I. Rutherford (Hrsg.): Greco-Egyptian Interactions

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Titel
Greco-Egyptian Interactions. Literature, Translation, and Culture, 500 BCE – 300 CE


Herausgeber
Rutherford, Ian
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 393 S.
Preis
£ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Bojowald, Institut für Archäologie und Kulturanthropologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Der vorliegende Sammelband widmet sich den Kontakten zwischen der griechischen und der ägyptischen Kultur, in Einzelstudien werden Beeinflussungen und Interdependenzen in der Literatur von der griechischen Archaik bis in die beginnende Spätantike untersucht. Der Band veröffentlicht die Beiträge einer interdisziplinären Konferenz zum Thema „Graeco-Aegyptiaca / Aegypto-Graeca: Interactions between Greece and Egypt 700 BCE-300CE“, die vom 17. bis zum 19. September 2007 an der University of Reading ausgerichtet wurde.

In der Einleitung lässt Ian Rutherford die Geschichte der ägyptisch-griechischen Beziehungen Revue passieren. Ihren Beginn datiert er unter Hinweis auf ionische Söldner im ägyptischen Militär und der Gründung von Naukratis ins 7. bis 6. Jahrhundert v.Chr., der Höhepunkt wurde in hellenistischer und römischer Zeit erreicht (S. 2). Die Koexistenz der beiden Kulturen ab dem 4. Jahrhundert v.Chr. wird betont, damals wurden die ersten ägyptisch-griechischen Übersetzungen angefertigt (S. 4).1

Susan Stephens stellt Verbindungen zwischen dem Gerechtigkeitsbegriff in Platons Politeia und dessen ägyptischen Parallelen her. Ähnlichkeiten zwischen der Idealpolitik der Politeia und dem zeitgenössischen Ägypten werden in Priesterschaft und Königsideologie gesehen (S. 47). Die Rolle als Kontrastmodell zur athenischen Demokratie hatte Ägypten dabei von Sparta übernommen (S. 50). Das platonische Verständnis der Gerechtigkeit als Ordnungsprinzip und deren Reichweite von der einzelnen Menschenseele bis zum Staat wird mit dem ägyptischen Maatkonzept in Zusammenhang gebracht (S. 52–55).

Alexandra von Lieven geht auf Mechanismen der interpretatio Graeca ägyptischer Götter ein. Die Anfänge des Phänomens reichen bis zu Herodot zurück (S. 62). Die Gleichsetzung von Min mit Perseus wird lautlich interpretiert, wozu auf das Epitheton „p3 wrš“ („der Wächter“) des Ersteren hingewiesen wird (S. 70). Die prominentesten ägyptischen Götter wie Apis, Osiris oder Isis blieben aber von der interpretatio Graeca ausgeklammert (S. 75–79).2

Ian Rutherford geht dem griechischen Einfluss auf den demotischen Inaros-Zyklus nach. Die erhaltenen römerzeitlichen Handschriften setzen eine längere mündliche Tradition voraus (S. 87). Die früheste Textversion könnte ein aramäisches Graffito in einem Grab bei Skeikh Fadl aus dem frühen 5. Jahrhundert v.Chr. darstellen (S. 87). Der griechische Einfluss auf „Kampf um den Panzer des Inaros“ und „Schiffskatalog“ wird nur einschränkend akzeptiert (S. 91f.). Mögliche Berührungen erkennt Rutherford dagegen im Antagonismus zwischen schwacher politischer Macht und starken Einzelkämpfern, in der Betonung der Nationalidentität, in den zwei Kampfplätzen und der äthiopischen Herkunft einzelner Kriegsteilnehmer (S. 91–93). Die Gemeinsamkeiten führt er auf eine hypothetische libysche oder assyrische Grundlage zurück (S. 97).

John Dillery befasst sich mit den Synchronismen bei Manetho. Die größte Bedeutung wird dem Synchronismus zwischen dem ägyptischen König Petubastis aus der 23. Dynastie und der 1. Olympiade zuerkannt (S. 111). Die griechische Praxis der Synchronismen geht auf Herodot und Thukydides zurück (S. 112f.). Manethos Synchronismus zwischen dem ägyptischen König Thyoris/Polybus aus der 19. Dynastie und dem Fall Trojas wird reserviert aufgenommen (S. 118–120). Der Eintrag über Deukalion und die Flut versteht Dillery als christliche Interpolation (S. 122). Lloyd Llewellyn-Jones und Stephanie Winder untersuchen Fragen der Herrschaftsrepräsentation ptolemäischer Königinnen. Die politische Propaganda von Arsinoe II. wurde durch Berenike II. konsequent fortgesetzt, wonach ptolemäische Königinnen als Inkarnation der Aphrodite (nach griechischem Verständnis) oder der Isis (nach ägyptischem Verständnis) galten (S. 148). Die Individualität der Berenike drückt sich in der stärkeren Betonung des hathorischen Elementes aus (S. 148f.). Die von Kallimachos überlieferte Votivgabe der „Locke der Berenike“ in den Tempel von Kap Zephyrion wird dabei in einen Zusammenhang mit dem Haar der Hathor gesetzt (S. 157).

Ivan A. Ladynim hebt Einzelelemente des „Töpferorakels“ hervor: Die Verbindungen zum manethonischen Bericht über Amenophis, Sohn des Hapu, werden etwa in vorhergesagter Fremdherrschaft oder im Sitz der Okkupanten in Nordägyptens ausgemacht. Ähnlichkeiten zur „Prophezeiung des Neferty“ sieht Ladynim in der nichtpersönlichen Verantwortung des Königs für drohendes Unheil (S. 167). Der fehlende göttliche Beistand bei Kriegszügen wird in Parallele zur Restaurationsstele Tutanchamuns gesetzt (S. 167f.). Ladynim stellt sodann den rein antigriechisch-antimakedonische Gestus des Töpferorakels infrage, da die Fremdenfeindlichkeit alle Völker außerhalb Ägyptens betreffe (S. 172f.). Die Position Alexanders des Großen als Weltherrscher im „Alexanderroman“ wird mit dem legitimen Herrscher im Töpferorakel als Lokalpotentat kontrastiert (S. 179f.).

Nikolaos Lazaridis untersucht verschiedene Parallelen zwischen der ägyptischen und griechischen Literatur. Das Gedicht zur Kadeschschlacht mit dem Appell Ramses’ II. an Amun wird der göttlichen Intervention ins Kampfgeschehen bei Homer gegenübergestellt (S. 192f.). Sodann führt Lazaridis Parallelen zwischen ägyptischer und sapphischer Liebeslyrik in der Beschreibung der Schlafstatt der Geliebten auf (S. 194–196), wo es sich aber eher um kulturübergreifende Topoi handelt. Die Fabel von „Maus und Löwe“ bei Äsop und im „Mythos vom Sonnenauge“ wird in einen längeren Traditionsstrang eingeordnet (S. 196f.). Die weitläufigen Parallelen zwischen ägyptischer Setna-Geschichte und Odyssee beim Abstieg in die Unterwelt kommen zur Sprache (S. 198f.), die aber kaum ein Indiz für direkte Abhängigkeiten sein können. Die Parallelen zum Lehrer-Schüler-Verhältnis in „Werke und Tage“ des Hesiod und in der „Lehre des Hordedef“ werden korrekterweise in gesamt-ostmediterranem Kontext gesehen (S. 199f.).3

Ian Moyer setzt sich mit den vier griechischen Isidorhymnen aus dem frühen 1. Jahrhundert v.Chr. im Tempel der Hermouthis/Isis in Narmouthis auseinander. Die Hymnen 1–3 halten mit der Anrede der Gottheit in der 2. Person Singular das traditionelle Schema ein (S. 211). Der Inhalt hat unter anderem mit der Rolle von Hermouthis/Isis als Kulturstifterin, Herrin von Gesetzen und Landwirtschaft und Bringerin der Nilflut zu tun (S. 217). Das Isisepithton „t3 wʿi.t“ („die Einzige“) wird synkretistisch auf alle Götter ausgedehnt (S. 219). Der Text verherrlicht zudem die Besetzung des idealen Königtums – ein Thema, welches in Hymnen und Isisaretalogien außerhalb Ägyptens fehlt (S. 225f.). Der Hymnus 4 preist Amenemhet III. als Erbauer des Vorgängertempels im Mittleren Reich (S. 230–237).

Steve Vinson beschäftigt sich mit dem Frauenbild in ägyptischer und griechischer fiktiver Literatur. Der Charakter der Ih.t-wr.t in der „1. Setnageschichte“ als „active and saviour-spouse“ wird mit der Prinzessin von Naharina im „Verwunschenen Prinzen“ in Verbindung gebracht (S. 253). Das Geliebtenpaar der Aithiopika stellt Vinson in einen Zusammenhang mit dem Isis-Osiris-Mythos (S. 257).

Joachim Quack zieht das „Buch vom Tempel“ zur Teilanalyse heran. Die griechischen Fragmente P.Oslo 2 und P.Washington University inv. 138 klassifiziert er als zusammengehörig (S. 270). Die Neudatierung wird paläographisch ins 2. Jahrhundert n.Chr. vorgenommen (S. 271). Die ägyptischen Fragmente P.Carlsberg 312 und PSI Inv. I. 88 werden mit dem griechischen Text synoptisch verglichen (S. 272–274). Die Texte aus Oxyrhynchos mit ägyptisch-griechischen Übersetzungen werden zusammengestellt (S. 279–281).

Gaëlle Tallet wertet griechische Inschriften im Tempel des Mandulis von Talmis-Kalabscha in Nubien aus dem 1. bis 3. Jahrhundert n.Chr. aus. Die proskynemata deuten auf eine griechisch-römisch-ägyptische Mischkultur hin (S. 291). Eine interpretatio graeca ist unter anderem bei den apollinischen Epitheta des Mandulis erkennbar (S. 303). Die Hymnen weisen beim wahren Erkenntnisgewinn Parallelen zu den „Griechisch-Magischen Papyri“ auf (S. 308). Richard Jasnow greift Einzelaspekte zum demotischen „Thotbuch“ heraus. Die weitgehende Abwesenheit von Fremdeinflüssen wird konstatiert (S. 320). Die Tiervorstellungen rufen Erinnerungen an die Schriften „Dialog der Hunde“ des Eudoxos von Knidos und „Über die Vorsehung“ des Synesios von Cyrene wach (S. 322). Die Schnittstellen des Buches zu Isis/Imhotep-Aretalogien beim Preis von Göttern werden herausgearbeitet (S. 327). Die fayyumische Herkunft der Mehrheit der Manuskripte des Buches wird genannt (S. 332). Jasnow notiert zudem den Gegensatz von Licht und Dunkelheit und rückt diesen in die Nähe der Vereinigung von Re und Osiris (S. 342).

Gideon Bohak spricht Details zur griechisch-ägyptischen Magie in der Spätantike an. Das Hauptmaterial wird durch „Griechische Magische Papyri“, römerzeitliche defixiones, magische Gemmen und magische Amulette gebildet (S. 358). Der Gebrauch von characteres, voces magicae usw. wird als gemeinsames Kennzeichen bestimmt (S. 359). Der ägyptische Einfluss auf die Rituale zeigt sich in der Selbstbezeichnung der Sprecher als Gott, der „Vergöttlichung“ von Hunden und Falken durch Ertränken, Eselteilen usw. (S. 365). Das Fundgebiet der griechisch-ägyptischen Magica erstreckt sich bis zu den äußersten Rändern des Römischen Reiches (S. 366–379). Als Träger der Kulturpraktiken denkt Bohak an ägyptische Priester oder Ärzte (S. 372).

In der Bewertung des Bandes kann ein überwiegend positives Fazit gezogen werden. Die Autoren zeigen auf, dass die griechisch-ägyptischen Berührungen sich vor allem in Form von Einzelmotiven niederschlagen, deren Bewertung aber oft eine Frage des persönlichen Standpunktes ist. Die Ausstrahlungen der frühgriechischen Epik auf die ägyptische Literatur müssen wohl von Fall zu Fall entschieden werden. Im Bereich der Magie fällt Ägypten aber relativ deutlich die Rolle als gebender Teil zu. Die Einzelinterpretationen der Beiträge sind zumeist überzeugend, die Lektüre des Werkes kann daher aus gutem Grund empfohlen werden.

Anmerkungen:
1 Zu Verbindungen zwischen akkadischen und demotischen astronomischen Texten (S. 14) vgl. Friedhelm Hoffmann, Internationale Wissenschaft im hellenistischen Ägypten, in: Friedhelm Hoffmann / Karin Stella Schmitt (Hrsg.), Orient und Okzident in hellenistischer Zeit, Vaterstetten 2014, S. 77–112, hier S. 80ff.; zur Übersetzungstätigkeit ägyptischer Priester vgl. Yahia El–Masry / Hartwig Altenmüller / Heinz-Josef Thissen, Das Synodaldekret von Alexandria aus dem Jahre 243 v. Chr., Hamburg 2012, S. 185.
2 Zur Schreibung „b“ für „Seth“ (S. 65) vgl. Yekaterina Barbash, The Mortuary Papyrus of Padikakem, Walters Art Museum 551, New Haven 2011, S. 267; Christoffer Theis, Magie und Raum, Der magische Schutz ausgewählter Räume im alten Ägypten nebst einem Vergleich zu angrenzenden Kulturbereichen, Tübingen 2014, S. 264. Zu „ipḥ“ „Schwein, Ferkel“ (S. 73) vgl. Wolfgang Helck, Die „Admonitions“, Pap. Leiden I 344 recto, Wiesbaden 1995, S. 71; Gábor Takács, Etymological Dictionary of Egyptian, Bd. 1: A Phonological Introduction (Handbuch der Orientalistik I 48.1), Leiden 1999, S. 89; Dimitri Meeks, Mythes et légendes du delta d´après le papyrus Brooklyn 47.218.84, Le Caire 2006, S. 82. Zur Nemesis mit dem Greif (S. 74) vgl. Sonja Gerke, Der altägyptische Greif – Von der Vielfalt eines Fabeltieres, Hamburg 2014, S. 9.
3 Zu Schlangen und Seilen (S. 202) vgl. Günter Vittmann, Eine neue tibetisch-ladakhische Variante der Geschichte von den sieben Zauberbrüdern, in: Zentralasiatische Studien 22 (1989/1991), S. 297–307, hier S. 300.

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