G. Okihiro: American History Unbound

Cover
Titel
American History Unbound. Asians and Pacific Islanders


Autor(en)
Okihiro, Gary Y.
Erschienen
Anzahl Seiten
520 S.
Preis
$ 39.95; € 37,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Kramm-Masaoka, Institut für Geschichte, ETH Zürich

Rassismus, Ausbeutung und verwehrte Selbstbestimmung sind zentrale Themen und Bezugspunkte in den seit den 1960er-Jahren immer prominenter werdenden Asian American Studies, um das etablierte Bild eines weißen Amerikas zu kritisieren und zu widerlegen. Ähnlich wie bei African American, Latino/a und Native American Studies vermischen sich auch in den Asian American Studies wissenschaftliches Arbeiten und politischer Aktivismus. Als Teil der Ethnic Studies analysieren sie rassifizierte, aber auch geschlechts-, klassen- und sexualitätsbasierte Machtverhältnisse, und verfolgen Ziele wie staatsbürgerliche Anerkennung und die Gleichberechtigung vermeintlicher Minderheiten.1 Das Studium der vielfältigen Geschichten und Erfahrungen nicht-weißer Migration und Diaspora kontrastiert mit der einseitigen, stark eurozentrischen Meistererzählung der amerikanischen Geschichte, in der oftmals immer noch Narrative der Besiedelung und Westexpansion durch weiße Europäer dominieren.2 Darüber hinaus verfolgen die Asian American Studies häufig eine dezidiert transnationale Perspektive, die die globalen Verflechtungen zwischen Amerika und Asien als integralen Bestandteil der amerikanischen Geschichte hervorhebt.3 Neueste Ansätze betonen zudem nicht nur die Diversität der vielen, auch unterschiedlichen Gruppen von Asian Americans aus ost-, süd- und südostasiatischen Ländern, sondern ebenso die Herausbildung grenzüberschreitender Subjektivierungspraktiken und Lebenswelten, dich sich nicht auf ein ‚entweder amerikanisch-assimiliert oder asiatisch-verwurzelt‘ reduzieren lassen.4

In diesem Feld der zunehmend interdisziplinär, intersektional und transnational ausgelegten Asian American Studies ist auch Gary Y. Okihiros American History Unbound: Asians and Pacific Islanders zu verorten. Okihiro kritisiert jedoch, dass die meisten Studien Asian Americans zwar nicht mehr nur als einen Appendix einer weißen Nation darstellten, sie aber dennoch lediglich zur großen amerikanischen Geschichte hinzufügen.5 Okihiro will einen Schritt weiter gehen und dreht die Richtungslinien der Migrationsbewegung um. Gegen die geläufige Meinung postuliert er, dass „nicht die Asiaten nach Amerika gingen“ – vielmehr seien die „Amerikaner nach Asien gegangen“ (S. 9), und zwar im Zuge einer imperialistischen Expansion Europas und der USA. Zudem könne bei Asian Americans auch nicht davon ausgegangen werden, dass sie, wie etwa Einwanderungsgruppen aus Europa, durch die Umstände in ihren Herkunftsländer zu einer Migration angetrieben und von den Möglichkeiten in den USA angezogen worden seien. Vielmehr seien Asiat/innen und pazifische Insulaner/innen (Pacific Islanders) als Wanderarbeiter rekrutiert worden, während sie gleichzeitig ihre „Ländereien, Wasser und Souveränität an die imperiale Ordnung verloren“(S. 9).

