L. Kuchenbuch: Versilberte Verhältnisse

Cover
Titel
Versilberte Verhältnisse. Der Denar in seiner ersten Epoche (700–1000)


Autor(en)
Kuchenbuch, Ludolf
Reihe
Figura. Ästhetik, Geschichte, Literatur 4
Erschienen
Göttingen 2016: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Steinbach, Historisches Seminar, Universität Osnabrück

In der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung ist aktuell ein verstärktes Interesse am Thema „Geld“ aus historischer Perspektive und mit kultur-, sozial- und medienwissenschaftlichen Fragestellungen feststellbar.1 Dabei ist die mediävistische Geldgeschichte und insbesondere die des Frühmittelalters in diesem Zusammenhang bislang noch vergleichsweise unterrepräsentiert. In diese Forschungs- und Publikationslücke stößt nun Ludolf Kuchenbuchs Fallstudie zum Denar im „früheren Mittelalter“ vor – ein vom Autor bereits in der Vergangenheit gebrauchter Epochenterminus.2

Zurecht problematisiert Kuchenbuch bereits im Umschlagtext die traditionelle Dreiteilung der Geldgeschichte des früheren Mittelalters in „Wirtschaftshistorie, Münzkunde und Archäologie“, die bislang eine interdisziplinäre Erforschung verhindert hat und „auf die Zersplitterung und Desintegration des enormen verfügbaren Wissens hinausläuft“ (Klappentext). Fast möchte man noch die Kunstgeschichte ergänzen, hätte man aufgrund mangelnder Forschungsliteratur nicht den Eindruck, dass diese Wissenschaftsdisziplin schon seit längerem das Interesse an dem Objekt der mittelalterlichen Münze verloren hat, obwohl der Denar sicherlich nicht nur „das damals häufigste Schriftstück gewesen“ (S. 11) ist, sondern gleichzeitig Schrift- und Bildinformationen über weite Strecken und in großen Mengen transportierte.

Anhand von 20 Fallbeispielen in zwei Bedeutungskontexten (Teil A: „Rahmen“ und Teil B: „Situationen der Geltung und Vergeltung“) entwirft Ludolf Kuchenbuch ein facettenreiches Bild von Münze und Geld im Frühmittelalter, das von Zinssätzen in Urbaren über die herrschaftspolitische Bedeutung von Schätzen und die Tributzahlungen an Wikinger bis hin zum Wergeld in den Leges Barbarorum reicht. Damit liefert es weniger eine reine Geschichte des „Denars in seiner ersten Epoche“ als vielmehr eine äußerst kundige und quellenorientierte Geldgeschichte des fränkischen Reiches zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert.

Nun ist Kuchenbuch freilich kein Numismatiker, wie man gelegentlich feststellt, wenn beispielsweise im Zusammenhang mit den Propositiones ad acuendos iuvenes die Formulierung „das Pfund aber hat 72 Goldschillinge“ (S. 44) im Zusammenhang mit dem Rechnen von Gold- und Silberwerten hervorgehoben wird, ohne dabei auf den antiken solidus zu verweisen. An dieser Stelle wäre für den Leser ein Hinweis nützlich gewesen, dass der spätantike solidus eine Goldmünze im Gewicht von 1/72 des römischen Pfundes (ca. 4,54 g) war. Zur Zeit Karls des Großen bezeichnet der lateinische Ausdruck solidus (deutsche Übersetzung: „Schilling“) in den Quellen dagegen eine (nicht als Münze ausgeprägte) Recheneinheit von 12 silbernen Pfennigen (zu je ca. 1,70 g Normgewicht), da Goldmünzen nicht mehr geprägt wurden. Die Schwierigkeit und gleichzeitig das Interessante an dieser Quelle ist also die Relation zweier Nominale mit der gleichen Bezeichnung aber aus unterschiedlichen Metallen.

