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Titel
Plucked. A History of Hair Removal


Autor(en)
Herzig, Rebecca M.
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 30,23
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Imke Schmincke, Institut für Soziologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Haare sind weder reine Privatsache noch allein Ausdruck modischer Trends oder sozialer Normen. Wie es dazu kam, dass sich Frauen und zunehmend auch Männer in den USA Haare an Beinen, Armen, unter Achseln und im Intimbereich entfernen, zeichnet Rebecca Herzig in „Plucked“ auf anschauliche Weise nach. Mit der vorliegenden Monographie eröffnet sie einen dezidiert kulturhistorischen Blick auf die Praxis der Haarentfernung und schreibt damit auch eine spezifisch nordamerikanische Geschichte der Vermittlung von kulturellen Praktiken mit politischen Entwicklungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen, industriellen Produktions- und Kommerzialisierungsweisen. Haare bilden den Schauplatz politischer, sozialer, wissenschaftlicher und ökonomischer Auseinandersetzung. Haare dienen als Medium, mittels dessen soziale Grenzziehungen kommuniziert, berührt und herausgefordert werden. Sie sind Gegenstand politischer Ausgrenzung und persönlicher Selbstoptimierung.

In neun Kapiteln beschreibt Herzig einen Zeitraum von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Thomas Jefferson vermutete 1785 hinter der fehlenden Körperbehaarung der „Indianer“ eine heimliche Praxis der Haarentfernung, andere eine andersartige körperliche Veranlagung. An der Frage vieler europäischstämmiger Amerikaner/innen, ob die differente Körperbehaarung der Native Americans kulturellen oder natürlichen Ursprungs sei, hing die Entscheidung, ob diese als gleiche oder andere, als in die politische Ordnung zu integrierende oder aus dieser zu exkludierende zu behandeln waren. Mit und in diesen Debatten setzte sich die Bedeutung von Haaren als Klassifikationskriterium für unterschiedliche ‚Rassen‘ oder Menschengruppen durch.

Auch wenn bei europäischstämmigen Amerikaner/innen Körperbehaarung zu jener Zeit offenbar ‚normal‘ war, existierten bereits Hausmittel zur Entfernung missliebiger Haare. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die zunehmend industriell organisierte Produktion von Körperpflege- und auch Depilationsmitteln – vor allem für Frauen. Verschiedene Enthaarungscremes kamen auf den Markt und wurden mit orientalisierenden Zuschreibungen beworben und erfolgreich vermarktet. Parallel dazu veränderte sich der Deutungsrahmen von Körperbehaarung durch evolutionsbiologisches Wissen, zentral durch Charles Darwins 1871 erschienenes Werk „Descent of Man“. Körperbehaarung wurde nun zunehmend zum Gradmesser der Trennung zwischen Mensch und Tier bzw. des Entwicklungsniveaus. ‚Übermäßiger‘ Haarwuchs wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts medikalisiert und als Indiz für Devianz gedeutet, für kriminelle Veranlagung, Geisteskrankheit und sexuelle ‚Abweichung‘. Haare dienten der Geschlechtsdifferenzierung, sie markierten als sekundäre Geschlechtsmerkmale die Zuordnung in das binäre Klassifikationssystem bzw. die Abweichung von der Norm. Insbesondere die weibliche Körperbehaarung sollte Gegenstand medizinischer Abhandlungen werden. Das mit Anfang des 20. Jahrhunderts stark anwachsende gesellschaftliche Unbehagen an (weiblicher) Körper- und vor allem Gesichtsbehaarung hatte viele Gründe: Ein verändertes Modeverhalten, das mehr Haut bloßlegte, sowie veränderte Geschlechterbilder und rassifizierte Vorstellungen von Hygiene trugen dazu bei, dass weitere Epilationsverfahren wie die Elektroepilation durch Elektrolyse und Röntgenstrahlen entwickelt wurden. Herzig verdeutlicht, wie sehr die Um- und Durchsetzung dieser Verfahren von Legitimationsbemühungen der involvierten Wissenschaften geprägt war und wie stark an dieser die Grenze zwischen Medizin und Kosmetik verhandelt und neu vermessen wurde. Mit Verweis auf Werbeanzeigen aus jener Zeit, interpretiert sie die verstärkte Nachfrage junger zumeist erwerbstätiger Frauen in den 1920er- bis 1940er-Jahren als Wunsch nach sozialem Aufstieg.

In medizinischer Hinsicht warf in den 1930er-Jahren die Entdeckung von Keimdrüsen und Hormonen ein neues Licht auf unliebsamen Haarwuchs und dessen Behandlungsmöglichkeiten. Wie auch in den vorhergehenden Wellen zur Medikalisierung von Körperbehaarung gab es keine klaren Kriterien, die ‚normalen‘ von ‚pathologischem’ Haarwuchs eindeutig unterscheiden ließen. Zusammen mit der Erfindung weniger schmerzhafter Rasiertechniken durch neue Klingen (für Männer wie Frauen) und der allmählichen Etablierung privater Badezimmer trat das Rasieren der Beine und anderer Körperpartien ab den 1940er-Jahren endgültig seinen Siegeszug an. Im Jahre 1964 gaben 98 % der befragten Frauen an, dass sie ihre Beine rasierten.

