Titel
The Stigma of Surrender. German Prisoners, British Captors, and Manhood in the Great War and Beyond


Autor(en)
Feltman, Brian K.
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 33,44
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Benjamin Ziemann, University of Sheffield, Department of History

Die Forschung zur Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg hat in den letzten Jahren einen erfreulichen Aufschwung genommen. An erster Stelle ist hier die wichtige vergleichende Studie von Heather Jones aus dem Jahr 2011 zu nennen. Mit Blick auf Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich untersucht Jones Tendenzen zur Eskalation der Gewalt gegen Kriegsgefangene, insbesondere durch ihre völkerrechtswidrige Beschäftigung im unmittelbaren Feuerbereich in der Nähe der Front, und die daraus folgenden diplomatischen Verwicklungen und militärischen Praktiken.1 Einen anderen Schwerpunkt setzt jetzt die Studie von Brian K. Feltman. Hier geht es ausschließlich um deutsche Kriegsgefangene in britischem Gewahrsam, und zwar in erster Linie in alltags- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive. Feltman fragt danach, wie in Gefangenschaft geratene Soldaten mit dem „stigma of surrender“ umgingen, also mit dem naheliegenden Verdacht, dass ihre Gefangennahme vor allem auf einem nicht mit letzter Konsequenz betriebenem Einsatz im Gefecht beruhte, und damit letztlich ein Beleg für die Feigheit und den mangelnden Einsatzwillen des Gefangenen war. Eine solche Perzeption kollidierte mit dem dominanten Selbst- und Fremdbild einer hegemonialen Männlichkeit, die ihre Legitimation aus der engen Koppelung von männlichem Prestige und nicht nachlassender Bewährung im militärischen Einsatz bezog. So gesehen, ließ sich die Gefangennahme nicht als eine willkommene Befreiung von den tödlichen Gefahren des Fronteinsatzes begreifen, sondern als ein „personal defeat“ (S. 6). Alltags- und kulturgeschichtlich ist der Ansatz von Feltman insofern, als er vor allem im dritten und vierten Kapitel nach den rituellen und symbolischen Praktiken fragt, die den deutschen Soldaten in der Gefangen den Umgang mit diesem Stigma erleichterten. Die Studie basiert auf einer sehr breiten und ergiebigen Forschungsarbeit in zahlreichen britischen und deutschen Archiven, wobei der Autor neben Bestandsgruppen des deutschen und britischen Militärs auch Unterlagen von Vereinigungen ehemaliger Kriegsgefangener und von Hilfsorganisationen herangezogen hat. Diese entsagungsvolle Quellenarbeit hat auch zahlreiche Briefe und andere Selbstzeugnisse zutage gefördert, in denen Kriegsgefangene über ihre Perzeption Auskunft geben.

Feltman hat seine Studie in sechs Kapitel gegliedert. Das erste umreißt zunächst Genese und Konturen jenes Syndroms der hegemonialen Männlichkeit im Kaiserreich, die sich im Zuge der Durchsetzung militaristischer Werte ergab und Feigheit als extrem unmännlich und den Heldentod als Ideal hinstellte. Feltman neigt hier auf der Basis eines etwas veralteten Forschungsstandes – im wesentlichen George L. Mosse, The Image of Man2 – dazu, die soziale Prägekraft und Breitenwirksamkeit dieser Ideale jenseits der bürgerlichen Mittelschichten zu überschätzen. In weiteren Abschnitten dieses Kapitels wird dann verfolgt, wie die im Krieg andauernde Persistenz dieses Heldenideals die zunächst erstaunlich geringe Zahl der von der British Experditionary Force (BEF) eingebrachten deutschen Gefangenen bestimmte. Allein zwischen August 1918 und dem Waffenstillstand gerieten 185.000 deutsche Gefangene und damit mehr als die Hälfte der Gesamtzahl in britische Hände. Lag dies daran, dass der Mythos des Heldentodes nun „temporarily“ an Geltung verlor (S. 39)? Oder lag es vielleicht eher daran, dass die Rückkehr zum Bewegungskrieg in den deutschen Rückzugsgefechten bei personell ausgedünnten Frontlinien es Einzelnen wie Gruppen sehr viel leichter machte, sich gefahrlos zu ergeben? Im zweiten Kapitel analysiert Feltman die unmittelbaren Umstände der Gefangennahme und die weitere Behandlung durch das britische Militär. Unmittelbar hinter der Front waren die deutschen Soldaten des Öfteren verbalen und auch körperlichen Attacken ausgesetzt, und viele britische Soldaten betätigten sich als Souvenirjäger und beraubten die Gefangenen. Auch zur Tötung unmittelbar hinter der Front kam es wohl öfter als bislang angenommen, auch wenn eine quantitative Eingrenzung dieses Phänomens kaum möglich ist (S. 46). Doch nach ihrem Transfer auf die britischen Inseln erfreuten sich die Deutschen einer generell sehr guten Behandlung und Verpflegung in den Lagern, in denen Offiziere und Mannschaften getrennt untergebracht waren. Erst 1916 revidierte die BEF ihre Haltung, deutsche Gefangene nicht zur Arbeit einzusetzen. Die nun steigende Zahl der eingebrachten Mannschaftssoldaten wurde zum Teil im französischen Etappengebiet beschäftigt, und auch auf dem britischen Festland erlaubte die Schaffung von kleineren Lagern den Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft, in Steinbrüchen etc.

