Cover
Titel
Reihenweise. Die Taschenbücher der 1950er Jahre und ihre Gestalter. Mitarbeit von Jane Langforth, Mirko Schädel und Andrea van Dülmen. Texte von Georg C. Bertsch, Reinhard Klimmt, Jane Langforth, Thomas Nagel und Patrick Rössler


Autor(en)
Klimmt, Reinhard; Rössler, Patrick
Erschienen
Anzahl Seiten
935 S., 2 Bde., über 6.300 farbige Abb.
Preis
€ 249,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Olaf Blaschke, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Jedem, der in einem Bücherhaushalt aufgewachsen ist und sich noch an die dort erhaltenen Taschenbücher der 1950er- und 1960er-Jahre erinnert oder an die eigenen Kinder- und Jugendbücher, geht schon beim Blättern in diesem Werk das Herz auf. Hier begegnet einem alles, aber auch wirklich alles wieder: die vielfach entsorgten rororo-Krimis ebenso wie die bis heute im Regal stehenden Lexika der Fischer Bücherei. Die ultimative Bestandsaufnahme der Taschenbuchprodukte der 1950er-Jahre mit einem Ausblick in die 1960er-Jahre entführt in eine literarische Zeitreise, in die belletristische und intellektuelle Geschichte der frühen Bundesrepublik mit Seitenblicken in die deutschsprachigen Nachbarländer. Während der zweite Band mit über 5.000 hochwertigen Farbbildern von Umschlägen aus 140 Taschenbuchverlagen verzückt, einem Ausstellungskatalog gleich, dazu ein Bildregister aller den Autorinnen und Autoren bekannter Umschläge von 1950 bis 1959, ein Gestalter-Index und eine Bibliographie über alle Taschenbuchreihen, bietet der hier kritisch zu würdigende erste Band zwar ebenfalls zur Hälfte Farbumschläge, aber auch eine detaillierte Untersuchung des Taschenbuchfeldes dieser Dekade und seiner Gestalter.

Es „existiert keine umfassende und zeitnahe Darstellung des Mediums“ Taschenbuch, „seiner Historie und seiner Verlage“, konstatierte Daniela Völker 2014.1 Daher kann man angesichts ihrer als Dissertation durchgegangenen „Darstellung“ – eine teils brauchbare, teils fragwürdige wie spröde Faktensammlung – ausgesprochen dankbar sein, dass mit „Reihenweise“ nun eine anspruchsvolle Analyse des Taschenbuchphänomens vorliegt, und zwar aus der Hand sachkundiger Autoren, die sich jahrzehntelang mit Ernst und Liebe dem Thema verschrieben haben. Die beiden Hauptinitiatoren, Hauptsammler und Hauptautoren sind Reinhard Klimmt (geb. 1942), studierter Historiker, 1998/99 SPD-Ministerpräsident des Saarlandes, 1999/2000 Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Autor mehrerer Bücher, und Patrick Rössler (geb. 1964), ab 2003 Professor für Kommunikationswissenschaft in Erfurt und bereits seit 1988 Kurator mehrerer Taschenbuchausstellungen. Beide gehören unterschiedlichen Generationen an, wurden aber schon in ihrer Jugend identitätsstiftend von Taschenbüchern geprägt: der eine in der lesehungrigen, überwiegend noch fernsehfreien Nachkriegszeit der 1950er-Jahre – Klimmt versteht sich als „Geschöpf der Taschenbuchkultur“ (S. 11)2 –, der andere in den 1970er-Jahren, als Rössler seine Sammelleidenschaft entdeckte.

Das Werk ist jedoch nicht nur eine Hommage und Analyse der Taschenbücher als Spiegel der Kultur der Adenauerzeit. Vielmehr liegt ein besonderes Interesse auf den Gestaltern der Buchcover und deren visueller Erscheinung im Kontext der grafischen und künstlerischen Tendenzen der Zeit (S. 9). Die Grafiker informierten sich über den Text, reichten verschiedene Entwürfe ein, sie stimmten Atmosphäre, Schrift und Bild harmonisch mit dem einzelnen Titel als Element einer auch visuell komponierten und mithin wiedererkennbaren Reihe ab. Aus diesem Interesse von Klimmt und Rössler an der Gestaltung erwächst auch das Arrangement der 44 instruktiven, gleichwertig angeordneten Kapitel des ersten Bandes.

Sie lassen sich in drei Gruppen einteilen. Abgesehen von persönlichen Vorworten, einer Einleitung3 und einem sympathischen Epilog aus persönlichen Umschlagfavoriten handelt es sich erstens um ein Dutzend Kapitel zu einzelnen Verlagen wie Rowohlt, der Fischer Bücherei, List, Goldmann, Salamander- und Drachenbücher, Herder, Heyne, ferner weniger bekannten Reihen wie Bürgers Taschenbücher, wo 1953 George Orwells „1984“ erschien.

