S. Vogt: Subalterne Positionierungen

Cover
Titel
Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890–1933


Autor(en)
Vogt, Stefan
Erschienen
Göttingen 2016: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
496 S., 10 Abb.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fabian Weber, Ludwig-Maximilians-Universität München Email:

Robert Weltsch, Herausgeber der Jüdischen Rundschau und eine der wichtigsten Stimmen des deutschen Zionismus während der Weimarer Republik, konzipierte im Jahr 1924 das Wesen des Zionismus auf eine bemerkenswerte Weise: Er sollte sowohl ein Nationalismus sein und zugleich eine Alternative und ein Korrektiv zu diesem. In der vorliegenden Studie misst Stefan Vogt den Zionismus an diesem Anspruch.

Es geht Vogt darum, die Beziehung des deutschen Zionismus zum hegemonialen deutschen Nationalismus zu erforschen, welche er in Anlehnung an Antonio Gramsci und Gayatri Spivak als subalterne bestimmt; „Subalternität“ kennzeichnet Positionierungen, „die innerhalb eines gemeinsamen Feldes durch gesellschaftliche und diskursive Praktiken der Exklusion systematisch von hegemonialen Positionen innerhalb dieses Feldes getrennt [sind]“ (S. 16). Vogt unterstreicht, dass die jüdisch-nationale Identität des deutschen Zionismus, die sich im Prozess der Positionierung gegenüber dem Umgebungsnationalismus herausgebildet hat, nicht allein aus innerjüdischer Perspektive verstanden werden könne. Eine erweiterte Perspektive gewinnt Vogt teilweise mit Blick auf die Zionismus-Rezeption in nichtjüdischen Kreisen, wobei überwiegend die zionistische Reflexion des Umgebungsnationalismus untersucht wird.

Auf Basis von umfangreicher und gewissenhafter Quellenauswertung charakterisiert Vogt den deutschen Zionismus als einen nationalistischen Diskurs, der zwischen neoromantischen, ethnisch-völkischen Konzepten und einem in den Debatten aufblitzenden emanzipatorischen Potential zur Aufsprengung des nationalistischen Korsetts pendelte: Der deutsche Zionismus demonstriert, so Vogt, wie Nationalismus unter bestimmten Bedingungen „eine notwendige und auch eine emanzipatorische Strategie sein konnte“ (S. 20) und nicht kurzerhand mit den völkischen und imperialistischen Aspirationen des hegemonialen deutschen Nationalismus gleichgesetzt werden darf. Gerade dieser Aspekt wird das ganze Buch hindurch sorgfältig und differenziert herausgearbeitet.

Konkret untersucht werden die Debatten des deutschen Kulturzionismus vor dem Hintergrund des völkischen Nationalismus und der Zivilisationskritik des Fin de Siècle (S. 49–112); die zionistische Partizipation im Rassendiskurs und Kolonialismus des Deutschen Kaiserreichs (S. 113–195) und an Debatten während des Ersten Weltkriegs (S. 197–251); das Verhältnis von Nationalismus und Sozialismus im deutschen Zionismus (S. 253–301) sowie das Verhältnis zur deutschen Jugendbewegung und zur Konservativen Revolution in der Weimarer Republik (S. 303–353).

In der Auswertung der zionistischen Positionierungen in diesen Diskussionsfeldern kommt Vogt dabei im Wesentlichen zu gleichförmigen Ergebnissen: Die Nationalismus-Diskussionen des Kulturzionismus wertet er als „Teil einer Strategie, welche die Selbstvergewisserung und die Selbstermächtigung der Juden innerhalb der hegemonialen Gesellschaft und ihres nationalen Diskurses zum Ziel hatte“ (S. 83). So zeigten etwa Reflexionen in der von Martin Buber redigierten Zeitschrift „Der Jude“ über das Wesen des Zionismus, dass die Gefahren des Nationalismus durchaus erkannt wurden. Zugleich wurde aus der eigenen Marginalisierung jedoch die Notwendigkeit eines jüdischen Nationalismus abgeleitet: Nationalismus erschien als „das Problem und die Lösung“ (S. 111). Hier und im Weiteren versteht Vogt den Versuch, durch die Entwicklung eines zionistischen Nationalismus und dem auffälligen Beharren auf dessen universalistischem Charakter, neben der eigenen Emanzipation zur Emanzipation vom Nationalismus schlechthin zu gelangen, gleichermaßen als eine „Subversion und eine Affirmation des hegemonialen Nationalismus“ (ebd.). Als „ambivalente Selbstermächtigungsstrategie einer marginalisierten Minderheit“ (S. 112) unterscheide sich der zionistische Nationalismus zugleich wesentlich vom völkischen Nationalismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Dieselben Ergebnisse hält Vogt auch in seiner Auswertung der zionistischen Beiträge in anthropologischen Rassediskursen (vgl. S. 142) und in Kolonial- und Orientalismusdiskursen (vgl. S. 170) fest.1

