A. Schaser: Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung

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Titel
Der Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung 1990 bis 2015. Wissenschaftliche Professionalisierung im Netzwerk


Autor(en)
Schaser, Angelika
Erschienen
Hamburg 2015: Druckhaus Köthen
Anzahl Seiten
143 S.
Preis
€ 12,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Althaus, Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg

1990 traf sich eine kleine Gruppe Historikerinnen im unterfränkischen Oberaurach, um den Arbeitskreis Historische Frauenforschung (seit 1999: Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung) zu gründen. Der als deutsches Komitee der International Federation for Research in Women’s History agierende Arbeitskreis entwickelte sich bald zu einem wichtigen Zentrum der bundesrepublikanischen Frauen- und Geschlechtergeschichte. Im Jubiläumsjahr zu seinem 25jährigen Bestehen legt Angelika Schaser erstmalig eine umfassende Dokumentation zur Geschichte dieses Netzwerks vor.1 Sie will darin nicht nur den Weg des Arbeitskreises aus der bayrischen Provinz ins Zentrum der Geschichtswissenschaften nachzeichnen. Mit ihrem Rückblick, den sie aus der Perspektive des langjährigen Mitglieds schreibt, möchte sie zudem „zur Diskussion um die Weiterentwicklung des Arbeitskreises beitragen“ (S. 9). Somit ist der unmittelbare Adressat/innenkreis klar benannt. Anders als unter diesen Vorzeichen angenommen werden könnte, ist das Buch jedoch nicht nur für Mitglieder des Arbeitskreises von Interesse. Schaser stellt darin die Entstehung und Entwicklung der Frauen- und Geschlechtergeschichte an deutschen Universitäten in ihren vielfältigen Verflechtungen mit und Abgrenzungen von der neuen Frauenbewegung, der internationalen Frauenforschung, der männlich dominierten „Historikerzunft“ sowie den universitätshistorischen und gesellschaftlichen Prozessen nach der deutschen Wiedervereinigung dar. Mit der Einbettung des Arbeitskreises in größere gesellschaftliche und (hochschul-)politische Kontexte schreibt sie nicht nur die Festschrift einer Institution, sondern sie leistet einen Beitrag zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte der neuen BRD aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive.

Aufgrund der Organisationsform des Arbeitskreises als Netzwerk mit wechselnder Koordination sah Angelika Schaser sich mit einer schwierigen Quellenlage konfrontiert. Durch Zusammentragen von Quellen aus privaten – unsortierten – Sammlungen von Kolleginnen sowie durch das Einfangen von Erfahrungswissen prominenter Vertreterinnen des Arbeitskreises mittels Interviews trägt sie mit dem Buch auch zu einer Quellensicherung im Bereich der Frauen- und Geschlechtergeschichte bei.

In ihrer Dokumentation der Geschichte des Arbeitskreises arbeitet Angelika Schaser in chronologischer Systematik verschiedene Phasen heraus. In einem ersten Teil rekonstruiert sie die Vorgeschichte des Arbeitskreises seit den 1960er-Jahren und beleuchtet die gesellschaftlichen, politischen und universitätshistorischen Umstände seiner Gründung im Jahr 1990. Daran anschließend untersucht sie in einem zweiten Teil die Organisationsstruktur und Aktivitäten des sich etablierenden Arbeitskreises und die Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechtergeschichte an deutschen Universitäten in den 1990er-Jahren. Im dritten Teil widmet sie sich der Entwicklung des Netzwerks im neuen Jahrtausend, die durch große Veränderungen gekennzeichnet ist. Hervorzuheben sind etwa der Generationenwechsel im Arbeitskreis, seine Umwandlung in einen Verein und damit zusammenhängend eine Öffnung der Jahrestreffen für Männer und eine verstärkte Zusammenarbeit mit Geschlechterforscher/innen außerhalb der Universitäten. Abschließend diskutiert sie In- und Exklusionspraktiken im Arbeitskreis hinsichtlich der institutionellen und disziplinären Verankerung, der geschlechtlichen und sozialen Zusammensetzung sowie der bundesweiten und internationalen Ausrichtung.

Obwohl die Darstellung insgesamt auf einer deskriptiven Ebene bleibt und Angelika Schaser nur wenige interpretative Schneisen schlägt, wird die Bedeutung des Arbeitskreises auf zwei Ebenen deutlich. Erstens stellt sie die große Rolle des Forscherinnennetzwerkes bei der Etablierung und Konsolidierung der Frauen- und Geschlechtergeschichte als Forschungsfeldvor. Im Gegensatz zu anderen feministischen Initiativen, die sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Geschichtsschreibung und -vermittlung bemühten, war das Netzwerk von Anfang an als akademischer Zirkel konzipiert. Auf Anregung von zwei Professorinnen – Karin Hausen und Gisela Bock – gegründet, richtete sich der Arbeitskreis explizit an möglichst hoch qualifizierte Historikerinnen an verschiedenen Universitäten im gesamten Bundesgebiet. Das überregionale Bündeln der wissenschaftlichen Aktivitäten einzelner Frauen, die zuvor isoliert an historischen Seminaren zu frauen- und geschlechtergeschichtlichen Themen forschten und lehrten, die Nachwuchsförderung sowie das stete Bemühen um die Präsenz frauen- und geschlechtergeschichtlicher Panels an den Historikertagen trug, so Schaser, maßgeblich zur Sichtbarkeit der Frauen- und Geschlechtergeschichte und ihrer Etablierung als Teilgebiet der Geschichtswissenschaften bei. Trotz eines viel versprechenden Anstiegs der Professuren mit einer Teildenomination Frauen- und Geschlechtergeschichte in den 1990er-Jahren will Schaser den Erfolg auf institutioneller Ebene nicht überbewerten. Bereits um die Jahrtausendwende wurden die ersten „Frauenforschungsprofessuren“ wieder gestrichen. Da heute im Fach Geschichte in der Bundesrepublik lediglich fünf Professuren mit einer Teildenomination Frauen- und Geschlechtergeschichte existieren, falle es schwer „von einer erfolgreichen Institutionalisierung zu sprechen“ (S. 85).

