S. Mikkonen u.a. (Hrsg.): Music, Art and Diplomacy

Cover
Titel
Music, Art and Diplomacy. East-West Cultural Interactions and the Cold War


Herausgeber
Mikkonen, Simo; Suutari, Pekka
Erschienen
Farnham 2016: Ashgate
Anzahl Seiten
XX, 180 S.
Preis
£ 95.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sonja Großmann, Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, Eberhard Karls Universität Tübingen

In den letzten Jahren erschien eine Reihe von Sammelbänden, die sich kulturellen Dimensionen des Kalten Krieges widmen. Sie umfassen sowohl den Bereich der auswärtigen Kulturpolitik einzelner Staaten als auch kulturelle Transfers und Austauschbeziehungen sowie die wechselseitigen Wahrnehmungen von „Ost“ und „West“. Gleich mehrere dieser Sammelbände gehen auf Initiativen aus skandinavischen Ländern zurück1 – so auch der vorliegende Band „Music, Art and Diplomacy“, der mehrere Beiträge einer von den Herausgebern und Pia Koivunen im Juni 2012 organisierten Konferenz im finnischen Jyväskylä zu „East-West Cultural Interactions and the Cold War“ umfasst.2

Susan E. Reids Vorwort und die Einleitung der Herausgeber geben vier Forschungsperspektiven vor, die von allen Beiträgen des Bandes geteilt werden. So nehmen die Artikel erstens eine transnationale Perspektive ein und beschäftigen sich eher mit verbindenden als mit trennenden Eigenschaften der Grenze zwischen Ost und West. Sie befassen sich zweitens mit „kulturellen“ Aspekten des Kalten Krieges, und zwar fast alle mit dem Austausch von Hochkultur. Drittens widmen sie sich insbesondere der „micro-agency“, d.h. Individuen bzw. Ebenen unterhalb bzw. jenseits des Nationalstaats. Doch wie Mikkonen und Suutari hervorheben, geht es ihnen nicht um eine Mikro-Geschichte des Kalten Krieges, sondern um die Darstellung der Vielschichtigkeit und der Interdependenzen der verschiedenen Akteursebenen zwischen Staat und Individuum („Private-public interplay“, S. 9). Viertens schließlich wollen die Beiträge dezidiert beide Seiten des „Eisernen Vorhangs“ betrachten und die Gegenseitigkeit kultureller Beziehungen beleuchten.

Die acht Aufsätze sind in drei große Abschnitte unterteilt: „Indirect Contacts, Images and Imagination“, „Highly Publicised and Successful Examples of Exchange of Music and Musicians“ sowie „Reception and Transfer in the Area of Theatre and Dance“. Die Titel erscheinen nicht ganz glücklich gewählt – fragt man sich doch unwillkürlich, ob die im dritten Teil beschriebenen Fälle wohl weniger erfolgreich waren als diejenigen des zweiten Teils. Vielleicht wirkt die Gliederung auch deshalb etwas künstlich, weil die Beiträge bis auf eine Ausnahme ein sehr homogenes Bild abgeben: Sie liefern Fallbeispiele für Tourneen und Kontakte von Künstlern und künstlerischen Ensembles über den „Eisernen Vorhang“ hinweg, der eben gar nicht so undurchdringlich war, wie sein Name vermuten lässt. Dieser klare gemeinsame Nenner ist wohltuend angesichts vieler sehr bunt zusammengewürfelter Sammelbände.

Vier Beiträge befassen sich mit dem Austausch im Bereich der Musik, zwei mit Theater beziehungsweise Ballett sowie je einer mit bildender Kunst und mit dem Film. Die ersten beiden Kapitel von Oliver Johnson sowie von Pauline Fairclough und Louise Wiggins zeigen, dass es sich durchaus lohnt, nach kulturellem Austausch während der in dieser Hinsicht oft vernachlässigten 1940er-Jahren zu fragen. In dieser Zeit der Abschottung und der starken ideologischen Lagerbildung gab es dennoch kulturelle Kontakte zwischen Ost und West.3 Solche Kontakte liefen jedoch primär über individuelle Protagonisten wie den amerikanischen Cartoonisten William Gropper (Johnson) oder den britischen Komponisten und Pianisten Alan Bush (Fairclough / Wiggins). In ihrer Heimat waren sie als Kommunisten und eher zweitklassige Künstler abgestempelt, doch durch Reisen und Briefe hielten sie den Kontakt zu Kollegen in der Sowjetunion und trugen so zu kulturellem Austausch auf unterschwelligem Niveau bei. Institutionelle Kontakte beschränkten sich dagegen trotz teilweise guter Absichten beider Seiten auf die Zusendung von Material.

