W. Pantenius: Alfred Graf von Schlieffen

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Titel
Alfred Graf von Schlieffen. Stratege zwischen Befreiungskriegen und Stahlgewittern


Autor(en)
Pantenius, Wilhelm Hartmut
Erschienen
Leipzig 2016: Eudora
Anzahl Seiten
1056 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Epkenhans, Universität Hamburg / Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam / Universität Potsdam

Den Schlieffen-Plan, jenen kühn anmutenden Versuch, die militärischen Probleme des Reiches mit einem Schlag zu lösen, kennen die meisten von uns aus dem Schulunterricht. Aber wer sich hinter dessen „Erfinder“ verbarg, ist allenfalls ausgewiesenen Kennern der Militärgeschichte bekannt. Dies ist schade. Warum?

Wenn man diese voluminöse Biografie liest, dann wird ein Mann erkennbar, der ohne die rasante Entwicklung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, aber auch auf militärischem Gebiet nicht zu verstehen ist und der gleichzeitig versucht hat, seiner Zeit in einem wichtigen Bereich – dem der strategischen Planung – seinen Stempel aufzudrücken.

Die Beschreibung dieses Wechselspiels ist das wesentliche Merkmal der vorliegenden Biografie. Doch worauf stützt sich diese? Dies bleibt, leider, unklar. Der Autor, kein Historiker, sondern ein Mediziner, verzichtet leider auf jede Fußnote. Dies ist nicht nur schade, sondern auch ärgerlich, weil dadurch die Überprüfung der vielen Zitate unmöglich ist. Zwar vermag der Fachmann zu erkennen, dass er den Schlieffen-Nachlass in Freiburg, einschlägige Editionen und sonstige Werke, aber auch bisher unbekannte Briefe aus privaten Nachlässen von Verwandten Schlieffens herangezogen hat. Nachprüfen, wie gesagt, lässt sich leider nichts.

Gleichwohl, so schade dies ist, welches Bild zeichnet er nun von seinem „Helden“? „Ehrwürdiges Herkommen“ ist die Überschrift des Abschnitts, das Schlieffens Jugend beschreibt. Doch so „ehrwürdig“ die Verhältnisse auch waren, denen der Spross eines alten und mit höchsten Kreisen verwandten Adelsgeschlecht entstammte, große „Sprünge“ konnte die Familie offenbar nicht machen. Das Leben war eher bescheiden, geprägt von dem in pietistischen Kreisen weit verbreiteten Motto „bete und arbeite“. Schlieffens Leben, seine ungewöhnliche Disziplin, ist ohne diese Erziehung, zunächst zuhause, dann in der pietistischen Musterschule Niesky, nicht zu verstehen. Darauf folgte die in Adelskreisen, zumal wenn diese materiell nicht besonders begütert waren, übliche Zeit in den Kadettenanstalten. Für den jungen Schlieffen bedeutete dies einen längeren Aufenthalt in Berlin. Dort erlebte er als Augenzeuge die Revolution von 1848/49. Dieses Ereignis sollte ihn tief prägen, sah er doch, welche Kräfte am Werk waren, die Grundlagen der preußischen Monarchie – so zumindest seine Sicht – zu untergraben. Eine tief sitzende Revolutionsfurcht sollte ihn zeitlebens prägen. Ohne diese sind die Planungen gegen den „Feind“ im Innern nicht zu verstehen.

1853, mit dem Eintritt bei den Garde-Ulanen in der Invalidenstraße in Berlin, beginnt dann die eigentliche militärische Karriere Schlieffens. So schick die Uniform, der Alltag ist zunächst eher glanzlos. Zeitweilig überlegt Schlieffen sogar, die Armee zu verlassen. Enttäuschung über die geringen intellektuellen Herausforderungen, aber auch seine bekannte Sehschwäche waren dafür verantwortlich. Am Ende blieb er. Was folgte, war eine beeindruckende Karriere. An der Schlacht von Königgrätz nahm er an prominenter Stelle teil, ebenso am Deutsch-Französischen Krieg, in dem er zum Stab des Großherzogs von Mecklenburg während des Loire-Feldzuges gehörte. Dazwischen lagen interessante Jahre an der preußischen Botschaft in Paris. Schlieffen beobachtete die Verhältnisse dort aufmerksam, interessierte sich jedoch nicht nur für das Militär, sondern auch für Land und Leute. Schließlich unternahm er sogar einen „Ausflug“ ins französische Nordafrika. Dazwischen lagen mehr oder weniger interessante Jahre in Hannover und in Schwedt. Nach 1871 verschlug es ihn dann nach Straßburg, nach Berlin zum Gardekorps und schließlich nach Potsdam. Seine dortige Zeit als Kommandeur der 1. Garde-Ulanen sollte er Zeit seines Lebens als seine „glücklichste“ Zeit bezeichnen.

Obwohl der „alte“ Moltke Schlieffen eigentlich nicht für höhere Aufgaben geeignet hielt, war es schließlich doch der Generalstab, in dem er sich seit 1884 voll entfalten sollte. Zunächst Chef der 3. Abteilung, übertrug Wilhelm II. ihm 1891 dessen Leitung. Schlieffen, so das Motiv des Kaisers, war kein Politisierer mit eigenen Ambitionen wie der umtriebige Waldersee, sondern fühlte sich auch als General als einer der obersten Beamten des Reiches. Schlieffen hat sich in diesem Amt, über dessen Schwere und Würde er sich voll im Klaren war, wohlgefühlt. Angesichts der neuen außenpolitischen Lage des Reiches, das nach dem Kurswechsel mit zwei Gegnern im Osten und Westen rechnen musste, betrachtete er es auch als seine Hauptaufgabe, dieser Bedrohung durch kluge militärische Planung entgegen zu treten. In mühsamer Stabsarbeit entwickelte er schließlich jenes „Rezept“, das als „Schlieffenplan“ in die Geschichte eingegangen ist. Pantenius beschreibt diesen Prozess, Schlieffens unermüdliches Planen, zu dem auch lange Ritte im Gelände im Osten wie im Westen gehörten, die vielen Planspiele und die damit verbundenen intellektuellen und handwerklichen Herausforderungen für seine Offiziere teilweise sehr minutiös. Grundsätzlich Neues erfährt der Leser hier zwar nicht; gleichwohl, die Schilderung dieses Alltags über Jahre hinweg vermittelt einen interessanten Einblick in das Handeln wie auch die Gedankenwelt Schlieffens.

Auch wenn Schlieffen schließlich 1905 gehen musste – der Reitunfall zuvor war eher ein Vorwand – blieb er aktiv. Bis zu seinem Tode beschäftigte er sich mit den Grundproblemen deutscher Strategie, ohne eine wirkliche Lösung zu haben. Bei genauem Hinsehen hätte er erkennen müssen, dass seine Lageanalyse, die er in zwei Aufsätzen verbreitete, mit dem Plan, den er entworfen hatte, unvereinbar war. Eigentlich hätte er der Reichsleitung empfehlen müssen, dauerhaft Frieden, nicht Krieg zu suchen. Doch dazu war er aufgrund seiner Sozialisation als preußischer Soldat, für den Krieg ungeachtet allen Wandels ein legitimes Mittel der Politik war, nicht fähig. Seine, vom Autor betonte, Zurückhaltung in der Marokko-Krise spricht nicht gegen dieses Urteil. Ob hier aber das letzte Wort gesprochen ist, ist angesichts anderer Quellen, die einen aggressiveren Schlieffen erkennen lassen, offen.

Pantenius zeichnet aber nicht nur Schlieffens militärischen Lebensweg nach. So erfolgreich dieser war, so tragisch verlief sein privates Leben. Seine Frau, die er früh kennen und lieben gelernt hatte, starb nach kurzer Ehe im Kindbett. Geheiratet hat er danach nie wieder, auch wenn er vielleicht ein Verhältnis mit seiner Haushälterin hatte. Näheres darüber weiß der Autor aber nicht. Arbeit scheint ohnehin der wesentliche Inhalt von Schlieffens Leben gewesen zu sein. Verantwortlich dafür dürfte vor allem seine pietistische Grundhaltung gewesen sein. Nach dem üblichen Morgenritt „verschwand“ er im Generalstabsgebäude, das er auch in „normalen“ Zeiten häufig erst gegen Mitternacht verließ. Kriselte es, dann ließ er alles liegen. Dieses Arbeitsethos verlangte er allerdings auch von seinen Untergebenen, die sich damit allerdings teilweise nur schwer anfreunden konnten.

Wie ist diese Biografie nun zu bewerten? Je mehr man sich einliest, umso deutlicher wird, dass der Autor versucht hat, eine Biografie zu verfassen, die der von Eberhard Kessel über „Moltke“ gleichkommt. Gelungen ist ihm dies nicht. So interessant die Ausführungen über die Zeit und die Umstände sind, die Schlieffen geprägt und die er beeinflusst hat, so weitschweifig sind sie leider auch. Diese Diskurse ermüden den Leser, und manche Passagen sind einfach auch zu allgemein oder entsprechen nicht unbedingt dem Stand der Forschung. Hier wäre Weniger sicher Mehr gewesen. Gleichwohl soll diese Kritik den Ertrag des Werkes nicht schmälern. In dieser Dichte haben wir Schlieffen noch nicht vorgestellt bekommen, und das ist viel wert.

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