M. Buggeln u.a. (Hrsg.): The Political Economy of Public Finance

Cover
Titel
The Political Economy of Public Finance. Taxation, State Spending and Debt since the 1970s


Herausgeber
Buggeln, Marc; Daunton, Martin; Nützenadel, Alexander
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 313 S.
Preis
€ 64,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katja Fuder, Institut für Zeitgeschichte München-Berlin

Die 1970er-Jahre waren eine Zeit wirtschaftlicher Veränderungen, welche die reichen Industrienationen vor neue Herausforderungen stellte. Die erste Ölkrise und die Freigabe der Wechselkurse 1973 markierten das Ende der Phase hohen Wachstums, niedriger Inflation und niedriger Arbeitslosigkeit der Nachkriegsjahrzehnte. Der Sammelband, der aus einer Tagung zum Thema „Leviathan after the Boom: Public Finance in the Industrialized Western Countries since the 1970s“ hervorgegangen ist – ein Titel, der auch den räumlichen Bezug beinhaltet, der dem gewählten Buchtitel fehlt –, widmet sich einer Facette des damit einhergehenden Wandels, nämlich den Veränderungen im Bereich der staatlichen Finanzpolitik.

Die Herausgeber Marc Buggeln, Martin Daunton und Alexander Nützenadel verorten die Begründung einer neuen Finanzverfassung („fiscal constitution“) in den 1980er-Jahren. Als Folge der Wachstumsverlangsamung war in vielen OECD-Ländern das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben zunehmend außer Balance geraten und erforderte eine Neujustierung. Wie diese verlief und welche Konsequenzen sie hatte, steht im Zentrum des Sammelbandes, der Historiker, Ökonomen und Politologen zusammenbringt und damit der Komplexität des Themas Rechnung trägt. Die Einordnung der Beiträge in einen Gesamtkontext wird dem Leser dadurch etwas erschwert, dass zum einen die Autoren nicht explizit Bezug aufeinander nehmen und zum anderen die Anordnung der Beiträge im Buch keine offensichtliche Linie erkennen lässt. Die Aufsätze werden daher im Folgenden in veränderter Reihenfolge besprochen.

Ein Großteil der Beiträge befasst sich primär mit der Einnahmenseite des Staates, insbesondere mit Steuern und ihren Finanzierungs- und Umverteilungswirkungen. Einen Rahmen dafür bietet eine breit angelegte empirische Studie von David K. Jesuit und Vincent A. Mahler. Auf der Basis eines neuen Datensatzes beschreiben sie die Umverteilung durch Steuern und soziale Transfers sowie die Entwicklung der Einkommensungleichheit in zwanzig Industrieländern von 1970 bis 2015. Danach haben von den untersuchten Ländern die USA derzeit das höchste Level an Ungleichheit der verfügbaren Einkommen und ein sehr geringes Ausmaß an Umverteilung. Noch weniger Umverteilung gibt es nur in der Schweiz – hier vor allem durch Transfers – und in Japan; beide Länder befinden sich aber bei der Verteilung der verfügbaren Einkommen dennoch im Mittelfeld. In den nordeuropäischen Ländern mit Schweden an der Spitze, Belgien und den Niederlanden ist die Verteilung der verfügbaren Einkommen am ausgeglichensten. Zudem zeigen Jesuit und Mahler, dass die Einkommensungleichheit der betrachteten Länder in den letzten vier Dekaden im Durchschnitt deutlich angestiegen ist, einen besonders starken Anstieg gab es in Großbritannien.

Buggeln illustriert diese Entwicklungen anhand der Veränderung der Steuer- und Sozialabgabestrukuren in Großbritannien, den USA, Deutschland, Schweden und Frankreich. Er betont die Individualität der jeweiligen Systeme, erkennt jedoch einen Trend zur Harmonisierung und Reduzierung von Steuersätzen für hohe Einkommen und Unternehmen, während Steuererleichterungen für mittlere Einkommen durch einen zweiten Trend hin zu nicht-progressiven Steuern und Abgaben konterkariert wurden – eine Kombination, die zunehmende Vermögensungleichheiten begünstigt hat.

