Heftrich, Urs; Jacobs, Robert; Kaibach, Bettina; Thaidigsmann, Karoline (Hrsg.): Images of Rupture between East and West. The Perception of Auschwitz and Hiroshima in Eastern European Arts and Media. Heidelberg 2016 : Universitätsverlag Winter, ISBN 978-3-8253-6548-6 547 S. € 54,00

Grant, Matthew; Ziemann, Benjamin (Hrsg.): Understanding the imaginary war. Culture, thought and nuclear conflict, 1945–90. Manchester 2016 : Manchester University Press, ISBN 978-1-784-99440-2 XI, 303 S. £ 75.00; € 92,49

Jarausch, Konrad H.; Ostermann, Christian F.; Etges, Andreas (Hrsg.): The Cold War. Historiography, Memory, Representation. Berlin 2017 : de Gruyter, ISBN 978-3-11-049522-5 VIII, 309 S. € 59,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Hansen, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Nach wie vor zählt die Geschichte des Kalten Krieges zu den intensiv erforschten Gebieten der Neuesten Geschichte. Dies liegt auch daran, dass im Kalten Krieg viele Fundamente gelegt wurden, die wir untersuchen müssen, wenn wir unsere Gegenwart verstehen wollen. Ein neuerer internationaler Trend geht dahin, den Kalten Krieg nicht länger nur als Epoche zu begreifen, die mit klar umrissenen zeitlichen Grenzen ein Raster für die Periodisierung des 20. Jahrhunderts bietet. So analysieren insbesondere jüngere Historikerinnen und Historiker den Kalten Krieg nunmehr als Quellenbegriff und bringen zum Vorschein, dass er für einen Modus der Weltbeschreibung und Weltdeutung stand und also konstitutiv war für die Herstellung von sozialer Ordnung.1

Auch die drei hier zu besprechenden Sammelbände können in diese Forschungsrichtung eingeordnet werden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie erstens mit fluiden Temporalisierungen arbeiten, das heißt Anfang und Ende des Kalten Krieges abhängig von der Fragestellung flexibel setzen. Zweitens ist diesen drei Bänden eine weite räumliche Perspektive gemeinsam: Sie beschränken sich nicht auf Europa und Nordamerika als den klassischen Austragungsorten des Ost-West-Konflikts, sondern schließen beispielsweise auch asiatische Länder mit ein. Ihr Interesse ist, und das mag ein dritter Berührungspunkt sein, auf die Wahrnehmung, Repräsentation und Erinnerung des Kalten Krieges gerichtet. Mit anderen Worten: Der Kalte Krieg wird in allen drei Bänden als etwas vorgestellt, dass sich in den Köpfen der Zeitgenossen ereignete. Er wird als ein Konflikt gedeutet, der bewältigt werden musste – sei es durch rüstungskontrollpolitische Friedenssicherung oder durch psychologisch-mentale Verarbeitung erlebter und antizipierter Schrecken.

Der Kalte Krieg war also ein imaginärer Krieg. Er wurde nicht auf den Schlachtfeldern ausgetragen. Stattdessen beruhte er auf Simulationen, Fiktionen und hypothetischen Annahmen. Wie wahrscheinlich und wie folgenschwer ein Atomkrieg sei, war das zentrale Problem, um das es ging. Gleichzeitig war er auch ein Krieg gegen die Imagination. Denn er zwang allen Beteiligten den – kontraintuitiven – Gedanken auf, dass die Vorbereitung auf eine atomare Vernichtung des Gegners zum Frieden führte. Der Kalte Krieg als imaginärer Krieg beruhte auf der Prämisse, dass die Vorstellung einer totalen Zerstörung untrennbar verbunden war mit Freiheit, Sicherheit und Wohlstand – auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Das sind die beiden zentralen Thesen des von Matthew Grant und Benjamin Ziemann herausgegebenen Sammelbandes „Understanding the Imaginary War: Culture, Thought and Nuclear Conflict, 1945–90“.

