J. Marenbon: The Problem of Paganism from Augustine to Leibniz

Titel
Pagans and Philosophers. The Problem of Paganism from Augustine to Leibniz


Autor(en)
Marenbon, John
Erschienen
Princeton, New Jersey 2015: Princeton University Press
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 33,49
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan-Hendryk de Boer, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Wann wird aus einem Sachverhalt ein Problem? Diese Frage steht hinter dem anregenden Buch von John Marenbon über das Problem des Heidentums im ‚langen Mittelalter‘. Dass es Heiden gegeben hatte und gab, war im Mittelalter eine Tatsache. Doch nicht immer wurde diese als Problem begriffen. Zu einem solchen wurde sie erst, als Denker zu fragen begannen, was diese Tatsache bedeutete und wie damit umzugehen sei. Ihre Antworten verfolgt Marenbon in einem weiten Bogen von der Spätantike bis ins 17. Jahrhundert. Sein Vorgehen beschreibt der Autor als ‚historische Synthese‘ – im Unterschied zur in der Philosophiegeschichte sonst üblichen ‚historischen Analyse‘. Während diese ein gegenwärtiges philosophisches Problem nehme und untersuchte, inwiefern es bereits in früheren Zeiten erörtert worden sei, gehe jene von einem historischen Problem aus, das nicht mehr notwendig dasjenige der heute Lebenden sei. Wichtig sei es vielmehr aufgrund der Analogie zu Gegenwartsproblemen, beispielsweise – im Falle des Problems des Heidentums – für den Umgang mit Relativismus, religiöser Differenz oder Atheismus. Dieses Vorgehen hat den Nachteil, dass gegenüber der Frage nach dem Wann diejenige nach dem Warum zu kurz kommt, dass eher gezeigt wird, dass etwas der Fall war, als dass untersucht würde, weswegen dem so war. Dass seine gut lesbare Darstellung jedoch, wie Marenbon selbst hofft, für Historikerinnen und Historiker eine spannendere und gewinnbringendere Lektüre darstellt als manch philosophiehistorische Analyse, steht außer Frage.

Im Zentrum des Abschnittes zur Patristik steht – wenig überraschend – Augustinus. Exemplarisch wirkte er nicht zuletzt darin, dass er seine Auseinandersetzung mit den Heiden um drei Problemkomplexe zentrierte: Weisheit, Rettung und Tugend. Augustinus, den Heiden gegenüber insgesamt sehr kritisch eingestellt, war gleichwohl bereit zuzugeben, dass die weisesten unter ihnen, zumal Plato und seine Anhänger sowie die Stoiker, nur äußerlich dem Polytheismus gefolgt, tatsächlich jedoch an den einen Gott geglaubt hätten. Dies wurde zu einem Gemeinplatz der mittelalterlichen Philosophie und Theologie: Man unterstellte insbesondere jenen antiken Autoren, die man für rezeptionswürdig hielt, dass sie zur Erkenntnis des einen Gottes gelangt seien. Ob dies rein durch die natürliche Vernunft gelungen war, dazu ein besonderes, zumindest indirekt auf eine Offenbarung zurückgehendes Wissen erforderlich war oder aber eine persönliche Erleuchtung durch den Heiligen Geist, war hingegen umstritten. Augustinus gab sich vernunftskeptisch: Den heidnischen Philosophen hielt er vor, das Vermögen der natürlichen Erkenntnis hochmütig überschätzt zu haben. Was für die Rettung unerlässlich war, hätten sie jedoch nicht erkennen können: Christus als Mittler zwischen Gott und Mensch. Doch nicht nur epistemisch war das Heidentum notwendig defizitär, sondern auch moralisch: Die antik-römischen Tugenden führte Augustinus auf Sucht nach Ruhm und Lob zurück, weshalb sie diesen Namen nicht verdienten.

