K. Oschema (Hrsg.): Die Performanz der Mächtigen

Cover
Titel
Die Performanz der Mächtigen. Rangordnung und Idoneität in höfischen Gesellschaften des späten Mittelalters


Herausgeber
Oschema, Klaus; Cristina Andenna, Gert Melville, Jörg Peltzer
Reihe
RANK. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa 5
Erschienen
Ostfildern 2015: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hubertus Seibert, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Sozial- und Kulturwissenschaften haben ihr methodisches Instrumentarium in jüngerer Zeit konsequent um neue Analysekategorien und -konzepte wie das Medium Bild, die Ritualisierung, die symbolische Kommunikation oder die Disabilität erweitert und für ihre interdisziplinären und transkulturellen Fragestellungen fruchtbar gemacht. Eine eher ambivalente Begleiterscheinung dieser berechtigten Suche nach neuen Zugangsweisen war, dass die internationale Forschung in raschem Wechsel immer wieder neue „turns“ als Forschungsparadigma ausrief: Einem linguistic turn und visual turn folgten in kurzen Abständen ein spatial turn und seit 2000 ein performative turn.1

Der vorliegende Band, der die Mehrzahl der Vorträge zweier Tagungen vom November 2011 und Juni 20132 wiedergibt, setzt sich bewusst von den Studien ab, die einem „performative turn“ unkritisch das Wort reden. Mit der Wahl des Konzeptes „Performanz“ suchen die Beiträger des Bandes vielmehr eine spezifische Zugangsweise an einem zentralen Phänomen des europäischen Mittelalters wie Königtum und Fürsten zu erproben. Ausgehend von der Frage nach der Etablierung, Legitimierung und Sicherung adlig-fürstlicher Macht untersuchen die als Fallstudien angelegten Beiträge entsprechende Auftritte spätmittelalterlicher Fürsten und deren konkrete Ausführung in spezifischen sozialen und kulturellen Kontexten wie Schlacht, Turnier, Parlament, Hof, Ritterorden.

Klaus Oschema ruft in seiner Einleitung wichtige Etappen der Entwicklung und Anwendung des aus dem Bereich der Sprachphilosophie stammenden Begriffs „Performanz“ in Erinnerung und grenzt ihn von dem verwandten, in den Geschichts- und Literaturwissenschaften intensiv erforschten Begriff der Ritualisierung ab. Während die historische Analyse ritualisierten Handelns vorrangig die Ausdrucks- und Sinndimension des Rituals – seine Bedeutung – thematisiere, lege die Untersuchung der performativen Dimension menschlichen Agierens den Fokus auf den eigentlichen Handlungsvollzug, „auf das individuelle Handeln und seine Einzigartigkeit“ (S. 23) sowie auf die performative Qualität der Handlung und des Handelnden. Performatives Handeln sei immer an einen „historischen Moment“ gebunden, in welchem es sich realisiere.

Cristina Andenna präsentiert neue Ergebnisse ihrer Forschungen über die Wechselbeziehung von Performanz und Idoneität.3 Am Beispiel des Kampfes zwischen Karl von Anjou und Manfred um die sizilische Krone zeigt sie, mit welchen Mitteln zeitgenössische Chronisten Karls offenkundigen Mangel an Legitimation zu kompensieren und Akzeptanz zu gewinnen suchten. Ihre Analyse der von Andrea(s) von Ungarn konstruierten motivierenden Feldherrenreden Karls und Manfreds vor der Schlacht von Benevent (1266) erhellt den hohen Stellenwert, den Andrea(s) dem individuell-performativen Handeln der beiden Protagonisten als Ausweis ihrer Idoneität oder Untauglichkeit als Herrscher und Heerführer beimaß.

Jörg Peltzer beleuchtet die zentrale Rolle individueller Performanz (wie Männlichkeit und Ritterlichkeit) als Rangfaktor und für die adlige Rangbildung im spätmittelalterlichen Europa an zwei prägnanten Fällen. Die spätmittelalterliche Rezeptionsgeschichte der Belehnung Ottokars von Böhmen durch Rudolf von Habsburg im Jahre 1276 dokumentiere, wie die Chronisten den (vermeintlichen) Rangunterschied Rudolfs und die Niederlage Ottokars im Wettstreit um den römisch-deutschen Thron darstellten und die Bedeutung viriler Performanz – die militärische Überlegenheit und Männlichkeit Rudolfs wird mit der Unterwerfung und der fehlenden Manneskraft Ottokars kontrastiert – für den Rang visualisierten. Mit der Mitgliedschaft in einem weltlichen Ritterorden entstanden für einen Adeligen Räume, in denen die individuelle Performanz rangbildende Wirkung zu entfalten vermochte.

