M. Griesser u.a. (Hrsg.): Gegen den Stand der Dinge

Cover
Titel
Gegen den Stand der Dinge. Objekte in Museen und Ausstellungen


Herausgeber
Griesser, Martina; Haupt-Stummer, Christine; Höllwart, Renate; Jaschke, Beatrice; Sommer, Monika; Sternfeld, Nora; Ziaja, Luisa
Reihe
Edition Angewandte
Erschienen
Berlin 2016: de Gruyter
Anzahl Seiten
221 S., zahlr. farb. Abb.
Preis
€ 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cornelia Siebeck, Berlin / Ruhr Universität Bochum

In Ausstellungen und Museen dienen Objekte zumeist der Illustration und Authentifizierung übergreifender Erzählungen. Konventionelle ‚Gesten des Zeigens‘ (Mieke Bal) zielen darauf ab, die Dinge in ihrem Bedeutungsüberschuss einzuhegen und semantisch stillzustellen. Prozesse des Auswählens, der Bedeutungszuweisung und sinnhaften Anordnung werden dabei im Unsichtbaren belassen: Betrachter/innen werden buchstäblich vor vollendete Tatsachen gestellt.1

Dieserart museale Praxis gegen den Strich zu denken ist Anliegen des hier besprochenen Sammelbandes, der im Kontext des Vereins „schnittpunkt. ausstellungstheorie und praxis“2 sowie des Masterstudiengangs educating/curating/managing in Wien3 entstanden ist. Den Kontrollverlust über die Dinge zu wagen, sie nicht immerzu nahtlos einordnen zu wollen, stattdessen ihre Historizität und Vieldeutigkeit sichtbar und reflektierbar zu machen, kurz: die Dinge in Bewegung zu bringen und sie zum Anlass für partizipative Kommunikationsprozesse zu nehmen – so kann man die Programmatik dieses kleinen Kompendiums umschreiben.

In ihrer Einleitung resümieren die Herausgeberinnen aktuelle kulturwissenschaftliche Debatten um den epistemologischen Status von Dingen, deren Eigensinn und so genannte ‚Handlungsmacht‘. Aus einer dezidiert kritischen Perspektive fragen sie von hier aus danach, inwiefern Dinge in Ausstellungen und Museen auch „Ordnungen hinterfragen, Einteilungen sprengen und Berechenbarkeiten stören“ (S. 12) können und wie dieses subversive Potenzial erschlossen werden kann, um hegemoniale Erzählungen und routinierte Rezeptionsweisen zu unterminieren.

Der Band ist in zwei Teile gegliedert. Unter der Überschrift ‚Positionieren‘ finden sich allerhand theoretische Überlegungen in Form von Essays und reflexiven Gesprächen mit Akteur/innen im Feld. Unter dem Motto ‚Probieren‘ werden daraufhin Praxisbeispiele für einen alternativen Umgang mit Dingen skizziert.

Zu Beginn des theoretischen Teils setzt sich die Museumstheoretikerin und Kuratorin Nora Sternfeld zunächst einmal kritisch mit der Idee einer „Handlungsmacht der Dinge“ (S. 25) auseinander, wie sie im Anschluss an den Soziologen Bruno Latour durch die gegenwärtige Diskurslandschaft geistert. Zurecht warnt Sternfeld hier vor einer Re-Essenzialisierung der Dinge und plädiert dafür, die Latourschen Ansätze mit dekonstruktivistischen und hegemonietheoretischen Perspektiven zu vermitteln. Die ‚Handlungsmacht‘ der Dinge bestünde dann darin, immer auch mehr und anderes bedeuten und ‚tun‘ zu können als das, was ihnen hegemonial zugeschrieben wird. Ebenso wie alle anderen vermeintlichen Objektivitäten seien sie in historischer Perspektive als „sedimentierte Kämpfe“ (S. 33) um Herrschaft und Deutungsmacht zu begreifen. Diese Kämpfe gelte es in emanzipatorischer Absicht sichtbar zu machen und zu reaktivieren: „Wenn das Museum also ein Ort voller versteinerter Konflikte ist, wie küssen wir sie und wie küssen sie uns wach?“

Die Museologin und Kustodin Roswitha Muttenthaler reflektiert anschließend verschiedene „Formen der Aufladung und des Wirksamwerdens von Objekten“ (S. 41) in musealen Zusammenhängen. Anhand diverser Beispiele aus der Praxis führt sie unterschiedliche Blickwinkel, Inszenierungstechniken und Rezeptionsverhältnisse vor. Auf diese Weise wird deutlich, dass sich darüber, was ein Ding jeweils ‚ist‘ und repräsentiert, keine abschließende Aussage treffen lässt. Dies begreift Muttenthaler jedoch nicht als Problem, sondern vielmehr als Chance, anhand konkreter Dinge in offene Reflexions- und Aushandlungsprozesse über mögliche Deutungsweisen, Kontextualisierungen und Inszenierungen zu treten.

In einem weiteren Essay fordert die Restauratorin und Museologin Martina Griesser mehr Offenheit und Reflexivität im konservatorischen und restauratorischen Umgang mit Dingen. Anstatt sie einer historisch spezifischen Expertise zu unterwerfen, um sie dann als „Museumsdinge“ (S. 69) auf den Sockel zu stellen, seien sie als immer wieder neu zu befragende „materielle Korrespondenten“ zu begreifen, denen mit Neugier und stets „auf Augenhöhe“ (S. 69) zu begegnen sei.