Dieser Band geht über das hinaus, was wir gemeinhin mit dem Imaginären des Kalten Krieges bezeichnen. Er untersucht nicht etwa, wie die nukleare Bedrohung in der Populärkultur verarbeitet wurde oder wie Propaganda aus dem politischen Gegner den ideologischen Feind machte. Er nimmt vielmehr die Atombombe als zentrale Metapher des Konflikts ernst und folgert, dass es die Existenz der Bombe selbst war, die die Einbildungskraft aktiviert und in Gang gesetzt hat. Das ist entscheidend: Die Atombombe muss als eine Metapher verstanden werden, die zu Mutmaßungen verleitet hat. Die Herausgeber unterstreichen, dass das Imaginäre des Kalten Krieges durch bestimmte semantische und visuelle Strategien konstruiert worden ist. So können sie erklären, dass es ein instabiles Konzept war, das dauerndem Wandel unterworfen blieb (S. 9).

Nach einem instruktiven Beitrag von Eva Horn, die die in der Einleitung formulierte These des Bandes anhand von Primärquellen weiter vertieft und dabei noch einmal die Neuheit des Phänomens hervorhebt (S. 33), analysieren die folgenden vier Kapitel, wie Politik und Gesellschaft in wichtigen Staaten über den Nuklearkrieg verhandelten. In das Zentrum des Interesses rücken die Sowjetunion (Miriam Dobson), die USA (Paul Boyer), Großbritannien (Grant) und die Bundesrepublik (Ziemann). Besonders anschaulich ist der Beitrag zu den westdeutschen Debatten. Zum einen waren dort geschichtspolitische Verweise auf den Zweiten Weltkrieg und die Nazi-Herrschaft sehr lebendig, zum anderen war ein argumentativer Topos der geographischen Betroffenheit präsent, in dem bereits in den 1950er-Jahren, dann aber intensiv in den 1980er-Jahren gesprochen wurde (S. 117f.). Ziemann demonstriert, wie von Bundeswehrkreisen bis zu außerparlamentarischen Friedensinitiativen ein seltener Konsens bestand, dass ein potentieller Atomkrieg auf dem Gebiet der beiden Deutschlande ausgetragen werden würde. Das „Fulda Gap“ an der Grenze zwischen Hessen und Thüringen galt als der Ort, an dem die Sowjetunion zuerst nach Westen durchbrechen würde. Er gerann zum Symbol der kollektiven Verwundbarkeit, und zahlreiche Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten sprachen von ihrer persönlichen, individuellen Angst vor einem Atomkrieg, indem sie an das „Fulda Gap“ erinnerten. Dass überhaupt öffentlich über Gefühle zu sprechen in den 1980er-Jahren akzeptierbar war, führt Ziemann neben sozialen Transformationsprozessen wie dem „Psycho-Boom“ auf neue und öffentlich verbreiterte Wissensbestände über die Folgen eines Atomkriegs zurück. Trotz nationaler Unterschiede verband das Imaginäre des Kalten Krieges dabei entfernte nationale Diskursgemeinschaften (insb. S. 132–134).

Doch nicht erst in den 1980er-Jahren bezogen die Kritiker eines Atomkrieges ihre Argumente von Wissenschaftlern und Gegenexperten. Dieser Vorgang lässt sich mit Einschränkungen schon im Europa der Nachkriegszeit feststellen, als Intellektuelle zum Widerstand gegen die Atombewaffnung aufriefen. Der Philosoph Günther Anders war ein überzeugter Kritiker der Atombombe, der grell die Folgen ihres Einsatzes ausmalte und so das Denken von Protestgruppen mit einer philosophisch-anthropologischen Analyse der nuklearen Bedrohung unterfütterte. Jason Dawsey untersucht seine Schriften und sein öffentliches Wirken in einem für das Gesamtargument des Bandes wichtigen Aufsatz.

