S. Trovato: Antieroe dai molti volti

Cover
Titel
Antieroe dai molti volti. Giuliano l'Apostata nel Medioevo bizantino


Autor(en)
Trovato, Stefano
Reihe
Libri e Bilbioteche 34
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 526 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

„Allein wenn wir für irgend ein Ereignis gute und unparteiische Berichte von Zeitgenossen haben, was nutzen uns da die abgeschmackten Fabeln viel später lebender Historiker, wie z. B. hier die Berichte des Joël, Ephrämius oder Nikephoros Kallistos Xanthopulos? Statt diese gänzlich wertlosen Berichte der Byzantiner zusammenzusuchen, mußte der Verf. sich auf eine genaue Untersuchung der wirklich wichtigen Quellen beschränken.“1 Diese Einstellung zu den byzantinischen Quellenberichten über Kaiser Julian und die Spätantike eines Rezensenten aus dem Jahr 1891 herrscht grundsätzlich auch gegenwärtig noch vor: Zwar haben die Quellenuntersuchungen von Forschern wie Bruno Bleckmann, François Paschoud und Stéphane Ratti einen wichtigen Beitrag geleistet, die wenigen byzantinischen Autoren, die durch die Verwendung verlorener Quellen herausragen, noch klarer in ihrem Wert zu erkennen. Berichte hingegen, die keine zuverlässigen neuen Informationen über die Spätantike bieten, haben bislang von byzantinistischer Seite wenig und von althistorischer Seite fast gar keine Beachtung gefunden. Das hier zu besprechende Buch zu den byzantinischen Quellen über Julian von Stefano Trovato, das auf seine 2011 an der Universität Udine eingereichte Dissertation zurückgeht und für das seit 2002/03 Vorarbeiten und Nebenprodukte in Form von Aufsätzen Trovatos vorliegen, füllt somit eine rezeptionsgeschichtliche Lücke.

Der Inhalt des Buches ist schnell zusammengefasst, was nicht etwa daran liegt, dass es inhaltsarm wäre, sondern daran, dass fast zwei Drittel des Werkes die Präsentation und Diskussion der Angaben der einzelnen Heiligenviten, Geschichtswerke und Chroniken ausmachen. Nach einer kurzen Einführung in den Forschungsstand (S. 1–6) werden in einem ersten Kapitel die übergeordneten Aspekte der Wahrnehmung Julians in Byzanz (S. 9–73) herausgearbeitet. Neben der Vielfältigkeit der Urteile über Julian (die sich keineswegs immer in dem Vorwurf der Christenverfolgung erschöpfen) zeigt Trovato, dass wiederholt gegenüber byzantinischen Kaisern und anderen hochgestellten Persönlichkeiten der Vorwurf erhoben wurde, sie seien ein neuer Julian. Als wichtigsten Einflussfaktor macht er die julianischen Reden Gregors von Nazianz aus, die Beurteilung Julians als Schriftsteller bewertet er als weitgehend positiv.

Im umfangreichen zweiten Kapitel zur Märtyrerüberlieferung unter Julian (S. 77–331) werden zunächst die Quellenverhältnisse festgestellt. Trovato folgt hier den Spuren des bekannten anonymen homöischen Historikers und notiert die unabhängig von dieser Tradition entstandenen Viten (etwa die Passio des Iuventinus und Maximinus des Johannes Chrysostomos). Daraufhin folgt eine Analyse der einzelnen Martyrien, wobei die jeweiligen Heiligenviten in ihren Inhalten kurz paraphrasiert, mit der vorhandenen Parallelüberlieferung verglichen und in ihren zeitgenössischen Kontext eingeordnet werden. Auch wenn Fragen der Historizität der einzelnen Martyrien durchaus nicht uninteressant für Trovato sind, liegt der Schwerpunkt seiner Forschungen doch auf den Weiterentwicklungen der grundlegenden Berichte und der Bedeutung der Viten als Dokumente für das Geistesleben ihrer Zeit. Auf die einzelnen Texte hier näher einzugehen, würde zu weit führen; hervorgehoben seien daher nur die umfangreichen Diskussionen zu Artemios (S. 199–240) und Mercurius (S. 251–273). Ersterer war unter Constantius II. dux Aegypti und wurde (wohl aufgrund wiederholtem schwerwiegenden Amtsmissbrauchs) unter Julian hingerichtet. Aus den knappen Notizen zeitnaher Schriftsteller sind vor allem die umfang- und dialogreichen Passiones des Johannes Monachos – dem Althistoriker als Rekonstruktionsgrundlage des Philostorgios bekannt – und des Symeon Metaphrastes erwachsen, die von Trovato eingehend analysiert werden. Bei Mercurius handelt es sich um einen Märtyrer aus der Zeit des Decius, der erstmals bei Malalas als Ausführender der Tötung Julians, die er im göttlichen Auftrag durchführt, auftaucht. Das dritte Kapitel zur byzantinischen Chronistik (S. 335–449) bieten einen ähnlichen Aufbau und Argumentationsgang. Der Althistoriker und Spätantike-Forscher trifft in diesem Abschnitt jedoch auf eine größere Anzahl an ihm vertrauten Quellen wie Johannes Malalas, Johannes Antiochenus und Johannes Zonaras. Die Zusammenfassung (S. 453–457) hebt nochmals die Vielseitigkeit der Julianbilder in Byzanz hervor.