Drei Aufsätze befassen sich mit Tourneen von Musikern und ihrer Rezeption in den 1960er-Jahren: Clayton Koppes untersucht die Tournee des Cleveland Orchestra in die Sowjetunion 1965, Meri Elisabet Herrala das Gastspiel des Pianisten Svjatoslav Richter in den USA 1960 und Tim Scholl die Reise des Oberlin College Choirs in die Sowjetunion und nach Rumänien 1964. Stéphanie Gonçalves schildert Reisen des Bol’šoj- und des Kirov-Balletts nach Paris und London 1954 bis 1968. Alle Beiträge versuchen in unterschiedlicher Gewichtung, die Vorbereitung, die organisatorische Ebene, die politische und künstlerische Dimension der Auftritte sowie deren Rezeption zu fassen. Koppes und Scholl können auf Basis von Interviews und persönlichen Berichten die individuelle Erfahrungsebene der Künstler – beispielsweise mit Blick auf Rassismus – sehr genau nachzeichnen, lassen jedoch die sowjetische Perspektive weitgehend außen vor. Herrala präsentiert hingegen anhand russischer Quellen die politischen und vor allem die sozioökonomischen Intentionen und Rahmenbedingungen von Richters Tour. Die oft ausgeblendete ökonomische Bedeutung des kulturellen Austausches für die Sowjetunion und für private Impresarios im Westen berücksichtigt auch Gonçalves. Ansonsten betrachtet sie die Ballett-Aufführungen, die häufig zu Spielbällen der internationalen Politik wurden, in erster Linie aus der Perspektive der westlichen Organisatoren und des westlichen Publikums. Scholls Beitrag zeichnet sich dadurch aus, dass er die Reise eines Amateur-Ensembles in den Mittelpunkt stellt, das als Kulturbotschafter im Ausland weniger Routine hatte. Um Amateure geht es überwiegend auch im interessanten Beitrag von Susan Costanzo, die für die Jahre 1965 bis 1981 die Rolle Polens als Transitland für kulturellen Austausch am Beispiel von Theaterfestivals betrachtet. Im Rahmen dieser Festivals trafen unter anderem westliche und sowjetische Theaterensembles aufeinander. Neben persönlichen Begegnungen wurden inhaltliche Transfers durch neue Produktionen aus dem Westen ermöglicht, die im direkten Austausch an politischen Hindernissen gescheitert wären.

Der Aufsatz von Eva Näripea, Ewa Mazierska und Lars Kristensen betrachtet Polen und Estland als eine Art Brücke zwischen Ost und West und nimmt mit dem Ostseeraum eine andere geographische Untereinheit in den Blick. Er fällt etwas aus dem sonstigen Rahmen: Das Autorenteam untersucht nicht Personen, die die Grenze überqueren, sondern Bilder von Danzig und Tallinn in einem polnischen und einem sowjetischen Film sowie einer schwedisch-sowjetischen Koproduktion. Analysiert werden die Präsentationen zwischen „touristischem Blick“, Lokalpatriotismus, unterschwelligen historischen Problematiken und übergeordneten politischen Interessen.

In ihrem Fazit heben die Herausgeber noch einmal die eingangs genannten Forschungsperspektiven hervor und betonen vor allem die Bedeutung der individuellen und privaten Akteure für die Cultural Diplomacy im Kalten Krieg, die häufig eigene (auch kommerzielle) Interessen verfolgten und sich einer vollständigen Kontrolle von staatlicher Seite entzogen. Angesichts der doch sehr ähnlichen Beiträge hätte man hier vielleicht einen tiefergehenden Vergleich erwartet.

Alle Beteiligten des Sammelbandes haben sich erkennbar bemüht, neben der Transnationalität und der kulturellen Dimension auch die Gegenseitigkeit und die verschiedenen Akteursebenen zu berücksichtigen. Allerdings stießen sie wie viele andere vor allem in den letzten beiden Punkten an die Grenzen und das Ungleichgewicht des zugänglichen Materials. Die individuelle Ebene und Rezeption kann meist nur für die westlichen Akteure im Detail untersucht werden, während für die sowjetische Seite in den allermeisten Fällen höchstens Quellen der staatlichen Akteure vorliegen. Gerade deshalb ist man bei der Betrachtung des Cultural Cold War auf viele kleine Puzzleteile angewiesen, die sich langsam zu einem Gesamtbild auch der sowjetischen Perspektive und der individuellen Ebene zusammenfügen. Hierzu leistet der Sammelband einen wertvollen Beitrag und lässt noch Raum für weitere derartige Projekte, insbesondere zu den auch hier wenig berücksichtigten Kontakten im Bereich der bildenden Kunst.

Anmerkungen:
1 Rana Mitter / Patrick Major (Hrsg.), Across the Blocs. Cold War Cultural and Social History, London 2004; Sari Autio-Sarasmo / Brendan Humphreys (Hrsg.), Winter Kept Us Warm. Cold War Interactions Reconsidered, Helsinki 2010; Valur Ingimundarson / Rósa Magnúsdóttir (Hrsg.), Nordic Cold War Cultures. Ideological Promotion, Public Reception, and East-West Interactions, Helsinki 2015. Siehe außerdem, mit jeweils etwas unterschiedlichen Zugängen, z.B. Peter Romijn / Giles Scott-Smith / Joes Segal (Hrsg.), Divided Dreamworlds? The Cultural Cold War in East and West, Amsterdam 2012; Annette Vowinckel / Marcus M. Payk / Thomas Lindenberger (Hrsg.), Cold War Cultures. Perspectives on Eastern and Western European Societies, Oxford 2012.
2 Weitere Beiträge der Konferenz wurden publiziert in: Simo Mikkonen / Pia Koivunen (Hrsg.), Beyond the Divide. Entangled Histories of Cold War Europe, Oxford 2015; Cesar Stanciu (Hrsg.), Special Issue on Cultural Exchanges during the Cold War, in: Valahian Journal of Historical Studies 20 (2013). Vgl. auch die Website der Konferenz: <http://culturalcoldwar.blogspot.fr/> (02.02.2017).
3 Dies zeigt auch Kiril Tomoff, Virtuosi Abroad. Soviet Music and Imperial Competition During the Early Cold War, 1945–1958, Ithaca 2015.