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Titel
Frauen im Leben der Kirche. Quellen und Zeugnisse aus 2000 Jahren Kirchengeschichte


Herausgeber
Ohler, Norbert
Erschienen
Münster 2015: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
351 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ute Gause, Reformation und neuere Kirchengeschichte, Ev.-Theol. Fakultät, Ruhr Universität Bochum

Als Kirchenhistorikerin, die sich nunmehr seit 20 Jahren mit dem Thema Frauen und Gender in der Kirchengeschichtsschreibung befasst,1 kenne ich nur zu gut das Problem, dass etliche Quellen von und über Frauen nicht ediert und meist nur mühevoll erschlossen werden können, unter anderem über die retrospektive Nationalbibliographie VD 16 , 17 und 18 [Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke]. Andererseits ist hier in den letzten Jahren Einiges geschehen: Die Schriften der Straßburger Pfarrfrau Katharina Schütz-Zell und die der Flugschriftenautorin Argula von Grumbach sind kritisch ediert,2 auch für die Fragestellung nach den Frauen in der Kirche relevante normierende Texte, wie beispielsweise die der Hausväter- und Eheliteratur, sind zum Teil veröffentlicht.3 Zudem sind zahlreiche Monographien erschienen, die den Forschungsstand der Frauen- und Gendergeschichte erheblich vorangebracht haben. Im Quellen- und Literaturverzeichnis der hier zu besprechenden Arbeit fehlen indes die meisten neueren Arbeiten zum Thema.4

Der renommierte Mittelalterhistoriker Norbert Ohler (geb. 1935) hat es unternommen, eine Quellensammlung zu „Frauen im Leben der Kirche“ zusammenzustellen, die Zeugnisse aus 2000 Jahren Kirchengeschichte in einem Band versammelt. Ganz offensichtlich verfolgt er damit keine wissenschaftlichen Ambitionen – weder der gegenwärtige Forschungsstand noch neuere Fragestellungen, zum Beispiel zur Konstruktion von „gender“, zum Habituskonzept, oder zum „somatic turn“ sind berücksichtigt. Er sieht seine Zusammenstellung als „Lesebuch“ und „Arbeitshilfe“ (S. 7). Da es sich um den Verlag Aschendorff und einen katholischen Historiker handelt, überrascht es nicht, dass der Bereich der protestantischen Frauen und Frauenbilder mehr als marginalisiert wird – da Norbert Ohler jedoch Kirche ausdrücklich als „die Gesamtheit der Getauften“ (S.9) definiert, wäre weitergehende Inklusion vielleicht doch eine Option gewesen.

Auf 300 Seiten erfolgt (leider nicht durch ein Inhaltverzeichnis auffindbar, sondern einfach unter „Quellen und Erläuterungen“ subsummiert) ein chronologischer Durchgang. Während die Quellen zur Alte Kirchen und zum Mittelalter (erstes bis 15. Jahrhundert) 170 Seiten füllen, wird den folgenden fünf Jahrhunderten etwas mehr Raum gewährt. Die sehr knapp gehaltenen Quellenauszüge sind zum Teil erläutert, zum Teil mit aktualisierenden Kommentaren versehen worden. Im mittelalterlichen Teil dominieren die Quellen aus Klöstern. Der Herausgeber hat nicht nur Quellen von, sondern vor allem Quellen über Frauen ausgewählt, um vorherrschende Vorstellungen einer Zeit skizzieren zu können. Häufiger werden in den normierenden Texten im weiteren Sinne Reinheitsvorschriften erwähnt: zu gebotener Enthaltsamkeit während der Menstruation oder während der Fastenzeit, zu sexuellen Verstößen und deren Bestrafungen. Es geht häufig um genuine Frauenbelange wie unerfülltem Kinderwunsch (S. 102f.) oder ausgesetzte „Findelkinder“ (S. 178f.). Auch kleine literarische Perlen sind abgedruckt, wie Auszüge aus dem Drama der Hrosvit von Gandersheim (S. 86) oder der Texte Mechthilds von Magdeburg (S. 158). Sogar eine Verteidigung der Priesterehe aus dem 11. Jahrhundert wird geboten (S. 116f.). Angenehm fällt auf, dass der Herausgeber nicht bestrebt ist „Heldinnen“ und „Heilige“ zu präsentieren, aber dennoch vor allem die hohe Autorität und Vollmacht, die viele Äbtissinnen besaßen anhand der Quellen präsentiert.