Boethius schlug einen anderen Weg ein, der, ähnlich dem des Bischofs von Hippo, prägend für die gesamte spätere Diskussion sein sollte. In einer nuancierten Analyse von „De consolatione philosophiae“ vermag Marenbon zu zeigen, dass das weitgehende Fehlen eindeutig christlicher Elemente weder bedeutete, dass der Christ Boethius am Ende seines Lebens zum Heidentum zurückgekehrt war, noch dass sich ihm das Heidentum nicht als Problem dargestellt hätte. Für diese Einsicht erforderlich ist es, den formalen Charakter der Schrift als Dialog ernst zu nehmen. Dann nämlich zeigt sich die Philosophie nicht als autoritative Verkünderin des rechten Weges, sondern als ebenso vorbildlich wie beschränkt. Sie vermag zu vielen Einsichten bezüglich des richtigen Lebens zu kommen, nicht jedoch zu endgültigen Wahrheiten. Vielmehr inszeniert Boethius Spannungen zwischen den Tugenden und dem einen höchsten Gut, zwischen der Strafe, die die Bösen von selbst auf sich ziehen, und der göttlichen Weisheit und Gerechtigkeit, zwischen der göttlichen Vorsehung und der menschlichen Freiheit. Während Augustinus seinen Lesern vor allem Antworten hinterließ, standen bei Boethius am Ende Fragen.

Im Frühmittelalter wurde das Heidentum Marenbon zufolge nur selten problematisch. Während Cassiodor beispielsweise in seiner Boethiuserklärung das Problem eliminierte, indem er die Figur der Philosophie konsequent mit der biblischen Figur der Weisheit in eins setzte, fragte Alkuin ausdrücklich nach dem Verhältnis von antiken und christlichen Tugenden. Erstere erkennt er durchaus als wertvoll an, hält jedoch fest, dass der Christ sie in besonderer Weise, nämlich im Kontext der caritas beachten müsse, wodurch sie auf Gott und den Nächsten ausgerichtet werden. Einen Einschnitt stellte Abaelard dar. Er begeisterte sich aufrichtig für die Antike. Er war überzeugt, dass die antiken Philosophen den einen Gott erkannt hatten. Dass die Heiden vor der Inkarnation aufgrund der Befolgung des Naturgesetzes, durch Gebete und den Glauben an den einen Gott gerettet werden konnten, wenn sie obendrein durch die vermittelte Kenntnis der den Juden zuteilgewordenen Offenbarung oder durch eine besondere Erleuchtung zur Einsicht in die Trinität und die Inkarnation gelangt waren, war eine These, die Abaelard mit vielen mittelalterlichen Gelehrten teilte. Dantes bekannte Strenge, mit der er selbst den hochgeschätzten Vergil unwiderruflich von der Rettung ausschloss, ist, wie Marenbon darlegt, eher die Ausnahme als die Regel, begründet im Willen, antike und christliche Welt epistemisch, historisch und moralisch voneinander zu scheiden. Kühn war es jedoch zu behaupten, dass wahre heidnische Tugenden Belohnung verdienten. Zwar vermöchten sie für sich nicht, jemanden zu retten, wohl jedoch machten sie würdig, Wissen von der Inkarnation als unabdingbare Voraussetzung für die Errettung zu empfangen. Es war nur konsequent, wenn Abaelard nahelegte, dass auch Heiden in christlicher Zeit gerettet werden konnten, wenn sie dem Naturrecht folgten und ohne Schuld von der christlichen Botschaft nicht erreicht worden waren. Noch weiter als sein einstiger Lehrer ging Johannes von Salisbury: Wenn er sich auf die angeblich von Plutarch verfasste, tatsächlich wohl fiktive „Institutio Traiani“ bezieht, träumt sich Johannes, ähnlich wie später Chaucer oder Boccaccio, in eine heidnische Welt. Wenn er jedoch obendrein nahelegt, dass ‚Plutarchs‘ Rede über die vielen Götter nicht wörtlich zu verstehen ist, sondern lediglich als konventionelle Einkleidung einer tieferen Wahrheit, werden heidnisch-antike und christliche Rede tendenziell zu austauschbaren Redeweisen, um Wahrheiten zu kommunizieren.

