J. Düwel u.a.: Baukunst und Nationalsozialismus

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Titel
Baukunst und Nationalsozialismus. Demonstration von Macht in Europa 1940–1943. Die Ausstellung Neue Deutsche Baukunst von Rudolf Wolters


Autor(en)
Düwel, Jörn; Gutschow, Niels
Reihe
Grundlagen 42
Erschienen
Berlin 2015: DOM Publishers
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schmidt, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Museen der Stadt Nürnberg

Auf den ersten Blick scheint eine detaillierte Studie zu einer Ausstellung über die „Baukunst“ des Nationalsozialismus nur für wirkliche Spezialisten interessant zu sein. Der von zwei ausgewiesenen Experten für NS-Architektur und ihre Rezeption erarbeitete Band bietet jedoch, über etwaige Spezialinteressen hinausgehend, eine wichtige Studie zur Entstehung nationalsozialistischer Bauideologie und deren Verbreitung in der Publizistik – ausgehend von einem großen europaweiten Ausstellungsprojekt des NS-Generalbauinspekteurs Albert Speer.

Der einleitende Abschnitt „Annäherungen“ benennt zunächst den Ausgangspunkt für die Untersuchung, die Ausstellung „Neue Deutsche Baukunst“, welche von 1940 an durch neun europäische Länder tourte, und versammelt anschließend auf gut 20 Seiten verschiedene Recherchen zur Ideologie des nationalsozialistischen Bauens und zu den beteiligten Akteuren samt ihrer Nachkriegskarrieren. Dieser Teil des Buches wirkt allerdings eher wie eine gegliederte Materialsammlung, welche dennoch viele neue Erkenntnisse bereithält, etwa zur Rolle von Juristen wie Gerhard Fränk im Ministerium des Generalbauinspekteurs Speer. Deutlich wird bereits hier auf den ersten Seiten, dass diese Studie auch in umfassender Weise über den engen Mitarbeiter Speers Rudolf Wolters berichtet, der als „Ausstellungskommissar“ zentraler Organisator und Vermittler des Ausstellungsunternehmens „Neue Deutsche Baukunst“ war.1

Der Band bietet nicht nur eine historische Analyse jener Ausstellung, sondern auch eine Dokumentation wesentlicher historischer Quellen. Zunächst werden „Wortmeldungen“ verschiedener Autoren (von Walter Gropius über Oswald Spengler und Adolf Hitler bis hin zu Aldous Huxley und Fritz Schumacher) aus der Zeit von 1913 bis 1939 dokumentiert, welche die Sehnsucht nach einer neuen Baukunst und nach Ordnung in Stadt und Gesellschaft gemeinsam haben – eine Sehnsucht, welche die „Neue Deutsche Baukunst“ der nationalsozialistischen Architekten zu befriedigen suchte. Dem folgt eine Darstellung der Biografie von Rudolf Wolters und dessen Rolle beim Generalbauinspekteur bis 1943. Die anschließende Sammlung von Texten zur „Neuen Deutschen Baukunst“ dokumentiert die Entstehung dieser nationalsozialistischen Bauideologie, die keineswegs von Anfang an in ihren Ausprägungen feststand. Zentraler Impulsgeber war hier Adolf Hitler selbst, der vor allem in seinen „Kulturreden“ auf den Nürnberger Reichsparteitagen zur Rolle und Form des Bauens Stellung nahm.

Der Darstellung von Idee, Realisierung und Akteuren der Ausstellung „Neue Deutsche Baukunst“ folgt eine Analyse der Rolle, die Rudolf Wolters nach Ende des Ausstellungsprojekts als Propagandist der Organisation Todt und „Leiter des Arbeitsstabs Wiederaufbau zerstörter Städte“ ab 1944 einnahm. Ein umfangreicher Dokumentenanhang versammelt nicht nur Abdrucke der Ausstellungsbegleitbände in deutscher sowie in neun weiteren europäischen Sprachen, sondern auch Wolters’ Tagebucheinträge bei seinen Reisen für die Ausstellung unter anderem auf dem Balkan, in Portugal, Spanien, Frankreich und der Türkei sowie die „Kulturreden“ Hitlers in Nürnberg von 1934 bis 1938.

Eine Stärke des Bandes liegt darin, dass die zentrale Rolle von Rudolf Wolters, der Zeit seines Lebens eher im Hintergrund bleiben wollte und den Albert Speer in seinen „Erinnerungen“ nicht erwähnt, beim Bauen im Nationalsozialismus und vor allem bei der propagandistischen Verbreitung nationalsozialistischer Bauideologie deutlich wird. Wolters hatte in den Jahren des Ausstellungsprojekts, so scheint es, seine große Zeit. Jörn Düwel und Niels Gutschow haben dies – und auch Wolters’ überhebliche Haltung gegenüber anderen Ländern und Kulturen – umfangreich mit Material aus dessen Nachlass im Bundesarchiv Koblenz, der Reiseberichte aus verschiedenen europäischen Ländern umfasst, dokumentiert.

