T.C. Bächle: Digitales Wissen, Daten und Überwachung zur Einführung

Cover
Titel
Digitales Wissen, Daten und Überwachung zur Einführung.


Autor(en)
Bächle, Thomas Christian
Reihe
Zur Einführung
Erschienen
Hamburg 2016: Junius Verlag
Anzahl Seiten
237 S.
Preis
€ 15,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hannes Mangold, Bern

Wer es bislang versäumt hat, sich mit Algorithmen, Daten und Überwachung auseinanderzusetzen, kann im neuen Band der im Hamburger Junius-Verlag erscheinenden Reihe „Zur Einführung“ einen Einstieg finden. Die inhaltliche Breite dieser Einführung überrascht und weckt die Neugier, welcher rote Faden die vier Kapitel und rund 200 dicht bedruckten Seiten zusammenhält, zumal der Autor Thomas Christian Bächle, anders als der Titel suggeriert, nicht drei, sondern sogar vier Themenkreise behandelt. Das Buch setzt sich zum Ziel, die zentralen „Begriffe und Argumentationsmuster“ der Debatte um die neuen Technologien „einer medienkulturwissenschaftlichen Betrachtung zu unterziehen“ (S. 11).

Das erste Kapitel dieser Einführung problematisiert die Vorstellung einer Autonomie von Algorithmen. Wieso gerade die Algorithmen als einziges Thema im Buchtitel abwesend sind, bleibt unklar. Dafür liefert Bächle einen konzisen Überblick über die definitorischen Debatten um den Begriff des Algorithmus. Daraus folgert er, dass Algorithmen ihre Wirksamkeit erst in ihrem sozialen und kulturellen Kontext, in ihrer Verflechtung mit den sie umgebenden „Macht- und Wissensstrukturen“ entfalten (S. 35). Für eine Kritik technikdeterministischer Vorstellungen ist dieser Schluss hilfreich. Unter den gesetzten kulturwissenschaftlichen Vorzeichen ist er allerdings „trivial“, wie der Text selbst bescheinigt (S. 48). Algorithmen sind nicht autonom, aber welcher Untersuchungsgegenstand würde denn in einer Netzwerkuntersuchung als autonom erscheinen? Für eine Einordnung des Ergebnisses wäre ein Mehr an theoretischer Selbstreflexion produktiv gewesen.

Das zweite Kapitel fragt nach der spezifischen Form von digitalem Wissen und legt dar, wie Medien und ihre Inhalte sich stets gegenseitig beeinflussen. Demnach geht auch mit den „neuen Medien“ eine spezifische Form von Wissen einher. Nach der kenntnisreichen Abhandlung des Forschungsstands führt der Autor diese These an den Beispielen der Virtuellen Realität, der (Computer-)Simulation und des Interface aus. Diese interagierten mit einem Wissen, das die Unterscheidung „von real und artifiziell“ problematisiere und zugleich die „Rationalisierung, Modellierung und Formalisierung natürlicher Phänomene“ favorisiere (S. 94). So aufschlussreich dieser Gedanke ist, so hilfreich wäre es wiederum gewesen, ihn auch gegen das eigene Analyseraster zu wenden und unter anderem offenzulegen, was denn „autonom“, „real“ oder „natürlich“ bedeuten.

Das dritte Kapitel wendet sich Big Data zu. Nach einer Abgrenzung zu den Begriffen „Fakten“, „Informationen“, „Roh-“ und „Metadaten“ zeigt Bächle gekonnt auf, dass Daten gemacht werden und keineswegs neutral sind: „Daten sind stets eingebettet in soziokulturelle Kontexte, Narrative und Interpretationsmuster.“ (S. 149) Ihre Objektivität erscheint wiederum als Zuschreibung, die dazu dient, spezifische Formen von Wissen zu priorisieren und partikulare Interessen durchzusetzen. Mit Sachverstand und anschaulicher Sprache stellt Bächle hier die Forschung synthetisierend vor und unterzieht sie dabei einer gewinnbringenden kritischen Lektüre.

Das vierte und letzte Kapitel nimmt die Überwachung in den Blick. Die von Michel Foucault beschriebene „Disziplinargesellschaft“ weist es dabei als abgelöst von der von Gilles Deleuze skizzierten „Kontrollgesellschaft“ aus, allerdings nur, um die beiden Konzepte anschließend auf erstaunliche Weise wieder zu vermengen. Schlüssiger zeigt sich der anschließende Überblick über die Surveillance Studies, wobei die Geschichtswissenschaft auch hier nicht im Fokus dieser Einführung steht.1 Auch in diesem letzten Kapitel bleibt der Text seiner technologiekritischen Grundhaltung treu und warnt vor einem kurzsichtigen, objektivierenden Blick auf die digitalen Medien. Auch Überwachung legt demnach „keine Wahrheiten frei, sondern konstruiert“ (S. 200) sie ihrerseits selbst.

Als verbindendes Element zwischen den vier Kapiteln fungiert abschließend die Erkenntnis, dass mediale jeweils mit kulturellen Transformationen interagieren (S. 202). Damit bestätigt diese „medienkulturwissenschaftliche Betrachtung“ ihre Vorannahme. Wieso dazu gerade die vier Schlagworte Algorithmus, Wissen, Daten und Überwachung beigezogen werden, bleibt nach der Lektüre allerdings unklar. Auch den Eindruck einer thematischen Überfrachtung kann diese Konklusion nicht maßgeblich ausräumen. Eine kritische Würdigung des eigenen Instrumentenkoffers hätte dieser Einführung wohl mehr denkerische Impulse eingeschrieben, als das etwas beliebige Enumerieren von Schlagwortev aus dem Dunstkreis des „Digitalen“. Trotz dieser kompositorischen Schwächen erfüllt Bächles Band seinen Zweck und eignet sich gut zur Einführung, besonders für jene Leserinnen und Leser, welche Technik und Wissen ein erstes Mal in Interaktion denken möchten und die zugleich an einem Überblick zur medienwissenschaftlichen Forschung zu Algorithmen, Wissen, Daten und Überwachung interessiert sind.

Anmerkung:
1 Siehe dazu: Christoph Conrad / Sven Reichardt (Hrsg.), Surveillance Studies. Geschichte und Gesellschaft 42/1 (2016).

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