Mit der Entstehung der Universitäten wurde das Problem des Heidentums institutionalisiert. Mit Aristoteles als wichtigstem philosophischen Referenzautor der Scholastik war es für Artisten wie Theologen stets präsent. Roger Bacon glaubte an eine gemeinsame philosophische Basis der verschiedenen antiken Schulen. Diese philosophische Weisheit war die Grundlage, aufgrund derer christliche Missionare rational Juden, Muslime oder Heiden zur Erkenntnis Gottes und der Notwendigkeit der Rettung bringen konnten. Formulierte Bacon damit in nuce bereits jene Vorstellung einer prisca sapientia, für die der Kreis um Ficino berühmt wurde, dachte Albert der Große über Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis der natürlichen Vernunft nach. Dabei nahm er an, dass die Vernunft nicht nur zur Erkenntnis des einen Gottes, sondern auch zu einer beinahe mystischen Gottnähe führen konnte, die die Offenbarung zwar nicht ersetzte, ihr jedoch erstaunlich nahe kam. Sein Schüler Thomas von Aquin ist wohl der einflussreichste Vertreter einer besonders optimistischen Sicht vom heidnischen Wissen: Musste Philosophen wie Aristoteles notwendig die Trinität oder die Inkarnation verschlossen bleiben, hatten sie doch einen Wissensschatz geschaffen, der großenteils mit dem christlichen vereinbar und daher eifrig zu studieren war. Selbst bei der Frage nach der Ewigkeit der Welt sei Aristoteles, so bemühte sich Thomas lange zu zeigen, zu keiner endgültigen Antwort gelangt, sondern habe lediglich gezeigt, dass es mit der natürlichen Vernunft vereinbar sei, dass die Welt ewig sei. Als er schließlich erkannte, dass der Stagirite sehr wohl die Ewigkeit der Welt gelehrt habe, bewies er, dass es Gottes Allmacht möglich gewesen wäre, sie ohne Anfang zu schaffen. Thomas wandte sich entsprechend scharf gegen den Artisten Siger von Brabant, der zeigte, dass die aristotelischen Ausführungen zur Einheit des (möglichen) Intellekts im Widerspruch zur christlichen Lehre standen. Den begrenzten Relativismus formulierte im 13. Jahrhundert niemand konsequenter als Boethius von Dacien, der am Beispiel der Ewigkeit der Welt erklärte, wie verschiedene Wissenschaften gemäß ihren Prinzipien zu differierenden Einsichten gelangen konnten, die je für sich genommen plausibel waren. Unter den Theologen setzte sich zunächst nicht die Linie des Thomas, sondern mehrheitlich eine skeptischere Position in Bezug auf die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft durch, vertreten etwa von Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham. Beide differenzierten streng zwischen dem durch die Vernunft und dem nur durch die Offenbarung Wissbaren und auf diese Weise zwischen heidnischem und genuin christlichem Wissen. Diese Sicht sollte bis ins 15. Jahrhundert viele Anhänger finden, bevor die vereinheitlichenden Theorien Alberts des Großen und des Thomas von Aquin zu neuer Beliebtheit gelangten. So waren es die Anhänger der via antiqua, die die antike Weisheit verteidigten. Die unüberbrückbaren Differenzen zwischen antikem und christlichem Wissen hingegen arbeiteten Gianfrancesco Pico della Mirandola oder Pietro Pomponazzi heraus.

Zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen die Theologen und Philosophen auch bei der Frage, ob die Heiden gerettet werden könnten. Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus oder Durandus von Saint Pourçain gingen davon aus, dass es vor dem Kommen Christi möglich gewesen sei, implizit an die Inkarnation und Passion zu glauben. Noch im 16. Jahrhundert griffen Francisco de Vitoria, Melchior Cano oder Francisco Suárez auf die Theorie des impliziten Glaubens zurück, um zu zeigen, wie weit die natürliche Vernunft in der Erkenntnis Gottes vordringen konnte. Dadurch war es ihnen möglich, zumindest prinzipiell für schuldlos unwissende Heiden im christlichen Zeitalter die Möglichkeit der Rettung zuzugestehen. Doch auch Abaelards Theorie, einzelnen Heiden könnte von Gott eine besondere Offenbarung gewährt worden sein, fand ihre Anhänger; so noch im 16. Jahrhundert John Major, der diese Möglichkeit für Heiden vorsah, die schuldlos nicht über das Sakrament der Beschneidung oder die Opfer des natürlichen Rechts verfügten. Nicht jeder war so großzügig: Bonaventura beispielsweise leugnete sowohl, dass heidnische Philosophen über einen impliziten Glauben an die Inkarnation verfügten, wie er ihnen auch eine besondere Offenbarung absprach. Mit dem augustinischen Revival des 14. Jahrhunderts setzte sich diese düstere Sicht jedoch keinesfalls durch. Während Gregor von Rimini die heidnischen nicht als wahre Tugenden anerkennen wollte, nahm Thomas Bradwardine ausgerechnet die augustinische Prädestinationstheorie als Lizenz für recht großzügige Annahmen in Bezug auf die Rettung der antiken Heiden. Die von Marenbon etwas stiefmütterlich behandelten Humanisten begeisterten sich zwar für die Antike, waren in ihren doktrinalen Überzeugungen jedoch vielfach rigoroser als die Scholastiker. Lorenzo Valla war überzeugt, dass das Unvermögen, den wahren Genuss in Gestalt des christlichen Gottes zu finden, die antiken Heiden anfällig für die Versuchungen des Epikureismus mit seinem Streben nach verderblichen innerweltlichen Genüssen machte. Die „Utopia“ des Thomas Morus erscheint Marenbon als Gedankenexperiment über die Möglichkeiten einer Zivilisation, zu der die Offenbarung nicht gelangt ist. Das Ergebnis des englischen Humanisten sei ambivalent gewesen: Neben allen Leistungen der Utopier stehen ihre Grenzen, etwa die Euthanasie und die Unfähigkeit, die Unsterblichkeit der Seele zu erkennen.