Bei Betrachtung der Länder, die nach Jesuit und Mahler durch eine relativ starke Einkommensungleichheit bzw. geringe Umverteilung gekennzeichnet sind, wird deutlich, dass die Gründe für Steuersenkungen insbesondere für hohe Einkommen und Unternehmen durchaus voneinander abwichen. In den USA und Japan etwa waren Steuersenkungen wesentliche Elemente einer wachstumsorientierten, zunächst keynesianischen, später angebotsorientierten Politik und drückten zudem eine generelle Steuerskepsis aus. Dies zeigen W. Elliot Brownlee und Eisaku Ide, die in einem gemeinsamen Beitrag die finanzpolitischen Entwicklungen der USA und Japans seit 1970 nachzeichnen – zwei Länder, die sich durch eine besonders hohe Staatsverschuldung auszeichnen. Die Autoren argumentieren überzeugend, dass es den Regierungen beider Länder seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gelungen sei, Steuern durch eine inhaltliche Verknüpfung mit Ausgabenprogrammen ein positives Image zu geben und ein „Steuerbewusstsein“ („tax consciousness“) der Bevölkerung zu schaffen. Die Regierungen haben daher zunehmend auf Neuverschuldung zurückgegriffen, um Steuerausfälle infolge niedrigeren Wirtschaftswachstums auszugleichen, und versucht, durch Kürzungen bei Unternehmenssteuern und Einkommensteuerhöchstsätzen Wachstumsanreize zu setzen. Diese Politik führte vor allem in den USA zu einer starken Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung.

Nach Gisela Hürlimann hatten Steuersenkungen in der Schweiz in erster Linie das Ziel, grenzüberschreitend Kapital und Unternehmen anzulocken. Hürlimann analysiert die schweizerische Steuerpolitik im Spannungsfeld von kantonaler und nationaler Politik und argumentiert, dass die nationale formale Steuerharmonisierung, die nach langen Diskussionen implementiert wurde, große Spielräume ließ und so der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen genutzt wurde, um eine gute Position im internationalen Steuerwettbewerb zu erreichen. Ergänzend dazu beschreibt Christophe Farquet auf breiter Quellenbasis, wie die Schweiz seit 1971 zunehmend internationales Finanzkapital, welches durch die Vermögensakkumulationen auch aufgrund abnehmender Progressivität der Steuer- und Abgabensysteme in vielen Ländern in den letzten Jahrzehnten vermehrt entstanden ist, angezogen hat und ihre Rolle als Steuerparadies festigen konnte.

Für Großbritannien argumentiert Martin Daunton, dass Margaret Thatcher mit ihrer Steuerpolitik beabsichtigte, durch Umstrukturierungen innerhalb des Steuersystems individuelle Anreize für verstärkte private Investitionen und höheren Arbeitseinsatz zu schaffen und dadurch das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Anders als in den USA ging es jedoch nicht primär um Steuersenkungen, wenngleich niedrigere Steuersätze für hohe Einkommen und Unternehmen eine faktische Konsequenz waren.

Eine besondere Gruppe unter den Ländern mit eher ungleicher Verteilung der verfügbaren Einkommen bilden die südeuropäischen Staaten. Stefano Battilossi zeigt, dass die Reaktionen auf die fiskalischen Herausforderungen der 1970er-Jahre dort anders ausfielen als im Rest der westlichen Welt. So setzten die südeuropäischen Regierungen zunächst stärker auf Einnahmen aus Seigniorage und auf Instrumente finanzieller Repression, um dem Problem der Steuerhinterziehung zu begegnen und um Zeit für Reformen zu gewinnen. Die damit einhergehenden hohen Inflationsraten hielten zugleich die Staatsverschuldung in Grenzen.

