K. Große Kracht: Die Stunde der Laien?

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Titel
Die Stunde der Laien?. Katholische Aktion in Deutschland im europäischen Kontext 1920–1960


Autor(en)
Große Kracht, Klaus
Reihe
Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B 129
Erschienen
Paderborn 2016: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
451 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Henkelmann, Katholisch-Theologische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum

Die Katholische Aktion gehört zu den bekannten Unbekannten in der Geschichte des deutschen Katholizismus – der Mangel an substantiellen Studien ist schon oft und seit längerer Zeit beklagt worden, ohne dass sich daran viel geändert hat. Dies mag auch am Thema liegen, das nur schwer greifbar ist. Die Katholische Aktion erhielt, soviel lässt sich sicher sagen, von Papst Pius XI. in der Enzyklika Ubi arcano im Jahr 1922 ein Gründungsdokument, in dem er die Laien zur Teilnahme am Apostolat der amtskirchlichen Hierarchie aufrief. Ob man die Katholische Aktion von daher als Geburtsstunde einer neuen katholischen Laienbewegung bezeichnen kann, ist allerdings nicht einfach zu entscheiden, da die Enzyklika von Land zu Land unterschiedlich interpretiert und umgesetzt wurde. Insofern ist die Anlage der Studie von Klaus Große Kracht klug und sinnvoll: Zum einen interpretiert er die Geschichte der Katholischen Aktion in Deutschland im Horizont der Entwicklungen in Italien und Frankreich. Zum anderen begreift er die Katholische Aktion als Dispositiv und will so ihre Vielgestaltigkeit in der Verbindung von drei Ebenen – einer „semantisch-diskursiven“, einer „praktisch-institutionellen“ und einer „identitär-subjektiven“ (S. 27) – fassen.

Große Kracht deutet die Katholische Aktion als Antwortversuch auf die Herausforderungen der Säkularisierung. Anders als im katholischen Milieu des 19. Jahrhunderts ging es aber nun nicht mehr um eine defensive Verteidigungshaltung, sondern – aufgeladen mit einer militanten Rhetorik – um die Wiedergewinnung verlorener Räume. Die Laien spielten dabei eine entscheidende Rolle. „Stärker als im katholischen Vereinswesen des 19. Jahrhunderts wurde im Rahmen der Katholischen Aktion auf die spirituelle Schulung und die Vervollkommnung des christlichen Lebenswandels […] großer Wert gelegt“ (S. 23). Es ging also um die „Formierung katholischer Subjekte, die einerseits mündig und verantwortlich in der Welt handeln, zugleich aber den kirchlichen Führungsprimat […] verinnerlicht haben sollten“ (S. 24).

Die Arbeit ist in zehn chronologisch angelegte Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Darstellung der Katholischen Aktion in den päpstlichen Lehrschreiben. Im zweiten und dritten Kapitel geht es um ihre Entstehung und Entwicklung in Italien und Frankreich. Anschließend fokussiert die Studie auf Deutschland. Das vierte Kapitel stellt die Anfänge der Diskussion während der Weimarer Republik dar, während im umfangreichen fünften Kapitel der Blick auf die Entwicklung innerhalb der Bischofskonferenz von 1928 bis 1938 folgt. Große Kracht zeigt auf, dass vor allem der Vorsitzende der Bischofskonferenz Adolph Kardinal Bertram die Entwicklung einer bistumsübergreifenden Organisation zu bremsen vermochte. So blieb es bis 1933 im wesentlich bei einer rein rhetorischen Wertschätzung der Katholischen Aktion, ohne dass von wenigen diözesanen und lokalen Ausnahmen abgesehen das neue Prinzip tatsächlich umgesetzt wurde.

Mit der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ 1933 änderte sich die Situation. Grosse Kracht geht detailliert auf die Konkordatsverhandlungen ein und zeigt, dass es den katholischen Verhandlungsführern nicht gelang, das katholische Verbandswesen zu schützen. Deshalb entstand die Idee, die Katholische Aktion als „kirchlichen Schutzraum“ (S. 217) zu gestalten, die aber nicht konsequent umgesetzt wurde. Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit der Katholischen Aktion in Berlin und ihrem bekanntesten Leiter Erich Klausener. Es ist besonders gelungen, weil es die Widersprüchlichkeit Klauseners gut einfängt, der einerseits Opfer des Nationalsozialismus wurde, andererseits aber auch die Weimarer Republik ablehnte. Das siebte Kapitel geht auf die im August 1933 von der Bischofskonferenz beschlossene Bischöfliche Hauptarbeitsstelle für die Katholische Aktion, die 1938 von der Gestapo durchsucht und geschlossen wurde, sowie ihre Bekämpfung durch den Sicherheitsdienst der SS ein. Anschließend beschäftigt sich Große Kracht ausgiebig mit der Katholischen Aktion in der Gründungsphase der BRD und den auch mit ihr verbundenen Hoffnungen auf eine Rechristianisierung. Prägnant arbeitet er heraus, dass es in der unmittelbaren Nachkriegszeit unterschiedliche Ansätze gab, die Katholische Aktion ins Leben zu rufen. Diese Differenzen vertieft das neunte Kapitel, in dem es um die komplizierte Gründung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken als dem Koordinierungsgremium der Katholischen Aktion am 30. April 1952 geht. Das letzte Kapitel zeigt die weitere Entwicklung im Zentralkomitee während der 1950er-Jahre auf. Deutlich wird, dass viele ihrer führenden Persönlichkeiten lange an den Vorstellungswelten der Katholischen Aktion, wie etwa der „Einheitsfront“ (S. 384), festhielten und vom Zweiten Vatikanischen Konzil überrascht wurden.

