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Titel
Kulturkatholizismus. Katholiken auf dem Weg in die deutsche Kultur 1900–1933


Autor(en)
Weiß, Otto
Erschienen
Regensburg 2014: Pustet
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin R. Menke, Department History and Political Science, Rivier University, Nashua, New Hampshire

Otto Weiß, Historiker am Historischen Institut der Redemptoristen in Rom, hat sich durch zahlreiche Veröffentlichungen zu den deutsch-italienischen Beziehungen und insbesondere zur Geschichte des deutschsprachigen Katholizismus ausgezeichnet. Der vorliegende Band weist Weiß als einen sachkundigen Kenner der katholischen Kultur im frühen 20. Jahrhundert aus. Dabei befasst der Autor sich, mit Ausnahme der „Rhein-Mainischen Volkszeitung“, weniger mit den Zeitungen des politischen Katholizismus und den Veröffentlichungen des „Volksvereins für das katholische Deutschland“, dafür ausgiebiger mit den Veröffentlichungen katholischer Intellektueller: mit dem „Hochland“, der „Schöneren Zukunft“, den „Stimmen aus Maria Laach“ sowie mit anderen Organisationen und publizistischen Organen der katholischen Eliten. Als Nachschlagewerk zu den bedeutendsten Veröffentlichungen des deutschen Katholizismus nach der Jahrhundertwende bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme ist das Buch nützlich – und mehr noch: Als Untersuchung der Eingliederung deutscher Katholiken in die „allgemeine Kultur“ Deutschlands bis in die Zwischenkriegszeit liefert es einen wertvollen Beitrag zur Erhellung der Umstände, wie spezifische konfessionell gebundene Wege „in die deutsche Kultur“ führen konnten.

Weiß zeichnet klar und deutlich den Zustand der katholischen Publizistik zur Jahrhundertwende nach. Nicht erst seit dem Kulturkampf betrachteten protestantische Deutsche „ihre“ Kultur als „die“ deutsche Kultur an sich. Dieser Anspruch ging über den einer heutigen „Leitkultur“ hinaus, da der Protestantismus den Wert der katholischen Kultur so gut wie verneinte. Katholiken, besonders ultramontane, betrachteten jedoch ihre Kultur als prinzipiell überlegen, da sie der „wahren Lehre“ entstamme. Soweit berichtet Weiß nichts überraschend Neues.

Einen neuen Beitrag zur Forschung liefert das Buch, indem es die zeitgenössischen innerkatholischen Gegensätze in den Blick rückt und analysiert. Weiß zeigt ausführlich, wie der Modernismusstreit noch jahrzehntelang nachhallte. Auf der einen Seite standen diejenigen, die versuchten, den Katholizismus zum ebenbürtigen Mitstreiter in einer immer pluralistischeren Welt zu machen, allen voran Karl Muth und das „Hochland“, aber auch Friedrich Dessauer und die „Rhein-Mainische Volkszeitung“. Auf der anderen Seite standen Richard Kralik und die anderen Autoren der in Wien erscheinenden „Schöneren Zukunft“ sowie die von den Jesuiten herausgegebenen „Stimmen der Zeit“. Diese bemühten sich um ein geschlossenes katholisches Milieu, das sich weigerte, der modernen und andersgläubigen Umwelt positive Aspekte abzugewinnen.

Außer mit den auflagenstärksten Zeitschriften befasst sich Weiß auch mit Gruppen, die vom Einfluss her eher am Rande standen, so zum Beispiel mit dem katholischen Akademikerverband, dem „Quickborn“, den katholischen Pazifisten und auch dem Romanisten und Fürsprecher der abendländischen Idee, Hermann Platz. Hier fasst Weiß umsichtig die Forschung der letzten Jahrzehnte zusammen, sodass man in den entsprechenden Kapiteln und Unterkapiteln eine hilfreiche Einführung zu den einzelnen Bewegungen und Organisationen findet. Da aber Weiß diese Gruppen gemäß seiner Fragestellung im Hinblick auf die internen Auseinandersetzungen im deutschen Katholizismus untersucht, ist es manchmal schwierig nachzuvollziehen, wie einflussreich diese einzelnen Gruppen in der Kultur ihrer Zeit wirklich waren.

Die beste Vergleichsfolie zu diesem Band bildet das Buch „Catholicism, Popular Culture, and the Arts in Germany, 1880–1933“ der amerikanischen Historikerin Margaret Stieg Dalton.1 Obwohl Weiß den Verdienst Stieg Daltons anerkennt, hätte er bemerken können, dass die Autorin sich mehr mit dem Kulturleben der weniger gebildeten Arbeiter befasst hat als mit dem der intellektuellen Eliten, die an den innerkatholischen intellektuellen Auseinandersetzungen teilnahmen. Zum Beispiel weist Stieg Dalton auf die Bedeutung moderner Medien, etwa des Films, hin und zeigt, dass vor dem Ersten Weltkrieg der „Volksverein“ den größten Verleih deutschsprachiger Filme betrieb. Stieg Dalton legt dar, dass viele Katholiken sich weniger mit „Hochland“ und „Schönerer Zukunft“ befassten als mit Kriminal- und Liebesromanen. Für Dalton entspricht der kirchliche Versuch, das katholische Milieu auch im kulturellen Bereich zu durchdringen, den modernen Konsumansprüchen vieler Katholiken.