Der Kulturanthropologe Friedrich von Bose widmet sich dem Diskurs um die Berliner ethnologischen Sammlungen, die demnächst im so genannten Humboldt-Forum rearrangiert werden sollen. Er zeigt, wie aufseiten der Macher/innen traditionelle Logiken des Sammelns und Präsentierens ‚fremder Kulturen‘ einer Wahrnehmung dieser Sammlungen als historischer Zeugnisse der ‚eigenen Kultur‘ nachhaltig im Wege stehen. Die vielfach erhobene Forderung nach einem reflexiven Bruch mit herkömmlichen Formaten ethnologischer Ausstellungen kollidiere hier mit tief verwurzelten institutionellen und professionellen Selbstverständnissen.

Mit der Frage, wie historisch verfestigte Blickweisen auf Dinge radikal irritiert und neu zur Debatte gestellt werden können, beschäftigt sich die Ethnologin und postkoloniale Aktivistin Regina Sarreiter. Ausgehend von der öffentlichen Übergabe von 20 Nama- und Hereroschädeln aus der Sammlung der Berliner Charité an eine namibische Delegation schildert sie eindrücklich, wie sich Objekte einer rassistischen Wissenschaft in Dinge verwandeln lassen, die offenkundig in vielfältige historische Macht- und Konfliktkonstellationen verwoben sind. Auf dieser Basis entwickelt sie eine Programmatik der „Aktivierung“ kolonialer Objekte, das diese als „Agenten in der Verhandlung von Geschichte beteiligt“ (S. 117).

Wie man aktiv vermeiden kann, „Dinge zu Bildern zu machen“ (S. 49); wie ausgestellte Objekte zu öffentlichen Verhandlungsgegenständen und gesellschafts-politischen „Reibebäumen“ (S. 71) werden können; wie historische und aktuelle Deutungsmachtverhältnisse offensiv sichtbar gemacht und neu verhandelt werden können; wie auch institutionelle Routinen, Pfadabhängigkeiten und Sachzwänge reflektiert und aufgebrochen werden können; ob vielleicht sogar so etwas wie eine emanzipatorische „Umprogrammierung“ (S. 135) des Museums möglich ist – um diese und verwandte Fragen drehen sich auch die Gespräche mit Kurator/innen, Museumsleiter/innen und Künstler/innen, die im Band dokumentiert werden.

Im Abschnitt ‚Probieren‘ werden diverse Experimente zu einem anderen Umgang mit Dingen beschrieben, die im Rahmen einer Workshop-Reihe in Kooperation mit verschiedenen Museen unternommen wurden. Dabei sollten „Dinge als Prozesse“ (S. 147) begriffen und gehandhabt werden.4 Methodischer Ausgangspunkt war stets eine offene „Ding-Mensch-Beziehung“ (S. 157). Von hier aus wurden allerart Verfahren der kollektiven Assoziation, Spekulation, Analyse, Wissens- und Bedeutungsproduktion erprobt. Vereinzelt wurden Dinge auch als Anlass für eigene materielle Praktiken im öffentlichen Raum eingesetzt. Allen Versuchsanordnungen war gemein, dass sie nicht auf einen hierarchisch strukturierten Lernprozess über Dinge abzielten, sondern einen partizipativen und ergebnisoffenen Erfahrungs- und Reflexionsraum mit Dingen schaffen wollten. Anstelle von Komplexitätsreduktion trat dabei die Affirmation von Uneindeutigkeit und die auch politische Botschaft, dass die Dinge nicht feststehen, sondern zu gestalten sind.

„Wie und ob eine kritische Museumsarbeit Einfluss auf die Zustände, Politiken und Debatten hat oder diese verändern kann, sind spekulative Fragen“, gibt Natalie Bayer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Münchner Stadtmuseum, im Gespräch mit Nora Sternfeld zu bedenken. Jedoch sei das Museum ein Ort der Vergesellschaftung, an dem durchaus „Versuche und Übungen zum Verändern von Machtverhältnissen“ unternommen werden könnten (S. 134f.). Für dieses ebenso bescheidene wie ambitionierte Projekt bietet der Band weder ein eindeutiges Programm noch eine Handlungsanweisung aus einem Guss. Vielmehr präsentiert er sich selbst als diskursiver Prozess. Die einzelnen Beiträge sind von unterschiedlicher Stringenz und Tiefenschärfe, jedoch animieren sie durchgängig zum Nach- und Weiterdenken. Als Leser/in fühlt man sich somit herzlich eingeladen, an dieser kollektiven Suchbewegung ‚Gegen den Stand der Dinge‘ teilzuhaben. Und so gestaltet sich die Lektüre als anregender Gedankenaustausch, in dessen Verlauf eine alternative Ausstellungs- und Vermittlungspraxis zunehmend an Kontur gewinnt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Mieke Bal, Double Exposures. The Subject of Cultural Analysis, New York 1996, S. 1–12.
2 Vgl. http://www.schnitt.org/mission (07.03.2017).
3 Vgl. http://www.ecm.ac.at/ (07.03.2017).
4 Vgl. das Programm der Workshopreihe unter http://www.schnitt.org/gegen-den-stand-der-dinge/dinge-als-prozesse (07.03.2017).

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