N. Petrick-Felber: Kriegswichtiger Genuss

Cover
Titel
Kriegswichtiger Genuss. Tabak und Kaffee im »Dritten Reich«


Autor(en)
Petrick-Felber, Nicole
Reihe
Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 17
Erschienen
Göttingen 2015: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
580 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sina Fabian, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Konsum im Nationalsozialismus ist ein in der Forschung in der jüngsten Zeit viel behandeltes und umstrittenes Forschungsfeld, bei dem die Interpretationen teilweise diametral auseinanderliegen.1 In ihrer an der Universität Jena entstandenen Dissertation untersucht Nicole Petrick-Felber die nationalsozialistische Konsumpolitik am Beispiel der zwei zentralen Genussmittel Tabak und Kaffee. Sie geht dabei von der Hypothese aus, dass die Intentionen und die Auswirkungen der Konsumpolitik divergierten. Daraus folgend untersucht die Studie, ob es hinsichtlich des Konsums von Tabak und Kaffee überhaupt eine stringente Politik gab. Petrick-Felber versteht Konsum als Prozess, der den Import der Rohstoffe, die Verarbeitung und Distribution im Handel und schließlich die Konsumtion durch die Verbraucher umfasst. Deshalb nimmt sie in ihrer Studie den Tabak- und Kaffeekonsum im Spannungsfeld von wirtschaftlichen, politischen und Verbraucherinteressen in den Blick. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Analyse des sich im Laufe des Krieges verändernden und diskriminierenden Rationierungssystems.

Die beiden Genussmittel sind klug gewählt. Bei beiden handelt es sich um importierte Rohstoffe, die im Konflikt mit der auf Autarkie und Rüstung ausgerichteten Wirtschaftspolitik und den knappen Divisen standen. Insbesondere Tabak war jedoch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die Einnahmen aus den hohen Steuern und Abgaben machten bereits 1933 32 Prozent der Einnahmen an Verbrauchssteuern und Zöllen aus und 13 Prozent der Gesamteinnahmen des Reiches. Die Einnahmen stiegen bis zum Ausbruch des Krieges weiter (S. 56). Gleichzeitig war jedoch das Krebsrisiko durch Tabakkonsum (aktiv wie passiv) bereits seit den 1920er-Jahren bekannt. Im Rahmen der NS-Gesundheitspolitik gab es deshalb auch Bestrebungen, den Konsum ganz zu verbieten oder zumindest einzudämmen. Gerade diese ambivalenten Deutungen machen Tabak zu einem überaus interessanten Untersuchungsgegenstand. Dieser steht auch klar im Fokus der Studie, während Kaffee wesentlich weniger Aufmerksamkeit zukommt.

Die Autorin zeichnet im ersten Kapitel, das sich den Jahren von 1933 bis zum Kriegsausbruch 1939 widmet, detailliert die Konflikte und Widersprüche nach, die sich aus diesem Spannungsfeld ergaben. Mit der Überwindung der Wirtschaftskrise nahm der Tabak- und Kaffeekonsum in der Bevölkerung zu. Ebenso stieg die Nachfrage nach qualitativ hochwertigeren Produkten, etwa nach Bohnenkaffee statt nach Kaffee-Ersatz. Es gab jedoch eine starke Anti-Raucher-Lobby, die sich durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten strenge Anti-Raucher-Gesetze erhoffte.

Die Nationalsozialisten stärkten zwar den Jugend-, Schwangeren- und Nichtraucherschutz, sie verhängten jedoch kein generelles Rauchverbot. Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen gegen das Rauchen intensivierten sich allerdings. Die Anstrengungen nahmen seit dem „Jahr der Gesundheitspflicht“ 1939 noch zu. Die Bevölkerung wurde zu mäßigem Tabakkonsum aufgerufen. Auch die Werbung für Tabakerzeugnisse unterlag strengen Richtlinien. Frauen sollten etwa weder explizit noch implizit angesprochen werden. Den Höhepunkt erreichte die Anti-Tabakbewegung erst während des Krieges im Jahr 1941. Dies ging einher mit einer zunehmenden Radikalisierung Hitlers gegen das Rauchen. Im selben Jahr erfolgte zudem die Gründung des „Instituts zur Erforschung der Tabakgefahren“ an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Petrick-Felber schätzt den medizinischen Fortschritt durch das Institut jedoch als gering ein. Vielmehr seien von ihm Polemiken und Attacken gegen die Tabakindustrie und das Rauchen insgesamt ausgegangen. In der Folge kam es zu Konflikten, die auf höchster politischer Ebene zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und dezidierten Tabakgegnern ausgetragen wurden. Letztlich entschied der Leiter der Partei-Kanzlei, Martin Bormann, „dass ‚die Partei zwar propagandistisch in geeigneter und vorsichtiger Form gegen den Nikotinverbrauch auftreten soll‘, dass ‚aber bis Ablauf des Krieges die Tabakindustrie nicht eingeschränkt werden soll‘“ (S. 183). Goebbels sprach sich gegen eine aggressive Anti-Tabakpropaganda aus, die kaum Wirkung zeigte, sodass sich diese in der Folge deutlich abschwächte. Er betonte ebenfalls, dass die „Tabakfrage“ bis zum Kriegsende zurückgestellt werden sollte (S. 208). Die Widersprüchlichkeit der nationalsozialistischen Tabakpolitik zeigte sich zum Beispiel auch daran, dass es zwar gesundheitliche Aufklärungskampagnen und Werbebeschränkungen gab, gleichzeitig konnte jedoch der Zigarettenhersteller Reemtsma, mit der Unterstützung Joseph Goebbels‘, Zigarettenbilderalben wie „Adolf Hitler. Bilder aus dem Leben des Führers“ weiterhin vertreiben.