Weiß analysiert die Entwicklung im deutschen Kulturkatholizismus der 1920er-Jahre mit Blick auf das intellektuelle Milieu der katholischen Jugendbewegung und des katholischen Akademikerverbandes sowie auf das intellektuelle Niveau der bereits erwähnten Zeitschriften. Außerdem betrachtet er die Weimarer Zeit eher im Hinblick auf die nationalsozialistische Machtergreifung. Er weist darauf hin, dass diejenigen, die sich für eine rein katholische Kultur aussprachen, den Blendungen und Versprechungen des Nationalsozialismus erlagen und die „neue Zeit“ begrüßten, wie jedoch bereits aus der Forschungsliteratur seit den 1960er-Jahren bekannt ist.2 Diejenigen, die sich um eine erfolgreiche Integration in die deutsche Kultur als gleichwertige Ideenträger bemühten, waren im Schnitt viel kritischer gegenüber dem Nationalsozialismus eingestellt. Auch wenn zum Beispiel das „Hochland“ vielem in der Weimarer Republik und besonders der republikanisch-demokratischen Ordnung kritisch gegenüberstand, lehnte die Zeitschrift (wie auch katholische Tageszeitungen) den Nationalsozialismus kategorisch ab. Diese Ironie streicht Weiß trefflich heraus, wenn er feststellt, dass diejenigen, die sich für eine Integration in die moderne Welt einsetzten, am Ende die stärksten Verteidiger katholischer Glaubenswerte waren.

Mit einem solchen Blick auf den Übergang in die Zeit des Nationalsozialismus trägt Weiß sehr zu einem Forschungsansatz bei, der den 30. Januar 1933 nicht so sehr als Zäsur und Endpunkt des alten und Beginn des Neuen sieht, sondern vielmehr danach fragt, mit welchem Gedankengut und mit welcher Weltanschauung verschiedene Gruppen in das „Dritte Reich“ gegangen sind. Wenn man zum Beispiel an das fatale Votum der Zentrumsfraktion zum sogenannten Ermächtigungsgesetz denkt, muss man zugeben, dass die meisten Fraktionsmitglieder intellektuell-kulturell bewandert waren und nationalsozialistisches Gedankengut ablehnten. Das heißt, dass sie trotz ihres Votums zum Großteil eher der vom „Hochland“ vertretenen Richtung angehörten als derjenigen, die sich mit der Idee des nationalsozialistischen „neuen Reiches“ anfreundete.

Man muss anerkennen, dass Weiß wohl nahezu alle katholischen Veröffentlichungen der Zeit gesichtet und sich auch mit der intellektuellen und wissenschaftlichen Literatur der Zeit auseinandergesetzt hat. Dies erklärt auch, warum im Quellenverzeichnis nur fünf Archive genannt werden. Das eine ist das Archiv der Glaubenskongregation in Rom, in den anderen vier befinden sich Nachlässe von Karl Muth, Friedrich Dessauer und Friedrich Fuchs (S. 287). Angesichts der seitenlangen Nachweise der zeitgenössischen Veröffentlichungen ist der geringe Anteil archivalischer Quellen zu verschmerzen. Weniger hilfreich ist die Praxis von Weiß, Werke, die nur einmal in den Anmerkungen erscheinen, nicht auch im Literaturverzeichnis zu erwähnen. Und da der Verlag sich für Endnoten anstelle von Fußnoten entschieden hat, hat der Leser, der das ein oder andere genau wissen möchte, bisweilen leider einiges zu blättern.

Etwas irreführend ist außerdem die Gliederung des Buches. Weiß gliedert es in neun Hauptkapitel mit bis zu sieben Unterkapiteln. So fallen etwa solche, die sich mit weniger bekannten Zeitschriften oder Organisationen befassen, recht knapp aus gegenüber den Kapiteln, in denen Weiß seine Hauptargumente entwickelt. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass für viele der Organisationen und manche der Zeitschriften schon Einzelveröffentlichungen vorliegen, die Weiß im Sinne seiner Fragestellung auslegt. Überdies trägt die Untersuchung dieser Organisationen wohl nur am Rande zur Klärung seines Forschungsgegenstandes bei.3

Insgesamt ist Weiß’ Buch jedoch eine nützliche Einführung in die internen Auseinandersetzungen des deutschen Kulturkatholizismus, indem es nicht nur einen Überblick der Akteure, sondern auch der zeitgenössischen inneren Gegensätze in der Gedankenwelt deutscher Katholiken dieser Zeit bietet.

Anmerkungen:
1 Margaret Stieg Dalton, Catholicism, Popular Culture, and the Arts in Germany, 1880–1933, Notre Dame 2005.
2 Klaus Breuning, Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929–1934), München 1969.
3 Zum Friedensbund Deutscher Katholiken siehe Dieter Riesenberger, Die katholische Friedensbewegung in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1976; sowie Konrad Breitenborn, Der Friedensbund Deutscher Katholiken, 1918/19–1951, Berlin-Ost 1981. Zum „Quickborn“ und zu den anderen katholischen Jugendbewegungen siehe Wolfgang R. Krabbe (Hrsg.), Politische Jugend in der Weimarer Republik, Bochum 1993. Zu den katholischen Zeitungen Bernhard Fulda, Press and Politics in the Weimar Republic, Oxford 2009.

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