Verdienstlich ist es, dass Marenbon sich nicht nur auf die üblichen Verdächtigen, Theologen und Philosophen, bezieht, sondern auch Schriftsteller wie Dante und Boccaccio, Dichter wie Chaucer und Langland, Chronisten wie Helmold von Bosau und Adam von Bremen sowie Autoren von tatsächlichen oder fiktiven Reiseberichten wie Johannes de Piano Carpini, Wilhelm von Rubruk oder John Mandeville behandelt. Im Unterschied zur jüngst erschienenen Arbeit von Peter von Moos1 beschränkt sich Marenbon nicht darauf, das Problem des Heidentums in Bezug auf die antiken Heiden zu behandeln. Stattdessen werden die Begegnungen mit real existierenden Heiden, namentlich den Mongolen, den Völkern der Neuen Welt und den Chinesen, in die Darstellung einbezogen. Marenbon geht davon aus, dass diese Erfahrungen das Verständnis der Christen vom Heidentum prägten, ohne es jedoch umzustürzen. Um einen Problemkomplex handelt es sich demzufolge gerade deshalb, weil Publizisten, Reisende oder Missionare die Kultur der Heiden entlang der überkommenen diskursiven Leitlinien diskutierten. Die Heiden zu verteidigen oder ihr Wissen nutzbar zu machen, bedeutete nach wie vor, nach der Rationalität in ihrem Glauben und Handeln zu suchen. So zeigten sich Bartolomé de Las Casas und Garcilaso de la Vega in Bezug auf die Indios und Matteo Ricci hinsichtlich der Chinesen überzeugt, dass diese der Vernunft folgten und auf diese Weise zu einem in sich stimmigen Weltbild gelangten. Während Ricci den Konfuzianismus einer interpretatio Christiana unterwarf und so einen konfuzianischen Monotheismus erfand und de la Vega bei den Indios ebenfalls einen vernunftbasierten Glauben an einen Gott auszumachen können glaubte, näherten sich Las Casas, André Thevet und Jean de Léry in ihren Darstellungen der Sitten und Gebräuche der Bewohner der Neuen Welt in unterschiedlicher Weise einem bedingten Relativismus an. Ohne die christlichen Wahrheitsansprüche zu beschränken, waren sie doch bereit, den Heiden eine immanente Rationalität zuzugestehen. War für die mittelalterlichen Philosophen und Theologen wichtig, auf diese Weise das heidnische Wissen innerhalb eines übergeordneten christlichen Deutungsrahmens akzeptabel zu machen, vermochten die frühneuzeitlichen Autoren den zeitgenössischen Heiden über dieses Deutungsinstrument die Fähigkeit zuzuschreiben, tugendhaft zu leben – wenn auch nicht nach christlichen Maßstäben. Allerdings schreckten die meisten vor der Konsequenz Montaignes zurück, der in seinem Essay „Über die Kannibalen“ deren Bereitschaft zum ehrenhaften Krieg und die Liebe zu ihren Frauen lobt: Systemische Barbarei kann demnach bewundernswert sein, da sie ethisch fundiert ist, wohingegen die Barbarei seiner christlichen Glaubensbrüder lediglich eine prinzipienlose Entartung darstellt.

Anmerkung:
1 Peter von Moos, Heiden im Himmel? Geschichte einer Aporie zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Die „Quaestio de salvatione Aristotelis“ des Lambertus de Monte, Heidelberg 2014.