Die rednerische Performanz von König und Fürsten, die gesamte Aufführung der Rede, ihre Qualität und ihre sinnliche Wirkung, stehen im Zentrum zweier Beiträge zur Feldherrenrede und Parlamentsansprache. In der mittelalterlichen Historiographie nehmen seit dem 12. Jahrhundert die Hinweise auf den performativen Charakter einer Feldherrenrede zu, wie Klaus Oschema nachweist. Die Qualität und Wirkung der jeweiligen Aufführung wurde entscheidend durch die motivierende Präsenz und das physische Erscheinungsbild des jeweiligen Redners beeinflusst. Die (königliche) Versammlungsrede vor dem (englischen) Parlament und vor den (französischen) Generalständen deutet Jörg Feuchter als eine „Performanz der Mächtigen“, die in der Praxis aber nur selten begegne. Während im „Parliament“ nur legitimationsbedürftige Könige wie Heinrich V. und Eduard IV. zum Mittel der persönlichen Rede griffen, nutzten französische Könige wie Heinrich III. ab 1576/77 ihre Eloquenz als Regierungstechnik – auch zur Disziplinierung des Dritten Standes.

Körperlichkeit, kämpferische Fähigkeiten und Ritterlichkeit sprechen zwei Beiträge als performativen Ausdruck spätmittelalterlicher Fürsten an. Eine erfolgversprechende herrscherliche (Selbst-)Inszenierung bei Turnier und Zweikampf war nach Torsten Hiltmann an bestimmte Voraussetzungen wie die individuelle Physis und das persönliche Können gebunden. Die Körperlichkeit der (künftigen) Herrscherin/Fürstin und der Körper des handelnden Fürsten spielten bei individuell geprägten Herrscherauftritten (oder Heiraten) eine entscheidende Rolle, wie Karl-Heinz Spieß aufzeigt.

Stéphane Pépuignot fragt nach der performativen Qualität der Krönungszeremonie der aragonesischen Könige im 13./14. Jahrhundert und der daran beteiligten Akteure. Diese werde in den zeitgenössischen Quellen (Ordines, Chroniken, Briefen) vor allem dann sichtbar, wenn zwischen den beteiligten Akteuren kein Konsens über den praktischen Vollzug des Rituals bestehe.

Die literarische Vermittlung performativen Handelns untersucht Matthias Standke anhand von drei legendarischen Erzählungen über Karl dem Großen aus dem 13.–15. Jahrhundert. Er rekurriert dabei vor allem auf die performativen Akte, die Macht und Idoneität des Kaisers erzeugten. Die Legenden offenbarten, „dass weitere Instanzen performativ an der Konstituierung und Stabilisierung der Idoneität sowie der daraus resultierenden Herrschaft beteiligt sind“ (S. 216).

Gert Melville resümiert die Ergebnisse des Bandes und ergänzt sie um eigene bedenkenswerte Überlegungen. Das performative Handeln sieht er in ein normatives Repertoire von musterhaften (Verhaltens-)Formen und Inhalten eingebettet, das es vom allgemeinen Tun abgrenze. Den Begriff der Performanz erweitert er um die Dimension des Symbolischen. Performativen Handlungen eigne eine symbolische Kraft („Symbolizität“), wie Rituale wiesen sie die Qualität des Symbolischen auf (S. 232).

Der durch ein Register der Personen und Orte gut erschlossene Band zeigt einmal mehr, dass neue, in der Mediävistik bislang wenig erprobte Perspektiven wie das Performanzkonzept bewährte Zugangsweisen sinnvoll ergänzen, ja optimieren und vielfach weiterführende Erkenntnisse liefern.

Anmerkungen:
1 Erstmals im Titel von Ursula Rao / Klaus Peter Köpping, Einleitung. Die „performative Wende“: Leben – Ritual – Theater, in: Klaus Peter Köpping / Ursula Rao (Hrsg.), Im Rausch des Rituals. Gestaltung und Transformation der Wirklichkeit in körperlicher Performanz, Hamburg 2000, S. 1–31; im Überblick Erika Fischer-Lichte, Performativität. Eine Einführung, Bielefeld 2012.
2 Siehe dazu den Tagungsbericht: Die Performanz der Mächtigen. Rangordnung und Idoneität in höfischen Gesellschaften des späten Mittelalters, 14.06.2013–15.06.2013 Dresden, in: H-Soz-Kult, 04.09.2013, www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-4997 (30.06.2017).
3 Cristina Andenna / Gert Melville (Hrsg.), Idoneität – Genealogie – Legitimation. Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im Mittelalter (Norm und Struktur 43), Köln 2015.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch