S. Gorißen u.a. (Hrsg.): Geschichte des Bergischen Landes Bd. 1

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Titel
Geschichte des Bergischen Landes. Band 1: Bis zum Ende des Herzogtums 1806


Herausgeber
Gorißen, Stefan; Sassin, Horst; Wesoly, Kurt
Reihe
Bergische Forschungen 31
Erschienen
Anzahl Seiten
768 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilfried Reininghaus, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen

Für landesgeschichtliche Überblicksdarstellungen im Handbuchformat gibt es gegenwärtig mehrere Formate, um die beschriebenen Räume zu vermessen. Zum einen wird an den Zuschnitt der heutigen Bundesländer angeknüpft. Hierfür ist die 2012 erschienene dreibändige Geschichte von Rheinland-Pfalz ein aktuelles Beispiel.1 Zum anderen werden Räume unterhalb des Landesebene gewählt. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen gibt es hierbei mindestens drei Varianten. Die erste zielt auf die Teilgebiete des 1946/47 von den Briten gebildeten Landes, also auf die ehemaligen preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen sowie auf Lippe. Eine neue lippische Geschichte ist derzeit im Entstehen. Die zweite Variante orientiert sich an den Territorien des Alten Reiches. Die zweibändige Geschichte des Herzogtums Westfalen, 2009 und 2012 erschienen, greift dabei über 1806 bis in die Gegenwart aus.2 Darstellungen zum Ruhrgebiet repräsentieren eine dritte Variante, weil sie sich nicht an Verwaltungsgrenzen anlehnen, sondern an der industriell induzierten Genese dieses Raums, die diese Grenzen überschritt.

Die beschriebenen Varianten helfen bei der Einordnung der hier anzuzeigenden „Geschichte des Bergischen Landes“. Wie sie in der Einleitung schreiben, wollen die Herausgeber bewusst nicht die Geschichte eines Territoriums oder einer Dynastie darstellen, sondern einen Raum (S. 21). Freilich ist dieser geographisch nicht eindeutig zu fassen, denn als Teilgebiet des Rheinisch-Westfälischen Schiefergebirges ist das Bergische Land vom Sauer- und Siegerland nicht eindeutig zu unterscheiden. Grob orientiert sich der beschriebene Raum am Rhein als Westgrenze sowie an seinen Nebenflüssen Sieg und Ruhr als südlicher und nördlicher Grenze. Die Herausgeber haben den Autoren jedoch zugestanden, für ihre Darstellungen je eigene Raumbegriffe zu verwenden. Der erste, hier vorliegende Band lehnt sich vergleichsweise eng an das Gebiet des Herzogtums Berg (seit 1384) an. Für den zweiten Band wird prognostiziert, dass sich Großstädte wie Düsseldorf, Leverkusen und Mülheim (Ruhr) sich nur noch bedingt zum Bergischen Land zählen lassen.

Eine Klammer lässt sich extern nicht auf den ersten Blick erschließen. Denn der Bergische Geschichtsverein (BGV) hatte bei seiner Gründung 1863 das Herzogtum (sowie die mit ihm zeitweilig dynastisch verbundenen Herzogtümer Jülich und Kleve) im Blick. Die Wissenschaftliche Kommission des BGV zeichnet daher auch verantwortlich für dieses Werk, das sich messen lassen muss mit zwei Vorgängern. Die 1895 erstmals erschienene „Geschichte des Bergischen Landes“ aus der Feder des Remscheider Volksschullehrers Bernhard Schönneshöfer war für Schüler und ein Laienpublikum bestimmt. Die 1958 vom BGV initiierte „Bergische Geschichte“ konzentrierte sich auf Wirtschafts- und Kulturgeschichte und war konfessionell protestantisch geprägt. Ein neuer Anlauf zu einer Geschichte des Bergischen Landes erschien auch deshalb sinnvoll, weil die vielen seit 1958 erschienenen Orts- und Regionalgeschichten auf eine Zusammenfassung warteten.

Das Werk des Jahres 2014, ein Geschenk des BGV an seine Mitglieder anlässlich seines 150jährigen Bestehens, richtet sich wie die beiden Vorgängerbände an ein geschichtlich interessiertes Laienpublikum, aber auch an die Wissenschaft, ist also mit Fußnoten und mit Abbildungen ausgestattet. Die innere Gliederung kennt drei „Beitragsformate“. Drei längere Überblicksdarstellungen behandeln das Bergische Land vom frühen Mittelalter bis 1806. Mittleren Umfang haben sektorale Zugriffe, die aufgelockert werden durch kürzere Beiträge zu „bergischen Spezialitäten“. Die Verfasser der drei Überblicke standen aufgrund der Vorgaben der Herausgeber vor der Notwendigkeit, ihren Gegenstand jeweils einzeln räumlich abzugrenzen. Wilhelm Janssen richtet seinen Beitrag zum Mittelalter pragmatisch auf das Territorium des 18. Jahrhunderts aus. Er kann ihn sinnvoll in die Zeit vor und nach 1348 unterteilen, als ein Dynastiewechsel eintrat und Wilhelm V. von Jülich (gest. 1361) Graf von Berg wurde. Steht im ersten Teil der Blick auf die Entstehung des Territoriums im Vordergrund, so beschreibt der zweite Teil die Herrschaft des Hauses Jülich, inklusive der Verwaltung vor Ort und der Finanzen. Wirtschaftliche Strukturen lassen sich für das 14. und 15. Jahrhundert gut herausarbeiten, bevor kirchliches und religiöses Leben sowie die Kirchenpolitik einen gleitenden Übergang in das 16. Jahrhundert erlauben. Janssen wählt als Zäsur das Jahr 1511, als das Haus Jülich im Mannesstamm ausstarb und sich damit die Erbunion zwischen Jülich-Berg (mit Ravensberg) und Kleve-Mark anbahnte.

