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Titel
Leopold Ranke. Biografie eines Geschichtsbesessenen


Autor(en)
Juhnke, Dominik
Erschienen
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Jordan, Historische Kommission, Bayerische Akademie der Wissenschaften

Nachdem über lange Jahre mit Ausnahme der in italienischer Sprache verfassten Untersuchung Santi Di Bellas über den jungen Ranke1 kaum mehr längere Arbeiten über die Biographie Leopold Rankes (1795–1886) veröffentlicht wurden, hat sich das in letzter Zeit deutlich geändert. Im letzten Jahr erschien das monumentale Werk von Günter Johannes Henz „Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung“, dessen Verdienste besonders die enorme Bibliographie der Rankeschen Werkausgaben und der Sekundärliteratur sowie eine Darstellung der Rezensionsgeschichte sind.2 Bald darauf legte Andreas Boldt seine Biographie in englischer Sprache vor, die ebenfalls einen Überblick über die Werke und ein Kapitel zu Rezensionen über Ranke enthält sowie näher auf Rankes Theorie und Methodik eingeht.3 Für das Jahr 2016 sind ein italienischsprachiger Ranke-Reader, herausgegeben von Di Bella4, und der revidierte Band der Briefe Rankes, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München, angekündigt.5

Juhnkes Werk muss im Rahmen dieser Erscheinungen verortet werden und findet seinen Platz darin als Gesamtdarstellung von Leben und Werk, die an ein breiteres Publikum gerichtet ist. Demgemäß ist der Band illustriert und zeichnet sich durch eine leicht eingängige Sprache aus, die mitunter ins Saloppe übergeht und deren Flüssigkeit durch die Verlagerung der Anmerkungen an das Bandende gefördert wird. Die Darstellung basiert weniger auf Archivmaterial als auf gedruckten Materialien und Studien, was im Falle Rankes, für den ein moderneres biographisches Einstiegswerk bislang überhaupt ausstand, und von dem eine große Anzahl an Quellen bereits veröffentlicht (oder als Kriegsverlust nicht mehr erhalten) ist, nicht als Makel gewertet werden sollte. Erkennbar ist eine Orientierung an den Erkenntnissen des Berliner Ranke-Experten Siegfried Baur, was dem Band zum Vorteil gereicht, da Baur der zur Zeit wohl versierteste Kenner des Rankeschen Nachlasses in der Bibliothek der Syracuse University, New York, und der Berliner Bestände ist. Auch mögliche Vorbehalte gegenüber dem Wissenshorizont des Autors, der – noch nicht promoviert – als Mitarbeiter am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung im Leibniz-Forschungsverbund „Historische Authentizität“ tätig ist, wären unangebracht. Vielmehr zeichnet sich die Darstellung dadurch aus, dass Juhnke seinen Gegenstand sprachlich wie thematisch souverän im Griff hat und dabei auch kenntnisreich das politische, kulturelle und soziale Umfeld mit in den Blick nimmt. Dies ist insofern auch notwendig, als die quellenmäßige Überlieferungssituation zu bestimmten Lebensphasen und Lebensbereichen Rankes mitunter dünn ist: Diese zum Teil prekäre Quellenlage weiß der Autor durch Ausführungen über das Umfeld – etwa zur Situation der Universitäten in Preußen-Deutschland oder zur Rolle gebildeter Zirkel in Berlin – konsequent zu überspielen, so dass ein geschlossenes Bild entsteht.

Vor diesem Hintergrund entspricht Juhnkes Ranke-Biographie dem Genre des „Lebensbilds“, in dem die berufliche wie private Entwicklung des Protagonisten eingebettet ist in eine Schilderung des zeitgenössischen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Rahmens. Birgt dieses Genre die Gefahr einer zu starken Literarisierung seines Gegenstands, so hat es den Vorteil, dass Motivationslagen gut erkennbar gemacht werden können. Dies ist etwa der Fall, wenn Juhnke wiederholt Rankes Ehrgeiz, seine Getriebenheit und sein wissenschaftsasketisches Wesen betont, dabei aber durchaus die Bedeutung sozialer Netzwerke hervorhebt – vor allem Kontakte zum preußischen und zum bayerischen Königshaus, zu karrierewichtigen Personen der Kultusbehörde wie Johannes Schulze oder zu einflussreichen Persönlichkeiten wie Karl August Varnhagen von Ense oder dem Generalfeldmarschall Edwin Freiherr von Manteuffel.