Das Ausmaß und die Wucht dieser Argumentation sind bereits im Titel des Buches erkennbar, dass eben eine ungebundene, unkontrollierte, nicht klar abgrenzbare American History erzählen will. Damit interveniert Okihiro in eine Vielzahl von Debatten: erstens geht es ihm darum, die konventionelle Historiografie zur US-Geschichte als vermeintlich weiße Nation zu kritisieren; zweitens möchte er die Differenzen verschiedener nicht-weißer Gruppen in den USA anerkennen, jedoch auch zu einem Dialog zwischen diesen Gruppen beitragen; und drittens formuliert Okihiro eine Kritik an den etablierten Asian und Asian American Studies, die Asien und die USA getrennt voneinander behandelten und Chinesen und Japaner auf Kosten von Koreanern, Filipinos und anderen Menschen Südostasiens, Südasiens und Westasiens in den Vordergrund rückten sowie die Geschichten und Erfahrungen der Pacific Islanders, unter anderem aus Hawaii oder Guam, oftmals ignorierten (S. 2).

Mit American History Unbound legt Okihiro tatsächlich einen großen Wurf vor, der Leser/innen dazu auffordert, ebenso groß zu denken. Okihiro bettet die Geschichte der USA in eine dezentralisierte Weltgeschichte seit dem Beginn der Menschheit ein, legt jedoch sein Hauptaugenmerk auf die Verflechtungen zwischen Asien und Amerika in der Neueren und Neuesten Geschichte. Allerdings muss betont werden, dass der knapp 500-seitige Band als Handbuch für den universitären Lehrbetrieb konzipiert ist und zwar für Überblicksveranstaltungen zur US-Geschichte. Gegliedert ist das Buch in vier Teile mit den Titeln World History, Migrant Labor, Dependency und Wars and Realignment, die jeweils drei bis vier Kapitel beinhalten. Jedes Kapitel ist mit einer knappen Liste einschlägiger Forschungsliteratur, einer ereignisgeschichtlichen Tabelle sowie mindestens einer Primärquelle versehen und könnte somit jeweils als eine Unterrichtseinheit funktionieren.

Sehr detailliert beschreibt Okihiro in den jeweiligen Teilen, wie gewaltsame Eroberung Amerika konstituierte, hierbei Ausbeutung und Unterdrückung von Asiat/innen elementar zum Auf- und Ausbau der USA beitrugen, und sich Asian Americans trotz ökonomischer, politischer und kultureller Ausschlussmechanismen und Abhängigkeiten überall in den USA ansiedelten. Im letzten Teil zeigt Okihiro ausführlich, wie die Kriege, in denen die USA im 20. Jahrhundert involviert waren, in Asien zum Ausbau und der Neuetablierung militärischer Einflusszonen führten, Millionen von Menschen vertrieben und zugleich eine „globale Neuausrichtung des Kapitalismus“ anstießen (S. 331). Hierzu rechnet Okihiro die weltweite militärische, politische, wirtschaftliche und kulturelle Hegemonie der USA nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie Klimawandel und Umweltverschmutzung durch Chemieunfälle und Atombombentests.

Der theoretische Ansatz von American History Unbound besteht in einem relationalen Verhältnis von Diskurs und materiellen Bedingungen, durch das die Machtbeziehungen innerhalb der Welt-Systeme Kapitalismus und Imperialismus sichtbar gemacht werden sollen. Durch diese Wechselwirkung von Diskurs und Materialität entstehe, so Okihiro, eine „soziale Formation“, in der Hierarchien, Privilegien und Abhängigkeiten durch race, Geschlecht, Sexualität, Klasse und Nation genauso wie durch Metropole-Peripherie-Beziehungen und kapitalistische Arbeits-, Besitz- und Produktionsverhältnisse wirkmächtig werden (S. 10–12). Darüber hinaus liefert Okihiros Analyse eine Menge wirtschaftshistorischer Zahlen und Fakten und erläutert die für die Geschichte der Asiat/innen, Pacific Islanders und Asian Americans signifikanten Verträge, Gesetze und Urteile der US-Rechtsgeschichte. Zudem gibt er der Sozialgeschichte von zivilgesellschaftlichen Bewegungen viel Raum und liefert etliche kulturgeschichtliche Analysen von rassistischen, klassen-, geschlechts- und sexualitätsbasierten Vorurteilen gegenüber nicht-weißen Amerikaner/innen und deren Ermächtigungsstrategien.