Nach der Lektüre ist man ausgesprochen fundiert über die byzantinischen Autoren zu Kaiser Julian informiert. Trovato schildert, wer über den Herrscher was berichtet und woher die Autoren ihre Informationen erhielten. Ein Byzantinist wird daher zweifellos Gewinn aus der Lektüre ziehen, doch erweist sich das Buch auch für den Althistoriker als ausgesprochen nützlich. Die ausführliche Bearbeitung der Märtyrerüberlieferung macht das Buch zu einem wichtigen Hilfsmittel für die weitere Erforschung der Christenpolitik Julians. Die Ausführungen zur Historiographie lassen sich ebenfalls als eine erweiterte byzantinische Quellenkunde zur Geschichte Julians lesen, auch wenn gewiss nicht jeder Autor gleichermaßen und dieselbe Form von Interesse finden dürfte.

Sowohl bezüglich der Quellen als auch der modernen Literatur ist Trovato ausgesprochen gut informiert. An unberücksichtigten Quellen wäre das Chronikon epitomon zu nennen.2 Auch wenn dieses und ähnliche Werke nur wenige Zeilen zu Julian schreiben, wäre es doch gerade von Interesse gewesen, genauer zu untersuchen, mit welchen Inhalten diese Chronisten den wenigen Raum füllen. Eine Reihe von weiteren Autoren wird zwar bei Trovato berücksichtigt, hätte allerdings vielleicht in Zusammenhang mit vergleichbaren Werken noch ein eigenes Kapitel verdient, so der Anonymus Matritensis (S. 337, Anm. 8), Ioel (S. 337 mit Anm. 9–10) und Nikephoros Patriarcha (S. 337 mit Anm. 7–8). Lohnenswert wäre es zudem gewesen, die Benutzung der drei synoptischen Kirchenhistoriker (Sokrates, Sozomenos und Theodoret) nicht nur kurz in den einzelnen Kapiteln anzuzeigen, sondern ein gesondertes Kapitel dem Vergleich zu widmen, welche Beachtung die einzelnen Autoren fanden, ob sich ein gewisser Kanon entwickelte oder ob jeder Autor erneut einen eigenen Kompilationsprozess durchführte und welche Bedeutung die Zwischenstufen (wie die Epitome des Theodoros Anagnostes) auf den Kompilationsprozess hatten. Für die letztgenannte Frage hätte sich auch ein Vergleich mit der lateinischen Literatur des Westens angeboten: So benutzen beispielsweise Theodoros Anagnostes und Nikephoros Kallistos Xanthopulos die drei Kirchenhistoriker direkt, Otto von Freising und Landolfus Sagax hingegen über die Kompilation und Übersetzung Cassiodors. Damit stehen vier gut vergleichbare Texte zur Verfügung, anhand derer gezeigt werden könnte, wie der Grundstock an Informationen von den einzelnen Autoren verarbeitet wurde.