Kapitel III, IV und V der Studie befassen sich vor allem mit der Versorgung und der Rationierung der beiden Genussmittel während des Krieges. Mit der Dauer des Krieges verschlechterte sich auch die Versorgungslage bei Tabak und Kaffee. Seit Februar 1942 wurde der Bezug von Tabakwaren durch die „Reichsraucherkontrollkarte“ reguliert. Petrick-Felber zufolge kam im Rationierungssystem die „nach Nation und ‚Rasse‘ sowie nach Gesinnung und Leistung“ hierarchisierte „Volksgemeinschaft“ zum Ausdruck (S. 273). Wehrmachtssoldaten wurden beim Bezug von Tabakwaren bevorzugt. Männer erhielten insgesamt eine doppelt so hohe Ration wie Frauen, die ohnehin nur im Alter zwischen 25 bis 55 bezugsberechtigt waren. Unterschiede wurden auch nach der Nationalität der Zwangsarbeiter gemacht. Trotz eines zunehmenden Mangels erhielten Betroffene der Luftangriffe Sonderzuteilungen sowohl mit Tabak also auch mit Bohnenkaffee („Zitterkaffee“).

Die Autorin zeichnet detailliert nach, wie sich das offizielle Rationierungssystem im Laufe des Krieges kontinuierlich veränderte und wie die NS-Führung zunehmend die Kontrolle über den Tabak- und Kaffeekonsum verlor. Dies lag vor allem einen an einem sich frühzeitig etablierenden Schwarzmarkt, dessen Hauptwährung zunehmend Zigaretten wurden. Diese eigneten sich als Ersatzwährung aus mehreren Gründen. Sie waren handlich, leicht zu transportieren und recht lange haltbar. Durch ihre zunehmende Normierung nach Größe und Gewicht war die Vergleichbarkeit garantiert. Zudem ließen sie sich leicht in verschiedenen Mengen handeln. Zunehmend stellte die NS-Führung die rassistische Priorisierung der Lebensmittelversorgung hinter leistungsbezogene Kriterien zurück. Zwangsarbeiter, die als „Schwerstarbeiter“ eingestuft waren, erhielten genauso hohe oder höhere Lebensmittelzuteilungen wie die „Normalbevölkerung“. Das Rationierungssystem wurde bis zur unmittelbaren Kapitulation, wenn auch unter teilweise chaotischen Zuständen, beibehalten. Dabei kam das militärische Ende um Haaresbreite vor dem Zusammenbruch der Tabakversorgung. Das NS-Regime konnte bis zum Ende die Illusion aufrechterhalten, dass es die Versorgung der Bevölkerung noch weitgehend verlässlich leisten konnte. Einschneidende Krisenerfahrungen bei der Versorgung mit Tabakwaren und der Ernährung allgemein nahm die Mehrheit der Bevölkerung erst während der Besatzungszeit wahr. Dies lag jedoch hauptsächlich daran, dass die NS-Führung die Versorgung mit Tabak bis Kriegsende an das Limit gebracht hatte und darüber hinaus kurz vor der Kapitulation noch Tabakvorräte zerstört wurden.

Petrick-Felber löst ihren Anspruch, die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen den Produzenten, den Händlern, den Konsumenten sowie der Konsumpolitik zu analysieren, ein. Dies ist umso lobenswerter, da diese Beziehungen höchst komplex und widersprüchlich waren. Die Studie zeigt, welche Bedeutung den beiden nicht-lebensnotwendigen Genussmitteln selbst bzw. gerade während des „totalen Krieges“ von allen Akteuren beigemessen wurde. Im Falle des Tabaks kommt noch hinzu, dass es sich dabei um ein gesundheitsschädliches Konsumgut handelte, was dem komplexen Untersuchungsgegenstand eine weitere überaus interessante Komponente hinzufügt.

Der zweite Teil des Buches, der nahezu minutiös die Rationierungslage und -veränderungen seit 1942 nachzeichnet, hätte jedoch kürzer gehalten werden können. Aufgrund der Detailfülle und der häufigen chronologischen Vor- und Rücksprünge ist es mitunter schwer, den Schilderungen und der Argumentation zu folgen. Der Titel der Studie ist zudem etwas irreführend. Kaffee wird nur am Rande betrachtet. Auch untersucht sie nicht die gesamte Zeit des „Dritten Reiches“, sondern vornehmlich die Kriegsjahre. Nichtsdestotrotz leistet Petrick-Felbers Studie einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Konsums im Nationalsozialismus. Sie greift die bestehenden Forschungskontroversen auf, positioniert sich zu ihnen und erweitert die Perspektiven, unter denen die nationalsozialistische Konsumgeschichte zukünftig betrachtet werden sollte.

Anmerkung:
1 Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005; Christoph Buchheim, Der Mythos vom „Wohlleben“. Der Lebensstandard der deutschen Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), S. 299–328.

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