S. Gerber: Küche, Kühlschrank, Kilowatt

Cover
Titel
Küche, Kühlschrank, Kilowatt. Zur Geschichte des privaten Energiekonsums in Deutschland 1945–1990


Autor(en)
Gerber, Sophie
Reihe
Histoire 72
Anzahl Seiten
353 S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Fengler, Wien

Seit die Regierung Merkel im Sommer 2011 die Energiewende und den Ausstieg aus der Kernenergiegewinnung zur Chefsache gemacht hat, wird in Deutschland wieder intensiver über den nachhaltigen Umgang mit endlichen fossilen Brennstoffen diskutiert. Viele Bundesbürger stehen dem Energiesparen prinzipiell aufgeschlossen gegenüber. Doch nur wenige sind tatsächlich bereit, ihr eigenes Konsumverhalten kritisch zu überdenken und mit Strom sparsam umzugehen. Dieses widersprüchliche Verhalten ist – folgt man den Argumenten Sophie Gerbers – Ergebnis einer Entwicklung, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Ausgang nahm und die letztlich in der postindustriellen „Hochenergiegesellschaft“ mündete. Deren Hunger nach Strom ist bis heute ungebrochen.

Sophie Gerbers 2013 an der TU München angenommene Dissertation, die nun leicht überarbeitet in monographischer Form vorliegt, geht der Frage nach, wie die wachsende Abhängigkeit westdeutscher Privathaushalte von Elektrizität historisch entstehen konnte. Und sie will zeigen, warum gerade die Haushalte neben der Industrie zum bedeutendsten Energiekonsumenten avancierten. Ihre Studie steht in der Tradition einer interdisziplinären Frauen- und Geschlechtergeschichte, die auf technikhistorische Themen ein besonderes Augenmerk legt. Der (hoch-)technisierte Haushalt des 20. Jahrhunderts spielt in dem von der Historikerin Karin Hausen initiierten Forschungsfeld eine bedeutende Rolle und ist dementsprechend intensiv beforscht worden.1 Auch in der hier zu besprechenden Monographie nimmt die technische Ausstattung der Küche einen breiten Raum ein. Sie bildet einen entscheidenden Faktor in der fundierten, quellengesättigten Analyse des Strom- und Energieverbrauchs bundesdeutscher Haushalte nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur politischen Wende 1989.

Die wachsende Abhängigkeit der Privathaushalte von Strom wird mittels eines akteurzentrierten Ansatzes analysiert. Konsumenten, Energieversorger, Gerätehersteller und die Politik wirkten gleichermaßen an der „Koalition der Verschwender“ mit, in der technische, wirtschaftliche, politische und kulturelle Werte und Entscheidungen ineinander griffen und sich gegenseitig verstärkten. Im Sinne ihrer multiperspektivischen Analyse zieht Sophie Gerber eine Vielzahl von Quellen zu Rate, darunter neben Ego-Dokumenten auch Fachzeitschriften, Statistiken, Presseartikel, politische Memoranden bis hin zu technischen Konsumobjekten, die im Haushalt zum Einsatz kamen.

Ihre Monographie gliedert sich in vier chronologische, jeweils eine Dekade umfassende Kapitel. Jedem Kapitel ist die kurze „biographische“ Studie eines elektronischen Haushaltsgerätes vorangestellt. Sie soll illustrieren, wie sich private Haushalte technische Artefakte zu verschiedenen Zeiten aneigneten. Dass Energiemangel in einer Perspektive der longue durée seit dem 18. Jahrhundert die Regel und die Verschwendung von Energie die Ausnahme war, macht ein historischer Überblick deutlich, der den vier Großkapiteln vorangestellt ist. Ein statistisches Kapitel schlüsselt den Energieverbrauch der privaten Haushalte über den Untersuchungszeitraum hinweg auf. Es belegt deren wachsende Bedeutung als Stromnachfrager und die immer umfangreichere Ausstattung mit technischen Geräten aller Art.

Bevor Elektrizitätswirtschaft, Gerätebauer und Politik die privaten Haushalte in den 1950er-Jahren als relevante wirtschaftliche Größe erkannten und den voll elektrifizierten Haushalt als Ausdruck des gelungenen Wirtschaftswunders priesen, waren bundesdeutsche Konsumentinnen und Konsumenten sparsam im Umgang mit elektrischer Energie. Zwar hatten Gerätehersteller und Stromerzeuger schon in den 1930er-Jahren der Energieverschwendung das Wort geredet. Doch bevor in den 1950er-Jahren der gesamtwirtschaftliche Umstieg von Kohle auf Öl als Primärenergieträger erfolgte, war Energie schlicht nicht im nötigen Ausmaß verfügbar. Prognosen der Anbieter konnten die steigende Nachfrage nach energiefressenden Geräten lediglich antizipieren. Die Situation änderte sich in den 1960er-Jahren grundlegend: Die von starkem Stromverbrauch geprägte „Hochenergiegesellschaft“ entstand. Sinkende Strompreise, eine stetig wachsende Auswahl von Haushaltsgeräten, ein größeres verfügbares Haushaltseinkommen, die wachsende Frauenerwerbstätigkeit und die zunehmende Größe der Wohnungen befeuerten die Nachfrage nach Strom und brachten die bundesdeutschen Haushalte in immer stärkere Abhängigkeit vom hohen Energieverbrauch.

