökonomischer und rassistischer Ungerechtigkeit unverhältnismäßig betroffen ist. West konstatiert: „With the Black middle class losing nearly 60 percent of its wealth, the Black working class devastated with stagnating wages and increasing prices, and the Black poor ravaged by massive unemployment, decrepit schools, indecent housing, and hyperincarceration in the new Jim Crow, the age of Obama looks bleak through the lens of the black prophetic tradition“ (S. 3).

Dem problematischen Zustand der US-Gesellschaft, der vielerorts herrschenden „desperation, confusion, and capitulation“ (S. 163), setzen West und Buschendorf das wiederzubelebende Korrektiv der „Black Prophetic Tradition“ entgegen. Diese steht für die Interessen und Gegenwehr unterprivilegierter, besonders armer schwarzer Menschen. Sie ist auf eine politische Selbstführung, kollektive Mobilisierung und das Organisieren sozialer Bewegungen ausgerichtet. Sie basiert auf „moral integrity, political consistency, and systemic analysis“ (S. 164) und zielt auf eine Vitalpolitik ab, die Solidarität, Gemeinsinn und Menschlichkeit generiert – „it has a universal message for all human beings concerned about justice and freedom“ (S. 164). Sie steht für ein inspirierendes und ermächtigendes Wir-Bewusstsein, für prophetische Stimmen und radikale Visionen, für eine offensive Systemkritik. Aktivist/inn/en wie Douglass, Du Bois, King, Baker, Malcolm X und Wells entfachten und verkörpern „Black Prophetic Fire“, diese basisbewegte Gegenkraft, die für einen grundlegenden Wandel eintritt – hin zu einer egalitären, gerechten Sozialordnung mit menschlichem Antlitz.

Wests und Buschendorfs politisches Anliegen besteht nun darin, in einer Gesellschaft der Angst und Debattenlosigkeit, die marginalisierte und als kraftlos wahrgenommene Widerstandstradition wieder zu befeuern. „The fundamental motivation for this book is to resurrect Black prophetic fire in our day – especially among the younger generation. I want to reinvigorate the Black prophetic tradition and to keep alive the memory of Black prophetic figures and movements“ (West, S. 2). Ihre dialogische Arbeit wird diesem ambitionierten Ziel insofern gerecht, als dass sie ihre Protagonist/inn/en als Menschen und politisch Handelnde ernst nehmen, kontextualisieren und historisieren sowie miteinander produktiv in Verbindung bringen. Es werden also keine individualistischen Heldengeschichten charismatischer Selfmademen und -frauen erzählt, sondern differenzierte und relationale Darstellungen präsentiert. So betrachten West und Buschendorf politische Führungsfiguren und soziale Bewegungen, Institutionen und Strukturen als untrennbar, sich wechselseitig bedingend und formend. Dadurch gelingt es ihnen, gesellschaftliche Möglichkeitsbedingungen auszuloten, die anti-hegemonialen Positionierungen der Aktivist/inn/en nachzuvollziehen und eine Annäherung an ihre Denk- und Handlungsweisen zu leisten. Zudem arbeiten sie deren politische Radikalität heraus und unterlaufen, wie etwa im Fall der „sanitized national icon“ Martin Luther King (S. 65), die einhegende und vereinfachende Erinnerungspolitik. Auf diese Weise wird dann auch die gesellschaftliche Wahrnehmung und Bedeutung der „Black Prophetic Leaders“ pluralisiert und ihre Gegenwartsrelevanz pointiert. Gewiss, Wissenschaftler/innen, die mit afroamerikanischer Geschichte und der langen Bürgerrechtsbewegung vertraut sind, offerieren die kurzweiligen und instruktiven (durch einen umfassenden Anmerkungsapparat verdichteten) Dialoge nur wenig neue Forschungserkenntnisse. Indes beeindruckt Wests und Buschendorfs Austausch durch ihr gekonntes Zusammenspiel, ihren grenzüberschreitenden und gegenwartsbezogenen Blick und ihre multidisziplinären Denkanstöße.

„Black Prophetic Fire“ besticht neben seiner intellektuellen Autonomie vor allem auch durch Wests erzählerische Radikalität. Anschaulich beschreibt und deutlich benennt er eine repressive Gesellschaftsordnung und menschenfeindliche Politik. Mit Nachdruck legt er offen, dass die Obama-Ära durch „Wallstreet crimes“, „imperial crimes“ und „social crimes“ gekennzeichnet ist (S. 163). Hinzu kommen zahlreiche Komplexe, die das fragile demokratische Experiment nachhaltig belasten: „the military-industrial complex, the corporatemedia multiplex, the prison-industrial complex, and the Wall Street oligarchic and plutocratic complex“ (S. 67). West attackiert das neoliberale US-Regime und prangert Militarismus, Materialismus, Rassismus und Armut vehement an. Obamas symbolpolitische Präsidentschaft, dessen charismatische, aber angepasste und vereinnahmte schwarze Präsenz diskreditiert er als ein Hemmnis für radikale Politik und die Problematisierung sozialer Missstände. Im Sinne der „Black Prophetic Tradition“ betont er: „This kind of clear and direct language is rare in political discourse precisely because we are accustomed to be so polite in the face of crimes against humanity“ (S. 163). Sicher, Wests herausfordernde Sprache und Systemkritik geht zuweilen mit inhaltlichen Komplexitätsreduzierungen einher. Gleichwohl kann sie durchaus als s/eine Stärke gelesen werden. Denn er bezieht politisch Stellung, er nimmt eine wertende Perspektive ein und versteckt sich nicht hinter einer objektiven Pose, abstrakten Konzepten oder mitunter sperrigen Theoretisierungen und Umschreibungen. Als organischer Intellektueller und „revolutionary Christian“ nimmt West sonach auch Wissenschaftler/innen ins Gebet, indem er anprangert „how cowardly, how deferential, how careerist, how narrow so many of our beloved colleagues in the academy can be“ (S. 62).

„Black Prophetic Fire“ ist ein dezidiert politischer und erfrischend unkonventioneller Beitrag. Es ist ein lesenswertes Geschichtsbuch, weil es eine ungeschönte, kritische Geschichte der Gegenwart zeichnet, der man/frau nicht ausnahmslos zustimmen muss. West polarisiert und provoziert, aber zugleich verkörpert und artikuliert er die einnehmende Hoffnung auf Menschenliebe und eine sozialcouragierte Lebensführung: „The deep hope shot through this dialogue is that Black prophetic fire never dies, that the Black prophetic tradition forever flourishes, and that a new wave of young brothers and sisters of all colors see and feel that it is a beautiful thing to be on fire for justice and that there is no greater joy than inspiring and empowering others – especially the least of these, the precious and priceless wretched of the earth!“ (S. 5)

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