Cover
Titel
Charles de Gaulle.


Autor(en)
Loth, Wilfried
Reihe
Urban Taschenbücher Geschichte / Politikwissenschaft 660
Erschienen
Stuttgart 2015: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
331 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Waechter, Institut Européen – European Institute, Nizza

Charles de Gaulle ist die überragende Gestalt der französischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zugleich bietet der erste Präsident der V. Republik ein Musterbeispiel dafür, wie eine historische Gestalt selbst zu ihrem Bild in der Geschichte und zu der Mythenbildung um ihre Person beitragen kann. In seinen Reden unterließ er selten einen Hinweis auf seine selbst empfundene historische Größe; in seinen „Memoiren des Krieges“, die er in den 1950er-Jahren verfasste, dichtete er eine Heldenlegende auf sein eigenes Leben in den Jahren 1940–1945. Historiker haben sich seitdem schwer mit der Biographie des Generals getan, nicht nur, weil sich teils schwer zwischen Fakten und Legenden unterscheiden lässt, sondern auch, weil das Werk de Gaulles nach wie vor zur politischen Parteinahme herausfordert. So waren manche biographischen Werke hagiographisch angelegt, andere dagegen versuchten den Heldenmythos des Generals zu dekonstruieren. Hinzu kommt, dass der Nachlass de Gaulles der Forschung nicht vollständig zugänglich ist, so dass viele Fragen noch unbeantwortet bleiben müssen.

In Deutschland hat der Präsident stets viel öffentliches Interesse und teils auch Begeisterung gefunden, insbesondere bei seinem Staatsbesuch im Jahre 1962. Umso erstaunlicher ist es, dass sich bislang nur wenige deutsche Historiker für die Figur interessiert haben und somit eine deutschsprachige De-Gaulle-Forschung noch am Anfang steht. Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass in der Person von Wilfried Loth einer der besten deutschen Kenner der modernen französischen Geschichte nun eine Biographie de Gaulles vorgelegt hat, die mit ihrem Format von gut 300 Seiten und ihrem auch für fachfremde Leser geeigneten Zugang ein umfassendes Bild vom Leben und Wirken des Politikers bietet. Loth entgeht der Gefahr einer zu hagiographisch oder parteilich angelegten Biographie, indem er die Tätigkeit de Gaulles stets in einen breiten politischen Kontext einbettet. Manche Kapitel lesen sich so fast wie eine allgemeine Geschichte Frankreichs, in der auf die Rolle de Gaulles besonderen Wert gelegt wird. Immer wieder aber werden auch Abschnitte über das Privatleben des Generals, Zitate aus seiner Korrespondenz und aus Gesprächen eingestreut. Loth urteilt über das Wirken des Politikers stets zurückhaltend und abgewogen, indem er dessen Ziele in Bezug zum Erreichten und zu den Konsequenzen seines Handelns stellt.

Im letzten Kapitel seines Buchs reflektiert der Autor grundsätzlicher über den Ort de Gaulles in der französischen Geschichte und dessen sich selbst zugeschriebene Rolle als „Retter der Nation“. Loth erkennt dem General große Verdienste zu, wie etwa die Einigung des Widerstands gegen die Besatzung durch Hitler-Deutschland, die Integration des Landes in der Phase der Befreiung, die Beendigung der Kolonisation. Zu Recht aber merkt der Autor an, dass de Gaulle mit seiner selbstbezogenen Geschichtssicht das Wirken anderer Figuren bewusst in den Hintergrund drängte. Zentral für das Politik- und Geschichtsverständnis de Gaulles ist für Loth das Streben nach einem „Frankreich der Größe“ – ein Streben, das sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als zunehmend unzeitgemäß und utopisch erwiesen habe. Auch habe der General mit seiner Intransigenz und seinem Beharren auf der Größe Frankreichs oft positive Entwicklungen (wie etwa die europäische Integration) behindert und konstruktive Lösungen torpediert. Das Staatsverständnis des Generals sei am Idealbild einer Wahlmonarchie mit einer dezidiert vertikalen Machtausübung orientiert gewesen. Da er sich selbst als so einzigartig empfunden habe, sei ihm seine eigene Nachfolge als ein kaum lösbares Problem erschienen. Zahlreiche Strukturprobleme des heutigen politischen Systems, so könnte man hinzufügen, lassen sich dadurch erklären, dass seine Institutionen auf eine außergewöhnliche politische Figur zugeschnitten waren, die zudem das Land aus einem Kolonial- und Bürgerkrieg führen musste. Angesichts der Probleme des 21. Jahrhunderts erweisen diese sich zunehmend als inadäquat. Wer also das Frankreich der V. Republik und seine spezifische politische Kultur besser verstehen will, wird Wilfried Loths Buch mit großem Gewinn lesen.

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