Im vierten Kapitel schildert Feltman die psychologische Unsicherheit und Isolation, die sich aus dem Stigma der Gefangennahme auch bei extrem guter Behandlung wie in den britischen Lagern ergab, und analysiert die zahlreichen Ausbruchsversuche als einen Versuch, dieses Stigma abzustreifen und sich auch in Gefangenschaft im Sinne männlich-nationalistischer Ehrvorstellungen zu bewähren. Fast alle der von Feltman genannten Beispiele für einen Ausbruch waren allerdings Offiziere, bei denen dies generell zum Ehrencodex gehörte. Entgegen seinen Thesen spricht vieles dafür, dass Mannschaftssoldaten nur eine winzige Minderheit derjenigen stellten, die einen Ausbruchsversuch unternahmen (S. 90–94). Im fünften, sehr eindringlichen und dicht belegten Kapitel schildert der Verfasser die verschiedenen kulturellen und sportlichen Aktivitäten, mit denen die deutschen Gefangenen in den Lagern versuchten, in einer isolierten Umgebung eine neue Form der Vergemeinschaftung zu finden und zugleich ihre Bindungen an das Vaterland zu bekräftigen und symbolisch zu beglaubigen. Mit dem Waffenstillstand im November 1918 war die kulturelle Isolierung der Gefangenen noch nicht beendet. Wie die französische optierte auch die britische Regierung nun aus ökonomischen Gründen dafür, die deutschen Soldaten weiter gefangen zu halten und als Arbeitskräfte einzusetzen. Während die republikanische Regierung in Deutschland einen Apparat zur Betreuung rückkehrender Gefangener aufbaute, wurden die verbliebenen erst ab August 1919 von Großbritannien aus repatriiert. Dies ging dann allerdings reibungslos, und von noch 75.000 im Oktober sank die Zahl der Verbliebenen bis November praktisch auf null ab (S. 162)

Im letzten Kapitel zeigt Feltman, dass die Stigmatisierung der Gefangenen als „Deserteure“ und „Feiglinge“ auch die Selbstwahrnehmung und Politik jener Verbände bestimmte, die sich ab 1919 der Interessenvertretung für ehemalige Kriegsgefangene widmeten, so vor allem die „Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener“, die sich in den ersten Jahren nach ihrer Gründung zumindest an der Basis eher dem Lager der Linken zurechnete. Wie weit dieser Selbstwahrnehmung auch eine öffentliche Fremdwahrnehmung der Gefangenen als Deserteure entsprach, ist gewiss schwierig, aber vielleicht doch nicht gänzlich „impossible“ zu bestimmen (S. 182). Hier ist an die gut belegte Tatsache zu erinnern, dass gerade im linken Lager zumindest in den ersten drei Jahren nach Kriegsende recht offen und positiv über die massenhafte Verweigerung in den letzten Kriegsmonaten gesprochen wurde.3

Fazit: Feltman neigt an manchen Stellen zur rhetorischen Überzeichnung – ist die Andauer der Gefangenschaft nach 1918 wirklich ein „twist of fate“ oder nicht doch ganz einfach eine Entscheidung der britischen Regierung (S. 163)? – und zur ungebührlichen Verallgemeinerung von Thesen, die für bürgerliche Offiziere zutreffend und gut belegt sind, nicht jedoch immer für Mannschaftssoldaten aus unterbürgerlichen Sozialgruppen. Ungeachtet dieser Einschränkung ist seine Studie jedoch eine wichtige, auf gründlicher Forschung basierende Bereicherung der Literatur nicht nur zur Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg, sondern ganz generell zur deutschen Geschichte von 1914 bis 1933.

Anmerkungen:
1 Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War: Britain, France and Germany, 1914–1920, Cambridge 2011; zu manchen empirischen Mängeln dieser Studie vgl. die sehr kritische Rezension von Reinhard Nachtigal in: Historische Zeitschrift 296 (2013), S. 244–247; zu begrifflichen Inkonsistenzen vgl. meine Kritik in Benjamin Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten – Überleben – Verweigern, Essen 2013, S. 12f.
2 George L. Mosse, The Image of Man. The Creation of Modern Masculinity, Oxford 1996.
3 Vgl. Bernd Ulrich, Die Perspektive ‚von unten‘ und ihre Instrumentalisierung am Beispiel des Ersten Weltkrieges, in: Krieg und Literatur / War and Literature 1 (1989), S. 47–64.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/