Moderne Literatur lässt sich nur in wenigen Fällen ergänzen: Über die Verwendung von Valens als Kaisertitel bei (Pseudo-)Faustus von Byzanz (S. 276) handelt noch speziell eine Miszelle von Baynes, zu Theodoros Skutariotes wäre die Dissertation von Zafeiris und von Dimaios Aufsätzen der zweite Teil der „Antiochene connection“ zu nennen.3 Von Florin Curta liegen mehrere rezeptionsgeschichtliche Beiträge vor.4 Gewiss gewinnbringend wäre auch die Nutzung der Quellenstudie Levensons zum Jerusalemer Tempelbauprojekt und der Julianbiographie Teitlers gewesen, der sich ebenfalls ausführlicher mit den Märtyrern auseinandersetzt.5 Druckfehler und vergleichbare Versehen sind erfreulich selten.6 Eine Schwäche des Quellenregisters (S. 521–526) besteht allerdings darin, dass nur die Verweise auf Autor und Werk allgemein, nicht aber die einzelnen Stellen verzeichnet werden.

Warum – um auf das einleitend angeführte Zitat zurückzukommen – sollte man sich mit diesen „abgeschmackten Fabeln“ befassen? Da es sich eben nicht nur um das simple Abschreiben und Ausschmücken älterer Autoren handelt, sondern derartige Texte auch immer Produkte ihrer Zeit und somit Quellen für selbige sind. Trovato demonstriert in seinem gelungenen Buch, was derartigen Notizen zu entnehmen ist. Auch deutlich spätere Quellen können zudem relevant für die Geschichte erheblich früherer Zeiten sein, wie das Beispiel des Zonaras zeigt; zumal die Zeitgenossen gerade über Kaiser Julian alles andere als „gute und unparteiische Berichte“ bieten.7 Aus althistorischer Perspektive stellt Trovatos Studie somit eine willkommene Ergänzung zur Julianforschung dar.

Anmerkungen:
1 Victor Gardthausen, in: Wochenschrift für klassische Philologie 8 (1891), Sp. 1334–1335. Das so kritisierte Buch ist die (Trovato nicht bekannte) kleine Monographie von Gustav Reinhardt, Der Tod des Kaisers Julian nach den Quellen dargestellt, Cöthen 1891.
2 Arthur Pusch, Das Chronikon epitomon der Wiener Handschrift Th. Gr. Nr. XL, Diss. Jena 1908.
3 Norman H. Baynes, Valens as a title, in: English Historical Review 28 (1913), S. 106; Konstantinos A. Zafeiris, The Synopsis Chronike and its place in the Byzantine chronicle tradition, Diss. University of St. Andrews 2007, insbesondere S. 88–90; Michael Dimaio, Infaustis ductoribus praeviis. The Antiochene connection. Part II, in: Byzantion 51 (1981), S. 502–510. Reinhardt, Tod, sammelt die Berichte über den Tod Julians bei einer Reihe byzantinischer Autoren.
4 Apostat et philosophe chez Gh. Şincai et Voltaire (reflet historiographique de l’image de l’empereur Julien l’Apostat), in: Revue des études sud-est-européennes 29 (1991), S. 51–70; How to do things with saints. On the iconography of St. Mercurius’s legend, in: Revue roumaine d’histoire 34 (1995), S. 109–129. Siehe auch noch Robert J. Ziegler, Julian the Apostate. A study of his reputation from the renaissance to Gibbon, Diss. University of Rochester (New York) 1971.
5 David B. Levenson, The ancient and medieval sources for the emperor Julian’s attempt to rebuild the Jerusalem temple, in: Journal for the Study of Judaism 35 (2004), S. 409–460; Hans C. Teitler, Julianus de Afvallige, Amsterdam 2009. Wohl nicht mehr rechtzeitig einzuarbeiten war Hans C. Teitler, Ammianus, Libanius, Chrysostomus, and the martyrs of Antioch, in: Vigiliae Christianae 67 (2013), S. 263–288.
6 S. 335, Anm. 1 „Treagdold“ (richtig „Treadgold“); S. 336, Anm. 6 „Nichomacus“ (richtig „Nicomachus“). Gelegentlich weist das Druckbild kleinere Mängel auf, die allerdings die Lesbarkeit nicht beeinflussen (S. 167, letzte Zeile des Textes; S. 283, dritte Zeile des Zitats; S. 336, Anm. 6, drittletzte Zeile; S. 357, letzte Zeile des Textes.
7 Auch kann der historische Wert der Zeugnisse Gegenstand einer Kontroverse werden, vgl. etwa S. 168f., Anm. 18 zur Passio des Basilios von Ancyra.

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