Cover
Titel
Antike Wirtschaft.


Autor(en)
Reden, Sitta von
Reihe
Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike 10
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 248 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Institute for the History of Ancient Civilizations, Northeast Normal University, Changchun (China)

Sicheres Kennzeichen eines etablierten Forschungsfeldes ist die Anzahl an Einführungen, sogenannten Handbooks und Studienbüchern zum Thema. Von daher kann die ökonomische Perspektive, die seit einigen Jahren jenseits der alten Paradigmen „Primitivismus“ und „Modernismus“ betrieben wird – obgleich mit unterschiedlicher Ausrichtung im Detail –, von sich behaupten, nach Dürre-Jahren der kulturalistischen Wende wieder en vogue zu sein und methodisch wie theoriebasiert in vorderster Front, nicht nur in den Altertumswissenschaften, mitzuspielen.1

Diesem Trend fügt nun Sitta von Reden, Professorin mit dem Schwerpunkt Griechische Geschichte an der Universität Freiburg und jahrzehntelang im ökonomischen Forschungsfeld tätig, ihren Einblick in die antike Wirtschaft in der neuen „Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike“ hinzu. Gemäß den Vorgaben der Reihe ist auch dieser Band dreigeteilt – einem Darstellungsteil (S. 1–87) folgt ein Forschungsüberblick (S. 89–182), ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 183–231), gegliedert nach den angesprochenen Themengebieten, sowie ein Personen- und Sach-/Ortsregister (S. 233–248).

Dass von Reden dabei von der sozial-anthropologischen Forschungsrichtung unter, durchaus auch kritischer, Diskussion Polanyischer Begrifflichkeiten wie „Einbettung“ („embedding“) und der Formung von Wirtschaft durch soziale wie kulturelle Mentalitäten und Mechanismen an die antike(n) Ökonomie(n) herantritt, verhehlt sie dabei nicht, auch wenn sie sich durch Einbezug etwa der Neuen Institutionenökonomie in ihre Überlegungen deutlich mehr öffnet als in früheren Arbeiten.2 Dies zeigt sich auch im Aufbau der beiden aufeinander bezogenen Teile, des enzyklopädischen wie des Forschungsteils, die im ersten Part nach einer kurzen Einführung in die (Streit-)Geschichte zur antiken Wirtschaft (ökonomische Neo-Klassik und Deutsche Historische Schule, die Bücher-Meyer-Kontroverse, die Ansätze von Finley oder Hopkins usw.) auch neuen methodischen wie theoretischen Zugängen (ethnologische, quantitative und naturwissenschaftliche Methoden, Neue Institutionenökonomie oder global history) Diskussionsfläche einräumt.

Nach der Hinleitung werden zunächst im zweiten Kapitel die Bedingungen der Wirtschaft, also Ökologie und Wirtschaftsraum, vor allem die Stadt, Mobilität und Migration, sodann die Bevölkerung (Fertilität, Morbidität, Mortalität), Technik und Infrastruktur sowie die Institutionen (etwa Eigentumsrechte, Hierarchien, Reziprozität, soziale Netzwerke und Märkte) und die staatliche Organisation in den Blick genommen. Die wesentlichen Debatten hierzu werden im Forschungsteil in der Regel adäquat wiedergegeben, wobei Schwerpunktsetzungen zu von Reden nahestehenden Themen (etwa Tauschregeln, Freundschaft und Reziprozität) nicht zu übersehen sind; andere Ansätze, etwa der formalistische Ansatz der neoklassischen Ökonomie, werden deutlich weniger diskutiert – und wenn, werden sie verworfen. Weitere Themenkomplexe, etwa die Frage nach der Anwendung von Raumkonzepten (Wirtschaftsgebiet, -raum und -region), hätten deutlicher konturiert werden können.3 Insgesamt vertritt von Reden auch hier den Ansatz, dass ökonomisches Handeln stets von anderen Mechanismen begleitet oder gar überlagert worden sei, dass also stets eine soziale oder politische „Einbettung“ stattfinde.

Das dritte Kapitel widmet sich endlich auch der wirtschaftlichen Praxis, wobei der Auftakt hier ebenfalls ein staatlicher Rahmen, nämlich die Steuern, Zölle und anderen Abgaben sowie deren Redistributionsfunktion, darstellt; erst hernach spricht von Reden die Themen Konsum und Lebensstandard, Landwirtschaft, Produktion und Geld, Kredit- und Bankenwesen sowie noch einmal, diesmal unter leicht anderen Aspekten, Handel und Märkte an. Trotz mancher Detailschwächen 4 sind auch hier die wesentlichen Entwicklungsprozesse und Forschungsmeinungen repräsentiert, wobei von Redens Skepsis etwa gegenüber integrierten Märkten oder freier Preisbildung überwiegt, auch wenn sie ein wirtschaftliches Wachstum, insbesondere in der römischen Kaiserzeit bis in das 3. Jahrhundert n.Chr., annimmt.