Die historische Ausnahmesituation, in der Strom scheinbar unbegrenzt vorhanden war und ohne schlechtes Gewissen konsumiert werden konnte, geriet bereits Ende der 1960er-Jahre in die Krise: Prognosen über den künftigen Stromverbrauch sowie die harte Konkurrenz der Gasversorger stellten das Modell erstmals in Frage. Doch hatte sich die Hochenergiegesellschaft als reale Lebens- und Konsumwelt in der Bundesrepublik, und auch in vielen anderen westlichen Ländern, bereits etabliert. Die Ölpreiskrisen der 1970er-Jahre brachten die Endlichkeit fossiler Energieträger wieder in das öffentliche Bewusstsein zurück. Während die Politik versuchte, Anreize zum Energiesparen zu setzen, suchten die Energieversorger unverdrossen den Stromabsatz zu fördern. An der Energieverschwendung der bundesdeutschen Bevölkerung änderte sich kaum etwas. Veränderungen gab es lediglich in der Bewertung des hohen Energiekonsums. Er wurde nun weniger als Fortschrittsindikator denn als Verschwendung begriffen. Auch dank der wachstumskritischen Umweltbewegung sahen die Verbraucher das Energiesparen zunehmend als erstrebenswerte Tugend an.

Die „Koalition der Verschwender“ wirkte gleichwohl in die 1980er-Jahre fort. Energieversorger und Gerätehersteller bewarben den Stromabsatz und boten immer neue, energiesparendere Geräte an. Die Politik blieb halbherzig. Kernenergie galt auch nach dem Super-GAU von Tschernobyl als unverzichtbar, erneuerbare Energien erhielten kaum Förderungen, und Energiefragen wurden in der Umweltpolitik eher nachrangig behandelt. Paradoxerweise entwickelten die Verbraucher zugleich ein immer stärkeres Umwelt- und Energiebewusstsein, das sich allerdings nicht in einem veränderten Konsumverhalten niederschlug. In dem Maße, wie sich Lebens- und Konsumstile individualisierten, stieg die Zahl der stromverbrauchenden Geräte pro Haushalt. Rebound-Effekte, welche die potenzielle Stromersparnis infolge verbesserter Energieeffizienz durch eine insgesamt steigende Nachfrage nach preisgünstigeren Elektrogeräten überkompensierten, und versteckte Anreize durch das Stromtarifsystem, das den hohen Energieverbrauch belohnte, ließen die Stromnachfrage weiter wachsen.

Sophie Gerbers Monographie ist trotz des potenziell eher trockenen Inhalts hervorragend strukturiert und angenehm zu lesen. Zwar sind viele Einzelinformationen für sich genommen nicht neu, doch der multiperspektivische Blick auf die wechselnden Koalitionen unterschiedlicher Akteure bietet einen bedeutenden Mehrwert. Er zeigt, dass es des Zusammenwirkens vieler bedurfte, um einen stetigen Anstieg des Stromverbrauchs in bundesdeutschen Haushalten zu bewirken. Der starke und durchaus begrüßenswerte Fokus auf die Konsumentenseite wirft nach Ansicht der Rezensentin allerdings ein unzureichendes Licht auf die unternehmerischen beziehungsweise wirtschaftspolitischen Motive von Energieversorgern und Politik, der Energieverschwendung das Wort zu reden. So werden der grundlegende gesamtwirtschaftliche Übergang vom Energieträger Kohle zu Öl in den 1950er-Jahren und der parallel laufende Einstieg in die zivile Kernenergiegewinnung zwar erwähnt. Ihre vermutlich weit reichenden Implikationen für die Persistenz der „Koalition der Verschwender“ werden aber nicht in dem Maße reflektiert, wie man es sich wünscht. Bezeichnenderweise scheint die einschlägige wirtschaftshistorische Literatur zum Thema im Literaturverzeichnis nicht auf.2

Ungeachtet dieses Einwandes sei die Monographie all denjenigen zur Lektüre wärmstens empfohlen, die sich für eine konsumhistorisch informierte Technikgeschichte der Bundesrepublik interessieren. Zugleich ist sie ein wertvoller Ausgangspunkt für weiterführende, international vergleichende Analysen postindustrieller Energieverschwendungsszenarien, die viele Länder dieser Welt bis heute prägen.

Anmerkungen:
1 Karin Hausen, Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 2012.
2 Vgl. zum Beispiel Dieter Ziegler (Hrsg.), Rohstoffgewinnung im Strukturwandel. Der deutsche Bergbau im 20. Jahrhundert, Münster 2013. Siehe auch Raymond Stokes, Opting for Oil. The Political Economy of Technological Change in the West German Chemical Industry, 1945–1961, Cambridge 2006.

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