Diesen Zusammenschluss thematisiert Stefan Ehrenpreis im Beitrag zum 16. Jahrhundert, der sich der Aufgabe stellen muss, das Bergische im Territorienverbund herauszuarbeiten. Ehrenpreis konzentriert sich auf die politische Geschichte, die in jener Zeit zu einem erheblichen Teil Religionspolitik war. Die Zäsur 1609 mit dem Erbfolgestreit liegt nahe. Klaus Müller bildet für die Zeit von 1609 bis 1806 drei Unterabschnitte. Den ersten lässt er mit dem kinderlosen Tod Kurfürst Johann Wilhelms 1716 enden, weil die Nachfolger ihren Sitz in die pfälzischen Gebiete verlagerten. Den dritten Unterabschnitt begründet Müller nicht dynastiegeschichtlich, sondern mit der Französischen Revolution von 1789, die massiv auf das Bergische Land einwirkte. Auch Müller stellt die politische Geschichte in den Vordergrund, gibt aber der Kunst- und Kulturgeschichte mit Betonung der sakralen und profanen Architektur den gebührenden Platz. Janssen, Ehrenpreis und Müller bewältigen ihren Stoff souverän und schreiben zugleich verständlich, wie erwünscht.

Einige der sektoralen Zugriffe erzeugen Dopplungen, weil die behandelten Themen bereits kurz in den Überblicksdarstellungen vorkommen, doch insgesamt überwiegt ihr innovatives Potential. Joachim Oepen verneint die Frage nach einer eigenständigen bergischen Klosterlandschaft, identifiziert aber Heisterbach, Altenberg, Siegburg und Gerresheim als typische Abtei- und Stiftsstädte. Thomas Lux behandelt die Agrargeschichte unter rechtlichen und ökonomischen Aspekten und lässt selbst die Imkerei nicht aus. Sein Beitrag verdient umso mehr Respekt, als in den meisten regionalgeschichtlichen Handbüchern die Landwirtschaft trotz ihres hohen Stellenwerts zu kurz behandelt wird. Stefan Gorißen skizziert das Gewerbe im Herzogtum Berg zwischen Spätmittelalter und 1806 nach Standorten und Sektoren. Er hält das zeitgenössische Lob für angemessen und beschreibt den Raum als „eine bemerkenswert fortgeschrittene, arbeitsteilig hochgradig verflochtene und tiefgreifend durch „kommerzialisierte Formen des Austauschs geprägte Region“ (S. 458). Rainer Walz behandelt Adel und Honoratioren im Rahmen der Landstände, Claus Bernet beschreibt die Spielarten des bergischen Pietismus. Kurt Wesoly klassifiziert die Schulen im Bergischen Land und dokumentiert den hohen Bildungsgrad der Bevölkerung eindrucksvoll.

Georg Cornelissens Beitrag über Sprachräume ist mit seinen vielen Detailbeispielen eine hoch willkommene Ergänzung zu den rein geschichtswissenschaftlichen Ansätzen und nicht zuletzt deswegen wichtig, weil die Benrather Linie quer durch den Untersuchungsraum verläuft. Die „Spezialitäten“ gelten dem Altenberger Dom, dem Heiligen Engelbert von Berg, dem Humanisten Konrad Heresbach, dem populären Kurfürsten Jan Wellem und Johann Heinrich Jung-Stilling, der 14 seiner 77 Lebensjahre in Elberfeld zubrachte. Ob diese Einschübe wirklich nötig gewesen sind, bezweifelt der Rezensent. Sie lockern den Gesamtband aber ebenso auf wie die zahlreichen, meist farbigen Abbildungen, Karten, Tabelle und Diagramme, die oft erklärenden Wert haben. Das Gesamtfazit fällt eindeutig positiv aus: Das Bergische Land besitzt nunmehr eine moderne Geschichte, die nach innen sicher der Selbstvergewisserung dient und die nach außen die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Region als lohnend erscheinen lässt. Viel mehr kann eine landesgeschichtliche Überblicksdarstellung, in welchem Format auch immer, kaum erreichen.

Anmerkungen:
1 Kreuz-Rad-Löwe. Rheinland-Pfalz und seine Geschichte, 3 Bde., Mainz 2012.
2 Harm Klueting (Hrsg.), Das Herzogtum Westfalen, 2 Bde., Münster 2009/2012.

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