Angesichts des politischen Anliegens Okihiros verwundert es kaum, dass die klassischen Akteure der US-Geschichte – weiße Männer – in seinem Narrativ in den Hintergrund gerückt werden. Sehr viel mehr Aufmerksamkeit erhalten bisher stumme oder zumindest leise Stimmen, wie die von Frauen des hawaiianischen Königshauses, koreanische Plantagenarbeiter/innen oder südostasiatische Kriegsflüchtlinge der 1980er-Jahre. Und auch wenn Rassismus, Unterdrückung und Gewalterfahrung der historischen Akteurinnen und Akteure in American History Unbound Kernthemen darstellen, schafft Okihiro keinen Opferdiskurs. Seine Erzählungen gestaltet er durch ein Zusammenspiel von Anekdoten, mündlichen Überlieferungen, offiziellen Darstellungen und popkulturellen Repräsentationen. Die beeindruckende Fülle der zusammengetragenen Materialien unterstreicht nochmals die zentrale, jedoch bisher oftmals ignorierte Rolle der Asian Americans in der US-Geschichte.

Die enorme Dichte an Fakten und Material ist jedoch nicht nur eindrucksvoll, sondern auch einschüchternd, und es erfordert sicherlich etliche Mühen und viel Arbeit, dieses Textbuch in Einführungsveranstaltungen zu bewältigen – sowohl für Studierende als auch für Dozierende. Bei den theoretischen Überlegungen wären zur Orientierung mehr Referenzen zu vertiefender Lektüre hilfreich gewesen. Als politische Intervention, sowohl im universitären Lehrbetrieb als auch in der Forschung, funktioniert American History Unbound sehr gut, wobei freilich abzuwarten ist, inwieweit das Textbuch Akzeptanz findet und tatsächlich zum Einsatz kommt. Okihiros starke politische Argumentation birgt jedoch auch gewisse epistemologische Schwierigkeiten, da beispielsweise die Gleichsetzung von Pacific Islanders und Native Americans, wie Okihiro sie – auch im Sinne einer politischen Solidarität – vornimmt, Gefahr läuft, selbst einen ethnisch homogenen Kollektivsingular zu konstruieren. Zudem wird oftmals nicht ganz klar, von wem Okihiro eigentlich spricht, wenn– wie oben angeführt – von Amerikanern und Asiaten die Rede ist. Durch diese an vielen Stellen unklare Benennung könnte möglicherweise sogar ein zentrales Ziel verfehlt werden, nämlich die Erlangung eines selbstverständlichen gleichberechtigten Status von Asian Americans als US-Staatsbürger/innen in der amerikanischen Gesellschaft. Nichtsdestotrotz bietet American History Unbound äußerst wichtige Ansätze, um die Geschichte der USA neu zu denken und reiht sich in die neuere Tendenz einer auch globalgeschichtlich ausgerichteten (US-amerikanischen) Historiografie ein, die das Konstrukt der „amerikanischen Nation“ hinterfragt und aufzubrechen versucht.

Anmerkungen:
1 Angelo N. Ancheta, Neither Black Nor White, in: Jean Yu-Wen Shen Wu / Thomas C. Chen (Hrsg.), Asian American Studies Now. A Critical Reader, New Brunswick, NJ 2010, S. 21–34.
2 Ronald Takaki, Strangers from a Different Shore. A History of Asian Americans, Boston 1989.
3 Eiichiro Azuma, Between two Empires. Race, History, and Transnationalism in Japanese America, Oxford 2005; Setsu Shigematsu und Keith L. Camacho (Hrsg.), Militarized Currents. Toward a Decolonized Future in Asia and the Asia Pacific, Minneapolis 2010.
4 Erika Lee, The Making of Asian America. A History, New York 2015; Jie-Yeon Yuh, Beyond the Shadow of Camptown. Korean Military Brides in America, New York 2004.
5 Vgl. bspw. Bill Ong Hing, Making and Remaking Asian America Through Immigration Policy, 1850–1990, Stanford, CA 1993.