A. Kohnle u.a. (Hrsg.): Römische Kirche und Reformation

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Titel
Zwischen Reform und Abgrenzung. Die Römische Kirche und die Reformation


Herausgeber
Kohnle, Armin; Winter, Christian
Reihe
Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 37
Erschienen
Stuttgart 2014: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Arend, Forschungsstelle "Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts", Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Der Wettiner Georg von Sachsen (1471–1539), Herzog im albertinischen Teil des Landes, war zwar ein entschiedener Gegner Luthers, nicht jedoch kirchlicher Reformen. Zeitlebens versuchte er, die Erneuerung kirchlicher Strukturen innerhalb der römischen Amtskirche voranzubringen. Auskunft über diese Bemühungen geben seine Briefe, die in einer vierbändigen Ausgabe vorliegen. Die Edition wurde 2012 an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig vollendet und mit einem Forschungskolloquium abschließend gewürdigt. Der vorliegende Band fasst die Tagungsbeiträge zusammen, er ist der Briefedition jedoch nicht in der Weise verhaftet, dass jeder Beitrag aus ihr schöpft. Lediglich drei Aufsätze befassen sich mit Herzog Georg, die übrigen spannen einen inhaltlich weiten Bogen. Sämtliche Darstellungen gehen jedoch von der Frage aus, welche Veränderungen sich durch den Einschnitt der Reformation für die römische Amtskirche ergaben.

Die meisten der 13 Beiträge stammen von Vertretern der evangelischen und katholischen Kirchengeschichte sowie der Profangeschichte. Daneben bereichern Aufsätze aus germanistischer, musikwissenschaftlicher sowie kunsthistorischer Perspektive das Tableau. Die Mehrzahl der Autoren untersucht die Verhältnisse im Heiligen Römischen Reich, einige wenden sich jedoch auch europäischen Perspektiven zu, so etwa Mariano Delgado, der mit einem Blick nach Spanien den Band eröffnet. Seine Untersuchung stellt die sogenannte Schule von Salamanca, ein Zentrum der katholischen Reform, in den Mittelpunkt und insbesondere ihren Vertreter Melchior Cano (1509–1560), der mit seinem posthum erschienenen Werk De locis theologicis ein Lehrbuch schuf, das erstmals die Methodik der katholischen Theologie systematisierte.

Andreas Holzem legt unter dem Titel „Katholische Religiosität nach Reformation und Tridentinum: Eine ‚Konfessionalisierung‘ spätmittelalterlicher Frömmigkeitsstile?“ einen umfang- und theoriereichen Aufsatz vor. Ausgehend von Wolfgang Reinhards und Heinz Schillings Konfessionalisierungsparadigma sowie unter Einbeziehung von Forschungsansätzen Gerhard Oestreichs und Peter Hersches stellt Holzem neue Zugänge zu einer Religions- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit vor. Er stützt sich dabei auf Ergebnisse, die im Rahmen des Tübinger Graduiertenkollegs „Religiöses Wissen im vormodernen Europa (800–1800)“ erzielt wurden.

Die Beiträge von Volker Leppin und Armin Kohnle fokussieren auf die Rolle des Papsts im Reformationsprozess. Kohnle bietet einen Überblick über die Päpste von der Mitte des 15. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts und nimmt dabei insbesondere deren Reformpolitik ins Visier. Die kirchliche Erneuerung war zwar im Untersuchungszeitraum ein Dauerthema der kurialen Politik, aber oft gab erst der von der Reformation ausgehende Druck den entscheidenden Anstoß, geplante Veränderungen auch umzusetzen. Leppin zeichnet die im Spätmittelalter geführte Debatte zum Gegensatz von Papst und Konzil nach: Als Folge des großen abendländischen Schismas war im frühen 15. Jahrhundert ein Konziliarismus entstanden, der Ende des Jahrhunderts zugunsten des Papalismus wieder an Bedeutung verlor. Einen Nachhall fand die erstarkte Position der Päpste zu Beginn der Reformation: Luther und andere evangelische Theologen sahen nicht im Konzil ihren Gegner, sondern im Papsttum.

Albert de Lange blickt auf die seit dem 13. Jahrhundert praktizierte Ketzerverfolgung der römischen Kirche und geht der Frage nach, welchen Einfluss die Reformation auf das Inquisitionsverfahren hatte. Im europäischen Vergleich gelangt er zu unterschiedlichen Ergebnissen: In Deutschland konnte die Inquisition aufgrund der zahlreichen evangelischen Territorien nicht Fuß fassen. Frankreich und die Niederlande wurden zwar zentralistisch regiert, hier war die Ketzerverfolgung jedoch weltlichen Gerichten übertragen worden. Allein in Spanien und Italien konnte die Inquisition vor dem Hintergrund der „reformatorischen Bedrohung“ in straffer Form reorganisiert bzw. zu einer gegenüber den mittelalterlichen Ursprüngen neuartigen Institution aufgebaut werden.

Drei Beiträge gehen der Frage nach, welche Wirkung die Reformation auf die Kirchenmusik, die kirchliche Kunst und die Volkssprache hatte. In den evangelischen Kirchen leistete der Gemeindegesang vielerorts einen wichtigen Beitrag zur Einführung der Reformation. Der Musikwissenschaftler Wolfgang Fuhrmann arbeitet heraus, dass man darauf von katholischer Seite reagierte, indem ebenfalls volkssprachliche Gesangbücher veröffentlicht wurden. Letztlich erlangte der katholische Gemeindegesang, der ohne liturgisch entscheidende Funktion blieb, jedoch nicht die Bedeutung seines protestantischen Pendants.