Zweitens schmiegen sich 15 Kapitel jeweils an diese Kapitel zu Verlagen an, um deren wichtigste Grafiker vorzustellen. Während ihre kleinen Kunstwerke, ihre Karikaturen und Aquarelle sich oft bis heute eingeprägt haben, blieben die Schöpfer selber im Hintergrund oder sind in Vergessenheit geraten. Mit den rororo-Büchern wurde das Taschenbuch „zum Plakat seiner selbst, ihm die Reklame quasi auf den Leib gebunden“ (S. 58). Für Rowohlt gestaltete zehn Jahre lang das Ehepaar Gisela Pferdmenges und Karl Gröning (beide 1921–2003) rund 500 Umschläge. Auch Werner Rebhuhn (1922–2001) prägte das Gesicht der Rowohlt-Kultur, besonders in den 1960er-Jahren. Insgesamt realisierte er, auch für andere Verlage, über 5.000 Entwürfe. Unter den 40 für die Fischer Bücherei wirkenden Grafikern hervorgehoben werden Gerd Grimm (1911–1998) und Wolf D. Zimmermann (1925–2001), der auf unverwechselbare Weise dort alle Sachbücher gestaltete. Historiker kennen von ihm Walther Hofers „Dokumente“ zum Nationalsozialismus (1957) und die Fischer Weltgeschichte (1965–1983). Für List, aber auch für Fischer und andere Verlage verantwortete Gerhard M. Hotop (1924–2014) rund 5.000 Cover. Der Goldmann Verlag, in Erinnerung geblieben auch wegen Edgar Wallace mit 61 Krimis bis 1959, ließ sich seine blutrot-schwarzen Umschläge mit weißer bzw. schwarzer Schrift eigens patentieren. Goldmann ist ein Aufsatz über Hansjörg Wagner (1930–2013) zugeordnet. Ullsteins Taschenbücher erhielten ihr Gepräge vom Gebrauchsgrafiker Hermann Rastorfer (1930–2009), der auch Ferrero Küsschen und Mon Chéri mit gestaltete.

Die dritte Gruppe von Kapiteln widmet sich systematischen Fragen. Der „Fraktur-Streit“ (S. 33), über den Thomas Nagel informiert, artete fast in einen Kalten Krieg zwischen der in Westdeutschland eingeführten Antiqua und der in der DDR weiter üblichen gebrochenen Schrift aus. Georg-Christof Bertsch identifiziert Gestalter, die auf der Schnittstelle zwischen Filmplakat, Schallplattencover und Taschenbuch agierten. Die Fotografie als Gestaltungsmittel fand sich nur auf Krimis und gelegentlich auf Sachbüchern, nicht bei literarischen Titeln (S. 262). Für das Thema Kriminalromane zwischen Klassik und „Pulp“ nahe am Kitsch, womit L. Ron Hubbard zunächst sein Geld verdiente, bevor er die Scientology-Sekte erfand, steht der Künstler Johann Georg Geyger (1921–2004) beim Lehning Verlag Pate. Ihm waren seine frivolen Entwürfe mit jungen Schönheiten und Monstern nachträglich (1961) selber peinlich. Ferner werden Abenteuer und Triviales, religiöse Taschenbücher sowie die teils konfessionalisierten Kinder- und Jugendbücher in eigenen Sachkapiteln untersucht. Seit 1953 setzte auch die Wissenschaft auf das erfolgreiche Format, angefangen mit Kohlhammers Urban-Taschenbüchern. Die DDR mit ihren durchaus gelungenen Panther Books, die indes primär ins Ausland gingen, die Schweiz und Österreich werden in eigenen Kapiteln gewürdigt.

Der üppig bebilderte Textband und der textfreie Bilderband gehen eine perfekte Synthese ein, die es erlaubt, pure Augenfreude mit Erkenntniserlebnissen über Strategie und Kunstfertigkeit der Umschlaggestaltung zu kombinieren. Manche Cover sind gleich mehrfach abgelichtet. Das berühmte „Jazzbuch“ von Joachim-Ernst Berendt (1953, entworfen von Zimmermann) sticht schon auf dem Schutzumschlag hervor, taucht aber dann noch drei weitere Male auf (S. 133, S. 529, auch in Bd. 2; Variante 1959: S. 117), ebenso wie das attraktive, aber komplett sinnverfälschende Cover von Orwells „1984“ (1953, Kurt Hielscher: S. 16, S. 197, S. 534, auch in Bd. 2). Aber der verschwenderische Luxus macht gerade den Reiz dieses Opus magnum aus.

Viele Kernthesen – etwa der Demokratisierungsbeitrag des Taschenbuchs – sind nicht umstritten. Einige im Buch aufgestellte Nebenthesen indes lassen Fragen aufkommen. Als „besonderes Kennzeichen der Fünfzigerjahre mag die große gestalterische Varianz gelten“, behauptet Nagel (S. 32). Herrschte in den anderen Jahrzehnten gestalterische Einförmigkeit? Wie ließe sich dieses vermeintliche Alleinstellungsmerkmal der 1950er-Jahre empirisch vergleichend nachweisen? Dass die Gestaltung des Schutzumschlages „für den Markterfolg erhebliche Bedeutung“ gewann (S. 255), ist intuitiv plausibel, aber bar jeden Beleges. Eine am Verkaufserfolg gemessene Gegenprobe durch den Vergleich gelungener und misslungener Umschläge hätte – wenn überhaupt – von diesen Autoren mit diesem reichhaltigen Material durchgeführt werden können.

Einerseits gilt der 17. Juni 1950 als „Geburtsstunde des deutschen Taschenbuchs“ durch Rowohlt (S. 60), später werden die schwarzen Kriminalromane des Scherz-Verlages (Bern) 1947 als „erste deutsche Taschenbücher“ genannt (S. 493). Seit wann es also Taschenbücher gibt, auch unter Beachtung ihrer Vorläufer im 19. Jahrhundert, wird wohl umstritten bleiben, zumal die Definition bekanntermaßen eine Kombination mehrerer Komponenten verlangt (S. 19, S. 60): billige Produktion, hohe Auflage, ausgeklügeltes Marketing mit expansiven Vertriebswegen (Kiosk, Bahnhof), offensive Werbung, Pappeinband, Reihenbildung und regelmäßiges Erscheinen mit fortlaufender Nummerierung, einheitliches Design, normiertes Format (oft 11 x 18 cm), schließlich niedriger Preis. Haftete dem Taschenbuch in den 1950er-Jahren, dem Jahrzehnt des Kriminalromans, noch ein Schmuddelimage an (billig, minderwertig, unanständig), woran die amerikanische „Pulp“-Ästhetik gehörige Mitschuld trug, etablierte es sich in den 1960er-Jahren, dem Jahrzehnt von Science Fiction (S. 311), zunehmend in allen fiktionalen und seriösen Genres, symbolisiert in der Gründung von dtv 1960/61.

Die enorme Belesenheit der Autoren steht außer Frage. Leider gibt es keine End- oder Fußnoten, was besonders bei Zitaten aus Archivquellen (z.B. S. 434) betrüblich ist. Wer viel schreibt, dem unterlaufen Fehler, aber auch demjenigen, der sich über das Triviale erhebt, ohne sich mit ihm näher beschäftigt zu haben. „Mit Hanna Reitschs Fliegermemoiren“ eröffneten die Pabel-Taschenbücher auf dem „literarischen Niveau“ von Landserheften 1960 eine Reihe zum Zweiten Weltkrieg (S. 520). In Wirklichkeit handelte es sich um eine Monographie über Reitsch von Bertold K. Jochim, dem Erfinder der Landserhefte. Im nächsten Buch „glorifizierte“ Fritz-Otto Busch „die Versenkung eines amerikanischen Schlachtschiffs durch die ‚Bismarck‘“ (ebd.). Nun hat das deutsche Schlachtschiff aber nie gegen amerikanische Schiffe gekämpft. Es lag längst auf dem Meeresgrund, bevor ein halbes Jahr später die deutsche Kriegserklärung an die USA erfolgte. Das Rätsel um das mysteriöse amerikanische Schlachtschiff, das Rössler vorschwebt, ist rasch geklärt – es handelte sich um den Stolz der Royal Navy, den britischen Schlachtkreuzer Hood. Das vorgestellte Buch hieß: „Hood ist in die Luft geflogen“ (1960).

Solche Mäkeleien schmälern nicht den unschätzbaren Wert dieses Werkes. „Reihenweise“ wird fortan zur Pflichtlektüre für Buchwissenschaftler und Kulturhistoriker der frühen Bundesrepublik gehören. Es schärft den Blick für die Kunst der Umschlaggestaltung in ihrem jeweiligen historischen Geschmackskontext. Dank Reinhard Klimmt und Patrick Rössler mitsamt ihren Mitarbeitern und Fotografen lebt das damalige Faszinosum der Taschenbücher wieder auf. Wenn sie derart prägend waren, dass auf die Frage „Wer bin ich?“ die Antwort lautet: „Ich bin in erster Linie ein Produkt des Lesens, der Bücher“ (Klimmt, S. 11), dann stellt sich die Frage, welches Identitätsprofil die „Generation Smartphone“ im Rückblick ausmachen wird.

Anmerkungen:
1 Daniela Völker, Das Buch für die Massen. Taschenbücher und ihre Verlage, Marburg 2014, S. 4. Die Autorin verlässt sich auf Kataloge und Werbung der Verlage, statt auf kritische Archivstudien.
2 Alle in dieser Rezension genannten Seitenzahlen beziehen sich auf Band 1.
3 Diese ist als Leseprobe auch publiziert unter http://culturmag.de/rubriken/buecher/reihenweise-die-taschenbuecher-der-1950er-jahre-und-ihre-gestalter/98125 (17.03.2017).