G. Eghigian: The Corrigible and the Incorrigible

Cover
Titel
The Corrigible and the Incorrigible. Science, Medicine, and the Convict in Twentieth-Century Germany


Autor(en)
Eghigian, Greg
Reihe
Social History, Popular Culture, and Politics in Germany
Erschienen
Anzahl Seiten
291 S.
Preis
$ 70.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annelie Ramsbrock, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Wer glaubt, Michel Foucault habe alles Wesentliche über das Gefängnis geschrieben, sollte „The Corrigible and the Incorrigible“ des US-amerikanischen Kultur- und Wissenschaftshistorikers Greg Eghigian lesen. Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Eghigian hat sein Buch weder gegen noch mit Foucault geschrieben, er arbeitet sich nicht an der Disziplinierungsthese ab, sondern schreibt eine eigene Geschichte des Strafens. Diese spielt im Deutschland des 20. Jahrhunderts und behandelt den Nationalsozialismus ebenso wie die Bundesrepublik und die DDR. Sie ist "not a history of the prison", sondern eine Geschichte der "correctional rehabilitation" (S. 10), also dessen, was wir heute als Resozialisierung bezeichnen.

Dieses Thema überhaupt in Angriff genommen zu haben ist ein erstes Verdienst des Autors. Denn sein Buch behandelt keinen klar umrissenen Gegenstand und auch kein Ereignis, sondern befasst sich mit der „correctional imagination“ als einem „ensemble of ideas, values, policies, practices, subjects and objects associated with public attempts to reform and rehabilitate criminals“ (S. 10). Nicht nur, dass Eghigian damit weitgehend unerforschtes Terrain betritt, auch schreibt er seine Geschichte über drei politische Systeme hinweg. Bei aller Verschiedenheit des nationalsozialistischen, sozialistischen und demokratischen Deutschlands wird damit zunächst eines deutlich: Die Freiheitsstrafe war in jedem deutschen Staat stets mehr als nur simple Reaktion auf Straftaten. In welcher Weise sich Wissenschaft, Medizin und Strafjustiz zusammentaten, um die Verhaltensweisen von Gefängnisinsassen zu regulieren, und inwieweit die jeweiligen Maßnahmen Vorstellungen von „good and bad, normal and pathological, corrigible and incorrigible“ (S. 11) zum Ausdruck brachten – das sind die leitenden Fragen des Buches.

Die Studie ist in fünf Kapitel gegliedert, von denen eines den Nationalsozialismus behandelt sowie je zwei die DDR und die Bundesrepublik. Ein Schwerpunkt wird auf die Behandlung von Sexualstraftätern gelegt. Als Quellengrundlage dienen archivalische Dokumente, besonders der Justiz- und Innenministerien, zudem Fachzeitschriften sowie kriminologische und strafrechtswissenschaftliche Abhandlungen. Dass Eghigian seine Untersuchung 1933 beginnen lässt, birgt eine der wesentlichen Thesen des Buches. Zwar stellte sich die Frage, wie Straftäter im Verlauf ihrer Freiheitsstrafe zu sozial konformen Mitgliedern der Gesellschaft gemacht werden könnten, nicht erst im Nationalsozialismus. „Now, however, the psychological sciences and medicine were making character a scientific and clinical object at the same time that criminal law was treating it as the object of correctional and preemptive intervention.“ (S. 33) Eghigian beginnt seine Geschichte also nicht mit der Entstehung des Resozialisierungsgedankens im späten 19. Jahrhundert, sondern mit der Einflussnahme der Humanwissenschaften auf den Prozess der Verhaltensregulierung. Tatsächlich war mit dem im November 1933 erlassenen „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ (Sicherungsverwahrung) die Vorstellung, dass es „verbesserliche“ und „unverbesserliche“ Straftäter gebe, in ein Gesetz gegossen worden. Die Frage, woran man einen „unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher“ denn erkenne, harrte damit dringlicher als zuvor einer Antwort. Kriminalbiologische Denkfiguren wurden als Grundlage der sozialen Prognostik entwickelt, wobei als „unverbesserlich“ eingestufte Straftäter entweder in Sicherungsverwahrung genommen oder aber in Konzentrationslager geschickt wurden. Als „verbesserlich“ eingestufte Insassen sollten dagegen eine „Charakterbildung“ erfahren, oftmals mit brutalen Methoden. „Character, in this context, was associated with the virtues of strength, stability, personal responsibility, self-discipline, stamina, and self-sacrifice.“ (S. 38)

Während die DDR das Gewohnheitsverbrechergesetz als faschistisch bewertete, es Anfang der 1950er-Jahre abschaffte und zunächst an die Reformbemühungen der Weimarer Republik anknüpfte, ließ der Einfluss wissenschaftlichen Wissen auf die „correctional imagination“ keineswegs nach. Einerseits beeinflusste es weiterhin die Prognostik, andererseits wurde die Resozialisierung selbst als ein wissenschaftlich angeleiteter Vorgang begriffen, konkret: als eine Form des sozialen Lernens auf der Grundlage des Behaviorismus, der Kybernetik und der Lehren des sowjetischen Pädagogen Anton Makarenko (1888–1939). „By the late 1960s, the criminal archetype in the GDR was widely understood as a disoriented personality, an individual whose personal development failed to properly converge with that of socialist society.“ (S. 93) Ziel der Rehabilitation sollte also die Schaffung einer „sozialistischen Persönlichkeit“ sein. Wie in keinem anderen deutschen Staat im 20. Jahrhundert fielen Theorie und Praxis des Strafens in der DDR auseinander. Insbesondere unter Honecker formulierten Gefängnisreformer gemeinsam mit Psychologen, Psychiatern und Pädagogen eine Agenda des Strafens, die primär soziale Hilfe sein sollte. Doch scheiterte dieses Vorhaben vor allem an der oftmals fehlenden persönlichen und professionellen Eignung der Gefängnisbediensteten, die nach wie vor auf Ordnung und Disziplin setzten und die „Resozialisierungserfolge“ der Insassen danach beurteilten, ob sie sich ihren Befehlen widerstandslos unterordneten.