Der Kunsthistoriker Christian Hecht befasst sich mit Altären in katholischen Kirchen während des konfessionellen Zeitalters. Altarretabel standen nur punktuell in Beziehung zur Messliturgie und erfuhren somit durch die Reformation keinen theologisch bedingten Wandel. Im Laufe des 16. Jahrhunderts lässt sich weder in der katholischen Bildproduktion noch in der Auswahl der Bildmotive eine Reaktion auf die Reformation feststellen. Veränderungen in der Gestalt der Altarbilder waren allein durch künstlerische Innovationen – etwa die Anwendung der Zentralperspektive – bedingt.

In einer Mikrostudie untersucht der Germanist Hans Ulrich Schmid die sprachlichen Mittel in zwei Streitschriften Martin Luthers und stellt diesen die Antworten der Katholiken Johann Tetzel und Hieronymus Emser gegenüber. Schmid kann syntaktische sowie lexikalische Unterschiede zwischen Luthers Sprachgebrauch und dem seiner Gegenspieler feststellen. Seine Leitfrage nach einem „typischen protestantischen und katholischen Schreibstil der Reformationszeit“ (S. 74) dient als Anregung für tiefergehende Forschungen.

Marek Wejwoda blickt auf die Reformbewegung in sächsischen Klöstern. Die Erneuerung des Ordenslebens war seit dem Hochmittelalter ein Dauerthema; wesentliche Initiativen gingen insbesondere von der Observanzbewegung aus. Wejwoda sieht einen engen Zusammenhang zwischen der sächsischen Ordensreform und der ebenfalls in Sachsen beginnenden Reformation, zumal Martin Luther als observanter Augustiner-Eremit ebenfalls aus dem Reformordens-Milieu kam. Einige zentrale Elemente in Luthers Theologie – etwa die Rechtfertigungslehre unter Ablehnung der Werkgerechtigkeit – finden sich bereits bei Augustinus und somit in der ureigenen Ordenstheologie.

Die Geistlichen stehen auch im Mittelpunkt des Aufsatzes von Michael Beyer, der nach Veränderungen der Priesterausbildung vor und nach der Reformation fragt. Er hebt hervor, dass die auf dem Trienter Konzil beschlossene Einrichtung von Priesterseminaren nicht als Reaktion auf die Reformation zu verstehen ist, sondern bereits in der erasmianisch-humanistischen Bildungskritik des 15. Jahrhunderts angelegt war. Beyers Beitrag, der einzelne Aspekte des Themas streift, stellt sich eher als lockerer Überblick denn als Auswertung eines konkreten Quellenbestands dar.

Den Abschluss des Bandes bilden drei Aufsätze zu Herzog Georg von Sachsen. Christoph Volkmar geht der Frage nach, inwiefern sich Georgs starke altgläubige Frömmigkeit auf sein Selbstverständnis als Landesherr auswirkte. Georg strebte nach Erneuerung, betonte aber die Autorität der Amtskirche. Er machte die Kirchenreform zum Schwerpunkt seiner Herrschaft, indem er etwa die stark veräußerlichte Frömmigkeit des Wallfahrtswesens einschränkte. Volkmar unterstreicht, dass der Reformeifer zu Beginn des 16. Jahrhunderts nicht zwangsläufig zur Kirchenspaltung führen musste und dass Martin Luther, dessen Wunsch nach Erneuerung aus derselben Wurzel wie der aller übrigen kam, tatsächlich einen neuen Weg einschlug.

Heiko Jadatz stellt die Frage, ob Georg von Sachsen mit seiner Kirchenreform gescheitert sei. In den 1530er-Jahren hatte der Herzog Inventarisierungen in den Klöstern durchführen lassen, bei denen er im Sinne der Observanzbewegung die nicht für die Messfeier erforderlichen vasa sacra einziehen ließ. Es gelang Georg jedoch nicht, seine Reformpolitik innerhalb der römischen Kirche soweit zu festigen, dass sie dauerhaft Bestand hatte, denn nach seinem Tod 1539 führte sein Bruder Heinrich mit kursächsischer Unterstützung die Reformation auch im albertinischen Landesteil ein. Der Beitrag von Christian Winter schließt insofern an Jadatz’ Ausführungen an, als er Georgs Reformbemühungen hinsichtlich Kaiser und Reich untersucht. Georg bemühte sich um ein Konzil und um die Stärkung der katholischen Partei im Reich, konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen. Winter zieht somit – ebenso wie Jadatz für die kirchliche Reform – den Schluss, dass der Herzog auch mit seinen politischen Zielen gescheitert sei.

Vor dem Hintergrund des 2017 anstehenden Reformationsjubiläums mit seinem medialen Rauschen auf evangelischer Seite stellt der Sammelband ein erfreuliches Gegengewicht aus altgläubiger Perspektive dar. Ausgehend von der Persönlichkeit Herzog Georgs von Sachsen zeigen die Beiträge, auf wie vielfältiger Weise man auch innerhalb der römischen Kirche nach Erneuerung strebte. Inhaltlich weit gefächert zeigen die Aufsätze verschiedene Maßnahmen kirchlicher Reform, die zum Teil bereits in vorreformatorischer Zeit begonnen wurden, in vielen Fällen jedoch erst durch die Reformation den entscheidenden Anstoß zur Umsetzung erhielten.

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