A. Hartung u.a. (Hrsg.): Filmbildung im Wandel

Cover
Titel
Filmbildung im Wandel.


Herausgeber
Hartung, Anja; Ballhausen, Thomas; Trültzsch-Wijnen, Christine; Barberi, Alessandro; Kaiser-Müller, Katharina
Reihe
Mediale Impulse 2
Erschienen
Anzahl Seiten
154 S.
Preis
€ 22,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Beate Völcker, Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM)

„Filmbildung im Wandel“ – der Titel weckt zuallererst die Neugier, von welchem Wandel hier die Rede sein wird. Filmbildung hat als Gegenstand kultureller, ästhetischer und pädagogischer Praxis, aber auch wissenschaftlicher und theoretischer Reflexion seit der Jahrtausendwende an Bedeutung gewonnen. Das zeigt sich beispielsweise allein an der sprunghaft angestiegenen Anzahl von Kongressen, Symposien, Tagungen und auch Publikationen zum Thema. Aber die Frage nach dem Bildungspotenzial – in der Frühzeit des Kinos häufig mit kulturkritischem Vorzeichen nach dem Ver-Bildungspotenzial – und bald auch nach dem gebildeten Umgang mit Film hat das Medium tatsächlich von Anfang an begleitet. Film und Bildung haben eine entsprechend lange und durchaus wechselvolle Beziehung miteinander. Doch um diese historische Perspektive geht es in dem vorliegenden Band nicht. Der Begriff des Wandels bezieht sich stattdessen auf die aktuellen tiefgreifenden Veränderungen durch die Digitalisierung.1

„[…] was bedeuten Filmkompetenz und Filmbildung unter den Bedingungen digitaler Medien?“ (S. 7) lautet entsprechend eine der Leitfragen der Publikation. Entstanden ist sie als Dokumentation einer interdisziplinären Tagung verschiedener (medienpädagogischer) Forschungs- und Bildungseinrichtungen am Filmarchiv Austria in Wien. Neben der bereits zitierten Leitfrage befasste sich der wissenschaftliche und praktische Diskurs mit Fragen nach veränderten Rezeptions- und Produktionspraxen unter den Bedingungen der Digitalisierung, nach den Ressourcen des Bewegtbildes für Prozesse der Orientierung, Identitätsbildung und Sinnsuche sowie nach Ansätzen und Methoden für die medienpädagogische Praxis, um diese Ressourcen auszuschöpfen. Das solcherart abgesteckte Diskussionsfeld ist groß. Zudem entstammen die einzelnen Beiträge und Positionen in den drei Teilen des Bandes sehr unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Disziplinen sowie praktischen Zugängen.

Der grundlagentheoretische Eingangsbeitrag von Sven Kommer zum Begriff der Film-Bildung formuliert denn auch als erstes die Herausforderung dieses weiten Feldes „mit streckenweise unscharfen Grenzen“ (S. 12), wenn sich unter dem Begriff „Filmbildung“ die unterschiedlichsten Ansätze, Perspektiven und Themen fassen lassen. Kommer fokussiert dann auf den Bildungsbegriff und fragt nach den Konsequenzen für Film-Bildung. Er hinterfragt das klassische Modell von Bildung durch Begegnung und Auseinandersetzung mit (hegemonialer) Hochkultur, legt aber gleichermaßen blinde Flecken und unhinterfragte problematische Annahmen der als Gegenposition entwickelten Cultural Studies frei. Die Ansätze des französischen Soziologen Pierre Bourdieu benennt er als einen Weg, um zu einer Position der Filmbildung zu gelangen, die ihre eigenen Annahmen reflexiv mit einbezieht. Aus diesen Überlegungen bereits ein Modell „einer Filmerziehung im Zeitalter des Web 2.0“ (S. 22) zu skizzieren, ist schlechterdings unmöglich. Stattdessen verweist Kommer vorläufig auf die Praxis, die zwei große Bereiche von Filmbildung unterscheidbar macht: zum einen den Erwerb vielfältiger Kompetenzen im Umgang mit Film (Gestaltung, Analyse, Ausdrucksfähigkeit), zum anderen den Aufbau von Selbst- und Weltbezügen im Kontext vielfältig medial strukturierter Lebenswelten. Als eine wichtige Voraussetzung für die theoretische Grundierung von Filmbildung in der digitalen Welt fordert Kommer angesichts der Vielfalt der Erscheinungsformen des Bewegtbildes heute eine Verständigung darüber, was „Film“ eigentlich ist und meint.

Auch der zweite Beitrag in diesem ersten Teil des Buches von Ralf Vollbrecht „Filmbildung im Wandel und der pädagogische Widerwille gegen den Seh-Sinn“ beginnt mit einer Diskussion des Zusammenhangs von „Film“ und „Bildung“, um dann Praxisbeispiele – wie den Filmkanon der Bundeszentrale für Politische Bildung oder Handlungsorientierte Medienpädagogik – auf ihre immanenten Konzepte der Filmbildung hin abzuklopfen. Deutlich wird dabei, dass grundlegende Forderungen für eine subjektorientierte und ästhetische Filmbildung, wie sie Dieter Baacke schon in den 1990er-Jahren formuliert hat, auch in Zeiten des digitalen Wandels aktuell geblieben sind.

Der zweite Teil des Buches „Filmgeschichte(n) im Wandel der Medien“ versammelt sehr unterschiedliche Beiträge. Thomas Ballhausen diskutiert das Projekt bzw. Portal European Film Gateway (EFG) und die damit verbundenen archivtheoretischen Überlegungen und Anforderungen. Die aktive Öffnung des Archivs für die Öffentlichkeit ist die logische Konsequenz eines sich wandelnden Verständnisses, das Vermittlung als Aufgabe von Sammlungen gerade in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung begreift. Beispielhaft stellt er sodann die österreichischen Bestände der Austria Wochenshow, der österreichischen Kriegswochenschauen und Filme des Ersten Weltkrieges vor, die – angereichert durch Kontextualisierungen – in die Bestände des EFG eingegangen sind. Die Texte von Günter Krenn „‚Der Verrat der Bilder’ oder: Wie schreibt man das Leben einer Berühmtheit?“ und von Katharina Stöger „Living in a box“ setzen sich mit der Problematik biographischer (Re)Konstruktionen anhand von Dokumenten auseinander. Krenn folgt dabei den Spuren der Ikone Romy Schneider. Stöger widmet sich dem unbekannten Schweizer Filmemacher Jörg Kalt und fragt nach möglichen Gründen für die Nichtbeachtung des produktiven Künstlers. Den Abschluss dieses Teils bildet Claudia Wegeners Darstellung aktueller Tendenzen der Filmnutzung, die auch mögliche Konsequenzen daraus für das Kino skizziert.

Der letzte Teil des Bandes versammelt Beiträge zu Bildungsaspekten des Films aus Forschung und Praxis. Franz Grafls kurzer Text „Angst vor Bildern und Tönen“ ruft essayistisch strukturiert grundlegende Momente im Prozess der Filmvermittlung auf, die selbstverständlich sein sollten, aber es vielleicht immer noch nicht sind. Gleich drei Autoren widmen sich den Film inhärenten Bildungspotenzialen aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive. Wolfgang B. Ruge untersucht in „Roboter im Science Fiction-Film“, wie sich kulturelle Vorstellungen des Verhältnisses von Mensch und Computer gewandelt haben. Sebastian Nestler arbeitet in die Position einer kritischen (Medien-)Pädagogik im Sinne des Cultural Studies-Ansatzes und ihr Potenzial heraus, Filme und insbesondere das populäre Kino im Hinblick auf eingeschriebene Machtstrukturen und Zuschreibungen zu dekonstruieren. Andreas Hudelist sieht dagegen vor allem im postmodernen Film Freiräume für Bildungsprozesse.

Während die wissenschaftlichen Texte die eingangs benannten Fragen im Kontext der Digitalisierung nur streifen, zeigen die abschließenden drei Praxisberichte auf, wie kreativ und selbstverständlich in der pädagogischen Arbeit die Potenziale digitaler Medien genutzt werden. Karsten D. Wolf ordnet das populäre Format der Erklärvideos und den Umgang damit systematisch in das Feld von Film- und Medienbildung ein. Hannes Heller und Felix Studencki zeigen in „Vernetzte Medienarbeit mit Jugendlichen Part II – Das Mashup-Videoprojekt“ wie Cloud-Lösungen für kreative Kollaborationen und experimentelle Filmgestaltung eingesetzt werden können. Gabriele Kepplinger stellt ein Projekt für ein demokratisch gestaltetes, lokales Bürgermedium vor, das sich die neuen technologischen Entwicklungen auf intelligente Weise zunutze macht.

Der Band leistet insgesamt einen inspirierenden Beitrag zur aktuellen Debatte um Filmbildung, weil er vor allem die Breite des Feldes sichtbar macht und die unterschiedlichen – aus verschiedenen Fachdisziplinen stammenden – Perspektiven darauf, was unter Filmbildung verstanden werden kann. Dass dabei mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben werden, ist wohl unvermeidlich. Man mag das kritisieren oder als Anregung für den weiteren Diskurs aufgreifen. Was Filmbildung angesichts des digitalen Wandels heißt, darauf bleiben die wissenschaftlichen Beiträge Antworten noch weitgehend schuldig. Die pädagogische Praxis ist da einen Schritt weiter, integriert digitale Medien und spielt damit der Forschung neues Material zu, wenn etwa in einem der vorgestellten Projekte durch die Mashup-Videos der Filmbegriff erweitert wird.

Anmerkung:
1 Das Buch ist als Download unter http://www.medienimpulse.at/print (04.07.2017) abrufbar.

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