Juhnke hat sein Werk chronologisch angelegt – von der familiären Herkunft bis zum Tod Rankes. Nahezu nicht thematisiert wird die spätere Ranke-Rezeption. Die Biographie lässt sich insofern als ausgewogen bezeichnen, als der Autor, anders etwa als Wilfried Nippel und Stefan Rebenich in ihren Biographien über Droysen und Mommsen, die die jeweiligen Protagonisten vor allem als Wissenschaftspolitiker konturieren6, Ranke nicht für eine bestimmte Darstellungsabsicht in Dienst nimmt. Rankes Lehrjahre, seine Zeit als karrierebestrebter Junghistoriker, sein Scheitern als politischer Publizist, seine Jahre als anerkannte, aber auch angefochtene Autorität sowie die Jahre des Alters, in denen sich der Historiker durch seine „Sämmtlichen Werke“ und seine „Weltgeschichte“ selbst monumentalisierte, werden, von Blicken auf die persönliche Situation (Kontakte zu den Brüdern, Eheleben, Vaterschaft, Krankheiten etc.) und in die Inhalte von Rankes Werken ergänzt, gleichmäßig gewichtet. Dabei entsteht kein neues Ranke-Bild. Vielmehr werden bestehende Erkenntnisse über Ranke in Einklang gebracht: Ranke als Verfechter einer quellengesättigten, auf Objektivität zielenden Methode, Ranke als früher Mitbegründer historischer Seminare, Ranke als Anhänger eines auf Ausgleich bedachten europäischen (und deutschen) Staatenkonzerts als politisches Ideal, Ranke als Gegner von Revolutionen und Anhänger historischer Entwicklung, Ranke als Kontrapunkt zu den Vertretern der borussischen Schule etc.

Nur an wenigen Stellen kommt Juhnke dabei zu einer Überschätzung seines Protagonisten, etwa wenn er urteilt: „Rankes Freiräume, sein nachhaltiger Erfolg als Autor und Erzähler sowie die Dominanz seiner Schule haben andere geschichtswissenschaftliche Strömungen, die die eigentlich neuen Methoden entwickelten und revolutionären Fragestellungen ausprobierten, unterdrückt und übertrumpft.“ (S. 89) Dabei muss man ihm zugutehalten, dass solche Stellen begrenzt sind und im Laufe der Darstellung immer wieder relativiert werden. Eine besondere Syntheseleistung gelingt Juhnke bei der Darstellung des Alterswerk, das einerseits als Selbstinszenierung, andererseits aber auch als Kulminationspunkt des Gesamtwerks erscheint: „Fassen wir die ausgeführten Impulse für das Alterswerk zusammen: Annäherung an die Borussen, Verarbeitung der Umbrüche des eigenen Jahrhunderts, Brückenschluss im Gesamtwerk, universalgeschichtliche Traditionspflege und damit letztendlich doch der übergroße Hegel, an dessen philosophischem Vorbild sich Ranke mit den Methoden des Historikers abarbeitet, um am Ende ein ähnlich geschlossenes Geschichtspanorama hinterlassen zu können, das den mutmaßlichen ‚Zusammenhang der Dinge’ offenbart.“ (S. 209)

Juhnke hat mit seiner Biographie eine beachtliche Leistung vollbracht, die auch durch manchmaligen sprachlichen Überschwang, der ins Fiktional-Feuilletonistische abgleitet („Ranke vollendet den Steilpass zufrieden lächelnd“, S. 221), nicht gemindert wird. Seine Arbeit ist zurzeit der sicher ausgewogenste und umfassendste Überblick, der zur Person und zum Werk Rankes vorliegt.

Anmerkungen:
1 Santi Di Bella, Leopold von Ranke. Gli anni della formazione, Soveria Manelli 2005.
2 Günter Johannes Henz, Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung, 2 Bde., Berlin 2014.
3 Andreas Boldt, The Life and Work of the German Historian Leopold von Ranke (1795–1886). An Assessment of His Achievement, Lewiston / Lampeter 2014; überarbeitete deutsche Ausgabe in Vorbereitung, erscheint 2016.
4 Santi Di Bella (Hrsg.), Leopold von Ranke, Storia, Storiografia, Politica, Napoli 2015.
5 Dietmar Grypa (Bearb.): Gesamtausgabe des Briefwechsels von Leopold von Ranke, Bd. 1: 1810-1825, Neuausgabe, hrsg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Gerrit Walther, Berlin 2016.
6 Wilfried Nippel, Johann Gustav Droysen. Ein Leben zwischen Wissenschaft und Politik, München 2008; Stefan Rebenich, Theodor Mommsen. Eine Biographie, München 2002.

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