Cover
Titel
Heinz Nixdorf. Eine Biographie


Autor(en)
Berg, Christian
Reihe
Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte 82
Erschienen
Paderborn 2016: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Armin Müller, Duale Hochschule Baden-Württemberg Ravensburg

Zweifellos war Heinz Nixdorf eine schillernde Gestalt der bundesdeutschen Wirtschafts- und Industriegeschichte. Bis heute ist sein Name über einen engeren Kreis von Fachinteressierten hinaus bekannt und steht für das Thema „Computer made in Germany“. In den Wirtschaftswunderjahren positionierte er sich als Pionier im Bau von elektronischen Bauteilen, um dann ab Ende der 1960er-Jahre mit der Nixdorf Computer AG das führende deutsche Unternehmen im Bereich Computerbau und elektronische Datenverarbeitung aufzubauen. Umso mehr verwundert es, dass bis heute biographische Arbeiten oder gar methodisch reflektierte Analysen zu seinem Leben und Wirken weitgehend fehlen. Über 30 Jahre lang stand die Biographie des Wirtschaftsjournalisten Klaus Kemper mit ihrem eher anekdotischen Zugriff weitgehend alleine.1 Diese Lücke wurde nun mit der vorliegenden, an der Universität Paderborn eingereichten Dissertation Christian Bergs geschlossen.

Das Buch richtet sich sowohl an ein allgemein interessiertes als auch an ein fachlich-wissenschaftliches Publikum. Bergs Zugang ist zunächst ein biographischer, also auf Nachzeichnung von Nixdorfs Lebenswerk und die Einordung seines Handelns in das unternehmerische und technisch-wirtschaftlich-gesellschaftliche Umfeld orientiert. Dabei versucht der Autor, dem „Mythos Nixdorf“ nicht noch mehr Nahrung zu geben, sondern diesen auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen und zu kontextualisieren. Hinter Bergs Analyse steht zum einen das klassische Modell des Unternehmers als Persönlichkeit und Entscheider (nach Joseph Schumpeter und Mark Casson), zum anderen reichert er dieses Modell mit Elementen der neueren Kulturwissenschaft an (Sozialkapitaltheorie nach Bourdieu und Sozialisationstheorien). Hervorzuheben ist Bergs umfassender Quellenzugriff: Für die Biographie hat er die leider lückenhaften Bestände des Heinz Nixdorf MuseumsForums in Paderborn, viele weitere regionale und Unternehmensarchive sowie persönliche Überlieferungen aus dem familiären Umfeld ausgewertet und mit Zeitzeugeninterviews ergänzt.

Gegliedert ist die Arbeit in sechs Hauptkapitel. In fünf Kapiteln beschreibt Berg – weitgehend chronologisch – Nixdorfs (Unternehmer-)Leben, dabei dienen die wichtigsten Etappen der Unternehmensgeschichte als Orientierung. Kapitel 6 analysiert schließlich die Unternehmenskultur in der Nixdorf Computer AG und damit das Verhältnis von Unternehmer und Unternehmen. Akribisch erarbeitet der Autor in Kapitel 1 Nixdorfs familiäre Herkunft und seine jungen Jahre in den NS- und Kriegsjahren, hier wird das bislang veröffentlichte Nixdorf-Bild wesentlich erweitert. Deutlich ausdifferenzierter erscheint auch Kapitel 2 zur Gründungsphase von Nixdorfs erstem Unternehmen, dem Labor für Impulstechnik. Berg setzt sich hier kritisch mit dem bislang stark vereinfacht erzählten Aufstiegsmythos auseinander ohne zu vergessen, die Leistungen Nixdorfs ausreichend zu würdigen. Berg betont, dass Nixdorfs Innovationen nicht unbedingt im Bereich technischer Erfindungen lagen, sondern im Brückenschlag zwischen technischen Möglichkeiten und neuen bzw. wachsenden Marktanforderungen. In Kapitel 3 werden die entscheidenden Jahre 1963–1968 des Durchbruchs zur Mittleren Datentechnik, also zu anwendungsorientierten Kleincomputern, dargestellt. Für Nixdorf war diese Phase vor allem durch die wechselvolle Zusammenarbeit mit der Wanderer-Werke AG und die anschließende Übernahme des angeschlagenen Büromaschinenherstellers geprägt. In kaum einem Jahrzehnt war durch eigenes Wachstum und die Wanderer-Übernahme aus einem kleinen Elektronik-Labor mit rund 100 Mitarbeitern ein international agierendes Großunternehmen mit über 5.000 Mitarbeitern (Stand 1970) geworden.