Ebenfalls sehr verdienstvoll ist es, dass in ungewöhnlich materialreicher Dichte die Entstehung und Ausformung des ideologischen Konstrukts „Neue Deutsche Baukunst“ dargestellt wird. Die „Wege zur nationalsozialistischen Architektur“ (ab S. 124) waren in diesem Fall keinesfalls eindeutig: Akteure wie Paul Schmitthenner blieben, trotz ideologischer Angepasstheit, weitgehend außen vor. Der wohl Erste, der den Begriff „Neue deutsche Baukunst“ propagierte, war 1935 der auch Fachleuten bisher unbekannte Gerhard Langmaak, ein Mitarbeiter des Amtes für Arbeitsführung und Berufserziehung der Deutschen Arbeitsfront. Die angeführten Textdokumente zeigen deutlich, dass man zwar auf ein schon vor 1933 weit verbreitetes Bedürfnis nach Ordnung und Klarheit im Bauen und auf eine ebenfalls weit verbreitete Kritik an der Großstadt reagierte, dass es aber erst vergleichsweise spät – ab Ende der 1930er-Jahre – zur Übernahme des Leitbegriffs „Neue Deutsche Baukunst“ bei den zentralen Akteuren des Bauens um Albert Speer kam und dies dann in Ausstellungen, Zeitschriften und Buchpublikationen entsprechend verbreitet wurde. Neben Wolters spielte hier Gerdy Troost, die Witwe des Architekten Paul Ludwig Trost, in der Architekturpropaganda eine wichtige Rolle.

Die verschiedenen Wortmeldungen führten schließlich zur Propagierung einer Architektur, die „klassizistisch und soldatisch-ernst“ (S. 160) in erster Linie bei monumentalen Bauten des Staates zur Geltung kommen sollte. Dies folgte genau dem Konzept, das Hitler bei seinen Reichsparteitagsreden oder bei der Eröffnung der Deutschen Architektur- und Kunsthandwerkausstellung 1938 in München („Wort aus Stein“) formuliert hatte. Ein erheblicher Teil der in Baumodellen oder Modellfotos in der Ausstellung „Neue Deutsche Baukunst“ vorgestellten Bauten blieben Vision und erlebten nie den Baubeginn. Die Umsetzung der Bauprojekte in Berlin, Nürnberg und vielen anderen Städten machte der Kriegsverlauf zunichte. Man hat den Eindruck, dass man von Seiten der beteiligten Architekten nicht nur die eigenen Leistungen zur Schau stellen und deutsche Baukultur als vorbildlich den anderen Ländern vorführen wollte, sondern dass man mit dem Ausstellungsprojekt den Anspruch gegenüber der Öffentlichkeit am Leben erhalten wollte, nach Kriegsende sofort auf diese Bauprojekte zurückzukommen.

Über Jahre hinweg beschäftigte sich Rudolf Wolters mit Propaganda in Presse, Büchern und Ausstellungsprojekten für das Bauen im Nationalsozialismus, insbesondere für die Bauten Speers. Es gelang ihm gemeinsam mit dem Architekten und späteren Bundespräsidenten Heinrich Lübke aus dem Kriegsgeschehen abzutauchen und sich schließlich am Wiederaufbau Deutschlands in seiner Heimatstadt Coesfeld zu beteiligen. Wolters’ Rolle in der Nachkriegszeit ist logischerweise nicht mehr Thema des Bandes, aber auch hier blieb seine zentrale Rolle – noch immer in Diensten Speers – lange Zeit unentdeckt.2

Festzuhalten bleibt: Jörn Düwel und Niels Gutschow haben einen materialreichen, hochwertig bebilderten Analyse- und Quellenband vorgelegt, der erstmals in dieser Breite und Genauigkeit die Entstehung nationalsozialistischer Bauideologie und ihre Propagierung als „Neue Deutsche Baukunst“ beschreibt und viele neue Aspekte und Quellen zutage fördert.

Anmerkungen:
1 Zu Rudolf Wolters vgl. bisher zahlreiche Angaben bei Werner Durth, Deutsche Architekten. Biografische Verflechtungen 1900–1970, Braunschweig 1986; sowie André Dechan, Rudolf Wolters – der Mann hinter Speer, in: Wolfgang Benz / Peter Eckel / Andreas Nachama (Hrsg.), Kunst im NS-Staat. Ideologie, Ästhetik, Protagonisten, Berlin 2015, S. 319–331.
2 Vgl. hierzu u.a. das Interview mit dem Sohn Friedrich Wolters, in: Heinrich Breloer, Unterwegs zur Familie Speer. Begegnungen, Gespräche, Interviews, Berlin 2005, S. 390–409.

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