Dem geschulten Numismatiker mögen auch Begriffe wie die Prägung mit einer „Zange“ in karolingischer Zeit (S. 10) unangenehm auffallen. Prägezangen, bei denen Ober- und Unterstempel in einem festen Achsenverhältnis blieben, sind zwar aus der Antike bekannt, dürften aber im 9./10. Jahrhundert nicht benutzt worden sein, wie die nicht festgelegten Verhältnisse von Vorder- und Rückseiten der Münzen zueinander erkennen lassen. Auch die Aussage gleich zu Beginn, das Monogramm oder die Schriftinformation seien in den Denar der Karolingerzeit „eingehämmert“ (S. 10) oder, an späterer Stelle, „eingestanzt“ (S. 129) worden, sind sprachlich ungewohnt. Der klassische Ausdruck „eingeprägt“ wäre an dieser Stelle sicherlich angebrachter, wenngleich auch weniger spektakulär gewesen. Auch die Schreibung „obulus“ (S. 12) anstelle von (im späteren Verlauf auch korrekt) „obolus“ für den Halbwert des Denars, der im Übrigen nicht erst nur „unter Kaiser Ludwig [gemeint ist Ludwig der Fromme, 814–840, Anm. d. Verf.] auch geprägt“ (S. 200) wurde, vermag den Numismatiker zu irritieren. Bereits unter seinem Vater Karl dem Großen (768–814) begegnen erste Obole in den Schatzfunden.3

An die Stelle der „Zirkulation“ setzt Kuchenbuch den Begriff der „Metamorphosen“ für den „Funktionswandel der Silberlinge und ihrer Beziehungen“, da es fraglich ist, ob die Münzen „vielfach die Hände wechseln, zu Ausgangspunkten zurückkehren, usf.“ (S. 15), also tatsächlich in ihrem Umlauf kreisen. Für einzelne Funktionsmetamorphosen gebraucht er die drei Begriffe Monetarisierung („der Handwechsel der Silberlinge“ auch für die „Transfers kleinerer Beträge“, S. 207), Monetisierung („soziale Positionen und Handlungsweisen“, die „in Münzquanta messbar und verrechenbar“ sind, S. 210) und Demonetisierung (Rückkehr der Münze „als Silberquantum ins Silbervermögen“, S. 206 – bspw. als Altarschmuck oder Teil eines Schatzes). Außerdem versucht er „das Substantiv Geld und das Verb bezahlen“ (S. 13) als moderne Begriffe mit durchaus anderer Bedeutung im Mittelalter aus Gründen der Untersuchungsnähe möglichst zu vermeiden. Stattdessen werden „monetär relevante lateinische Wörter und Formulierungen“ (S. 16) dem Leser in Parenthesen zur deutschen Übersetzung hinzugegeben – eine sinnvolle Lösung, durch die auch die sprachliche Breite des Geldbegriffs im Mittelalter erst deutlich wird.

Ludolf Kuchenbuch findet die Münze auch dort, wo sie nicht konkret genannt wird und kein „neutrales Mittel von Tausch und Kauf“ (S. 25) ist, wie in der Admonitio generalis (789), oder gar hinderlich sein kann, wie beim „lokalen Verfügungswechsel von Gütern“ (S. 86) im Urbar der Abtei St.-Germain-des-Prés. In letzterem Beispiel sieht er stattdessen den „statusspezifische[n] und haushaltungsaktuelle[n] Gebrauchsnutzen“ im Vordergrund. Inwiefern die Münze im Einzelfall tatsächlich präsent war, bleibt in vielen Fällen allerdings offen, selbst wenn ihr Gebrauch im konkreten Rahmen intendiert oder zumindest nicht ganz ausgeschlossen war, denn zu den einzelnen Forderungen gehörende Abrechnungen, die den „Realitätsgehalt“ des Vereinbarten bestätigen könnten, sind im Regelfall nicht überliefert (vgl. S. 209).

Umsichtig beschreibt er auch das analytische Problem zwischen konkreter Verbergungsintention und ungewolltem Zufallsverlust („Der verlorene Denar repräsentiert den Moment funktionaler Bewegung, eine Art Schrecksekunde beim Umlauf, ganz im Gegenteil zur abseits verborgenen und damit stillgestellten Münzmenge“, S. 111f.) bei der Untersuchung von Schatzfunden und Einzelfunden am Beispiel der Münzen von Dorestad (S. 106–114). Auch vermag er anhand der „massiven Abweichungen“ (S. 112) zwischen dem sich in den Schriftquellen abzeichnenden Niedergang dieses bedeutenden Handelsplatzes und dem gleichzeitigen vermehrten Auftreten von Denaren der Münzstätte Dorestad in der Mitte des 9. Jahrhunderts – die eher für eine wirtschaftliche Prosperität sprechen würden – aufzuzeigen, welche wertvollen zusätzlichen Informationen die Münz- und Geldgeschichte dem Historiker zur Verfügung stellen kann.