Das Kapitel zum 16. Jahrhundert erwähnt die Reformation positiv, vor allem im Hinblick auf die Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen, wie auch die Aufhebung des Zölibats. Direkt danach steht dann jedoch der Protest der Nonne Caritas Pirckheimer gegen die Auflösung ihres Klosters (S. 188) und in den Erläuterungen des Herausgebers der Satz: „Die Kirchenspaltung, an der sie litt, ist bis heute nicht geheilt.“ (S. 189) Insofern wird immer wieder deutlich, dass Norbert Ohler nicht so sehr als Historiker, sondern vor allem als Katholik die Quellen zusammengestellt hat. Daraus resultiert auch, dass in den Jahrhunderten nach der Reformation evangelische Quellen fehlen. Die Gründung der Kaiserswerther Diakonie 1836 wird wohl aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit katholischen Orden erwähnt (S. 207). Die Mitbegründerin der Heilsarmee Catherine Booth wird genannt (S. 209) – Quellen fehlen zu beiden Erwähnungen jedoch. Die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt Marie Juchacz, die 1919 in der Weimarer Nationalversammlung spreche durfte, wird aufgeführt (S. 216f.), während eine Quelle der Nationalökonomin und Mitbegründerin des Katholischen Frauenbundes Deutschland, Elisabeth Gnauck-Kühne, fehlt.

Im 20. Jahrhundert dokumentiert der Herausgeber die zahlreichen Neuaufbrüche, die vor allem mit dem II. Vatikanum verbunden waren, wie das Bekenntnis zur Gewissens- und Religionsfreiheit in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, und weist in seinen Erläuterungen darauf hin, dass Traditionalisten solchen Fortschritten ablehnend gegenüberstehen. Implizit macht er deutlich, dass er kein Befürworter des Zölibats ist (zum Beispiel – Brief von Frauen an Papst Franziskus aus dem Jahr 2014, die eine Liebesbeziehung mit einem Priester führen).

Fazit: Es handelt sich um eine Zusammenstellung eines engagierten Katholiken, der differenziert dem durchaus vorhandenen Pluralismus auch in der römisch-katholischen Kirche in den ausgewählten Quellen Raum gibt. Leider liegt hier jedoch keine historisch-kritische und zitierfähige Quellenausgabe vor, da oft nicht auf kritische Ausgaben zurückgegriffen wurde und die Auszüge meist zu kurz sind. Zudem handelt es sich bei den Erläuterungen weniger um eine einordnende Darstellung des Entstehungshintergrundes und -kontextes als vielmehr um subjektive Kommentare und Bezüge zur Gegenwart, was für eine Lektüre in Gemeindegruppen sicherlich von Vorteil ist. Für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema und den Quellen ist diese durchaus reizvolle Sammlung dagegen nicht geeignet. Kirche ist zudem in den Augen des Herausgebers offensichtlich allein die römisch-katholische.

Anmerkungen:
1 Ute Gause, Kirchengeschichte und Genderforschung. Eine Einführung in protestantischer Perspektive, Tübingen 2006.
2 Elsie Anne McKee (Hrsg.), Katharina Schütz-Zell, The Writings, Leiden 1999; Peter Matheson (Hrsg.), Argula von Grumbach. Schriften, Gütersloh 2010.
3 Ute Gause / Stephanie Scholz (Hrsg.), Ehe und Familie im Geist des Luthertums. Die Oeconomia Christiana (1520) des Justus Menius, Leipzig 2012.
4 Vgl. nur Katharina Reinhold, Ein Leib in Christo werden. Ehe und Sexualität im Täufertum der Frühen Neuzeit, Göttingen 2012; Wilma Rademacher-Braick, Reformatorische Theologie in Texten von Frauen (1523–1558), Diss. phil. Koblenz 2001 (im Druck, erscheint 2017); Dorothee Kommer, Reformatorische Flugschriften von Frauen. Flugschriftenautorinnen der frühen Reformationszeit und ihre Sicht von Geistlichkeit, Leipzig 2013; Ursula Baumann, Protestantismus und Frauenemanzipation in Deutschland 1850 bis 1920, Frankfurt am Main 1992; Dagmar Herbrecht u.a. (Hrsg.), Der Streit um die Frauenordination in der Bekennenden Kirche. Quellentexte zu ihrer Geschichte im Zweiten Weltkrieg, Neukirchen-Vluyn 1997; Marjorie Elizabeth Plummer, From Priest's Whore to Pastor's Wife: Clerical Marriage and the Process of Reform in the Early German Reformation, Farnham 2012; Joel F. Harrington, Reordering marriage and society in Reformation Germany, New York 1995.

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