Wie die Ursache für verbrecherisches Verhalten überhaupt, wurde auch jene für Sexualstraftaten bis in die 1960er-Jahre hinein in der Persönlichkeit des Täters gesucht. „Moralischer Schwachsinn“ lautete zumeist die Diagnose, die den Betroffenen als „Psychopathen“ markierte. Seit den 1970er-Jahren wurden „Psychopathien“ vor allem umweltspezifisch gedacht – als Folge einer falschen Sozialisation. Korrigiert werden sollte diese Entwicklung zumindest der Idee nach in eigens dafür eingerichteten Anstalten, ein Konzept, das allerdings nie verwirklicht wurde. Stattdessen saßen Sexualstraftäter meist in regulären psychiatrischen Anstalten ein, nicht selten ihr Leben lang. Alternativ dazu wurde auch in der DDR seit Anfang der 1970er-Jahre die chemische Kastration als Behandlung für Sexualstraftäter eingesetzt. Das Mittel dazu – Androcur – war seit den 1960er-Jahren in den USA erprobt worden, wurde rasch auch in Europa angewendet und diente jenseits des Eisernen Vorhangs dazu, aus „primitive, developmentally regressive men“ (S. 124) „sozialistische Persönlichkeiten“ zu machen.

Anders als die DDR schaffte die Bundesrepublik Deutschland das „Gewohnheitsverbrechergesetz“ von 1933 nicht ab und hielt damit an der Sicherungsverwahrung ebenso fest wie an der Möglichkeit der (freiwilligen) chirurgischen Kastration zur Behandlung von Sexualstraftätern. Auch hinsichtlich des Gefängnispersonals gab es durchaus Kontinuitäten zum Nationalsozialismus. Dennoch sollten Strafgesetzgebung und Strafvollzug mit den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates zu vereinbaren sein, wobei der Resozialisierungsgedanke eine zentrale Rolle spielte. „Punishment functioned as a form of participatory counseling in democratic and capitalist citizenship, and rehabilitation was redubbed ‚resocialization’.“ (S. 158)

Im Rahmen der bundesdeutschen Strafrechtsreform wurde insbesondere Sexualstraftätern eine hohe Aufmerksamkeit zuteil, was vor allem daran lag, dass der Sexualtrieb als Motor für Straftaten bis in die 1970er-Jahre hinein in erster Linie biologisch gedacht wurde und somit als schwer zu behandeln galt. Die chirurgische Kastration erschien vielen Ärzten als das einzig probate Mittel, dessen Anwendung 1969 schließlich im Kastrationsgesetz legitimiert wurde. Zugleich wirkte sich der „Psychoboom“ auf den Umgang mit Sexualstraftätern aus, wobei auch hier Theorie und Praxis auseinanderfielen. Psychotherapeutische Methoden sollten in speziell dafür eingerichteten Sozialtherapeutischen Anstalten Anwendung finden. Tatsächlich wurden elf solcher Anstalten im Bundesgebiet gebaut, doch konnte die Verlegung in diese Häuser anders als die Kastration rechtlich nicht institutionalisiert werden.

Abschließend hält Eghigian fest, dass sich die „correctional rehabilitation“ in keiner der deutschen Gesellschaften auf ein bestimmtes Prinzip oder eine Technik reduzieren lasse. Zwar waren Wissenschaftler an der Standardisierung bestimmter Methoden interessiert, doch scheiterten diese, wenn sie überhaupt je zur Anwendung kamen, an der Eigenlogik der Gefängnisgesellschaft. Letztlich trugen die Humanwissenschaften also weniger zur Behandlung von Gefängnisinsassen bei als vielmehr zu der Frage, wie eine verlässliche Sozialprognose gestellt werden könne, um „the corrigible and the incorrigible“ voneinander zu unterscheiden.

Die Geschichte der Rehabilitierung von Gefängnisinsassen lässt sich mit guten Gründen als eine Geschichte der humanwissenschaftlichen Entdeckung und Differenzierung von Persönlichkeit denken. Eghigian hat das überzeugend dargelegt. Zugleich evoziert sein Ansatz weitere Fragen – etwa, ob das jeweils hegemoniale Wissen über die Veränderbarkeit menschlicher Verhaltensweisen es auch hinter die Gefängnismauern schaffte. Wenn ja, mit welchen Konsequenzen? Wenn nein, wie wurden die Insassen behandelt, um (vermeintlich) rehabilitiert aus der Haft zu gehen? Solche Fragen lassen sich nicht ohne einen Blick auf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen beantworten, von denen Straf- und Strafvollzugsreformen in beiden deutschen Staaten begleitet wurden. Eghigian hat seinen Blick anders gelenkt, doch ändert das nichts daran, dass er ein inhaltlich überzeugendes, ausgesprochen elegant geschriebenes Buch vorgelegt hat.