Ein interessantes Fazit (Teil C der Publikation) von Kuchenbuch ist, dass Geld – konkreter die Münze in Gegenstand des silbernen Denars – im „Alltag“ der Menschen des Frankenreiches durchaus präsent war und „erstaunlich viele soziale Phänomene vom Denken im Münzquanta tangiert, modelliert, taxiert sein konnten“, wenngleich „der relle Münzgebrauch […] begrenzt, unstet und riskant“ (S. 213) blieb. Damit steht Kuchenbuch im Kontrast zur häufig verbreiteten Vorstellung einer im Denken und Handeln weitgehend unmonetarisierten Zeit des Frühmittelalters. Der Gebrauch des Denars, beispielsweise zur Ablösung von Zinspflichten (S. 91) oder zur Bezahlung von Unterhaltskosten bei zu leistenden Fuhrdiensten (S. 116), war seiner Meinung nach weniger das Problem des „kleinen Mannes“, als vielmehr oftmals seine Beschaffung, denn dazu mussten Überschüsse der Landwirtschaft oder handwerkliche Produkte verkauft oder eben Geld geliehen werden. Auch beschreibt er anschaulich das damit verbundene Quellenproblem: Die überlieferten Schriftstücke begünstigen eben nicht den profanen Bereich des alltäglichen Geldgebrauchs oder die geglückte Entschuldung. Abgeschlossene Transaktionen ohne Langzeitwirkung „hinterließen ja keine Schriftspur, keine Quittungen“ (S. 119).

Wie eine Reaktion auf den beschriebenen Münzmangel im Reich erscheinen denn auch die geschilderten Inhalte und Umstände des Ediktes von Pîtres (864) und der Münzprägung unter Karl dem Kahlen (843–877), die eine Vermehrung des Geldumlaufs zur Folge hatten und die Kuchenbuch nutzt, um die technische und administrative Seite der fränkischen Geldproduktion zu schildern (S. 120–129). Die Aussage, dass der (allerdings nur als Zeichnung) abgebildete Denar von Gent (Abb. 9) „ein klar geprägtes Stück, einigermaßen lesbar“ (S. 122) darstellt, verstellt freilich den Blick dafür, dass die karolingischen Gepräge in ihrer Mehrheit, wo nicht besondere Lagerungsumstände eine spätere Korrosion begünstigten oder von einem starken Umlauf des Gepräges auszugehen ist, von einer guten Prägequalität und einem in der Regel sauberen Stempelschnitt sind (auf S. 129 eher unglücklich als „Kerbung der Stempel“ bezeichnet).

Die monetären Reformen Karls des Kahlen konnten den „erstarkte[n] Denar“ (S. 137) nun erstmals auch in Verbindung mit Besitz- und Vermögensressourcen des Reiches bringen, wie bei dem durch Hincmar von Reims überlieferten Tribut auf Hofstellen und Besitz zur Bezahlung der Wikinger (866) mit 4.000 Pfund Silber. „Die Mikrofunktion der Münze geht in der Makrofunktion des Silbers auf“ (S. 139), wenn der einzelne im greifbaren Objekt Münze erbrachte Tribut in dem überbrachten Großbetrag des Silber-Pfundes verschwindet. Ob man freilich soweit gehen kann zu sagen, dass die Nordmänner dabei auf Gewichts-Pfunde anstelle von Zähl-Pfunden beharrten, „weil sie wussten, dass Letztere, abzüglich eines Schlagschatzes, um etwa 1/10 gemindert sein konnten“ (S. 133), mag dahingestellt sein. Die Einbeziehung verschiedener, unter anderem literatur-, sozial-, wirtschafts- und hilfswissenschaftlicher sowie kunsthistorischer, archäologischer und linguistischer Aspekte zeugt aber insgesamt von Ludolf Kuchenbuchs breiter Kenntnis der aktuellen Forschungsliteratur, die in einem eigenen Anhang (Teil D) kommentierend vorgestellt wird.

Ein Register hätte den Leser beim Auffinden relevanter Stellen beispielsweise zu Begriffen wie tributum, census oder pretium unterstützt, zumal die Publikation sehr stark am Bedeutungskontext des frühmittelalterlichen Währungsvokabulars ausgerichtet ist und damit den Einzelbegriff oftmals in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Auch hätten zusätzliche Abbildungen der zahlreich genannten Münztypen oder Karten der erwähnten Prägeorte die Orientierung in der vielfältigen Währungslandschaft des Frankenreiches erleichtert und der ansonsten recht einfach daherkommenden Aufmachung des Bandes gut getan.

Insgesamt hat Ludolf Kuchenbuch eine äußerst lesenswerte Fallstudie vorgelegt, die für Geldforscher verschiedener Fachdisziplinen interessant ist und als Vorlage für weitere Studien zum Geldgebrauch und Geldverständnis dienen könnte und auch sollte, um endlich den – um beim pekuniär-monetären Sprachgebrauch zu bleiben – reichen Schatz an (Schrift- und Sach-)Quellen für eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Münze und des Geldes nicht nur im früheren Mittelalter zu heben.

Anmerkungen:
1 Beispielhaft seien an dieser Stelle zur Kulturgeschichte des Geldes genannt Dieter Schnaas, Kleine Kulturgeschichte des Geldes, 2. Auflage, München 2012; Christina von Braun, Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte, Berlin 2012; Jörgen Bastian, Geld regiert ruiniert die Welt. Eine kritische Kulturgeschichte des Geldes, Norderstedt 2009 sowie aus allgemeiner wirtschaftshistorischer Perspektive der Sammelband Hartmut Berghoff / Jakob Vogel (Hrsg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt am Main 2004.
2 Ludolf Kuchenbuch, Grundherrschaft im früheren Mittelalter, Idstein 1991.
3 Simon Coupland, Charlemagne’s Coinage. Ideology and Economy, in: Joanna Story (Hrsg.), Charlemagne. Empire and Society, Manchester 2005, S. 211–229, hier S. 220.

Kommentare

Von Kuchenbuch, Ludolf10.11.2016

Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um – das gilt auch für grenzüberschreitendes Schreiben in der Historie. Was Sebastian Steinbach aus numismatischer Kompetenz detailkritisch annotiert hat, kann ich also nur begrüßen (und muss bei etwaiger Neuauflage zurechtgerückt werden). Umso erfreulicher, dass die Gesamtbilanz dennoch prima ausfällt.

Aber wie steht es mit dem Publikum? Steinbach hat das Buch als eine für Geldforscher ‚äußerst lesenswerte Fallstudie’ dargestellt, wofür ich natürlich sehr dankbar bin. Diese sachfeldspezifische Ausrichtung von Bericht, Kritik und Kommentar trifft meine Intention und Botschaft jedoch nur teilweise – und, da das Buch nichts empirisch Neues enthält, eigentlich nicht im Kern. Ich wende mich gerade an eine breitere, weniger spezialisierte Leserschaft. Dafür spricht nicht nur der ausgesprochen niedrige Preis, der speziell der Herausgeberstrategie der neuen FIGURA-Reihe im Wallstein Verlag zu verdanken ist. Darauf zielt auch seine Anlage, Machart und Botschaft. Es ist nicht als ein Porträt, sondern als ein fragmentarisches, 20-teiliges Dokumenten-Mosaik angelegt. Jedem Stück ist ein Kapitel gewidmet. Ob Urkunde, Dekret, Versepos, Glosse, Münzfund, Textinitiale oder auch Grabungsbefund, jedes Stück wird einleitend in deutscher Übersetzung – zusätzlich aller semantisch und situativ relevanten lateinischen Termini – präsentiert. Dann wird sein Eigensinn im Wege eines bündigen, stets narrativ stilisierten Kommentars ermittelt – direkt, ohne Einzelnachweise, Annotationen und Forschungsbelege (Sie sind am Ende kapitelweise beigefügt). Für jedes Kapitel habe ich ein titelwürdiges Schlüsselwort gefunden – etwa pecunia, thesaurus oder census – und so seine Eigenposition im Ensemble herausgestellt. Diese Ausdrucksebene von radikal zeitnahen Botschaften habe ich dann im Gesamttitel verlassen, um mit dem Bild der nur ‚versilberten‘ (nicht der silbernen) Verhältnisse die damaligen drei Umgangsformen mit dem Denar – mit ihm das Haben und Handeln zu gleichen, ihn möglichst wenig hantieren zu müssen und ihn erfolgreich akkumulieren zu können – auf einen Gesichts-Punkt zu konzentrieren.