Dass auf die Atombombe ein nuklearer Winter folgen würde, gelangte als wissenschaftlich begründete Prognose in den 1980er-Jahren von den Laboren und Hörsälen in den öffentlichen Diskurs. Maßgeblich arbeitete der US-Astronom Carl Sagan diese Szenarien mit aus. Sein Wirken ist ein Beispiel für die Popularisierung und Politisierung von Wissenschaft sowie für die Verwissenschaftlichung von außerparlamentarischem Aktivismus im fortgeschrittenen Atomzeitalter. Paul Rubinson erörtert in seinem Beitrag, wie dieser Transfer geschehen konnte. Er bemerkt, dass es selten zuvor eine vergleichbare Allianz zwischen Wissenschaftlern und Friedensaktivisten gegeben habe wie in den hitzigen Debatten um die Nachrüstungspläne der NATO (S. 239). Sagans Berechnungen jedenfalls wurden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs rezipiert und können als ein Beispiel für die transnationale Wanderschaft von Ideen gelten. Rubinson weist allerdings auch darauf hin, dass eine Spannung zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch dieses Szenarios und seiner öffentlichen Instrumentalisierung bestand (S. 251).

Was zeigt uns dieser Sammelband? Erstens: Die Realität des Nuklearkriegs war eine fiktive, die heraufbeschworen, vorgestellt und ausgemalt werden musste. Ein Nuklearkrieg war kein reales Ereignis, vielleicht nicht einmal ein rational zu erwartendes Ereignis, sondern eine Kalkulation von Antworten auf noch nicht eingetretene Handlungen. Zweitens: Selbst wenn der Kalte Krieg ein imaginärer Krieg war, der von Einbildungskraft und Erzählungen lebte, beschreibt er doch eine gedachte dichotomische Trennung der Welt, die zutiefst real war, weil sie das Leben, Denken und Handeln der Menschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs prägte.

Auch der Sammelband „Images of Rupture between East and West: The Perception of Auschwitz and Hiroshima in Eastern European Arts and Media“ begreift den Krieg als Gegenstand der Imagination. Mehr noch als der erste Band wendet er sich der geschichtspolitischen Verarbeitung von Katastrophen zu, genauer der von Auschwitz und Hiroshima, die im kollektiven Gedächtnis beide als Orte des Massenmords erinnert werden und zum Referenzpunkt für Anti-Kriegskampagnen geworden sind. Wenn der Band nach dem Zusammenhang, der Verbindung zwischen Auschwitz und Hiroshima sucht, will diese Frage nicht suggerieren, dass beide Katastrophen vergleichbar wären. Vielmehr geht es den Herausgebern Urs Heftrich, Robert Jacobs, Bettina Kaibach und Karoline Thaidigsmann darum, wie die Zeitgenossen – Künstler, Musiker, Literaten und Wissenschaftler – Auschwitz und Hiroshima miteinander in Beziehung gesetzt haben (S. 9).

Der geographische Fokus des Bandes liegt auf Ostmitteleuropa, vor allem auf Polen, der früheren Tschechoslowakei und Jugoslawien. Was diese Perspektivierung so ergiebig macht, ist die damit mögliche Dezentrierung des Forscherblicks. So wird die Sowjetunion nicht exemplarisch für den von ihr kontrollierten Machtbereich verallgemeinert. Der Band demonstriert vielmehr, wie aufschlussreich die Selbstverständigungsdebatten über Auschwitz und Hiroshima in den ostmitteleuropäischen Ländern waren, die sonst nur im Schatten des „Großen Bruders“ wahrgenommen werden, und er zeigt auch, wie komplex und disparat diese Diskussionen in einem politischen Raum verliefen, dem wir gemeinhin hohe ideologische Homogenität unterstellen.

Ein erster größerer Abschnitt rekapituliert, wie westliche Staaten mit Auschwitz und Hiroshima umgingen. Untersuchungsgegenstände sind unter anderem der Hiroshima-Auschwitz Friedensmarsch (Ran Zwigenberg) oder die Verarbeitung beider Katastrophen durch Überlebende (Makiko Takemoto). Daneben erklärt Jacobs in seinem Beitrag über die Rezeption Hiroshimas, warum große Teile der US-Gesellschaft sich nicht primär verantwortlich für ein Kriegsverbrechen fühlten, sondern als Opfern eines zukünftigen Atombombenabwurfs sahen (S. 91). Der Kalte Krieg stellte die dominierende Diskursfolie dar, die andere Ebenen des kollektiven Gedächtnisses überlagerte. Daran anschließend werfen die Autorinnen und Autoren Schlaglichter auf die Sowjetunion und heben ebenfalls die Selektivität von Erinnerungskulturen hervor. Felicitas Fischer von Weikersthal unterstreicht, dass Hiroshima in der Sowjetunion als Verbrechen gegen die Menschlichkeit galt, während Auschwitz selten als solches interpretiert wurde (S. 125f., 146–149). Das hing zusammen mit einem verbreiteten Antisemitismus und der Angst, dass die eigene Mitverantwortung für den Judenmord angesprochen werden könnte. Erst in den 1980er-Jahren verschoben sich die Sagbarkeitsregeln (S. 148). Das bestätigt sich in anderen Kapiteln des Abschnitts, so in der Untersuchung von Mirjam Rajner über die offiziellen Reaktionen auf die Arbeiten des Künstlers Zinovii Tolkatchev, der staatliche Repressionen erfuhr, als er Auschwitz in seinen Arbeiten thematisierte (bspw. S. 166f.).

Die nächsten drei Abschnitte enthalten Fallstudien aus wichtigen Ostblockstaaten: Polen, der früheren Tschechoslowakei sowie Jugoslawien. Die Beiträge illustrieren, dass Kritiker in diesen Gesellschaften oftmals einen größeren Bewegungsspielraum als in der Sowjetunion hatten, obwohl sich auch hier die Parteilinie an den Vorgaben Moskaus orientierte. Das wird speziell für Polen sehr verständlich, wo die Einstellung zu beiden Katastrophen davon abhing, wie weit die jeweiligen Sprecher sich von der Parteilinie entfernten. In unterschiedlicher Intensität zogen sie eine Parallele zwischen dem Massenmord der Nazis und dem Atombombenabwurf über Hiroshima. Wer die Bedeutung der sozialistischen Gesellschaften als Wächter des Friedens hervorheben wollte, sprach über die Vergehen der USA. Wer dagegen den Staatssozialismus kritisieren wollte, erinnerte an die Mitverantwortung Stalins für die Verbrechen der Nazis (bspw. S. 250).

Der jugoslawische Fall nimmt in dem Sammelband großen Raum ein. Tvrtko Jakovina befasst sich mit dem jugoslawischen Staatsführer Tito. Anders als in Moskaus Satellitenstaaten stellten er und seine Gefolgsleute eine enge Verbindung zwischen Hiroshima und Auschwitz her und versuchten sogar, Hiroshima aus Auschwitz heraus zu erklären. Sofern der jugoslawische Staat auf dem Gründungsmythos eines Widerstands gegen Hitler beruhte, war die Erinnerung an Auschwitz eine durchaus effektive Strategie, um die eigene Legitimität zu konsolidieren (S. 360–363). In diesem Zusammenhang wirft Cristina Beretta auch neues Licht auf den Roman „Götz und Meyer“ des serbischen Schriftstellers David Albahari (1998), der sich um die Narrativierung des Holocaust dreht. Albahari fragt, ob und wie man von Auschwitz erzählen könne, und wie sich dabei fiktionale Elemente zu historisch gesicherten Fakten verhalten dürfen. Beretta findet in ihrem lesenswerten Beitrag, dass das typisch für Schriftsteller sei, die nach 1945 geboren wurden (Albahari ist Jahrgang 1948; S. 413).

Ein letzter Abschnitt problematisiert erneut in geraffter Form künstlerische Bearbeitungen von Auschwitz und Hiroshima. In den hier versammelten Beiträgen unter anderen von Dragan Kujundžić zur Philosophie und von Jiří Holý zur Literatur tritt plastisch die zentrale These des Sammelbandes hervor, dass Auschwitz und Hiroshima einen elementaren Zivilisationsbruch darstellten (bspw. S. 435 und S. 456). Dieser Zivilisationsbruch forderte künstlerische Verarbeitungen heraus, die um die Vergleichbarkeit der beiden Katastrophen kreisten. Auch wenn den zahlreichen multiperspektivischen Beiträgen ein systematisierender Schlussaufsatz gut getan hätte, zeigt der Sammelband doch klar, wie Auschwitz und Hiroshima unter den Vorzeichen des Kalten Krieges in Ostmitteleuropa erinnert wurde.

Der dritte zu besprechende Sammelband führt diese Geschichte fort. Historische Erinnerungsarbeit ist auch hier das Thema, aber der Fokus liegt stärker auf der Verarbeitung des Kalten Krieges selbst. Herausgegeben von Konrad H. Jarausch, Christian F. Ostermann und Andreas Etges, untersucht „The Cold War. Historiography, Memory, Representation“ das Fortleben des Kalten Krieges in materiellen Orten, Erinnerungskulturen, der Populärkultur und Schulbüchern. Jarausch, Ostermann und Etges gehen von der Beobachtung aus, dass der Kalte Krieg nicht nur in wissenschaftlichen Debatten, sondern mittlerweile auch in der Öffentlichkeit selbst historisiert werde. Ihnen geht es um die kritische Reflexion dieser öffentlichen Erinnerung (S. 3f.). In einem einleitenden konzeptionellen Aufsatz betont Siegfried Weichlein die Vorzüge einer Kulturgeschichte des Kalten Krieges. Er erinnert daran, dass der Kalte Krieg nicht nur ein militärischer Konflikt, sondern in hohem Maße auch eine kulturelle Auseinandersetzung war. Weiter diskutiert er die These, dass „research on the Cold War heavily depends on the notion of culture it employs” (S. 23). Erstaunlicherweise begreift er die Kulturgeschichte dabei vor allem als thematisches Feld, das von „literature, poets, actors, playwrights, painters, composers, comedians, and chess players” (S. 19) bevölkert werde. Eine Kulturgeschichte verstanden als methodischer Zugriff spielt bei ihm eher implizit eine Rolle.

Falk Pingel knüpft an diese Vorannahmen an. In seinem Beitrag, der als deutsch-deutscher, französischer und britischer Vergleich angelegt ist, erforscht er den Kalten Krieg in Geschichts- und Schulbüchern. Er erklärt, dass die Konfliktformation in den vier Ländern zu unterschiedlichen Zeiten thematisiert worden ist. Während in deutsch-deutschen Büchern bereits ab 1949 vom Kalten Krieg die Rede war, tauchte der Begriff in Frankreich erst ab den 1970er-Jahren auf. In britischen Lehrbüchern fand das Konzept nach 1989/90 Beachtung. Pingel kann damit zeigen, wie der Kalte Krieg als Unterrichtsgegenstand erst konstituiert und in verschiedene nationale Erziehungssysteme eingegliedert werden musste. Den Geschichtsunterricht dominierte er mit Verzögerung und blieb selbst dann ständigen Neudeutungsversuchen ausgesetzt (S. 114–116). Half er im geteilten Deutschland den Schülerinnen und Schülern bis in die 1960er-Jahre vor allem dabei, Kritik am ideologischen Feind einzuüben, nahm dieses Denken in Gegensätzen ab den 1970er-Jahren merklich ab. Im Vergleich dazu war in den französischen Geschichtsbüchern die Dekolonisierung präsenter und Frankreich als eigenständiger Akteur im globalen Süden konturiert. In Großbritannien lag der Schwerpunkt wiederum auf der Eigenständigkeit des Landes zwischen Ost und West, machte der Unterricht die Schülerinnen und Schüler stärker mit der weltpolitischen Aufgabe des Landes im Commonwealth vertraut. Die ideologische Konfrontation zwischen den Supermächten blieb dieser Deutung von Welt untergeordnet (S. 131f.). Insofern spiegelten das Schulbuch und das Klassenzimmer mit leichter Zeitverzögerung den Transformationsprozess in den internationalen Beziehungen wider. Pingels Beitrag fördert nicht so sehr das Neue, Unerwartete ans Tageslicht, sondern macht einmal mehr die formative Leistung greifbar, die von der Binarität der Staatenwelt ausging.

Eine Stärke des von Jarausch, Ostermann und Etges verantworteten Sammelbandes liegt unzweifelhaft in seiner globalen Perspektive und der Aufmerksamkeit für Regionen, die sonst nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen (wenngleich Berlin viel Raum einnimmt). So profiliert Jennifer Dickey in einem lesenswerten Beitrag Südostasien als Ort, an dem über die Relevanz der Erinnerung an den Kalten Krieg verhandelt wurde. Am Beispiel der Aufbereitung des Vietnamkriegs in nationalen Museen und Gedenkstätten argumentiert sie, dass der als „American War“ bezeichnete Krieg vor allem aus nationalen Diskursen heraus verstanden und als Sieg der nationalen Einheit gegen den ausländischen Aggressor gefeiert wurde (S. 179). Überhaupt war der Kalte Krieg als Referenzrahmen seltsam abwesend in Vietnam. Dies kann man mit Dickey damit erklären, dass der „American War“ nicht unbedingt für den Kommunismus, sondern primär gegen den Imperialismus ausgefochten wurde (S. 183). Während also die in den Monumenten gebotene nationale Erzählung eher Fremde als Einheimische ansprach und anspricht, scheint die Meisterdeutung Kalter Krieg in ihrer geographischen Reichweite beschränkt zu sein. In Vietnam jedenfalls entfaltet sie wenig Überzeugungskraft.

Anders sieht es in Ostmitteleuropa aus. Muriel Blaive präsentiert in ihrem konzeptionell anregenden Beitrag, wie eine Alltagsgeschichte des Ost-West-Konflikts den Begriff „Kalter Krieg“ destabilisieren kann. Dafür untersucht sie mündliche Zeugnisse von Grenzbewohnerinnen und Grenzbewohnern der früheren tschechoslowakischen Stadt České Velenice am Ufer der Lainsitz. Die Einwohner von České Velenice berichten darin von einer heimlichen Kollaboration mit dem Regime in dem Bestreben, die Grenze zum österreichischen Gmünd zu überwachen und zu schützen (S. 200–208). Nicht nur widersprechen diese mündlichen Selbstzeugnisse der anti-kommunistischen Erzählung von heldenhaften Fluchtversuchen, die von Grenzbewohnern unterstützt wurden. Sie zeigen auch, wie fruchtbar alltagsgeschichtliche Perspektiven auf einen historischen Gegenstand sein können, der traditionellerweise „von oben“ erzählt worden ist. Über das Alltägliche und Gewöhnliche in der außergewöhnlichen Situation des Kalten Krieges zu schreiben, erweist sich als spannend und ergiebig. So kann die Autorin vereinfachende Vorstellungen von Gut und Böse dekonstruieren und darlegen, wie die binäre Konfliktformation der Grenze ein perfides Überwachungssystem hervorbrachte, das die Bewohnerinnen und Bewohner internalisierten. Es griffen komplexe soziale Mechanismen der Komplizenschaft ineinander, die freilich immer wieder von lokalem Eigen-Sinn und von Subversion gebrochen wurden (S. 208–212). Was bedeutete der Kalte Krieg in České Velenice? Er bezeichnete ein Aushandlungssystem zwischen den Herrschaftsansprüchen des Kommunismus und ihrer Aufnahme im städtischen Alltag. Zumindest mit Blick auf diese Stadt sei es verfehlt, schließt die Autorin, den Kalten Krieg als heilsgeschichtlichen Kampf zwischen Gut und Böse zu interpretieren. Darum ging es in České Velenice schlichtweg nicht (S. 211).

Mikrostudien haben das Potential, den Kalten Krieg in eine größere Perspektive zu rücken und mit konkurrierenden Sinnstiftungsangeboten in das richtige Verhältnis zu setzen. Wie von den beiden zuerst besprochenen Bänden geht auch von diesem Sammelband ein wichtiger Impuls für die Weiterentwicklung der Cold War Studies aus. Der Band demonstriert nicht nur, wie sichtbar die Spuren des Kalten Krieges überall in der Welt noch sind; er ist darüber hinaus ein eindrücklicher Beleg, dass die kollektive Erinnerung an den Kalten Krieg ein konstitutives Element für das Funktionieren von sozialen Gemeinschaften ist.

Die drei Sammelbände zeigen: Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kalten Krieg ist längst nicht mehr nur dort am produktivsten, wo es um politische, diplomatische oder militärische Geschichte geht. Längst haben sich neue Felder aufgetan, wird der Konflikt neu vermessen. Die Bände repräsentieren durchaus exemplarisch einen übergreifenden Trend. Sie verstehen den Kalten Krieg als zeitgenössisches Konstrukt, dessen Wahrnehmung und Repräsentation ebenso ans Licht zu bringen ist wie seine emotionsgeschichtliche Dimension und die auf ihn Bezug nehmenden Erinnerungskulturen. Für die Thesenbildung wichtig sind die Pluralität von national, transnational und international orientierten Akteuren und Akteursgruppen sowie die Gleichzeitigkeit von konkurrierenden Diskursräumen, von denen der Kalte Krieg nur einer war.2

Desiderate bleiben: Ein wichtiges, in den Bänden angesprochenes Feld ist die Geschichte der materiellen Kultur des Kalten Krieges und ihre fundamentale Bedeutung für das Imaginäre. Insbesondere der von Jarausch herausgegebene Band zeigt mögliche Ansätze auf, weil er materiellen Orten wie Bunkern breiten Raum einräumt. Aber es gilt auch, wissenschaftliche Produktionen wie Schul- und Geschichtsbücher in ihrer Materialität ernster zu nehmen. Das gleiche gilt für die in Heftrichs Band untersuchten künstlerischen Aussagen zu Auschwitz und Hiroshima. Die Bücher, Zeichnungen, Musikstücke und Filme hatten eine Materialität, bei der immer noch zu prüfen ist, welchen Beitrag sie zur Konstruktion der Erinnerungskultur leistete. Diese Materialität muss schließlich auch verstanden werden als strukturierendes Element für eine noch zu schreibende Geschichte der Aufzeichnungs- und Klassifizierungssysteme des Kalten Krieges, die überhaupt die Voraussetzung ist, damit wir begreifen, wie das Wissen und die Ideen jenes Zeitalters Gestalt annehmen konnten. Wenn es dann noch gelänge, eine globalgeschichtliche Perspektive beizubehalten, sie aber gleichzeitig mit regionalen Mikrostudien gegenzuspiegeln; wenn es weiter möglich wäre, von starren Periodisierungen (1946/47 und 1989/90) Abschied zu nehmen und sie durch flexiblere und auf den jeweiligen Untersuchungsfall zugeschnittene Zeiträume zu ersetzen, wäre viel gewonnen. Die besprochenen drei Bände bieten dazu wichtige Denkanstöße.

Anmerkungen:
1 Bei der Herstellung von sozialer Ordnung ist vom politischen und wirtschaftlichen Bereich über den Alltag, die Populärkultur bis zum Schulunterricht an nahezu jedes gesellschaftliche Teilsystem zu denken.
2 Andere Diskursräume waren u.a. der Globalisierungs-, Menschenrechts- und Umweltdiskurs; nach Akira Iriye, Historicizing the Cold War, in: Richard H. Immerman / Petra Goedde (Hrsg.), The Oxford Handbook of the Cold War, Oxford 2013, S. 15–31.

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