O. Zumhagen: Religiöse Konflikte und kommunale Entwicklung

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Titel
Religiöse Konflikte und kommunale Entwicklung. Mailand, Cremona, Piacenza und Florenz zur Zeit der Pataria


Autor(en)
Zumhagen, Olaf
Reihe
Städteforschungen A 58
Erschienen
Köln 2002: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
259 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Irmgard Fees, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Einem spannenden Thema, nämlich dem Zusammenhang von Pataria und kommunaler Bewegung in Oberitalien, widmet sich die aus einer Münsteraner Dissertation hervorgegangene Studie von Olaf Zumhagen.

In einem Eingangskapitel, in dem er Gegenstand und Ziele seiner Untersuchung benennt, weist Zumhagen ausdrücklich darauf hin, dass er keine umfassende Darstellung der religiösen Konflikte im Oberitalien der Zeit beabsichtige, sondern in vergleichender Untersuchung den gemeinsamen Grundlinien der Konflikte vor allem in den Städten der Lombardei nachgehen wolle. Nach der Schilderung der allgemeinen politischen Ausgangssituation in Kapitel 2 (S. 8-25) wendet sich Zumhagen seinem eigentlichen Thema zu: Die Kapitel 3 und 4 behandeln die Mailänder Pataria; sie stellen vom Inhalt und mit rund 100 Seiten (S. 26-128) auch vom Umfang her den zentralen Teil des Buches dar. Im 5. Kapitel (S. 129-177) stehen die Pataria-Bewegungen in Alba, Brescia, Cremona und Piacenza im Mittelpunkt des Interesses, und Kapitel 6 (S. 178-202) untersucht die unter der Führung der Vallombrosaner stehende Florentiner Pataria-Bewegung. Nach einem Resümee der Ergebnisse (S. 203-206) beschließen ein imponierend umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 209-255) sowie ein Orts- und Personennamenindex (S. 256-259) den Band.

Die Ursachen der religiösen und sozialen Konflikte und die Beweggründe der beteiligten Parteien spielen in der Untersuchung Zumhagens allerdings nur am Rande eine Rolle; nicht zufällig erfolgt der Hinweis auf mögliche Zusammenhänge der Pataria mit der Gottesfriedensbewegung erst zum Schluss und ganz nebenbei in einer Anmerkung (S. 204 Anm. 4). Zentrales Anliegen Zumhagens ist es vielmehr, die Formen von Kommunikation und Konfliktbewältigung, den Umgang mit Öffentlichkeit und die Methoden zu analysieren, mit denen Personen und Gruppen versuchten, Interessen und Forderungen in der städtischen Gemeinschaft durchzusetzen. Nachgehen will er der Frage, ob und wie die in den Konflikten gewonnenen Erfahrungen die städtische Gemeinschaft beeinflussten, ob etwa „die Instrumentalisierung der Volksversammlungen durch die sich bekämpfenden Gruppen und die dabei gewonnenen Erfahrungen auf die Verfaßtheit der städtischen Gemeinschaft zurückwirkten“ (S. 5). Bereits zu Beginn formuliert er als These, dass die Pataria durch ihre Strategie und ihre intensive Nutzung der bereits vorgefundenen Formen städtischer Entscheidungsprozesse zum Vorreiter und zum Wegbereiter der Kommunebewegung geworden sei (S. 7).

Zu den wesentlichen neuen Ergebnissen gehört seiner eigenen Einschätzung zufolge denn auch, dass „die Jahre der Pataria nicht nur für Mailand ein entscheidender Beschleunigungsfaktor auf dem Weg zur Kommune“ gewesen seien (S. 203). In Mailand, Cremona und Piacenza sei frühkommunalen Organisationsformen im Kontext der Pataria eine neue zentrale Rolle zugewachsen; die Volksversammlungen dieser Städte seien als Diskussionsforen genutzt worden, und ihnen seien in der Folge neue Kompetenzen zugefallen, sie seien geradezu dazu gedrängt worden, Ordnungs- und Entscheidungsfunktionen wahrzunehmen (S. 205). Der öffentliche Disput erscheine in allen Quellen als das zentrale Instrument der Auseinandersetzungen und der Konfliktklärung (S. 203). Für Mailand, Cremona, Piacenza und auch für Florenz lasse sich nachweisen, „wie die in religiösen Konflikt verstrickten und gespaltenen städtischen Gemeinschaften [...] sich selbst und ihre Lebenswelt zu ordnen und gestalten suchten. Die Stellungnahme jedes einzelnen und vor allem der Stadtgemeinde in ihrer Gesamtheit wurde durch die patarenischen und vallombrosanischen Agitatoren ultimativ eingefordert“ - „zweifellos eine fundamentale Neuerung“ (S. 204).

Als weiteres wichtiges Ergebnis der vergleichenden Studien erscheint, dass die Parteiungen der untersuchten Städte im Kern vergleichbar seien: „Auf der Patarenerseite finden wir Angehörige aller Schichten, auf der Gegenseite, außer dem bedrängten Klerus und dem Bischof, einen Großteil der pars nobilium als erkennbare Gruppe“ (S. 204f.). – Die Unterschiede in der Entwicklung der verschiedenen untersuchten oberitalienischen Städte seien weitgehend auf die Führungspersonen zurückzuführen, da nämlich „Cremona, Piacenza, Brescia und Florenz keinen Erlembald hatten, der als Laie konsequent die Institutionen und Formen gemeinschaftlichen Beschließens nutzte“ (S. 205).

Es fällt nicht immer leicht, den Weg nachzuvollziehen, auf dem diese Erkenntnisse gewonnen werden. In vielen der eingangs gestellten Fragen erscheint das gewünschte und dann auch erzielte Ergebnis bereits vorformuliert, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die umfänglichen und umständlichen Ausführungen in den einzelnen Kapiteln mit ihren vielen Zitaten und Verweisen auf ältere und jüngere Forschungsliteratur nicht wirklich dem Gewinn neuer Erkenntnisse dienen; eine Auseinandersetzung mit den in breitem Maße herangezogenen Quellen über das Zitieren hinaus findet oft gar nicht statt, und es bleibt bei einem sehr vorsichtigen und vielfach unentschiedenen Abwägen der Forschungsmeinungen gegeneinander. Gerade durch den häufigen Rekurs auf die Quellen sowie die intensive und sehr detailreiche Heranziehung der umfangreichen Literatur zum Thema stellt Zumhagens Studie jedoch reiches Material für den gesamten von ihr untersuchten Themenkomplex bereit; nicht zuletzt liegt ihr Wert darin, dass in diese Untersuchung auch die Pataria-Bewegungen in den kleineren lombardischen Städten sowie die der Vallombrosaner in Florenz mit einbezogen werden.

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