Zweitens hebt Schaser die Bedeutung des Arbeitskreises im Bereich der Gleichstellungsarbeit an Hochschulen hervor. Von Beginn an war die Arbeit im Netzwerk mit konkreten Stellenforderungen sowie Stellungnahmen zur Besetzung von Professuren verbunden. Die Geschlechterforscherinnen wollten Frauen nicht nur in der Historiografie, sondern auch an den Lehrstühlen sichtbar machen. Um den stark unterrepräsentierten Frauen im männlich dominierten Fach mehr Karrierechancen zu ermöglichen, setzten sie auf ein weibliches Netzwerk. Männer, die sich mit Geschlechterforschung befassten, konnten zwar von Beginn an Mitglied werden, die Einladungen zu den bundesweiten Treffen richteten sich bis ins neue Jahrtausend jedoch ausschließlich an Personen weiblichen Geschlechts. Interessant ist hier Schasers Feststellung, dass die Protagonistinnen des Arbeitskreises in ihrer Forschung zwar das „bipolare Geschlechtermodell des 19. Jahrhunderts längst hinter sich gelassen“ (S. 103), in ihrem hochschulpolitischen Engagement zur Frauenförderung jedoch die dualistische Geschlechterordnung festgeschrieben haben. Die Widerstände der etablierten männlichen Historiker gegen das feministische Agieren der Geschlechterforscherinnen werden von Schaser zwar erwähnt, jedoch räumt sie der strukturellen Misogynie an deutschen Hochschulen nur wenig Raum ein.2 Auch Binnenkonflikte im Arbeitskreis – etwa bezüglich der Frage nach einem Einbezug von Historikerinnen außerhalb der Universitäten – werden lediglich angedeutet. Wünschenswert wäre auch eine Vertiefung der transnationalen Perspektive gewesen, die internationale Kooperationen in der Frauenbewegung im Allgemeinen und im Arbeitskreis im Speziellen als treibende Kraft sichtbar gemacht hätten.3 Diese Auslassungen mögen der Form und Kürze der Darstellung als Jubiläumsschrift geschuldet sein. Als solche bietet Schaser einen zwar knappen, aber quellengesättigten und informativen Überblick über die Geschichte des Arbeitskreises, seine Bedeutung für die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft und die „wissenschaftliche Professionalisierung im Netzwerk“ auf institutioneller Ebene. Damit legt sie eine wertvolle Grundlage für weitere Forschungen. Eine spannende Anschlussforschung könnte etwa in dem von Schaser ausgesparten Feld der individuellen, berufsbiografischen Professionalisierung im Netzwerk angesiedelt werden. Dass von den 18 Gründerinnen, die zum Zeitpunkt der Gründung promoviert waren, heute 13 eine Professur innehaben, ist doch eine bemerkenswerte Bilanz, die zum weiteren Nachdenken anregt.4

Anmerkungen:
1 Einen kurzen Überblick über die Geschichte und Aufgaben des Arbeitskreises gibt: Karen Hagemann, Der bundesdeutsche Arbeitskreis ‚historische Frauenforschung‘, in: L’Homme 4/2 (1993), S. 95f.. Ebenso knapp – wenn auch etwas aktueller: Lorraine Daston, Laudatio für den Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung zur Verleihung des Margherita-von-Brentano-Preis der FU Berlin, Berlin 2015, online unter: <http://www.fu-berlin.de/sites/margherita-von-brentano/preistraegerinnen/Media/LorraineDastonBrentanoPreisLaudatioAKHFGJuli2015.pdf> (19.04.2016).
2 Zur langen Geschichte der Diskriminierung von Frauen an deutschen Hochschulen vgl. Karen Hagemann, Gleichberechtigt? Frauen in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft, in: Zeithistorische Forschungen 13 (2016), S. 108–135, online unter: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2016/id=5333> (19.04.2016).
3 Zu transnationalen Austauschbeziehungen als Triebkräfte in feministischen Netzwerken und Institutionen vgl. die Festschrift zu Ehren von Gisela Bock: Oliver Janz / Daniel Schönpflug (Hrsg.), Gender History in a Transnational Perspective. Networks, Biographies, Gender Orders, New York 2014.
4 Von den 22 Gründerinnen des Arbeitskreises waren zum Zeitpunkt der Gründung vier bereits als Professorin tätig. Die restlichen 18 Frauen waren promoviert, jedoch noch nicht habilitiert (S. 30f.).

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