Große Kracht konstatiert in seiner Studie, gemessen am weitreichenden Ziel, die Säkularisierung aufzuhalten, ein Scheitern der Katholischen Aktion. Seines Erachtens kam es im Laufe des Untersuchungszeitraums statt zu einer Verchristlichung der Gesellschaft zu einer nicht beabsichtigten Vergesellschaftung der Christen: „Der Anspruch, eine Elite gut ausgebildeter Katholiken in die säkulare Welt hinauszuschicken, um diese neu für Christus zu gewinnen, führte häufig genug zu einem Reimport weltlicher Inhalte in den binnenkirchlichen Kommunikationsraum“ (S. 400). Diese Vergesellschaftung deutet Große Kracht als „interne Säkularisierung des Katholizismus“ (ebd.). Überzeugend ist ebenfalls seine These, dass sich über Individualisierungsprozesse, wie sie unter anderem von der Katholischen Aktion angeregt wurden, für die Laien auch der Binnenraum der Kirche zu öffnen begann, wobei die Studie diese Prozesse nur an wenigen Stellen einfängt und die Begrifflichkeiten „Verkirchlichung“ sowie „Veramtlichung“ des Laienkatholizismus nur bedingt hilfreich sind.

Große Krachts Studie beeindruckt in mehrfacher Hinsicht: Ihr transnationaler Zuschnitt verdeutlicht, wie stark – entgegen der landläufigen Vorstellung der katholischen Kirche als einer Organisation, die top-down durchregiert wird – ein universales vatikanisches Programm doch am Ende von lokalen Gegebenheiten bestimmt wurde. Zu überzeugen vermag auch der Ansatz, für Deutschland die Gesamtgeschichte der Katholischen Aktion vom Anfang bis zu ihrer Erosion und ihrem Ausklingen während der 1950er- und 1960er-Jahre in den Blick zu nehmen, da sich nur so die Frage nach ihrer Wirkung angemessen bearbeiten lässt. Große Kracht tut aber auch gut daran, darauf hinzuweisen, dass das Thema längst nicht ausgeforscht ist. Welche Bereiche für weitere Untersuchungen lohnenswert sein könnten, wird deutlich, wenn man die drei Ebenen berücksichtigt, die Große Kracht seiner Studie zugrunde legt. Am stärksten ist die Arbeit auf der semantisch-diskursiven Ebene, indem sie präzise die Gedankenwelt der Katholischen Aktion untersucht. Die praktisch-institutionelle Ebene wird vorrangig über den Blickwinkel der Bischofskonferenz erfasst. Die lokalen Fallbeispiele sind gut gewählt. Es überrascht, dass auf die bereits vorliegenden Untersuchungen für einzelne Diözesen1 und Verbände2 nur wenig Bezug genommen wird. Die dritte „identitär-subjektive“ Ebene lässt sich nicht zuletzt mit Blick auf die Frage nach aussagekräftigen Quellen am schwersten fassen und wird auch am wenigsten von allen drei Ebenen in der Studie sichtbar, wohl auch deshalb, weil dann stärker die innerkirchlichen Erneuerungsbewegungen und ihre Frömmigkeitspraxen hätten einbezogen werden müssen. Will man ein Fazit ziehen, ist festzuhalten, dass die Arbeit für die Katholizismusforschung und die Religionsgeschichte mit einem intelligenten Forschungsdesign Maßstäbe setzt, die hoffentlich bald zu weiteren Studien anregt.

Anmerkungen:
1 Hervorzuheben sind folgende Studien: Wilhelm Damberg, Abschied vom Milieu? Katholizismus im Bistum Münster und in den Niederlanden, 1945–1980, Paderborn 1997; Michael Fellner, Katholische Kirche in Bayern 1945–1960. Religion, Gesellschaft und Modernisierung, Paderborn 2008.
2 Hier ließe sich beispielsweise an die gut erforschten Auseinandersetzungen zwischen der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung und der Christlichen Arbeiterjugend denken, vgl. für Bayern Dietmar Grypa, Die katholische Arbeiterbewegung in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg, Paderborn 2000, S. 237–277.

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