Komplexer gestaltete sich die zionistische Haltung zum Antisemitismus und dem aufkommenden Nationalsozialismus (S. 355–430). Denn einerseits wollten Zionisten sich nicht grundsätzlich vom Nationalismus deutsch-völkischer Prägung lossagen; andererseits war jedoch der Antisemitismus struktureller Bestandteil des in den 1920er-Jahren immer aggressiver auftretenden völkischen Nationalismus. Ausführlich beschreibt Vogt die zionistischen Bestrebungen, sich als geschlossene Gruppe gegen die Marginalisierung zu wappnen und sich selbstbewusst als nationaljüdische Einheit zu begreifen, statt nach Integration in die nichtjüdische Gesellschaft zu streben. Zionisten machten sich also weniger Illusionen über den Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft als die nichtzionistischen deutschen Juden, weil sie nicht an die Möglichkeit seiner Überwindung in den bestehenden Verhältnissen glaubten und den Antisemitismus durchaus realistisch als kollektive, gegen das gesamte Judentum gerichtete Bedrohung wahrnahmen. Vogt vermutet, dass gerade die völkische Sichtweise deutscher Zionisten zu entscheidenden Einsichten in das Wesen des Antisemitismus geführt habe. Doch zeige sich in der zionistischen Haltung zum Antisemitismus eben auch die Ambivalenz subalterner Identitätspolitik, die als Prozess „des Ausschlusses nach außen und der Homogenisierung nach innen“ (S. 413) und durch ihre „inhärente essentialistische Tendenz“ (ebd.) Zionisten eng mit ihren hegemonialen Gegenspielern verknüpfte. Die zionistische Darstellung des Antisemitismus als „Art natürlicher Reaktion auf das Anderssein der Juden“ (S. 404) scheint die metaphysisch-organische Logik des Antisemitismus zu reproduzieren.

Ich halte es jedoch für fraglich, ob sich in diesem Punkt das Modell hegemonialer und subalterner Nationalismus aufrecht halten lässt. Der radikale Antisemitismus war zwar sehr wohl hegemonial, aber die Möglichkeit für Juden und Zionisten, sich zu diesem in subalterner Weise zu verhalten, also diesen in ihrer Positionierung sowohl zu unterwandern als auch mitzukonstituieren, ist stark zu bezweifeln. Vogt selbst beschreibt, wie vereinzelte zionistische Versuche, sich mit Antisemiten konstruktiv ins Benehmen zu setzen, erfolglos blieben. Er zitiert treffenderweise Weltsch, der mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus nicht allein eine Krise für das Judentum konstatierte, sondern feststellte, dass damit „die alte Begriffswelt zusammengestürzt“ sei (S. 430).

Das Modell Hegemonie-Subalternität gerät im Fall des Antisemitismus aber schon vorher aus den Fugen. Denn die Besinnung auf die gleichermaßen völkischen Prämissen von Zionismus und Antisemitismus (vgl. S. 431) übersieht das Wesen des Antisemitismus selbst, der etwas anderes als die bloß übersteigerte Form eines hegemonialen Nationalismus darstellt. In Anlehnung an Klaus Holz betrachtet Vogt den Zionismus als Faktor, der die nationale Ordnung zugleich mitkonstituiert und unterminiert. Da der Antisemitismus in seiner Entwicklung zu einer Ideologie gerann, die den Rahmen nationaler Ordnung sprengte, gelte es zu problematisieren, ob der Antisemitismus sich tatsächlich vordergründig im Rahmen des Feldes „Deutscher Nationalismus“ untersuchen lässt.

Vogt stellt mit Verweis auf Francis Nicosia2 eine instrumentelle Verbundenheit von Antisemitismus und Zionismus her, da die völkischen Antisemiten und später die Nazis im Zionismus einen „nützlichen Feind“ erblickt hätten. Dabei übersieht er jedoch, dass Nicosias Quellenauswahl von Antisemiten, die sich positiv auf die Auswanderung von Juden als „praktischem“ Aspekt des Zionismus bezogen, nicht zwingend repräsentativ ist. Vogt schreibt selbst, dass die Antisemiten den Zionismus kaum inhaltlich diskutierten, sondern ihn lediglich als scheinbare Bestätigung einer „jüdischen Rasse“ in ihr Arsenal aufnahmen. Diese ohnehin wirksame antisemitische Prämisse hätte der Anwesenheit des Zionismus freilich nicht bedurft.

Tatsächlich äußerten sich Antisemiten nur vereinzelt positiv über den Zionismus. In ihrer überwiegenden Mehrheit, sowohl im Kaiserreich als auch der Weimarer Republik positionierten sie sich regelrecht antizionistisch: die antisemitische Paranoia vor jüdischer Staatlichkeit kam in der Rezeption des Zionismus zwangsläufig zum Ausdruck und findet sich auch bei scheinbar pro-zionistischen Antisemiten. Zudem verschwanden die zuvor bereits nur vereinzelt auftretenden „pro-zionistischen“ Aussagen mit der Radikalisierung des völkischen Antisemitismus nach dem Ersten Weltkrieg fast vollständig. Protagonisten wie Theodor Fritsch, die ihre Haltung in der Frage revidierten, belegen diesen Wandel.3 Die antisemitische „Zionismus-Rezeption“ entwickelte sich auf Basis der antisemitischen Paranoia und nicht in Zusammenhang mit der zionistischen Praxis.

Gerade am Antisemitismus stellt sich Vogts Konzept auf die Probe. Vogt möchte sein unbedingt lesenswertes Buch nicht allein als Beitrag zur Nationalismusforschung, sondern explizit der Nationalismuskritik verstanden wissen. Das Ideal der Überwindung des Nationalismus (vgl. S. 38) stößt sich naturgemäß an der Entwicklung des Zionismus, der im Konflikt mit der arabischen Bevölkerung Palästinas selbst zum hegemonialen Nationalismus geworden war. Vogt schreibt: „Unter der doppelten Bedrohung durch den europäischen Antisemitismus und den arabischen Nationalismus blieb ihm schließlich keine andere Wahl, als sich machtpolitisch so gut es ging abzusichern.“ (S. 449) Die Geschichte und Motive des deutschen Zionismus sollten zur Kritik an diesem Zustand herangezogen werden. Es müsste jedoch ganz im Sinne einer solchen Nationalismuskritik ergänzt werden, dass nicht allein die machtpolitische Absicherung Israels, sondern ebenso der mit dem arabischen Nationalismus verschmolzene Antisemitismus eine friedliche Koexistenz im Nahen Osten fortlaufend torpedieren.

Anmerkungen:
1 Das Konzept der Subalternität im Rahmen eines kolonialen Diskurses auf den Zionismus zu übertragen ist gleichwohl nicht neu, sondern findet bereits Anwendung bei Todd Samuel Presner, Muscular Judaism. The Jewish Body and the Politics of Regeneration, London 2007, S. 156ff.
2 Francis R. Nicosia, Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich, Göttingen 2012.
3 Der stattgefundene Wandel lässt sich etwa an den Auflagen des von Fritsch herausgegebenen Handbuchs der Judenfrage nachvollziehen, vgl. Theodor Fritsch, Handbuch der Judenfrage. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes, Leipzig 1923 (1. Aufl. 1907).

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch