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Titel
Historische Jubiläen als kollektive Identitätskonstruktion. Ein Planungs- und Analyseraster. Überprüft am Beispiel der historischen Jubiläen zur Schlacht bei Höchstädt vom 13. August 1704.


Autor(en)
Kollmann, Catrin B.
Reihe
Geschichtsdidaktik qualifiziert
Erschienen
Stuttgart 2014: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
279 S., 5 Abb.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katrin Minner, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Mit ihrer an der Universität Eichstätt-Ingolstadt eingereichten Dissertation bringt Catrin Kollmann das Feld der bisher vor allem sozial- und kulturgeschichtlich bearbeiteten Festforschung in den Bereich der Geschichtstheorie und (Geschichts-)Didaktik als Geschichtsvermittlung ein. Stein des Anstoßes ist für sie die gegenwärtig dichter gewordene Konjunktur begangener Jubiläen. Kollmann zieht für ihre Analyse die Jubiläen bzw. Gedenkfeiern zur Schlacht bei Höchstädt am 13. August 1704 aus den Jahren 1954 und 2004 als Untersuchungsgrundlage heran. Vergleichend werden das Jubiläum der Ersterwähnung des Ortes (1081/1981) und das erste vor Ort nachweisbare Schlachtenjubiläum von 1904 einbezogen. Ein Abgleich beispielsweise mit jubilarischen Schlachtenerinnerungen anderer Städte findet nicht statt.

Als Anspruch der Arbeit formuliert die Autorin, ein „Theoriemodell zur Analyse historischer Jubiläen und seiner geschichtskulturellen Manifestationen“ (S. 10f., ähnlich S. 13) zu entwickeln. Kollmann stützt sich dabei vor allem auf die erinnerungstheoretischen Ansätze von Jörn Rüsen sowie Jan und Aleida Assmann, deren Begrifflichkeiten und Kategorien sie auf Jubiläen zuschreibt und an ihrem Beispiel durchdekliniert. In eine konkrete geschichtswissenschaftliche Fragestellung wird die Arbeit nicht eingebettet. Kollmanns Anspruch, eine „Typisierung historischer Jubiläen“ vorzunehmen, bleibt auf den Typus der Schlachtengedenkfeier (in der Regel ein „Negativjubiläum“) beschränkt; das zum Vergleich herangezogene Stadtjubiläum von 1981 stellt dagegen ein „Positivjubiläum“ dar, das allerdings das als Erinnerungsfigur inzwischen etablierte Schlachtengedenken mit aufgegriffen habe.

Aus der bisherigen Jubiläumsforschung übernimmt Kollmann den Ausdruck von historischer Erinnerung, die Rhythmisierung, die Möglichkeit sowohl positiv als auch negativ konnotierter Ereignisse als Bezugspunkt und die Adaptierbarkeit auf verschiedenen institutionellen Ebenen sowie durch verschiedene Akteure als „prototypische Merkmale“ historischer Jubiläen. In Kollmanns Zugang reicht die Bandbreite der Akteure von Individuen (Honoratioren, Heimatpfleger, Kulturreferenten, Stadträte), kommunalen Festausschüssen, Stadtteilgruppen und Vereinen über regionale Institutionen (Museen, Tourismusverbände) bis hin zu „supranationalen Gruppen“ (beispielsweise auf europäischer Ebene) (S. 29, S. 132–140).

Im Zentrum ihrer Untersuchung stehen Jubiläen als Ausdruck historischer Erinnerung, die sich aus kollektiven Bedürfnissen ergebe. Kollmann verbindet die Initiation, Planung und Umsetzung dieser Anlässe mit der Konstruktion des (Erinnerungs-)Kollektivs, den Formgebungen „geschichtskultureller Manifestationen“ – also Festelementen, in denen Geschichte vermittelt wird - und den Intentionen für eine gewünschte Rezeption. Kernstück ihrer Studie ist die Entwicklung und Anwendung eines systematisierten Ablaufs für Jubiläen: der von ihr so benannte „Regelkreis von der Intention zur Manifestation und Rezeption“ (S. 64f.). Die Basis eines „Geschichtsverlangens“ entstehe aus lebensweltlichen „Bedürfnissen“ in „erinnerungskultureller, sozialer, politisch-normativer und ökonomischer Hinsicht“. Hier entstehende „Partikel“ setzten den Prozess aus „Anverwandlung, Idee und Vorhaben“ in Gang. Mit den Schritten „Entwurf“ und „Umsetzung“ gehe das Jubiläumsprojekt in eine Phase der „Manifestation“ über. Die auftretenden „geschichtskulturellen Manifestationen“ (insbesondere Mahnmale, Publikationen, historische Umzüge) klassifiziert Kollmann in drei Kategorien: das Erinnern und Gedenken („Geschichte als Nutzen“), das Informieren und Aufklären („Geschichte als Bildung“) und das Versinnlichen und Erleben („Geschichte als Erlebnis“). Als Wirkungsebene betrachtet die Autorin sowohl den Bereich der „Rezeption“ als auch die „Nachhaltigkeit“ (hier vor allem an wiederholten Jubiläen und der Verstetigung von geschichtsvermittelnden Medien wie Mahnmal und Denkmalweg festgemacht), die wiederum eine Rückversicherung in der Vergangenheit auslösen (S. 75).

Im Vergleich kann Kollmann mehr Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten der Anlässe als Brüche feststellen. Einen gewissen Veränderungsprozess konstatiert sie bei Organisationsstrukturen, die im Laufe der Zeit professioneller und basisdemokratischer wurden, sowie den Erscheinungsmedien, die dem jeweiligen Zeitkontext angepasst und modernisiert wurden. Sie verweist auf die Entwicklungen vom Mahnmal zum (auch touristisch verwertbaren) Denkmalsweg, von Schriften für Vereinsmitglieder zu Vortragsreihen und Publikationen hinzugezogener Geschichtsexperten für eine breite Öffentlichkeit sowie die inhaltlichen und zahlenmäßigen Erweiterungen des historischen Umzugs.

Die Akteure der Jubiläen zielen bewusst darauf, bei ihren Adressaten bestimmte Botschaften, Werthaltungen und (Selbst-)Verständnisse zu verankern. Als solchermaßen intendierte Rezeptionen prägten im Wesentlichen drei Themen die betrachteten Anlässe übergreifend: Das Herausstreichen der „weltgeschichtlichen Bedeutung“ (S. 237) formuliere ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt. Durch die Gemeinschaftsleistung des Jubiläums werde die (lokale) Solidargemeinschaft gestärkt. Nach dem Prinzip des „Aus der Geschichte lernen“ stehe das Gedenken im Zusammenhang mit Völkerverständigung und europäischem Friedensgedanken. Das Überwinden von Krisenzeiten sei eine Möglichkeit der Rückversicherung über Kontinuität und somit eine positive Darstellungsmöglichkeit der Stadt.

Insbesondere am Beispiel des Gedenkjahres 2004 kann Kollmann ökonomische Intentionen nachweisen. Zentral bleibt allerdings für sie die Funktion der Höchstädter Jubiläen als „Mittel kollektiver Identitätskonstruktionen“ (S. 259), die der Selbstvergewisserung dienten und Verortungsmöglichkeiten für das Kollektiv offerierten. Die Studie schließt mit den zwei offenen Fragekomplexen, inwieweit sich die Analyse von historischen Jubiläen auch auf Marketingkampagnen von Unternehmen übertragen lasse, und welche Auswirkung die digitale Revolution auf die Erscheinungsformen der Jubiläen haben werde.

Mit dem geschichtstheoretisch hochgerüsteten Raster werden Elemente untersucht, die auch die bisherige Jubiläumsforschung in den Blick genommen hat: Akteure, Planungen und Umsetzungen, Vermittlungsmedien und Geschichtsbilder sowie Rezeption. In Bezug auf die „Rezeption“ auf Grundlage von Berichterstattungen und Leserbriefen sollte vielleicht besser auf das mediengeschichtliche Konzept der „Anschlusskommunikation“ zurück gegriffen werden, da über die tatsächliche Rezeption des Festes bei den einzelnen Zuschauern keine Erkenntnisse zu gewinnen sind.

Historische Jubiläen als Form des kulturellen Gedächtnisses zu fassen, ist keine Novität mehr. Nur am Rande erwähnt die Verfasserin, dass es möglicherweise auch andere Identitätskonstrukte, Perspektiven und heterogene Gruppen innerhalb der Stadt bzw. der Gemeinden geben könnte. Sie stellt sie vielmehr zugunsten des Konzepts einer homogenen städtischen Erinnerungsgemeinschaft zurück und unterschlägt damit, dass gerade Aushandlungsprozesse die städtische Erinnerung formen. Die Studie unterstreicht demgegenüber Kontinuitäten und die „Allgemeingültigkeit“ der Elemente gerade dort, wo Veränderungen Rückschlüsse auf (zeitspezifische) Bedürfnisse von Gesellschaft bieten könnten. Eine wirkliche Tiefenschärfe gewinnt das Untersuchungsbeispiel dadurch nicht, was allerdings mit dem Ansatz der Arbeit auch nicht beabsichtigt war.

Die Studie weist eine sehr kleinteilige Gliederungsstruktur auf, und Redundanzen sowie eine Vielzahl von Verweisen auf spätere Untersuchungsschritte sind für die/den Leser/in recht ermüdend. Darüber hinaus lässt die Dissertation von Catrin Kollmann die Leserschaft aber auch inhaltlich recht ratlos zurück: Über die Anwendung der geschichtstheoretischen Begrifflichkeiten hinaus bringt die Arbeit für die Analyse von historischen Jubiläen in übergreifenden geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Auch die Absicht der Autorin, das Raster für eine „Praxis des kulturellen Schaffens“ (S. 13), also als „praktischer Handlungsleitfaden“ (S. 14) (für weitere Jubiläumsorganisatoren?), zu liefern, scheint angesichts der geballten geschichtstheoretischen Konzeptanwendung recht hoch gegriffen.

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