Diese Norm zu kritisieren war eines der Anliegen der zweiten Welle des Feminismus, die ihren Kampf allgemein stark entlang Fragen körperlicher und sexueller Selbstbestimmung orientierte. Aber auch andere Bewegungen der 1960er-Jahre hatten bereits das Thema Haare erfolgreich politisiert, die Black-Power-Bewegung ebenso wie die Hippie- und Anti-Vietnam Bewegung. Jedoch vor allem die Frauenbewegung wurde – häufig diskreditierend – mit Körperbehaarung verbunden: „Women’s hairy underarms and shins were transformed into badges of political consciousness, and the ‚hairy feminist’ into an enduring cultural icon.“ (S. 119) Die Frauenbewegung erreichte mit ihrem Kampf um die Kontrolle des eigenen Körpers, dass sich Körpernormen weiter individualisierten. Das Rasieren konnte nun als Empowerment, als selbstgewählte Strategie der persönlichen Körperaufwertung gedeutet werden. Wie sehr diese Norm sich weiter ausbreitete, führt Herzig in den letzten der Gegenwart gewidmeten Kapiteln aus. Zum einen beschreibt sie die Ausweitung des Haarentfernens auf den Intimbereich in den 2000er-Jahren. Schamhaarrasuren kamen zusammen mit der als „Brazilian Waxing“ bezeichneten Methode der Haarentfernung auf, derer sich zunächst Prominente und schließlich weite Teile der Bevölkerung unterzogen. Zum anderen etablierte sich neben dieser effektiven aber auch schmerzhaften Prozedur das Lasern als neues Verfahren einer mehr oder weniger dauerhaften Körperhaarentfernung. Aktuelle Forschungen arbeiten an der genetischen Lösung des ‚Haar-Problems‘.

Ziel des Buches sei es, so Herzig in ihrem Fazit, nachzuzeichnen, dass der im letzten Jahrhundert entstandene massenwirksame Wunsch nach einem haarlosen Körper weitere Veränderungen im sozialen und ökonomischen Leben der USA reflektierte: „Over time, hairlessness, once perceived as a characteristic ‘deficiency’ of the continent’s indigenous peoples, became normalized – a persistent standard of health, beauty, cleanliness, and desirability.” (S. 187) Und die Einhaltung dieses Standards wird von den Individuen heute als Entscheidung eines freien Willens gedeutet, als bewusste Wahl für eine Körperoptimierung, die Herzig als neue Form des Selbst-Managements begreift.

Herzigs Geschichte des Haarentfernens in der US-amerikanischen Gesellschaft ist informativ und gewinnbringend. Insbesondere die Einbindung der Praxis des Körperhaarentfernens in andere Diskurse und das Herausstellen der Wechselwirkungen ist ihr in ihrer kulturgeschichtlichen Rekonstruktion sehr gut gelungen. Jedes Kapitel stellt einen speziellen Aspekt des Haare-Entfernens dar – seien es die technischen Innovationen, die Verbindung mit Wissenschaft und Medizin, die politische Aufladung oder die Verschränkung mit Konsum und Kommerzialisierung – in Verbindung mit einem bestimmten historischen Abschnitt der US-Geschichte. Ihr Ziel dabei ist, keine Wertung über diese Praxis zu vermitteln, sondern deren Kontingenz herauszustellen und zu zeigen, was man über einen Blick auf Haare über Gesellschaft und Geschichte lernen kann. Nichtsdestotrotz hinterlassen die Ausführungen insofern ein etwas unbefriedigendes Gefühl, als dass man nicht erfährt, warum „hairlessness“ bezogen auf Körper-, nicht jedoch auf Kopfbehaarung eine so wirkungsvolle Norm geworden ist und warum sie in den USA stärker wirkte als in vielen europäischen Ländern. Hierfür wäre sicher eine Blickerweiterung auf das Verhältnis der US-amerikanischen Gesellschaft zu der Praxis der Be- oder Enthaarung in anderen Kulturen aufschlussreich gewesen und in diesem Kontext auch die Frage, inwiefern das Haareentfernen sich auch im Kontext verstärkter und politisch jeweils unterschiedlich regulierter Einwanderung entwickelte. Gemessen am eigenen Anspruch – eine kulturgeschichtlich orientierte Perspektive auf das Körperhaar in den USA vorzulegen –, leistet das Buch jedoch einen wichtigen Beitrag zum Thema und ist mit Gewinn zu lesen, auch wenn es zum Schluss hin argumentativ etwas dünner wird. Wer jedoch mehr zum Thema Haare wissen will, muss dieses in einen breiteren Kontext einordnen und sich dieses Wissen aus weiteren Arbeiten zusammenlesen – oder selbst empirisch beforschen.

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