V. Bucciantini: Studio su Nearco di Creta

Cover
Titel
Studio su Nearco di Creta. Dalla descrizione geografica alla narrazione storica


Autor(en)
Bucciantini, Veronica
Reihe
Studi di Storia greca e romana 11
Erschienen
Alessandria 2015: Edizioni dell'Orso
Anzahl Seiten
251 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lennart Gilhaus, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn,

Die Beschäftigung mit den nur fragmentarisch erhaltenen Autoren der Antike scheint seit einigen Jahren insbesondere, aber keineswegs ausschließlich in der italienischen Forschung eine gewisse Renaissance zu erleben; das betrifft auch die Alexanderhistoriker. Nach Studien zu Kallisthenes und Kleitarchos1 liegen mittlerweile auch monographische Abhandlungen zu den Fragmenten des Chares von Mytilene und der nahezu unbekannten Autorin Nikobule vor2 – ganz zu schweigen von den teils sehr umfangreichen Kommentierungen in Brill’s New Jacoby.3 Nun hat Veronica Bucciantini auch eine Arbeit zu Nearchos von Kreta vorgelegt.

Der Vertraute Alexanders war 326 v.Chr. zum Befehlshaber von Alexanders Flotte ernannt worden und führte sie auf den Indischen Flüssen zum Meer und von dort aus entlang der Küste des Indischen Ozeans bis nach Persien. Der zweite Teile von Arrians Indike basiert zu großen Teilen auf Nearchos Bericht über die Flottenexpedition auf dem Ozean, das Werk kann daher verhältnismäßig gut erfasst werden.

Veronica Bucciantini setzt sich in ihrer Arbeit zunächst mit den Quellen zum Leben des Nearchos auseinander (S. 9–28) und kommt danach auf die Flottenexpedition selbst zu sprechen (S. 29–85). Diskutiert wird zunächst der Titel von Nearchos‘ Fahrtbericht (S. 29–36), der aber nicht sicher erschlossen werden kann. Daher kann Bucciantini nur die verschiedenen Forschungsmeinungen rekapitulieren. Danach versucht sie im umfangreichsten Abschnitt der Monographie die verschiedenen Stationen auf der Route des Nearchos ausgehend von Arrians Indike zu rekonstruieren (S. 36–72) und auch hier gibt Bucciantini in erster Linie die verschiedenen Identifizierungsvorschläge für einzelne Orte wieder. Anschließend nimmt sie die Streckenangaben in den Blick (S. 72–77) und meint darin mit guten Gründen die Existenz eines „Urperiplus“ (S. 77) oder Schiffstagebuchs zu sehen, das Nearchos bereits während der Fahrt anfertigte und das eine wichtige Grundlage für sein späteres Werk bildete. Im letzten Teil dieses Kapitels wird die Liste der Trierarchen der Indusflotte besprochen (S. 77–85), deren Auswahl nach Bucciantinis Meinung „una sorta di geografia del potere“ darstellte (S. 84).

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit Nearchos und seinen naturkundlichen und ethnographischen Beobachtungen (S. 87–110). Nacheinander werden seine Ausführungen zum Verschwinden von Schatten und Sternen in der Nähe des Äquators, zu den Etesischen Winden, zu Flora und Fauna, zu Opfern und den Brahmanen angeführt und untersucht. Die durchaus interessanten Ausführungen bleiben aber Stückwerk, weil Bucciantini darauf verzichtet die einzelnen Beobachtungen in ein Gesamtbild zu integrieren. Auch ist verwunderlich, warum Bucciantini religiösen Besonderheiten einige Aufmerksamkeit schenkt, aber nicht thematisiert, wie Nearchos ansonsten die Sitten und Bräuche der Völker, denen er begegnete, beschreibt.

Gelungener sind hingegen die beiden folgenden Kapitel zu Nearchos‘ Begegnungen mit Alexander (S. 111–123) und zur Imitation von Homer in Nearchos‘ Werk (S. 125–131). Bucciantini kann hier aufbauend auf älteren Arbeiten überzeugend den bewussten Gestaltungswillen des Autors Nearchos zeigen. Die Möglichkeit, dass Nearchos‘ Werk deutlich mehr umfasste als nur die Flottenfahrt von den Indischen Flüssen bis nach Persien, wird im Folgenden diskutiert (S. 131–137). Dabei stellt Bucciantini klar, dass Nearchos durchaus auch einzelne Ereignisse thematisierte, an denen er nicht selbst beteiligt war, sein Werk also nicht nur als reiner „Fahrtbericht“ anzusehen ist. Ob dies aber schon Ansätze zu einer „Alexandergeschichte“ (S. 132–133), ist aber auch fraglich.

Seine Homer-Imitation wird auch im nächsten Kapitel zu den literarischen Vorbildern und Modellen aufgegriffen (S. 139–153). Anschließend werden Nearchos‘ eher undeutliche Verbindungen zu Herodot und Skylax thematisiert, bevor Bucciantini auf Nearchos‘ Verhältnis zu Onesikritos, der als oberster Steuermann der Flottenexpedition selbst eine Alexandergeschichte verfasste, eingeht. Hier argumentiert Bucciantini sehr behutsam und warnt davor, aus den vagen Hinweisen voreilig Rückschlüsse auf Quellen und Vorbilder zu ziehen. Auch die Art und Weise, wie Arrian Nearchos‘ Werk genutzt hat, zeigt sie auf.

In ihrer sehr kurzen Schlussbetrachtung (S. 155–156) betont Bucciantini noch einmal, dass Nearchos in erster Linie als Schriftsteller anzusehen ist, der nicht nur einen trockenen Bericht über Stationen auf der Flottenfahrt verfasste, sondern sein Werk sehr bewusst gestaltete und dabei seine eigene Position auf vielfältige Art in den Vordergrund stellte. Abgedruckt sind im Anhang außerdem der griechische Texte des zweiten Teils von Arrians Indike (S. 157–176) und einige Reproduktionen von Karten mit zum überwiegenden Teil sehr dürftiger Qualität (S. 177–202). Abgeschlossen wird der Band von sorgfältig erstellten Quellen- und Sachindices (S. 205–222).

Bucciantini will mit ihrem Buch eine Synthese der bisherigen Forschung zu Nearchos bieten. Lobend zu erwähnen ist in der Tat auch, dass die Literatur zu Nearchos dabei nahezu vollständig erfasst wurde, und die wesentlichen Forschungsmeinungen rezipiert und diskutiert werden. Dennoch bleiben die einzelnen Kapitel recht unverbunden nebeneinander stehen. Bucciantinis Studie mag als Nachschlagewerk zu diversen Aspekten von Nearchos‘ Werk dienen, ein Gesamtbild seines Schaffens kann sie aber nicht vermitteln.

Anmerkungen:
1 L. Prandi, Callistene. Uno storico tra Aristotele e i re macedoni, Mailand 1985; L. Prandi, Fortuna e Realtà dell'Opera di Clitarco, Stuttgart 1996.
2 S. Cagnazzi, Carete di Mitilene. Testimonianze e frammenti, Tivoli 2015; S. Cagnazzi, Nicobule e Panfila, frammenti di storiche greche, Bari 1997.
3 I. Worthington (Hrsg.), Brills‘ New Jacoby, http://referenceworks.brillonline.com/browse/brill-s-new-jacoby, 06.10.2016; darin hat M. Whitby seine Kommentierung der Fragmente des Nearchos bearbeitet und 2012 veröffentlicht.

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