Deutlich weniger Beiträge befassen sich mit Ländern, die nach Jesuit und Mahler durch eine geringere Einkommensungleichheit und stärkere Umverteilung durch Steuern und Transfers gekennzeichnet sind. Reimut Zohlnhöfer nimmt in seinem Beitrag an, dass Wähler grundsätzlich gegen Einschnitte bei den Sozialsystemen sind, und erklärt die Tatsache, dass die Niederlande trotz ähnlicher ökonomischer Bedingungen wie in Dänemark Sozialausgaben stärker kürzten, mit unterschiedlichen Parteikonstellationen. Seine Argumentation ist zwar schlüssig, es bleiben jedoch wichtige inhaltliche Fragen offen, wie etwa die politische Motivation hinter den Kürzungen und warum die niederländischen Christdemokraten für ihre Politik nicht stärker abgestraft wurden.

Daran anknüpfend lässt sich die grundsätzliche Frage stellen, wie es dazu kam, dass im Großteil der Industrieländer eine Politik, welche die Partikularinteressen hoher Einkommensverdiener bevorzugt und somit Einkommens- und Vermögensscheren vergrößert hat, über mehrere Jahrzehnte mehrheitsfähig bleiben konnte. Einen möglichen Faktor, der allerdings als alleinige Erklärung kaum reicht, spricht Zohlnhöfer kurz an, nämlich die Bereitschaft der Wähler, in Krisenzeiten Einschnitte zu akzeptieren. Bei Brownlee und Eisaku wird außerdem deutlich, dass anstelle von bzw. ergänzend zu individuellen Nutzenüberlegungen auch übergeordnete Präferenzen, die wiederum durch politische und kulturelle Kontexte und Narrative beeinflusst sind, eine bedeutende Rolle spielen können.

Benjamin Lemoine, Peter H. Lindert und Martin Chick wenden sich anderen Themenfeldern zu. Lemoine befasst sich mit der französischen Haushaltspolitik und beschreibt, wie Finanzpolitiker seit den 1970er-Jahren angesichts hoher Inflationsraten das bis dahin gängige System der Staatsfinanzierung durch die Schuldenaufnahme auf internationalen Kreditmärkten und eine zunehmend unabhängige Zentralbank ersetzten und Frankreich damit, so klingt es im Beitrag indirekt eher negativ durch, in Abhängigkeit von Investoren brachten. Seine Kritik bleibt leider etwas unklar und setzt sich auch nicht mit vorherrschenden gegenläufigen Meinungen auseinander. Lindert argumentiert, dass im Bereich öffentlicher Finanzen starke Pfadabhängigkeiten existieren. Er beschreibt, wie durch Partikularinteressen einzelner gesellschaftlicher Gruppen langfristige fiskalische Fallen („fiscal traps“) entstehen können. Auf der Ausgabenseite betrachtet Chick anhand originärer Quellen den Rückzug des britischen Staates aus langfristigen Investitionen und die zunehmende Bedeutung von Kosten-Nutzen-Analysen als Grundlage für Investitionsentscheidungen.

In der Summe beschreiben die Beiträge des Bandes das finanzpolitische Dilemma, in dem sich die reichen Industrienationen seit den 1970er-Jahren befanden und eröffnen teils neue, historische Perspektiven auf ein Thema, das in der Forschung bislang keinen prominenten Platz einnimmt, aber mehr Aufmerksamkeit verdient. Es verbleibt der Eindruck, dass Debatten über die Konsequenzen der Finanzpolitiken der letzten Jahrzehnte zumindest teilweise noch ausstehen. Dies betrifft Themen, die im Band anklingen, wie etwa den Umgang mit Steueroasen und die Zunahme an Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung, die auch jüngst Thomas Piketty in seinem vielbeachteten Buch beschrieben hat1, und Themen, die nicht vorkommen, wie die intergenerationelle Steuergerechtigkeit. Der vorliegende Sammelband liefert einen wertvollen Beitrag zu diesen Debatten. Schön wäre es noch gewesen, wenn die Herausgeber die Gesamtergebnisse und offenen Fragen in einem abrundenden Kapitel dargestellt hätten.

Anmerkung:
1 Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014.

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