Im vierten und letzten Teilkapitel geht sie sodann auf die Theorien der Wirtschaft in der Antike, vornehmlich die griechische Philosophie und die römischen Agrarliteratur, ein. Die konservativen, das alte Konzept einer autarken, von fremden Einflüssen freien Polis bewahrenden Entwürfe eines Platon oder Aristoteles werden den innovativeren Ansätzen etwa Xenophons (im Oikonomikos und in den Poroi) gegenübergestellt, wobei bei der notgedrungenen Frage nach dem Konnex zwischen Theorie und Praxis die „klassischen“ Antworten wie „Wissenstransfer“ oder „Kritik an herrschenden Zuständen“ gegeben und ein Einfluss bis auf wenige Ausnahmen verneint wird.5

Alles in allem stellt von Redens enzyklopädischer wie forschungsnaher Überblick eine anregende, trotz mancher orthographisch-interpunktioneller Schwächen gut lesbare und die Diskussion um den Charakter antiker Wirtschaft(en) befördernde Lektüre dar. Im Verbund mit den anderen Einführungen, Handbooks und Studienbüchern ist man gut für die weiteren Impulse aus dem Forschungsfeld „Antike Ökonomie“ gewappnet; welche Interpretationsrichtung man darauf aufbauend einschlägt, liegt sodann in eigener Verantwortung.

Anmerkungen:
1 Zu aktuelleren Einführungen, Handbooks und Studienbüchern vgl. nur Walter Scheidel / Ian Morris / Richard P. Saller (Hrsg.), The Cambridge Economic History of the Greco-Roman World, Cambridge 2007; Kai Ruffing, Wirtschaft in der griechisch-römischen Welt, Darmstadt 2012; Hans-Joachim Drexhage / Heinrich Konen / Kai Ruffing (Hrsg.), Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.–3. Jh.). Eine Einführung, Berlin 2002. Angekündigt, aber noch nicht erschienen ist: Michael Sommer / Dorothea Rohde (Hrsg.), Wirtschaft. Quellenreader Antike, Darmstadt 2015.
2 Vgl. z.B. ihre Arbeit: Exchange in Ancient Greece, London 1995; ebenso noch zu spüren in: Money in Classical Antiquity, Cambridge 2010.
3 Vgl. hierzu nur den erhellenden Aufsatz von Kai Ruffing, Das Imperium Romanum als Wirtschaftsraum, in: Münstersche Beiträge zur antiken Handelsgeschichte 27 (2009), S. 63–94.
4 S. 47: Nicht drei, sondern nur zwei sogenannte indirekte Steuern (vectigalia), nämlich die Erbschaftssteuer (vicesima hereditatium) und die Verkaufssteuer (centesima rerum venalium), speisten die Veteranenversorgungskasse (aerarium militare); die beiden anderen vectigalia, die schon seit der Republik erhobene Freilassungssteuer (vicesima libertatis) sowie die Sklavenverkaufssteuer (quinta et vicesima venalium mancipiorum), gingen in das aerarium Saturni ein. Vgl. Sven Günther, Vectigalia nervos esse rei publicae. Die indirekten Steuern in der Römischen Kaiserzeit von Augustus bis Diokletian, Wiesbaden 2008, bes. S. 163–168 (Zusammenfassung der Ergebnisse) u. 62. Der Denar wurde nicht erst unter Caesar in 16 Asse statt vordem 10 unterteilt, sondern schon 141 v.Chr. Vgl. dazu etwa Reinhard Wolters, Nummi signati. Untersuchungen zur römischen Münzprägung und Geldwirtschaft, München 1999, S. 17f.
5 Einen neuen Ansatz, antikes ökonomisches Denken als „Ordnungsrahmen“-Setzung, angelehnt an das theoretische Modell von E. Goffman, zu begreifen und damit aus der die Diskussion um den Charakter dieser Schriften hemmenden Dichotomie von „Theorie“ und „Praxis“ zu lösen, vertritt der Rezensent. Vgl. etwa Sven Günther, Framing the Financial Thoughts of Aeneas Tacticus: New Approaches of Theory to Economic Discourses in Antiquity, in: Journal of Ancient Civilizations 29 (2014), S. 77–86; vgl. auch diverse Aufsätze (z.B. von Dorothea Rohde, Birger P. Priddat, Sven Page) im Sammelband Sven Günther (Hrsg.), Ordnungsrahmen antiker Ökonomien. Ordnungskonzepte und Steuerungsmechanismen antiker Wirtschaftssysteme im Vergleich, Wiesbaden 2012, die den ökonomischen Praxisbezug antiker „theoretischer“ Überlegungen offenbaren.

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