Mit den „langen Siebziger Jahren“ beschäftigt sich der Autor in Kapitel 4. Hier zeichnet Berg die gesamte Phase bis zu Nixdorfs Tod 1986 nach. Zentral waren hier der Einstieg der Deutschen Bank als Minderheitsaktionär Anfang der 1980er-Jahre und die Strategie der Diversifizierung (Kassensysteme, Bankautomaten und Datentelefone). Krise, Wandel und Verlust der Eigenständigkeit der Nixdorf Computer AG sind zentrale Themen in Kapitel 5. Überzeugend widerspricht Berg hier der These, dass ein Nichteinstieg ins PC-Geschäft für den Nixdorf-Niedergang verantwortlich war. Vielmehr arbeitet er bedeutende interne Faktoren hierfür heraus und bettet Nixdorf in die schwierige Entwicklung der Gesamtbranche – insbesondere auch vieler kriselnder PC-Hersteller – ein.

Bergs Biographie ist in allen genannten Phasen keine reine Nixdorf-Geschichte, sondern in allen Kapiteln wird ausführlich die Gesamtentwicklung der (deutschen) Büromaschinen- und Computerindustrie beschrieben. Nixdorf und sein Unternehmen werden so immer als wichtiges, aber nicht singuläres Teil des Gesamtpuzzles porträtiert. Die Unternehmerbiographie wird hier im positiven Sinne zur Branchenanalyse. Diese Öffnung der Biographie hin zu Umweltfaktoren ist sicherlich auch der nicht einfachen Quellenlage geschuldet. Vor allem das fast vollständige Fehlen interner Dokumente hat zur Folge, dass die Person Nixdorf immer stärker hinter der – veröffentlichten – Unternehmensentwicklung zurücktritt. Interne Prozesse oder strategische Diskussionen können so nur ausschnittsweise beleuchtet werden. Ansatzweise findet das im letzten Kapitel, der „Annäherung an die Unternehmenskultur der Nixdorf Computer AG“, statt. Berg arbeitet in diesem Abschnitt wesentliche Elemente dieser Kultur heraus: die offenen und durchlässigen Organisationstrukturen, das moderne Auftreten der Firma in Logo, Architektur und Werbung, die sozialpartnerschaftliche Führung und die enge Bindung an Stadt und Region Paderborn. Im Zentrum dieser Unternehmenskultur stand die Person Heinz Nixdorf, der eine moderne Form des paternalistischen Unternehmers verkörperte und eine kunden- und mitarbeiterorientierte Führungskultur lebte, die sich an amerikanischen Vorbildern orientierte. Diese Kultur zerbrach nach Nixdorfs Tod und stand auch in diametralem Gegensatz zur Unternehmenskultur bei der Siemens AG, die Nixdorf 1990 übernahm und in den 1990er-Jahren versuchte, mit der Siemens Nixdorf Informationssysteme AG einen ausreichend großen Akteur im internationalen Wettbewerb der IT-Branche zu positionieren.

Mit Bergs Nixdorf-Biographie liegt ein wichtiges Buch vor, das das existierende Bild vom Unternehmer und vom Unternehmen Nixdorf schärft. Einige Mythen werden relativiert, andere deutlich differenzierter ausgeführt. Obwohl die beschriebene Einbettung in die allgemeine Branchenentwicklung gut gelingt und auch viele Motive und Verhaltensmuster auf seine persönlichen Prägungen zurückgeführt werden, bleibt Nixdorf am Ende als innovative Führungs- und Gallionsfigur im Schumpeterschen Sinne bestehen, der wesentlich an der „schöpferischen Zerstörung“ der mechanischen Büromaschinenindustrie und deren Ablösung durch die elektronische Datenverarbeitung beteiligt war, so das Fazit Bergs. Dem Rezensenten mag das sehr negativ gezeichnete Bild der alten Branchenunternehmen etwas übertrieben erscheinen, immerhin blieben einige davon weiterhin relevante Akteure. Insgesamt fand aber fraglos ein revolutionärer Wandel statt. Bergs Buch beeindruckt auch durch einen über 80-seitigen Endnoten-Apparat, in den viele der Fachdiskussionen verbannt sind. Für den fachlich-wissenschaftlichen Leser macht das die Lektüre etwas mühsam. Das allgemeine Publikum wird diese Trennung aber sicherlich begrüßen. Für eine wissenschaftliche Abschlussarbeit hätte man sich noch eine etwas systematischere Verbindung von Theorien und Praxis gewünscht. Insbesondere eine breitere Diskussion der Fallstudie in Bezug auf die vorgestellten Unternehmertheorien hätte gefallen. Diese Kritikpunkte relativieren aber den Gesamteindruck einer gewinnbringenden, seriös recherchierten und differenziert argumentierenden Studie nicht.

Anmerkung:
1 Vgl. Klaus Kemper, Heinz Nixdorf – eine deutsche Karriere, Landsberg am Lech 1986.

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